Feen im Rausch

von Dorothea Marcus

Düsseldorf, 20. September 2014. Wie es eben so geht, wenn man erwachsen wird, auch in den höchsten, verklemmtesten Kreisen – da kann man schon mal ausbrechen wollen, wenn man einfach verheiratet werden soll. Die Jugend von Athen sieht aus, als sei sie gerade dem Internat entsprungen: ein schüchterner Haufen in Schuluniform, senfgelben Röcken und hochgeschlossenen weißen Blusen. Hermia (Sarah Hostettler) sitzt zwischen zwei streng gescheitelten, kaum unterscheidbaren Jünglingen vor schlammbrauner Sixties-Tapete und schmachtet Lysander an. Als sie mit Demetrius verheiratet werden soll, fliehen sie einfach – raus aus dem Drill, ins wilde New York. Mitten in einen White Cube bettet sich das junge, naive Paar zwischen akkurat aufgestellten Brillo-Boxen (derzeitiger Wert auf dem Kunstmarkt pro Stück: rund 200.000 bis 800.000 Euro) erschöpft zur Ruhe, unter einem Double-Elvis von Andy Warhol.

sommernachtstraum 560 ensemble sebastianhoppe uIm Factory-Feenreich © Sebastian HoppeDas wilde Feenreich ist Warhols von Bühnenbildner Max Glaenzel in Düsseldorf liebevoll nachgebaute "Silver Factory". Wo könnten die Gesetze von Treue, Ordnung, Ehe und Liebe wohl so berauschend außer Kraft gesetzt werden wie in der Mutter aller drogenumnebelten Künstler-Kommunen? In der mit Alufolie ausgeschlagenen Fabrik-Etage mit rosa Velvet-Underground-Plakaten drehen sich die Elfe alias Edie Sedwick (Klara Deutschmann ist eine bemerkenswerte Tänzerin und eine melancholisch-verlorene Muse) und der virile Puck alias Warhols erster, stets filmender Assistent Gerard Malanga in einem erotischen Ballett-Tanz zu tropfendem Chopin, originalgetreu nachgestellt bis hin zu Deutschmanns schwarzen Ballettstrumpfhosen. Doch ihr heißer Kuss ist schnell vergessen, als der Elfenkönig Andy Warhol (Sven Walser) das Bild betritt – in Platinblond, aber mit Allmachts-Picasso-Künstlerstreifen auf dem Shirt und einem jederzeit identisch reproduzierbaren Burger in der Hand. Seine Gattin Titania ist der schwarzgelockte Edgar Eckert, denn natürlich sind Männer und Frauen als Liebesobjekte bei Warhol ebenso austauschbar wie die niedlichen Groupies.

Rausch, Sex, Dauerparty

Doch vorher noch geht die Party los: Stilecht schallen Velvet Underground mit "Sunday Morning" vom Plattenteller, während in der Factory schicke Sixties-Bräute, wandelnde Riesenbananen, smarte Jungkünstler selbstverliebt die Kunst der Selbstdarstellung üben. Der spanische Regisseur Alex Rigola und sein Team haben keinen Aufwand gescheut, um die These zu untermauern: Shakespeares anarchischer Feenwald, jener, in dem die spießigen Gesetze der Liebe außer Kraft gesetzt sind zugunsten von Rausch, austauschbarem Sex und Dauerparty, ist am besten in der anarchischen Welt der Kunstkommune darstellbar – auch wenn diese ja selbst schon ein historisches Artefakt der Sechziger Jahre darstellt. Die konsequente Umschreibung funktioniert gut: Die Liebesobjekte im Elfenwald sind durch den Zaubertrank letztlich genauso austauschbar wie in amphetamin-umnebelten Party-Nächten.

Sehr hübsch ist auch, dass jene sechs Athener Handwerker, die im Wald ein Theaterstück proben, leicht als legendäre Factory-Mitglieder zu identifizieren sind, die erstmal Regie-Konzepte diskutieren müssen: Regisseur Jack Smith (Daniel Fries) mit Lederjacke und cholerischen Anfällen, wenn der Text nicht gelernt ist, Brigit Berlin (Katharina Lütten) als aufgetunte, motzige Pelzmantel-Tussi, Mario Montez (Marcus Calvin) als selbstzweifelnder Löwe-Darsteller mit "Fotzen-Bart". Am beeindruckendsten aber ist John Giorno alias Zettel, der sich dann bei den ersten grellen Performance-Proben schnell unwiderruflich in einen Esel verwandelt: mit Lippenstift bemalt, grotesk mit Saugglocken als Eselsohren ausstaffiert, verliert er sich in einen paranoiden Drogenrausch. Urs Peter Halter stellt souverän Zettels Verwunderung, Verlorenheit und Entsetzen dar, an dessen Ende er sich bei absurden Sexspielen in Titanias Lotterbett wiederfindet.

sommernachtstraum 560 haendlerhostettlerschmidabbas sebastianhoppe uInternatsgören im Partywunderland: Pia Händler, Sarah Hostettler, Andreas Helgi Schmid,
Heisam Abbas © Sebastian Hoppe

Schön ist auch, wie Klara Deutschmann als Edie Sedwick später, als sie von Oberon ausgemustert wird, ganz allein im White-Cube-Teil der Drehbühne vor einem Siebdruck mit Totenkopf steht und danach nicht mehr gesehen wird (die echte Edie Sedwick war ja bekanntlich nur ein Jahr in der Factory unterwegs, ehe sie an Drogen und psychischer Krankheit zugrundeging).

Liebesobjekte, so austauschbar wie Warhols Siebdrucke

Das alles ist also wunderbar gespielt, sehr lustig, stimmig und opulent inszeniert, die leichtfüßige Übersetzung von Angela Schanelec, die zwischen fröhlichen Versen und gewichtigen Sätzen variiert, liegt den Schauspielern leicht im Mund: eine saubere, schöne Arbeit, die die zuletzt so theaterrenitenten Düsseldorfer zu Standing Ovations treibt. Der philosophische Erkenntnisgewinn der 60er-Jahre-Adaption bleibt jedoch recht dürftig. Sicher hat der Zauberwald mit frühen Formen von Freiheit und freier Liebe zu tun, die bis heute wirken, sicher sind Liebesobjekte heute austauschbar wie Siebdrucke von Andy Warhol. Eine Aussage, die allerdings etwas zu schlicht ist, um dafür eine alte Legende detailgetreu wiederzubeleben.

 

Ein Sommernachtstraum
von William Shakespeare
Deutsch von Angela Schanelec in Zusammenarbeit mit Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens
Regie: Alex Rigola, Bühne: Max Glaenzel, Kostüme: Regina Rösing, Musik: Nao Albet, Dramaturgie: Eva-Maria Voigtländer, Licht: Jean-Mario Bessière.
Mit: Artus-Maria Matthiesen, Andreas Helgi Schmid, Heisam Abbas, Sarah Hostettler, Pia Händler, Edgar Eckert, Moritz Führmann, Klara Deutschmann, Daniel Fries, Lutz Wessel, Urs Peter Halter, Marcus Calvin, Katharina Lütten.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

duesseldorfer-schauspielhaus.de

 

Der spanische Regisseur Alex Rigola, zurzeit auch Direktor der Theatersektion der Biennale di Venezia, trat in Deutschland bereits mit seiner Adaption von Roberto Bolaños Roman 2666 an der Berliner Schaubühne in Erscheinung.

 

Kritikenrundschau

In der Sendung "Fazit" auf Deutschlandradio Kultur (20.9.2014) befindet Christiane Enkeler: §Das ganze Ensemble spielt unglaublich gut. An einigen Stellen wird es tatsächlich zu schrill – aber das kann sich von Mal zu Mal abschleifen und einpendeln." Denn der Abend lebe auch "von sehr viel zartem, fast schon liebevollem Humor". "Da jeder in jeder peinlichen Pose gefilmt und fotografiert wird, öffnet sich in all den Machtspielchen und unter der Factory-Oberfläche ein Horror-Abgrund im Kaleidoskop von Kunst, Markt und Medien, für die mit ihren masochistischen und sadistischen Mechanismen ein Absturz nur vorübergehend Geltung hat."

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