Diskussion über Rassismus und Johan Simons' Inszenierung "Die Neger" am Hamburger Schauspielhaus
Die Blauäugigen
von Falk Schreiber
Hamburg, 10. Oktober 2014. Von Anfang an stand Johan Simons' Inszenierung von Jean Genets "Die Neger" unter einem schlechten Stern. Die Koproduktion von Wiener Festwochen, Hamburger Schauspielhaus und Münchner Kammerspielen provozierte schon vor der Premiere in Wien Proteste von Antirassismus-Aktivisten, die sich vor allem vom Titel und vom auf den Festivalplakaten angedeuteten Einsatz von Blackfacing angegriffen fühlten. Die Kritiken nach der Festwochen-Premiere fielen dann weitgehend desaströs aus (Reinhard Kriechbaums Nachtkritik war noch eine der freundlicheren Stimmen). Und schließlich verletzte sich Schauspieler Benny Claessens kurz vor der für Juni geplanten Hamburger Premiere, so dass die Aufführungen in der Hansestadt und in München in die nächste Spielzeit verschoben werden mussten.
Seit einer Woche steht die Inszenierung nun endlich im Hamburger Spielplan (heute ist die Münchner Premiere), und nach der zweiten Aufführung am Freitag (die weder so abgrundtief schlecht war, wie man nach den Wiener Kritiken annehmen musste, noch eine ästhetische Offenbarung) hatte die Schauspielhaus-Dramaturgie eine Publikumsdiskussion zum Rassismus-Vorwurf gegen die Arbeit anberaumt.
Theater-Innensicht-Tradition
Auf dem Podium: Theatermacher und Bühnenwatch-Aktivist Atif Hussein, Politikwissenschaftler Nesta Mitali, Annette Reschke vom Verlag der Autoren, Schauspielhaus-Dramaturgin Rita Thiele, Filmemacher Oliver Hardt, die Schauspieler Bettina Stucky und Stefan Hunstein sowie Regisseur Johan Simons. Der betonte, dass er schon lange Genet-Fan sei und sich seit seiner Kindheit mit dessen antikolonialistischen Themen beschäftigt habe: "Ich wollte früher Priester werden und nach Afrika gehen!"
Dramaturgin Thiele ergänzte, dass es schon länger Gespräche mit Simons über dieses Stück gegeben habe, und es – ihrer Meinung nach – perfekt in die vergangene Schauspielhaus-Spielzeit gepasst habe, die sich durchgängig mit der Geschichte des Kolonialismus beschäftigte. Und aus diesen inhaltlichen Überlegungen heraus sei entschieden worden, die Inszenierung gemeinsam mit Simons' Stammhaus, den Münchner Kammerspielen, zu produzieren – und zwar mit Schauspielern aus beiden Ensembles.
Das provozierte Widerspruch von Filmemacher Oliver Hardt: "Ich komme eigentlich vom Theater. Aber was mich am Theater immer gestört war, dass alle Diskussion ständig reine Theater-Innensicht reproduzierten – und das spüre ich auch hier." Genet habe vor über 50 Jahren ein Stück geschrieben, das laut Thiele alternativlos für die heutige Beschäftigung mit Kolonialismus stehe; weil entschieden worden sei, die Ensembles aus Hamburg und München gleichwertig einzusetzen, habe es keine Möglichkeit gegeben, schwarze Schauspieler zu besetzen, obwohl genau das explizit in Genets Vorlage gefordert worden sei … Alles habe sich, kurz gesagt, einer theaterimmanenten Kraft des Faktischen unterzuordnen. "Das halte ich für mehr als blauäugig."
N-Wort beim Namen
Blauäugig war zweifellos, den Stücktitel (den auch der Autor dieses Textes nur ungern in den Mund nimmt) in Hamburg zu plakatieren, ohne daran zu denken, dass diejenigen, die es tatsächlich betrifft, die People of Color nämlich, hier etwas anderes sehen könnten als die Ankündigung eines Theaterstücks. Nesta Mitali musste erst einmal klarzustellen, dass das gedankenlose Aussprechen des Titels ihn persönlich verletzt: "Ich kann dieses Wort nicht hören!" sagte er mit schmerzverzerrtem Gesicht. Mehr oder wenig gutwillig gestand ihm Verlagsfrau Reschke diese Betroffenheit zu, nicht ohne zu betonen, dass der Begriff zur Entstehungszeit des Stücks anders besetzt gewesen sei als heute. Was von Dramaturgin Thiele relativiert wurde: "Ich glaube nicht, dass das zu Genets Zeiten ein unproblematischer Begriff war. Das ganze Stück besteht aus rassistischen Klischees, und der Titel nennt das beim Namen."
Was die letzte Gelegenheit gewesen wäre, über etwas anderes zu diskutieren als über Begrifflichkeiten, über Theater zum Beispiel, über Blackfacing oder auch über die Sinnhaftigkeit von Simons' hier sehr hermetischer Bühnensprache. Aber Atif Hussein griff von neuem Reschkes Argument der historisch anderen Bedeutung des Titels auf: "So etwas passiert in diesen Diskussionen immer wieder: Es wird behauptet, der Begriff sei nicht abwertend gemeint gewesen, er stamme aus einer Zeit, als so eine Ausdrucksweise normal war. Aber es war damals einfach normal, schwarze Menschen abzuwerten!" So ging das weiter, bis schließlich Schauspieler Hunstein der Kragen platzte: "Ich bin über die Vehemenz der Diskussion erstaunt. Und ich bin darüber erstaunt, dass wir nur über den Titel diskutieren. Um das einmal klarzustellen: Wir sind keine Rassisten. Wir ziehen alle an einem Strang!"
Reflex des Rassismus-Vorwurf
Zwar hatte niemand Hunstein vorgeworfen, Rassist zu sein, allerhöchstens, ein wenig unbedarft mit Terminologien umzugehen – aber das Entgleiten der Diskussion zeigt sehr deutlich, welche Prozesse in Gang kommen, wenn sich die Argumente verselbständigen. "Genau das ist das Problem", platzte es aus Mitali heraus: "Sobald wir Schwarzen uns diskriminiert fühlen, denken Sie, wir werfen Ihnen Rassismus vor!"
Was zwar stimmt, aber auch den Punkt markiert, an dem nicht mehr vernünftig miteinander geredet werden kann. Den Punkt, an dem jedes Argument nur noch als Angriff aufgefasst wird. Zu retten war jedenfalls nichts mehr, als die Diskussion (viel zu spät) für das Publikum geöffnet wurde – die meisten Argumente waren längst gefallen und hatten ausreichend Porzellan zerdeppert. Und ob es das Gespräch noch hätte retten können, zu erfahren, dass die "Großtante Frieda" einer älteren Zuhörerin ohne böse Hintergedanken von "Negern" geredet habe, darf bezweifelt werden. Oliver Hardt jedenfalls kanzelte diesen Beitrag so richtig wie unfreundlich ab: "Es geht nicht um ein Verbot von Worten, es geht um Respekt. Und den haben Sie nicht gezeigt!" Das war zu einem Zeitpunkt, als der Großteil des Podiums schon jegliches Interesse an der Diskussion verloren hatte.
Jenseits der Realität
Nein, besonders weit ist man nicht gekommen in dieser unbefriedigenden Gesprächsrunde. Ein Abschluss-Statement vielleicht, von Bettina Stucky? "Ich finde es ganz schwierig, dass ausgerechnet ich als Herrenrassenweiße jetzt etwas Harmonisches zum Abschluss sagen soll!" Zumindest Rita Thiele könnte ins Nachdenken gekommen sein. Als Mitali beschrieb, dass er, wenn er ein Theaterplakat namens "Die Neger" sieht, denkt, dass in diesem Theater etwas passiert, mit dem er nichts zu tun hat und das auch mit ihm nichts zu tun haben will – dann sollte einer Dramaturgin langsam dämmern, dass hier etwas gehörig falsch läuft.
Mehr zu Simons' Inszenierung in unserer Kritik und der anhängenden Kritikenrundschau. Vor der Premiere bei den Wiener Festwochen hatte die Plakatierung eine Debatte über Blackfacing entfacht.
Über Rassismus im Kulturbetrieb wurde jüngst auch im Berliner Ballhaus Naunystraße diskutiert.
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Die Braunschweiger sind auch so blauäugige Heinis: Die plakatieren tatsächlich "Mein Kampf" am Theater.
Genet-Stücke und "Nazi-Romane" in einem Kommentar, der kaum länger als ein 'Tweet' ist, zusammenzuklatschen, ist, mit Verlaub, idiotisch - zumindest so lange, bis Sie diese selbstgezogene Parallelen erklären ...
Würden Sie auf dieser Grundlage also behaupten, dass das Team des Hamburger Schauspielhauses blind Vorurteilen folgt und zudem jemandem willentlich schaden möchte? Ich kann das irgendwie nicht glauben.
Und noch eine Frage: Wie stehen Sie zu Robert Wilsons Genet-Interpretation in Paris? Anders gefragt: Geht es Ihnen um den Wortlaut von Texten oder um die Auslegung von Texten?
es geht m.E. nicht darum "alle Themen, die mit Verletzung und Tabus behaftet sind, gleich vorauseilend" (oder auch hinterhereilend) "zu meiden". Es geht m.E. doch eher darum, wie gehe ich im Reflektionsraum Kunst, der ja auch immer ein möglicher Realitätsraum ist, mit diesen Themen um.
Sicher ist es eine Binsenweisheit, daß es im Theater Absendende und Adressierte gibt ist, und die (oder meinetwegen auch 'wir') haben unterschiedliche oder auch ähnliche Lebenserfahrungen z.B. aufgrund unterschiedlicher oder ähnlicher Positionen innerhalb der Gesellschaft. Und, offensichtlich immer noch keine Binsenweisheit, in einer machtstrukturell auf Ungleichheit (oder auch Ungleichwertigkeit) aufbauenden Gesellschaft wie (z.B.) der deutschen, sind Menschen, ob wir das wollen oder nicht, positiv oder negativ von Machtstrukturen erhaltenden Diskriminierungen betroffen.
Nun hätte 'man' annehmen können, daß sich das Deutsche Schauspielhaus Hamburg, bzw. dessen künstlerische Leitung, zumindest der Tatsache bewußt ist, daß es/sie zu fast hundert Prozent weiß besetzt ist/sind. - Oder doch nich ... und das finde ich beängstigend. Denn, wenn es in der Tat darum geht/ging, daß ein weißer Regisseur, eine weiße Dramaturgin und weiße Schauspieler_innen einen (kritischen) künstlerischen Beitrag zur europäisch-afrikanischen Kolonialismusvergangenheit, zu rassistischen Stereotypen leisten wollen/wollten, ohne Schwarze Perspektiven auch nur im Ansatz deutlich zu machen, dann haben sie nicht mehr und nicht weniger getan, als einen geschlossenen weißen Raum zu schaffen. Denn, wenn es nur eine Perspektive der Absendenden gibt, wird auch nur ein Teil eines möglichen Publikums adressiert. Kurz: Hier produzieren weiße Menschen Kunst, die nicht für Nicht-weiße gedacht ist! - Das wirft die Frage auf, ist das Deutsche Schauspielhaus Hamburg eine exklusiv weiße Institution, obgleich sie von einer divers zusammengesetzten Gesellschaft getragen (finanziert) wird. Dasselbe gilt selbstverständlich für die mitproduzierenden Kammerspiele München. Sprache, Marketing, Debattenführung sind dann eben eher ein Zeichen für mehr Segregation anstelle von mehr Inklusion.
Zwei kleine Details mögen ebenfalls Hinweise darauf geben:
Stefan Hunstein wurde gefragt, warum nicht er anstelle von Felix Burleson den 'träumenden Archibald' spielte. (Der 'träumende' ist im Vergleich zum 'im Traum agierenden Archibald' eine fast stumme Figur.) Stefan Hunstein wußte die Frage nicht zu beantworten.
Johan Simons stellte in einem Interview für den Bayerischen Rundfunk die Fragen: "Haben die Leute, die Schwarzen überhaupt Lust hier auf der Bühne zu stehen? Und zweitens ist die Frage: haben die auch die Qualitäten."
Innerhalb dieser Diskussion von 'weißen' bzw 'schwarzen' Positionen, Perspektiven und Interessen zu sprechen, hat wirklich gar nichts mit 'rassistisch' zu tun.
'Weiß & Schwarz' definiert doch hier lediglich, sehr klar, von welcher Position aus ich betrachte und empfinde !
Hingegen ist es schlicht und einfach endlos verlogen so zu tun, oder gar zu behaupten, es gäbe - je nach Hautfarbe und damit einhergehender Sozialisation - KEINEN Unterschied in Wahrnehmung und Sensibilität und dem daraus resultierenden Bedürfniss sich künstlerisch mit Rassismus auseinanderzusetzen.
Es gibt diesen Unterschied. Logisch.
Und diese ganze Diskussion ist richtig.
Trotzallem unfassbar mühsam. Kompliziert. Ermüdend. Peinlich. Erschreckend.
Aber sie ist es wert.
Wenn es dazu führen könnte, das jene Hamburger 'Neger-Konzeption' deutlich macht, dass es verdammtnochmal nicht reicht grundsätzlich eine 'richtige, liberale, aufgeklärte, antirassistische Meinung' zu haben, wenn man gleichzeitig aber nicht bereit ist, die Chance Theater, bzw das Instrument Theater, so zu nutzen das es - zumindest manchmal - mehr können will als Konzeption.
Erbärmlich ist, wenn ein Dozent für Theaterwissenschaft/Dramaturgie an der TU Berlin und freier Feuilletonist (Michael Laages) eine Debatte über Rassismus im Kulturbetrieb in "jedem anderen Land, aber nicht Deutschland" versteht. Schließlich "kenne er in Deutschland nur zwei *farbige* (sic!) Schauspieler und denen sei die ganze Debatte Wurscht" ...
Erbärmlich ist, wenn ein Theaterautor und Shakespeare-Übersetzer "The Tragœdy of Othello, the Moor of Venice" mit "Othello.Venedigs N****" übersetzt und das damit begründet, daß Othello schließlich ein "Söldner, ein (zugegeben) Edelsklave, einen Köter" sei. (Werner Buhss)
Erbärmlich ist, wenn ein Schriftsteller als Paradebeispiel eines politisch bewegten Intelektuellen gefeiert wird und dabei seine Einlassungen zum "Othello" ignoriert werden - "Was ist Othello? Das ist die Nacht. Eine gewaltige, fatale Gestalt. Die Nacht ist verliebt in den Tag. Die Finsternis liebt die Morgenröte, der Afrikaner betet die Weiße an. Desdemona ist für Othello die Klarheit und der Wahnsinn. Deshalb verfällt er der Eifersucht so rasch. [...] Die Eifersucht verwandelt den Helden jäh in ein Ungeheuer, der Schwarze wird zum N****. Es ist, als ob die Nacht dem Tod ein rasches Zeichen gegeben hätte. [...] Was könnte schrecklicher sein für die Weiße und die Unschuld als Othello, der N**** . [...]
Erbärmlich ist, wenn Theaterleiter_innen den Griff zur Blackface-Maskerade damit begründen, daß keine ("passenden") Schwarzen Schauspieler_innen im deutschsprachigen Raum zu finden wären. (Sonja Anders, DT Berlin; Evangelia Sonntag, Schloßparktheater Berlin)
Erbärmlich ist, wenn eine Intendantin nicht-weiße Darsteller_innen und nicht-weißes Publikum im Interview (mit der taz) als "migrantisch-stämmig" bezeichnet. (Karin Beier, zu der Zeit Schauspiel Köln)
Erbärmlich ist, wenn eine Rezensentin sich "wundert", warum ein Intendant und Regisseur (Matthias Frontheim) sich die "Mühe macht" Schwarze Figuren mit Schwarzen Schauspieler_innen zu besetzen. Das wäre "nicht weniger artifiziell als schwarz angemalte Weiße". (Shirin Sojitrawalla)
Erbärmlich ist, wenn Hannah Arendts Leben und Arbeit gewürdigt werden und ihre Betrachtungen zu Schwarzen Gesellschaften auf dem afrikanischen und dem australischen Kontinent ausgeblendet werden. Sie schrieb in 'Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft' (1951), daß die "N***r" selbst mitschuldig seien am Rassismus, denn die "Rassen" Afrikas und Australiens zeugten von einer "katastrophenhaften Einförmigkeit ihrer Existenz" und seien "bis heute die einzigen ganz geschichts- und tatenlosen Menschen, von denen wir wissen, [... ] die sich weder eine Welt erbaut noch die Natur in irgendeinem Sinne in ihren Dienst gezwungen haben". Und weiter: "Der biblische Mythos von der Entstehung des Menschengeschlechts wurde auf eine sehr ernste Probe gestellt, als Europäer in Afrika und Australien zum ersten Male mit Menschen konfrontiert waren, die von sich aus ganz offenbar weder das, was wir menschliche Vernunft, noch was wir menschliche Empfindungen nennen, besaßen, die keinerlei Kultur, auch nicht eine primitive Kultur, hervorgebracht hatte, ja, kaum im Rahmen feststehender Volksgebräuche lebten und deren politische Organisation Formen, die wir auch aus dem tierischen Gemeinschaftsleben kennen, kaum überschritten. […] Hier, unter dem Zwang des Zusammenlebens mit schwarzen Stämmen, verlor die Idee der Menschheit und des gemeinsamen Ursprungs des Menschengeschlechts, wie die christlich-jüdische Tradition des Abendlandes sie lehrt, zum ersten Mal ihre zwingende Überzeugungskraft, und der Wunsch nach systematischer Ausrottung ganzer Rassen setzte sich umso stärker fest."
Erbärmlich ist, wenn sich ein Juror des Berliner Theatertreffens (Franz Wille) in einer öffentlichen Diskussion, im Versuch die Forderung vom Tisch zu wischen, Schwarze Schauspieler_innen im deutschsprachigen Raum ganz selbstverständlich mit Rollen wie dem Gretchen, dem Hamlet oder Faust zu besetzen, zu der Aussage hinreißen läßt, dass man ja damit etwas "sehr Rassistisches auf die Bühne bringen würde, denn immerhin vergewaltige Faust eine Minderjährige".
Erbärmlich ist, wenn ein Theaterintendant (Claus Peymann) nicht-weiße Theaterkünstler_innen, die eine andere Perspektive haben als er (im Interview mit der Berliner Zeitung) als "zappelnde islamische Frauen" bezeichnet.
Erbärmlich ist, wenn einer der bekanntesten deutschen Schauspieler (Lars Eidinger) im Interview mit Esther Kogelboom und Sebastian Leber (tagesspiegel) die Aussage: "Sie wollten nicht auf die Terrasse des Tagesspiegels. Aus Angst, braun zu werden." mit der Antwort "Ein helles Gesicht fängt viel mehr Licht auf der Bühne. Hamlet ist nicht braun." bestätigt. (Adrian Lester würde wahrscheinlich einen Lachanfall bekommen, ob derartiger Erbärmlichkeit.)
Ich wiederhole noch einmal:
Das Problem des deutschsprachigen Theaters ist sicher nicht der (offensichtliche) Rassismus, sondern das fehlende Wissen und Verständnis für dessen Wirkabsichten und Wirkungsweisen. In der Überzeugtheit nichtrassistisch zu sein, nicht von kolonialen und post- und neokolonialen Denkmustern und Politiken beeinflusst zu sein, zeigt sich die Unfähigkeit, die eigene Positionierung zu erkennen, und damit verbunden, einen Perspektivwechsel zu vollziehen. Das Aufrechterhalten des Konzepts Nicht-markiert-zu-sein, dadurch also in der Position der zur Deutung Fähigen zu sein, führt aber unweigerlich zur Fortführung dieser Denkmuster und Politiken, letztlich, also auch gegenwärtig, zu Exklusion und segregativer Praxis.
da ich wieder in Endproben bin, kann ich Ihnen heute nur kurz schreiben. Ich finde Ihre Berichterstattung über das Podiums-und Publikumsgespräch vom 10. Oktober schlichtweg verzerrend und polemisch. Und leider überhaupt nicht hilfreich in einer Debatte, die seit mehreren Jahren – nicht nur an unserem Haus – auf der Stelle tritt, und die wir, indem wir diese Diskussion anberaumten, hofften, tatsächlich mal etwas differenzierter führen zu können. Die Probleme, die Sie ansprechen und von denen Sie behaupten, dass sie mir nun langsam dämmern sollten, beschäftigen mich seit über anderthalb Jahren. Auf die Standpunkte, die Oliver Hardt, Atif Hussein und Nesta Mitali vertreten haben, bin ich in sehr vielen Emails schon lange vor der eigentlichen Premiere eingegangen. Wir haben seit Juni , der ursprünglich geplanten Premiere, einen Blog im Internet eingerichtet, um die Debatte zu befördern. An Argumenten war mir also gar nichts neu, ich hatte allerdings gehofft, man könne miteinander in ein produktives Gespräch kommen. Ich fand es wichtig (und finde das noch immer), auf das Podium die Positionen Hardt, Hussein und Mitali einzuladen. Dass es zu keinem wirklichen Gespräch gekommen ist, finde ich mehr als schade; dies nun aber auf die „Blauäugigkeit“ der Theatermacher auf dem Podium zu schieben, mehr als kurz gegriffen. Ich finde mich in vielen Punkten falsch zitiert und in falsche Zusammenhänge von Ihnen gestellt (zum Beispiel habe ich nie behauptet, dass das Stück von weißen Schauspielern gespielt wird, weil keine anderen zur Verfügung standen, sondern betont, dass das auch inhaltliche Gründe hat). Dass solche Fragen dann aber gar nicht mehr diskutiert wurden, wie überhaupt die Inszenierung selbst nicht zum Thema wurde, lag daran, dass es den „Kontrahenten“ ausschließlich um politische Statements ging, nicht um eine Debatte, die sich konkret mit der Inszenierung beschäftigt. Aber auch was die politische Debatte anbelangt: Ihr Beitrag wird wenig dazu beitragen, Theater und Aktivisten einander näher zu bringen.
Mit freundlichen Grüßen,
Rita Thiele
"Das provozierte Widerspruch von Filmemacher Oliver Hardt: "Ich komme eigentlich vom Theater. Aber was mich am Theater immer gestört war, dass alle Diskussion ständig reine Theater-Innensicht reproduzierten – und das spüre ich auch hier." Genet habe vor über 50 Jahren ein Stück geschrieben, das laut Thiele alternativlos für die heutige Beschäftigung mit Kolonialismus stehe; weil entschieden worden sei, die Ensembles aus Hamburg und München gleichwertig einzusetzen, habe es keine Möglichkeit gegeben, schwarze Schauspieler zu besetzen, obwohl genau das explizit in Genets Vorlage gefordert worden sei … Alles habe sich, kurz gesagt, einer theaterimmanenten Kraft des Faktischen unterzuordnen. "Das halte ich für mehr als blauäugig.""
Auch Polemik oder Verzerrung beinhaltet der obige Artikel nicht. Ich schreibe zum Beispiel explizit, dass Rita Thiele die (meiner Meinung nach: falsche) Aussage von Frau Reschke, dass der Begriff "Neger" zur Entstehungszeit des Stücks nicht negativ besetzt gewesen sei, relativierte. Die Diskussion wäre sicherlich nicht so schief gelaufen, wenn sich alle so differenziert und mäßigend verhalten hätten wie Thiele.
Der einzige Punkt, an dem vielleicht die Wut über den Abend mit mir durchging, ist der letzte Absatz: "Wenn Mitali beschreibt, dass er, wenn er ein Theaterplakat namens "Die Neger" sieht, denkt, dass in diesem Theater etwas passiert, mit dem er nichts zu tun hat und das auch mit ihm nichts zu tun haben will – dann sollte einer Dramaturgin langsam dämmern, dass hier etwas gehörig falsch läuft." Andererseits, doch, ich denke, da lief etwas falsch, ich finde, man kann die Verletzungen, die Mitali hier benennt, nicht einfach mit einem "Das ist eben so, regen Sie sich mal nicht künstlich auf!" abtun. Und ich finde, eine gute Dramaturgin muss solche Anwürfe ernst nehmen. Dass Rita Thiele das, wie sie schreibt, seit anderthalb Jahren macht, ehrt sie.
Und es obliegt zum Glück auch nicht Ihnen, zu entscheiden, ab wann diese Diskussion "tatsächlich mal etwas differenzierter" geführt wird.
Bei Ihnen scheint der Wunsch nach einer raschen und ergebnisorientierten Debatte zu bestehen und so wäre es dann natürlich interessant zu erfahren, welches Ergebnis da genau erzielt werden soll - "Ruhe im Karton" ?
Wie ist es Ihnen überhaupt möglich zwischen Konzeption und Inszenierung zu unterscheiden ?
Und warum würden Sie es begrüßen, wenn über das eine geredet würde und sind verwundert, das das andere zum Politikum wird ?
Ich bin mir grade nicht sicher ob an dem abend anwesend waren, ich gehe mal davon aus dass sie nicht da waren. Wir haben argumentiert das der Titel "Les Négres" und das wort Négre nicht mit "die N***" Natürlich war uns der Hintergrund und die Entstehungsgeschichte des Stückes sehr wohl bewusst, das haben wir mehrfach erwähnt. Wir stellen jedoch in frage ob das Stück aus der zeit mit dem Hintergrund, schlecht übersetzt in 2014 in Deutschland von einem fast ausschließlich weißen Ensemble unter diesem Titel aufgeführt werden sollte und ob die Botschaft dieses Stückes in der Inszenierung deutlich wird. Nach dem ich mir das Stück angesehen, die Deutsche und Übersetzung gelesen habe, muss ich Festellen das vieles verloren gegangen ist.
Der Titel "Die N***" bleibt beleidigend, unabhängig vom Stück, Hintergrund etc. Beleidigend, nicht bloß provozierend darüber brauchen wir gar nicht diskutieren. Wenn wir jemand beleidigen, müssen wir uns nicht rechtfertigen, wir müssen nicht Verstehen warum ein Wort beleidigen ist, wir sollten uns entschuldigen und dafür sorgen das wir den selben Fehler nicht nochmal begehen. Den Schmerz eines anderen können wir selber nicht spüren
Das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg steht ja nun zum wiederholten Male im Fokus dieser Diskussion. Und wieder wird klar, wie wenig sich diese regieorientierte Theaterform überhaupt noch eignet, einen emanzipatorischen Diskurs zu führen. Solange die Regie - immer noch verkörpert in den allermeisten Fällen von singulären Genies - "Welten" schafft durch die Inszenierung, die in Abwesenheit des Regiegottes reproduziert werden- solange bleiben die Darsteller zwangläufig gefangen in den Stereotypen, die dieser Regieapparat produzieren muss. Dass es diese Regie-Kulturtechnik ist, die rassistische, sexistische Stereotypen schafft, wird nur offensichtlicher, wenn es um Themen oder Stücke geht, wie bei "die N***". Diese Stereotypen sind aber genauso aktiv, wenn der/die sexy SchauspielerIn über die Bühne stöckelt im Auftrag des Regiegotts. Es ist die Entmenschlichung der DarstellerInnen, die uns demokratischen Kulturbürger dann so erschreckt. Es kann keinen demokratischen Diskurs geben mit dieser Kulturtechnik der "Regie", die sich des technischen Apparats der grossen Häuser bedient. Es kann evtl einen ästhetischen Diskurs geben mit dieser Herstellungs-Form, aber wir machen uns was vor, wenn wir meinen, ein "Weltenschöpfer" ( den die Regie sein muss), könne mit diesem totalitäten Zugriff auf die DarstellerInnen-Körper Kunst im Sinne der "Freiheit" erzeugen. Regietheater ist immer der totalitären Idee verpflichtet, dass diese Körper "Qualität" im Sinne der Regie erfüllen müssen. Diese "Qualität" ist immer einer diktatorischen Subjektivität der Regie verpflichtet. Der Regisseur ist ja da der sogenannte "erste Zuschauer". Dieser vereinnahmende Blick ist der Blick des Kolonialismus. Es ist ein Ausbeuterblick. Das Regietheater ist nicht deswegen abzulehnen, weil es "Stücke" verhunzt, es ist abzulehnen, weil es demokratischen Diskurs behauptet, den es gar nicht führen kann
nachzuhören ist das Interview hier >>> http://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/zuendfunk/kolumnen-sendungen/generator/von-weissen-fuer-weisse-100.html.
Das Interview war Teil des Radio-Features „Von Weißen für Weiße -
Über die Parallelgesellschaft an deutschen Theatern“ von Sammy Khamis.
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Ihre Ansicht, wie Theater (heute) entsteht, kann ich nicht teilen. Meine Erfahrung ist, daß Inszenierungen (auch) am Staats- und Stadttheater oft sehr kollektiv erarbeitet werden ... was selbstverständlich nicht heißt, daß dadurch unbedingt "mehr"-perspektivisches Theater zu sehen ist ...
Ja, eben.... zu was ist denn diese Simulation der kollektiven Arbeitsweise nütze, wenn keine multiperspektivische Sicht auf die Dinge entsteht. Sie geben mir da recht, merken sie das nicht?
In der Kürze liegt die Würze, wer etwas zu sagen hat, braucht nicht viele Worte. Alles andere ist Geschwafel und Selbstbeweihräucherung.
Mich interessiert nicht, wer nun wen oder was alles erbärmlich findet. Mich hätten in dieser Diskussion konstruktive Vorschläge (ohne Vorwürfe an Dritte) interessiert, wie man es hätte anders machen können.
Es gibt so etwas wie positiven Rassismus.
Abgesehen davon ist es nicht gefährlich, wenn gutwillige Menschen, die vielleicht nicht klug oder gut genug oder unwissend sind nicht mehr sprechen? es gibt in diesem Land sehr viele weniger gutwillige, die sich umso lauter äußern. diese haben auch überhaupt kein Problem damit als Rassist bezeichnet zu werden.
Eine Bitte hätte ich noch an kolja: könnten Sie den Begriff nicht-markiert-sein nochmal erklären. also als wAs markiert sein, als Rassist? als Herrscher? als Weißer?