Explosiv wie Himbeereis

von Petra Hallmayer

München, 8. November 2014. Man muss schon ein klein wenig größenwahnsinnig sein, um sich als Theatermacher an David Foster Wallace' Mammutroman "Unendlicher Spaß" zu wagen. Als "Mann ohne Eigenschaften des 21. Jahrhunderts" pries ihn die FAZ, als "Himalaya der Postmoderne" bezeichnete die SZ das 1545-Seiten-Werk. Der unbändig witzige und todernste Abgesang auf unsere Kultur, der in eine Tenniselite-Akademie und eine Entzugsklinik führt, erzählt von brutalem Leistungsdrill, Drogen, Depressionen, Terror und Kindsmissbrauch, einer käuflich gewordenen Zeitrechnung, der mörderischen Wirkung von Entertainment, dem Verlust der Selbstbestimmung des Menschen, dem Tod des Subjekts durch eine moderne Variante des Totalitarismus.

Weil man das alles unmöglich in eine Premiere packen kann, haben der Regisseur Ulf Goerke und das Performance-Kollektiv anstart.org eine mehrteilige Reihe konzipiert, in der sie an fünf Abenden Motive und Themenstränge bündeln wollen. Zum Auftakt von "Fünf Wochen Unendlicher Spaß" befassten sie sich nun im Pathos Theater mit dem "Begehren".

Tennissoldaten-Ballett

Dafür haben sie sich einen richtig feinen Einstieg einfallen lassen. Mit schöner Ironie beschwören die vier Akteure den Hype, den der Roman bei seinem Erscheinen auslöste, suchen fiebrig und finden hysterisch euphorisch und opernarienhaft jubilierend Exemplare davon in einem Schrank, einem Backofen und einem mit Tennisbällen gefüllten Einkaufswagen, ehe sie ihre Gesichter in die Seiten versenken. Sie kichern, lachen laut auf, ächzen, stöhnen und heulen, fächern alle Reaktionen von Wallace-Lesern auf, beginnen schließlich sich über die Figuren zu unterhalten und lassen das Gespräch in einen Dialog zwischen dem zentralen Protagonisten und Tenniscrack Hal Incandenza und seinem Bruder Mario übergleiten.

In locker aneinandergefügten kleinen Spielszenen vergegenwärtigen sie Passagen des Romans. In einer lustigen Tanz- und Gesangsnummer bekennen sie sich fröhlich als Marihuana-Liebhaber und verwandeln sich im nächsten Augenblick in rastlose, sich kratzende und keuchende Jammergestalten, die nach der Lieferung ihres Stoffes gieren. Wir erleben ein gruseliges Tennissoldaten-Ballett mit Kampfschreien, bei dem ein jeder kurz zum Kotzen ausschert, um sich gleich darauf wieder brav einzureihen.

Schneisen schlagen

Wenn man das großartige, nervende, wie eine mutierte Dschungelpflanze in einem Horrorfilm maßlos wuchernde, saukomische und tieftraurige Buch gelesen hat, ist man entschieden im Vorteil. Unbelesene Zuschauer dürften vieles kaum einordnen können. Sie erfahren nicht, dass es Madame Psychosis ist, die sich via Lautsprecher an uns wendet, oder was es auf sich hat mit Don Gately, dessen Einbrüche ausführlich geschildert werden. Ein paar Informationen mehr über die Figuren und eine etwas klarere Strukturierung der Ereignisse wären hilfreich gewesen.

Doch man muss mit dem Roman nicht vertraut sein, um an diesem Abend seine Freude zu haben. Dafür sorgen die mit Spielwitz und -lust agierenden Schauspieler. Wie eindringlich Golo Euler als Hal sich an den Selbstmord seines Vater erinnert und den "handbuchmäßigen Zusammenbruch", mit dem er seinen Trauertherapeuten austrickste, wie Andreas Hilscher als Süchtiger aggressiv hibbelig herumtigernd auf den Anruf seiner Dealerin wartet, das ist klasse. Olga Nasfeter mimt mit entzückendem Kleinbubenblick den Jungen Mario, den Claire-Marie Pazzini als verliebte U.S.S. Millicent Kent mit Piepsstimmchen umgarnt.

Reizendes Burlesque

Was sie uns zeigen, sind natürlich nur Splitter aus dem gewaltigen Erzählwerk. Um darüber hinauszuweisen, hat anstart.org eine "Expertin" zum Thema "Begehren" eingeladen. In TV-Talkshow-Manier plaudern die Theatermacher Ulf Goerke und Matthias Wulst mit der reizenden Burlesque-Tänzerin Stormy Heather, die auf die Frage "Was ist Schönheit?" erklärt, dass diese "was ganz, ganz Subjektives sei" und "auf jeden Fall von Innen kommt". Auf diesem Level plätschert die Unterhaltung weiter, derweil der Abend unter Fernseh-Niveau absackt. Später strippt Stormy Heather für uns, was ganz bezaubernd ausschaut, aber mit dem Begehren bei Wallace in etwa so viel zu tun hat wie Himbeereis mit einer Ladung Sprengstoff.

Intellektuell bleibt nach der ersten Premiere der Reihe noch viel Luft nach oben. Dafür war der Spaßfaktor hoch. So hat diese Roman-Hommage zwar keine relevanten Erkenntnisse geboten, doch einen lustvollen Einstieg in den Wallace-Kosmos, der neugierig macht auf das, was in den nächsten Wochen noch kommen wird.

Fünf Wochen Unendlicher Spaß
1. Premiere: Begehren – Anfangen und Scheitern nach dem Roman "Unendlicher Spaß" von David Foster Wallace
Regie: Ulf Goerke, Bühne: Matthias Wulst, Kostüme und Produktionsleitung: Silke Mederer, Video: Klasse Medienkunst, Akademie der Bildenden Künste München unter Leitung von Manuela Hartel.
Mit: Clara-Marie Pazzini, Olga Nasfeter, Golo Euler und Andreas Hilscher.
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

www.pathosmuenchen.de

 

Kommentare  
Unendlicher Spaß, München: komisch und düster
habe zweite folge gesehen, wahnsinn, was für eine leistung. wie komisch und düster zu gleich. und das soll in nur einer woche entstanden sein? möchte alle folgen sehen. gratulation an das gesamte team. ich komme wieder
Unendlicher Spaß, München: schräg, eigen, lustvoll
Ich kenne den Roman sehr gut und bin begeistert, wie gelungen sie ihm auf den Grund gehen: schräg, eigen, lustvoll, komisch und schmerzhaft zugleich. Ich habe beide Folgen in ihrer Unterschiedlichkeit grossartig erlebt und bedaure es jetzt schon, beim nächsten Mal nicht schauen zu können. Bei Folge 4 und 5 bin ich dabei und freu schon jetzt auf die Truppe! Irres Projekt. Da kann das Volkstheater einpacken mit seinem Versuch. Bin gespannt auf mehr von dem kreativen Team !
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