Tango zu dritt

von Frauke Adrians

Jena, 12. November 2014. Sie sind zwei von denen, die auszogen, ihr Glück zu machen: die Brüder Ivan, 30, und Oleg, 25. Jetzt kampieren sie auf einer aufgegebenen Baustelle im reichen Westen, ohne Geld, ohne Papiere, ohne Aussicht auf einen Job. Bis die Ärztin Petra, 40, sie aufstöbert. Was folgt, ist ein ungutes Dreiecksverhältnis, zusammengehalten von Abhängigkeit, Berechnung, Lügen, Schuldgefühlen, Missgunst und Gier. Zu besichtigen auf der Unterbühne des Theaterhauses Jena.

brachland 6 560 joachim dette xKleiner Bruder (Marios Gavrilis) und großer Bruder (Yves Wüthrich) auf einer Baustelle
im reichen Westen © Joachim Dette

"Brachland", das Stück des ehemaligen Jenaer Stadtschreibers Dmitrij Gawrisch, das er bereits 2011 beim Stückemarkt des Berliner Theatertreffens vorstellte, hat gallebitteren Witz und eine Präzision, die schaudern lässt. Unausweichlich strickt das Trio sein zerstörerisches Beziehungsgeflecht. Gawrisch entwickelt seine Figuren kaum, sie wirken wie hineingeworfen in ihre von Anfang an fatale Dreierkiste, sie stecken fest in ihren Zwängen und Obsessionen. Deshalb bleibt das Stück, bei aller Dialogkunst, die der 1982 in Kiew geborene und in Bern aufgewachsene Autor entfaltet, und bei allem Tempo von Anestis Azas' Inszenierung spannungsarm und berechenbar.

Seelische Brache

Um Migranten und ihre Nöte als Illegale geht es in "Brachland" weniger als um den Ballast, den sie mit sich schleppen. Die Familie hat zusammengelegt, um Oleg (Marios Gavrilis) die Reise in den Westen zu ermöglichen. Aber nun, ohne Arbeit, kann er weder seine Schuld abbezahlen noch den großen Bruder Ivan (Yves Wüthrich) loswerden, der ihm fürsorglich-aufdringlich gefolgt ist. Nach und nach kommt ans Licht, dass beide Brüder in ihrer osteuropäischen Heimat noch viel mehr Schuld auf sich geladen haben; was Gawrisch da anhäuft, das übersteigt die Grenze zur Übertreibung allemal.

Jede Holzschnitthaftigkeit der Figuren, jedes Klischee würde man gern hinnehmen, wenn alle drei Schauspieler ihre Rollen so kraftvoll und überzeugend verkörpern würden wie Marios Gavrilis. Seinem Oleg nimmt man ab, dass er an den dauernden Lügen leidet, dass es ihn Kraft kostet, seine Seelenlandschaft zum Brachland zu machen und sich bis zur Selbstverleugnung zu verbiegen, um einen mies bezahlten Minijob zu ergattern. Wie das Misstrauen und die überzogenen Erwartungen der anderen in Selbsthass münden, das führt Oleg vor, etwa wenn er sein angeblich breites osteuropäisches Gesicht zwanghaft auf "westlich" trimmt.

Yves Wüthrichs Ivan ist für Gavrilis' Oleg kein Widerpart auf Augenhöhe: zu weich, zu schwach, zu harmlos. Ivan, seit seiner Kindheit gewalttätig, müsste eine Gefährlichkeit ausstrahlen, um glaubhaft zu sein; in der Uraufführung wirkt er vor allem selbstmitleidig und larmoyant. Hinzu kommt, dass Regisseur Anestis Azas mit seiner hochtaktig pulsierenden Inszenierung zwar die Präzision von Gawrischs Dialogen unterstreicht, die Figuren aber zu oft aufeinander einreden und zu selten miteinander sprechen lässt.

"Uns gibt's nur im Doppelpack"

Am schlechtesten bekommt das der Frau im fragilen Dreibund: Petra (Ella Gaiser) wirkt von Beginn an wie eine, die ihre intellektuelle Überlegenheit gnadenlos ausspielt und nicht viel mehr als ihre biologische Uhr im Blick hat. Zugegeben, der späte Kinderwunsch der Ärztin spielt eine stetig wachsende Rolle in "Brachland" – aber in Gawrischs Dramentext ist Petra vielschichtiger angelegt, als Azas' Inszenierung und Gaisers recht eindimensionales Spiel es ihr zugestehen.

brachland 11 560 joachim dette xUngute Dreierkiste zwischen den Brüdern (Yves Wüthrich, Marios Gavrilis) und der
Ärtzin Petra (Ella Gaiser), bei der die biologische Uhr tickt © Joachim Dette

Jelena Nagornis Bühnenbild ist wirkungsvoll reduziert auf Andeutungen; ein Bauzaun und eine Matratze genügen, um die Anmutung einer Baustelle auf die kleine Jenaer Unterbühne zu bringen, eine weiße Leuchtwand und ein Laufsteg stehen für Petras distinguiertes Heim. Einen Exkurs aus der durchkomponierten Strenge gewährt nur die Musik von Eleftherios Veniadis. Die volksliedhaften Songs, die Oleg und Ivan gelegentlich anstimmen, klingen ein wenig zu bieder; umso gelungener ist Veniadis' Spiel mit dem Tango. Hatte Oleg nicht behauptet, er und sein Bruder wollten nach Spanien, um auf einer Baustelle zu arbeiten? Spanien, das ist im Soundtrack dieser Inszenierung eine kühl kalkulierte Schrittfolge für Akkordeon, Saxophon und Posaune, präzise wie der Tango selbst. Im Tango gewinnt Petra Oleg für sich; im Tangotakt werfen die drei einander Vorwürfe an den Kopf. "Uns gibt's nur im Doppelpack", sagt Oleg aufgesetzt-fröhlich, als Petra sich über die ständige Anwesenheit seines Bruders beschwert. Ein Tango zu dritt? Das kann nicht gutgehen.

 

Brachland (UA)
von Dmitrij Gawrisch
Regie: Anestis Azas, Bühne und Kostüme: Jelena Nagorni, Musik: Eleftherios Veniadis.
Mit: Ella Gaiser, Marios Gavrilis, Yves Wüthrich.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.theaterhaus-jena.de

 

Zuletzt besprach nachtkritik.de am Theaterhaus Jena König Ubu im Juni 2014 und Nora (Dollhaus) im Januar 2014, beides inszeniert von Moritz Schönecker.

Wie sich Brachland bei seinem Erstauftauchen auf dem Stückemarkt des Berliner Theatertreffens ausnahm, beschrieb im Mai 2011 Michael Laages. Ebenfalls 2011 wurde Dmitrij Gawrisch für die Werkstatttage des Wiener Burgtheaters ausgewählt. Im Juni 2013 gewann er für sein Stückkonzept mit dem Titel "Mal was Afrika" den 2. Autorenwettbewerb der Theater Konstanz und St. Gallen.


Kritikenrundschau

"Für meinen Geschmack ein gutes Stück in einer gelungen Inszenierung." Das sagt Stefan Petraschewsky im Gespräch für MDR Figaro (13.11.2014). Dmitrij Gawrischs Drama sei "kein politisches Stück, sondern mehr ein poetisches Stück über die Frage: Wer bin ich – und: Was will ich?" Die Regie erinnere "an episches Theater", auch "weil der Regisseur, Anestis Azas, aus Griechenland, seine Schauspieler singen läßt", und weil die Bühne nicht naturalistisch, sondern zeichenhaft eingerichtet sei. Die Darsteller spielten das Kammerspiel "auf eine sehr schöne, achtsame Weise".

In der Sendung Kultur heute im Deutschlandradio (13.11.2014) meint Hartmut Krug, der Regisseur helfe "dem Autor, dessen mattes Stück zwischen existentiellen und boulevardesken Szenen schlingert, leider nicht". Die Figuren würden weder "ausgemalt noch wenigstens zum Leben erweckt, sondern fast völlig zum Stillstand gebracht". "Die Schauspieler tun sich schwer mit dem von Kitsch und Vorhersehbarkeit geprägtem Stück." Man höre letztlich nur ein paar Sprüche über Fremdheit, Elend und Chancenlosigkeit.

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