Froh zu sein, bedarf ...

von Willibald Spatz

München, 20. Februar 2008. Die Stadt München war neulich wieder großzügig und hat bekannt gegeben, dass ihr ihre freie Theaterszene 1,2 Millionen Euro wert ist. Das klingt nicht schlecht und dennoch ist es in München nicht leicht, frei Theater zu machen. Insgesamt 30 Personen und sieben feste Bühnen werden gefördert – da bleibt für keinen viel.

Dabei kriegt nur ein kleiner Teil derer, die gern von ihrer Kunst leben wollten, überhaupt etwas ab. Eine Bühne, das "Theater...undsofort", wurde ohne erkennbaren Grund dieses Mal von der Förderliste gestrichen und muss sich nun ernsthaft um ihr Weiterbestehen nach April sorgen.

Grenzverwischungen

Groß ist die Konkurrenz auch unter den Schauspielern, weil eine Handvoll privater Schauspielschulen ständig Nachwuchs auf den Markt spült. Die Stadt hielt es zudem bisher noch nicht für nötig, dem freien Theater einen festen Raum zu schaffen, dadurch erschwert sich die Vernetzung der einzelnen Akteure. Jeder ist gezwungen, seine eigene Suppe zu kochen, und versucht eine Nische zu besetzen. Mancher betreibt das seit Jahrzehnten so erfolgreich, dass sich für den Quatsch, den er in dem ein oder anderen Keller produziert, nur noch ein kleiner Rest interessiert. Das wird trotzdem fünfstellig bezuschusst.

Andere finden keine Nische, weil die Großen nicht nur die großen Bühnen und die Hochkultur bestreiten, sondern im Kleinen fischen. In jeder Spielzeit kommen mittlerweile die Kammerspiele mit einer neuen Reihe daher, deren einzelne Veranstaltungen eigentlich typische kleine Szene-Dinger wären. Zurzeit ist das "Doing Identity".

Außerdem gibt es noch die Theaterakademie und die Falckenberg-Schule, deren Regie-Klassen hübsche Fingerübungen hinzaubern. Die "Halle 7" ist von der Arbeitsagentur finanziert, eine Beschäftigungsgelegenheit für ansonsten arbeitslose Schauspieler und außerdem der Ort in der Stadt, an dem ausschließlich zeitgenössische Stücke gezeigt werden. Und schließlich sättigt alle zwei Jahre das "Spielart"-Festival den Hunger des Publikums nach Außergewöhnlichem und Unkonventionellem.

Unter diesen Umständen bleiben tatsächlich nur noch zweieinhalb Bühnen übrig, die einigermaßen verlässlich und regelmäßig sehenswertes, freies Theater zustande bringen. Eines davon ist das "Pathos Transport Theater", sicher auch nicht die verwöhnteste unter Münchens freien Truppen. Eine ganze Zeitlang musste man auch hier ums Weiterbestehen fürchten, weil das Haus, in dem das Pathos untergebracht war, anders genutzt werden sollte. Im Augenblick sieht es aber gut aus, weil die Falckenberg-Schule umgezogen ist und die alten Räume jetzt dem "Pathos Transport Theater" zur Verfügung stehen.

Gruppenfoto mit Cocktail-Glas

Die erste Premiere auf der neuen Bühne war "Tod und Tourist", ein von Johannes Schrettle zusammen mit den Pathos-Schauspielern und denen der koproduizierenden "zweiten liga für kunst und kultur" aus Graz entwickelter Text über das Reisen, den Pathos-Chef Jörg Witte selbst inszeniert hat. Man hat nun viel Platz, ein breiter Raum öffnet sich dem Zuschauer. An die Rückwand werfen neun Diaprojektoren am Anfang Licht, später sind Bilder von überall her auf der Welt zu sehen.

Vier Schauspielerinnen und ein Schauspieler stellen verschiedene Touristentypen dar, sie erklären sich und ihre Rolle gleich am Anfang. Man bekommt dann nach und nach mit, dass es sich um Dreharbeiten zu einem Film namens "Tod und Tourist" handelt, was im Endeffekt wiederum auch gar nicht so wichtig ist, da es sich vor allem um die Menschen und ihr Verhalten unterwegs in der Welt drehen soll.

Man hört einen Thailand-Reisenden stammelnd und in gebrochenem Deutsch seine wahren Motive erklären, die nicht die gemeinhin unterstellten sind. Eine notorische Krisengebiet-Besucherin schildert ihre Not, noch irgendwo etwas zu empfinden. Dazwischen sieht man lustige Einlagen, in denen eine versucht, ein Gruppenfoto mit einem Mann zu machen, der dauernd aus dem Bild torkelt im Bemühen, aus einem Cocktail-Glas mit Strohhalm zu trinken. Zwei Frauen raufen miteinander, stöckeln dabei hilflos und schnell durch den Raum.

Alles in allem ist das ein typischer Pathos-Abend, dem allerdings ein bisschen die Not fehlt. Eineinhalb Stunden, in denen man immer wieder schmunzelt, gelegentlich eine Erkenntnis hat und der nach einer Stunde auch schon rum sein könnte oder noch eine halbe Stunde länger laufen könnte, ohne weh zu tun. Es geht weiter in der Münchner Szene, man kann froh deswegen sein, auf die Begeisterung muss man noch warten.


Tod und Tourist
Koproduktion von Pathos Transport Theater und der "zweiten liga für kunst und kultur", Graz
Text: Johannes Schrettle, Regie: Jörg Witte, Dramaturgie: Wilfried Prantner.
Mit: Angelika Fink, Vera Hagemann, Arthur Klemt, Christina Lederhaas, und Anastasia Papadopoulou.

www.pathostransporttheater.de

 

Kritikenrundschau

Auf der großen, neuen, "Schwere Reiter" genannten Bühne des Pathos Transport Theater werde das "theatrale Wollen von Pathos-Chef Jörg Witte noch deutlicher offenbar als im kleinen Stammhaus", behauptet Egbert Tholl im Münchner Teil der Süddeutschen Zeitung (22.2). Obwohl die Eröffnungsproduktion "Tod und Tourist" für ihn "eher ein Zwischenstandsbericht als ein vollgültiger Theaterabend ist". Denn noch kranke der Abend "am Spiel mit dem Spiel". Witte will nämlich "zu einer Unmittelbarkeit, die die Grenzen zwischen Darstellern und Figuren, zwischen Sein und Schein aufhebt". Das dränge hier jedoch das Thema selbst in den Hintergrund. Und dennoch sei es eine "spannende" Inszenierung, weil sie "großartiges Beispiel dafür" abgebe, "wie bockig sich die Theaterkunst gibt, wenn man an ihren über Jahrtausende hinweg erbauten Grundmauern herumhämmert". Im Kern gehe es hier um "die Differenz zwischen normalem und erwartetem Leben", wobei eben der "thematische Gehalt zum theatralen Akt" werde.

Mathias Hejny kann sich in der Münchner az (22.2.) nicht so recht zu einer Kritik durchringen: Er merkt an, dass sich für das Pathos Tranport Theater mit dem Bezug der neuen Immobilie eine "Sehnsucht" erfüllt habe, und er beschreibt kurz, was in "Tod und Tourist" passiert: Weltenbummler warteten darauf, "'dass etwas losgeht.' Gleichzeitig spielen die Darsteller Schauspieler, die einen Film drehen. Sie hoffen, dass es ihnen gelingt, 'es in meinen Körper reinzubringen', die Inhalte des Films buchstäblich zu verkörpern. Ein vergebliches Bemühen, so wie der Versuch, sein Leben mit Reisen zu verändern."

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