Born to be brav

von Martin Thomas Pesl

Wien, 7. Februar 2015. Als Karin Bergmann gerade als Interimsintendantin des Burgtheaters eingesprungen war, verkündete sie den - nach dem Wegfall von vier Matthias-Hartmann-Regiepositionen hastig umgestellten - Spielplan für 2014/15. Dabei gestand sie, dass "Das Konzert" von Hermann Bahr eines ihrer Lieblingsstücke sei, und lächelte verschämt. Als Grund für die Wiederbelebung dieser doch etwas angestaubten Komödie aus dem Jahr 1909 darf also die "guilty pleasure" der wohlverdienten Feuerwehrfrau vermutet werden.

Und ein bisserl Belohnungsboulevard wird man ihr auch nicht versagen wollen. Das Lustspiel in Szene zu setzen, wurde Felix Prader engagiert, der hier zuletzt vor über zehn Jahren mehrere Yasmina Reza-Stücke inszeniert hatte. In den Hauptrollen zu sehen: zwei der größten Burg-Publikumslieblinge, Peter Simonischek und Regina Fritsch, die sich als neue Trägerin des Alma-Seidler-Ringes "beste deutschsprachige Bühnenkünstlerin" nennen darf.

Alles in Pappe

Es konnte also nichts schiefgehen, und so atmet der ganze Abend heitere Erleichterung, zumal es ja auch am Burgtheater wieder ganz gut zu laufen scheint. Die Selbstironie erstreckt sich bis aufs Programmheft, worin der erste Text, ein Brief von Bahr, den Titel "Die Krisis des Burgtheaters" trägt (der Autor war hier einmal Dramaturg). Die beiden Bühnenbilder von Werner Hutterli, erst das Musikzimmer, dann die Hütte, sind komplett aus Pappkarton. Das erzählt Luftigkeit und Sparsamkeit, aber es verweist natürlich auch auf die Halbherzigkeit der Lügengebilde, die die diversen Akteure einander hier zumuten: Der Starpianist Gustav Heink täuscht vor, dass er ein Konzert zu geben hat, obwohl er sich in Wahrheit mit seiner Schülerin Delfine Jura vergnügen fährt. Seine Frau Marie und der seinerseits betrogene Dr. Jura versichern sich gegenseitig, sich einander zuzuwenden, sollte sich herausstellen, dass Gustav und Delfine wirklich ... In Wahrheit natürlich, ist es nur ein Mittel zum Zweck, die Seitenspringer zur Vernunft zu bringen und den Zustand des Ehetrotts wieder herzustellen, vielleicht mit ein bisschen neu entfachtem Liebesfeuer.

Konzert1 560 GeorgSoulek uUnterm Hirschgeweih aus Pappe: Regina Fritsch (Marie), Florian Teichtmeister
(Dr. Franz Jura), Stefanie Dvorak (Delfine), Peter Simonischek (Gustav Heink).
© Georg Soulek

Eitel, blöd und hysterisch

Die Richard Strauss gewidmete Rolle des eitlen Künstlers, der die Anhimmelei der Frauenwelt fürs Ego braucht, im praktischen Leben aber ohne die Ehegattin aufgeschmissen ist, wirkt wie Peter Simonischek auf den Leib geschrieben. Und doch berührt die Ehrlichkeit, mit der sein Heink das katastrophale Frauenbild seiner Figur – und des Autors – sowie die Mechanik des Fan-Flirts aufschlüsselt: Dieser Weiberheld denkt wirklich, dass er dazu gezwungen wird. Regina Fritsch als Marie und Florian Teichtmeister als Jura beherrschen aufs Natürlichste den Salonkonversationston: sie als starke Pragmatikerin, er als neunmalkluger Freidenker.

Dagegen ist Stefanie Dvoraks Delfine leider ein absolut minderbemitteltes Püppchen. Aber ohne diese maßlose Übertreibung wäre wohl die pompöse Grundbehauptung, dass nämlich sämtliche Frauen dem Professor binnen kürzester Zeit hysterisch verfallen, kaum spielbar. Im ersten Akt fällt gleich ein ganzer bunter Haufen dieser hoffnungslosen Groupies bei den Heinks ein. Am meisten Spaß an der Hysterie ("Der Herr Professor ist so schön!") hat dabei sichtlich Liliane Amuat, die als Dienstmädchen lustvoll mit einem Schweizer Dialekt experimentiert.

Sehnsucht nach Langeweile

In der zweiten Hälfte wird die städtisch-langweilige Ehe der Heinks mustergültig durch das Paar gespiegelt, das am Land auf ihre Hütte aufpasst: Branko Samarovski und Barbara Petritsch geben ein berührend authentisches Duo ab. Samarovski sorgt mit seiner Gicht-Performance gar für unerwarteten Slapstick. Alles in allem hat das lustige Spiel jedoch eine durchaus traurige Botschaft: Alle Affären sind bestenfalls Versuche, sich selbst etwas zu beweisen, die Langeweile ist das, wonach wir uns tief drinnen sehnen, aber glücklich macht uns die auch nicht. Als die ursprünglichen Paarungen wieder zueinander gefunden haben, taucht eine weitere Schülerin in der Hütte auf (Alina Fritsch, Tochter von Regina). Felix Praders Inszenierung weicht hier vom Originaltext ab, wonach sich das ganze Muster zu wiederholen beginnt. Hier küsst Heink das Mädchen zwar auf deren absolutes Drängen hin, schickt es dann aber weg und macht sich zu seiner Frau ins Schlafzimmer auf. Der Urinstinkt der Bravheit hat gesiegt.

 

Das Konzert
von Hermann Bahr
Regie: Felix Prader, Bühne: Werner Hutterli, Kostüme: Ingrid Erb, Licht: Felix Dreyer, Dramaturgie: Klaus Missbach.
Mit: Liliane Amuat, Elisabeth Augustin, Stefanie Dvorak, Alina Fritsch, Regina Fritsch, Brigitta Furgler, Barbara Petritsch, Harald Retschitzegger, Branko Samarovski, Peter Simonischek, Florian Teichtmeister, Sarah Zangeneh.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause

www.burgtheater.at

 

 

Kritikenrundschau

Barbara Petsch schreibt in der Wiener Zeitung Die Presse (9.2.2015), die bürgerliche Frau, die "stets emotional flexibel bleiben muss", konturiere Regina Fritsch "in allen Phasen grandios". Neben Fritsch zeige Florian Teichtmeister als Dr.Jura die "genaueste Studie einer Figur". Sonst sei an diesem "Konzert" "wenig atemberaubend". Gut, dass es keine "Überdrehtheit" gäbe, doch Prader "hätte sich mehr trauen können". Stefanie Dvorak wirke "teils süßlich, teils verkniffen". "Herzig, aber diesmal etwas steif" Alina Fritsch als Intrigantin und "der Naturcharmeur" Peter Simonischek müsse mit "aufgeblasener Föhnwelle forciert-neckisch posieren". "Goldrichtig, lakonisch und urkomisch": Branko Samarovski als Pollinger, Barbara Petritsch erfreue als seine Gattin.

Im liberalen Konkurrenzblatt Der Standard schreibt Ronald Pohl (9.2.2015), "Das Konzert" sei "ein leuchtendes Fossil". Die Geschichte entbehre "jeder gesellschaftlichen Grundlage". Jede "halbwegs Emanzipierte wende sich mit Grausen ab". Und doch schwebe "ein Geheimnis" über dem Stück. Regisseur Felix Prader mache "alles richtig: Sein Konzert brummt und federt - und erzählt auf die trocken-beiläufigste Art vom Verschwinden einer Kultur". Man spüre den "Tod durch die Pappendeckelwände geistern. Jubel."

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (10.2.2015) schreibt Martin Lhotzky
"Das Konzert" funktioniere so, wie es geschrieben ward, nicht mehr. Darauf habe Felix Prader eine "erstaunliche Antwort" gefunden: "Man kann das biedere Lustspiel noch biederer machen!" Ironisch sei das Bühnenbild. Vielleicht auch die Kostüme, die farblich jeweils zu den mitgebrachten Blumensträußen der "schwärmenden Schülerinnen" passten. Peter Simonischek dürfe "richtig loslegen", die "Gesinnung" seiner figur bleibe: "leicht beleidigt, schwankend zwischen Aufbrausen und Resignation". "Kindisch" müsse sich Stefanie Dvorak geben, Florian Teichtmeister, Marke "Intellektueller und zerstreuter Depp", habe die "witzigsten Sätze". Regina Fritsch, mit einem Dauergrinsen ausgestattet, behalte siegreich verständnisvoll die Oberhand. Ein "äußerst harmloser Abend", "großer Applaus".

 

Kommentare  
Das Konzert, Wien: gnadenlos verstaubt
Ich würde mich freuen , wenn mal eine Kritik veröffentlicht würde , die nicht den jüngsten Intendantenwechsel irgendwie erwähnt und für eine kleinliche Pointe in Zusammenhang der jeweiligen Inszenierung bringt.
Der Abend "Das Konzert"war in Spiel und Regie so gnadenlos verstaubt , dass ich mich in Nachkriegsjahre versetzt gefühlt habe.
Das fand ich zuerst sehr interessant , bis ich gemerkt habe , dass diese Patina nicht bewusst , sondern sich unfreiwillig ergeben hat.
Ich freue mich dennoch auch alles Weitere.
Freundlichste Grüsse
Lea Poliak
Das Konzert, Wien: aha
Das ist ja mal eine Erkenntnis. Die tendenzielle Unfreiwilligkeit zu bemerken. Was lernt uns das?
Das Konzert, Wien: Skandal
Wir überlegen gerade, ob wir uns das Konzert in der Joserfstadt (Premiere 2020) ansehen und fanden die Kritiken für das Burgtheater aus 2015. Wir haben den Schmarrn, das betrifft die Inszenierung, damals gesehen. Das Kritiker vom Theater wenig verstehen ist bekannt. Die guten Kritiken für die katastrophale Aufführung des "Konzert" von Hermann Bahr sind völlig unverständlich. Alles übrzeichnet und verblödelt, wie heute alle Komödien an diesem Haus. Ich erinnere mich etwa an den Diener zweier Herrn in Spitzenbesetzung mit einer Löwingerinszenierung.
Auch das Ende ist vertrottelt. Im Original geht die Geschichte von vorne an, in dieser Inszenierung geht der Professor mit seiner Ehefrau ins Bett. Leider darf man das Burgtheater kaum mehr betreten. Ich war vierzig Jahre Abonennt und habe Peymann noch interessant gefunden. Was dann kam, ist simpel ein Skandal. Dr. Wilfried Schneider Wien
Kommentar schreiben