Politik in Badelatschen

von Tobias Prüwer

Halle, 14. Februar 2015. Gen Ende kommt die Feuerwehr. Drei Herren, behelmt und in voller Montur, laufen den Technikrang ab, um sich zu überzeugen, dass es im Neuen Theater Halle wirklich nicht brennt. Minuten zuvor hatte die Farce ihren stärksten Moment: Der ausgemachte "Volksfeind" rief zur Vollversammlung. Das Publikum höchstselbst sollte darüber abstimmen, ob man lieber über Coli-Bakterien in der Wasserversorgung diskutieren oder die Systemfrage stellen möchte; bevor die Kulisse – intendiert – von Explosionen heimgesucht wird.

Ibsen auf den Punkt: Regisseur Jörg Steinberg zeigt mühelos, wie brisant dieser Stoff noch ist. Die Handlung wird in ein kommunales Kurbad von heute verlegt. In Weiß-Blau erstrahlt die Kulisse als realistisches Wohlfühlgehäuse. Aus dem Stadtvogt wird ein Bürgermeister: Peter Stock ist stolz auf den städtischen Wellnesstempel, der dem Ort endlich wieder Einnahmen beschert. Sein ungleicher Bruder Thomas – die einen würden ihn als renitent, die anderen als freigeistig beschreiben – ist Badearzt auf sein Geheiß. In Form von Keimen schleicht sich der Grundkonflikt ein: Thomas entdeckt gesundheitsschädliche Verunreinigungen im Wasser und drängt damit an die Öffentlichkeit. Der Bürgermeister will das verhindern, schließlich ist die Provinzstadt vom Kurbad abhängig. Eine Zeitung mit Monopolstellung und bürgerliche Interessenvertreter mischen auch noch mit. Und kann Thomas wirklich die Existenz seiner Familie, von Ehefrau und Baby, aufs Spiel setzen, wenn er seiner Überzeugung folgt?

Volksfeind2 560 FalkWenzel hWellness für die kommunale Kasse: das Stadtbad... bloß: es ist verseucht...  © Falk Wenzel

Fragen der Gegenwart

Der klassische Gewissenskonflikt beginnt als mäßiges, nicht ununterhaltsames Sprechtheater. Offen ist der Bühnenraum, ohne Trennung sitzt man fast drin im Stadtbad, ist einbezogen. Die Öffentlichkeit betreffen dann auch die Fragen, die alsbald in heftigen Diskussionen verhandelt werden. Es sind auch die Fragen der Gegenwart. Was heißt allgemeines Interesse und der Allgemeinheit dienen, das finanzielle Wohlergehen Ortes oder die Gesundheit der Kurgäste? Wem ist ein Politiker verpflichtet? Wer besitzt die Wahrheit oder den Anspruch darauf? Wer hat das Mandat, für eine Allgemeinheit, für die Mehrheit, die Bevölkerung oder gar das Volk zu sprechen? Kann man angebliche Politikverdrossenheit nicht verstehen, wenn die Demokratie eben lediglich im Aushandeln von Geltungsansprüchen durch Parteien und Lobbygruppen ist, wie Habermas nicht müde zu betonen wird? Konsequenterweise ist in Halle schlussendlich auch ein gebrochener Arzt zu erleben, während Ibsens Dickkopf im Original seine Ideale weiterverfolgt. Früher war der Kampf eben ein anderer: mit klarer erkennbaren Gegnern. Heute hat jeder die neoliberalen Prinzipien internalisiert, ist die System erhaltende Macht "verführend", wie der Philosoph Byung-Chul Han in einem Text schreibt, den Thomas auch rezitiert. 

Manche Szene hat Längen, aber das kann man auch noch mit Hinweisen auf die heutige Ermüdungsgesellschaft wegerklären. Und dass die meist honorigen Figuren in Badelatschen auftauchen, nackt duschen etc. überspielt die Dehnungen mit ironischer Note. Ansonsten fällt die Ensembleleistung gut aus. Dass der Chefredakteur der Lokalzeitung aussieht wie die exakte Kopie vom Pressesprecher der nahen Stadt Leipzig – ein ehemaliger Journalist –, muss kein Zufall sein. Immerhin war dieser jüngst aufgrund des Legida-Verbots bundesweit im Fernsehen. Heraus sticht Hagen Ritschel als Peter. Frei von Politikerklischees gibt er einen Bürgermeister, der tatsächlich zwischen eigenem Machtkalkül, seinem Engagement für das Wohl der Kommune und zumindest rudimentär vorhandenen ethischen Ansprüchen schwankt. Die beinahe schönste Szene ist ein minutenlanges Rededuell der Brüder, in dem sie differenzierte Töne anschlagen.

Einbruch des Realen

Doch dann wird die Bürgerversammlung einberufen und plötzlich erstrahlt die Zuschauertribüne in hellem Licht. Das Publikum wird aufgefordert abzustimmen und Wort zu ergreifen. Tatsächlich äußern einige das Interesse, lieber die Systemfrage zu stellen, als übers Keimkillen zu streiten. Das ist nicht peinlich, sondern politisch, weil hier keine altbekannte Anbiederung ans Publikum zu erleben ist. Für Minuten wird das Theater zum konkreten Ort der Versammlung, der so oft nur behauptet wird. Das löst eine ungemeine Wucht aus.

Auch wenn nach das Kurbad kurz danach grandios abgefackelt wird und sich unter einsetzenden Feueralarmen und ratterndem Lüftungsabzugsgebläse die nächsten Szenen wie auf Badelatschen schleppen, so vergeht die Wirkung der Versammlung nicht. Und wenn man dann draußen vorm Theater die Löschzüge sieht, muss man zwar darüber lachen, wie die Feuerwehr den Zuschauern Gefahren lauernd beim Zuschauen zuschaute. Als beeindruckend Reales aber brach das Politische in die Inszenierung – anhaltender und erschütternder.

 

Ein Volksfeind
von Henrik Ibsen
Bearbeitung von Florian Borchmeyer
Regie: Jörg Steinberg, Bühne und Kostüme: Tilo Steffens, Dramaturgie: Sophie Scherer.
Mit: Alexander Pensel, Bettina Schneider, Hagen Ritschel, Karl-Fred Müller, Harald Höbinger, Till Schmidt, Peer-Uwe Teska, Jörg Simonides.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

buehnen-halle.de

 

Die in Halle gespielte Fassung entstand 2012 für Thomas Ostermeiers Inszenierung des Stücks an der Berliner Schaubühne.

 

Kritikenrundschau

Von "packendem Theater" berichtet Joachim Lange in der Mitteldeutschen Zeitung (17.2.2015), für den der Abend "Tempo und Dichte" hat. Der Funke springe auch auf das Publikum über, selbst wenn der Abend aufgrund seiner Richtung Zuschauerbeteiligung geöffneten Form ein Work in Progress sei. Was der Kritiker aber eben als großes Plus der Inszenierung begreift.

Von "einer gelunge Ensembleleistung" schreibt Gisela Tanner auf saalereporter.de (17.2.2015), einem "sehenswerten Stück",  das die Grundidee Ibsens aus ihrer Sicht "mit der heutigen politischen Situation verbindet".

 

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