Volkstheater am Kneipentresen

von Tobias Prüwer

Leipzig, 24. Februar 2015. "Kein Wunder, dass sie nicht wehrtauglich sind": Freundlicher ist man als Kritiker auch schon begrüßt worden. Muss wohl der Hakenkreuzbeflaggung geschuldet sein. Kaum hat man den Veranstaltungssaal des 'Horns Erben' in Leipzig betreten, schon ist man mittendrin in "Adolf Südknecht", einem theatralen Impro-Doku-Mix. Es trägt den sperrigen Beinamen "The Improvised Alternate-History-Show", hat sich als eigenes und eigenartiges Veranstaltungskonzept fest etabliert. Das improvisierte Theater in Serie führt seit 2012 in Verbindung mit der Stadtgeschichte zum fesselnden Format, bei dem jeder Abend anders ist.

Monatlich lädt die fiktive Kneipierfamilie Südknecht in ihr Refugium und lässt das Publikum am Schicksal in den Unbillen des 20. Jahrhunderts, an Wahrheit und Wahrhaftigem, Quatsch und Erkenntnis teilhaben. Ein zusätzlicher Impro-Gast sorgt pro Inszenierung für Abwechslung im Spiel um die Ausschanktheke in der historischen Trinkhalle. Nach den vermeintlich Goldenen Zwanzigern und der Wirtschaftskrise spielt die zweite, aktuelle Staffel während des Zweiten Weltkriegs.

Anarchischer Anachronismus

Heute: "Festung Europa". Wir schreiben das Jahr 1943. Bei Stalingrad hat sich das Nazi-Kriegsglück vollends gewendet, bei den Südknechts hängt der Haussegen schief. Adolf und Adele können sich einfach nicht mehr sehen. Sie ist eine glühende Verehrerin des Nationalsozialismus, tritt stets mit streng zurückgekämmten Haaren und nur selten ohne Hakenkreuzbrosche auf. Der mittlerweile im Krieg verstorbene Sohn Anton war seinerseits ideologisch fest dem Kommunismus verbunden, während Adolf versucht, die Äquidistanz zu beiden Positionen zu wahren, die der Chemnitzer Politologe Eckhard Jesse in seiner Extremismustheorie so gern empfiehlt.

Er will schlicht seinen selbst gebrannten Allasch – einen Leipziger Schnaps – unters Volk bringen. Da nun eben die Nazis herrschen, versucht er, sich mit ihnen zu arrangieren, hegt aber schon Pläne für die eventuelle Niederlage. So beauftragt er den mittlerweile als Untermieter in den Luftschutzkeller eingezogenen Hausmeister Krause damit, die Rückseite der Hakenkreuzfahne mit dem britischen Union Jack zu benähen. Im Ernstfall will er dir Flagge dann einfach umdrehen.

Der Hund bringt den Union Jack

Und der Engländer muss nahe sein, immerhin hat der Hund eine Jacke mit dem Staatssymbol angeschleppt. Der wird unfreiwillig von einem Zuschauer gegeben – "Letztes Mal konnte er noch sprechen" – und die ihm entwendete Jacke trägt zufälligerweise dieses Zeichen. Mal wird ein Gast um eine Zigarette angeschnorrt, dann eine Zuschauerin nach ihren Ehejahren befragt. Insgesamt wird das Publikum heute weniger bespielt als in anderen Vorstellungen. Die Darsteller haben genug mit sich selbst zu tun, während sich der Abend des anarchischen Anachronismus entfaltet.adolf suedknecht1 560 uSchrecklich schöner Ausschank: "Adolf Südknecht" © promo

Die Sorgen um die Geschäfte treiben Adolf Südknecht um, den Armin Zarbock als großen Melancholiker zeichnet. Sanfte Augen mit dem Hang zur Traurigkeit trägt dieser kleine Mann durch den Alltag – kann aber auch mal laut werden. Viel lieber ist er aber leise, etwa wenn er sich mit der heutigen Gastschauspielerin Susanne van Dyk ins Schlafzimmer verzieht. Susanne Bolf als Adele schafft es nicht eine Minute, ihrem Plan zu folgen, bis zum Endsieg abstinent zu bleiben und gibt ein formvollendetes Wrack. Fahrig und verbittert über die Eiseskälte ihres Mannes techtelmechtelt sie mit dem Hausmeister herum. Der nervt nicht nur das Publikum mit breitem Sächsisch und Bohrlärm.

Unter angeklebtem Kunstbart und ausgestopfter Wampe kann man jenen August Geyler an der gleichen Mimik und Gestik erkennen, die er schon in der früheren Rolle als Sohn Anton an den Tag legte. Aber als Sidekick taugt er dennoch gut und gönnt sich in der Improvisation wie alle anderen keinen Hänger. Denn das ist der Clou dieser Inszenierung, dass hier sehr wenig inszeniert ist.

Viel Spielfluss

Der Abend entsteht aus spontanem Zusammenspiel – inklusive Lifemusikuntermalung durch Klavier und Schlagzeug. Nur der erste und der letzte Satz sind gesetzt, dazwischen ist alles im Spielfluss. Die Spieler haben sich Dossiers über den Zeitkontext angelegt, vom damaligen Zeitgeschehen bis zum üblichen Bierpreis. Heute wird die Funktionsweise eines Volksempfängers durch Hausmeister Krause breit ausgewalzt, will aber der Herr Wirt den Unterschied zwischen Lang- und Kurzwelle einfach nicht kapieren.

improvisedalternatehistoryshow 560 ren langner uImprovised Alternate History Show mit Armin Zarbock, Susanne Bolf, Alexander Terhorst
© René Langner

Anachronismus mit Ansage scheint in einen von Vintage und Retro umwölkten Zeitgeist zu passen. Hier fällt der Griff zurück allerdings witzig und gutgemacht aus, pointiert und effektvoll statt romantisierend oder geschichtsvergessen. Dass "Adolf Südknecht" zwischen den lässig aus dem Ärmel geschüttelten Gags nicht zur Quatschshow, zum Klamauk unterm Hakenkreuz abgleitet, ist den Darstellern bisher als Gratwanderung gelungen. Immer wieder bleibt einem hier das Lachen im Hals stecken, was insbesondere dem Setting geschuldet ist.

Ein Tresen als Bühne

Das Horns Erben residiert in den historischen Weinstuben eines Leipziger Schnapsproduzenten. Holzgetäfelt ist der Saal, das Publikum blickt auf den Originaltresen als Bühne, hinter dem, an dem und um den herum gespielt wird. Der Name entstammt der nahegelegenen Karl-Liebknecht-Straße, die zuvor Adolf-Hitler- und noch früher Südstraße hieß; und der Volksmund eben Adolf-Südknecht-Straße daraus machte. Lokalkolorit wird in mäßigen Dosen verabreicht, etwa wenn jemand mit den Abendnachrichten unterm Arm hineinschneit: "Das Volkshaus brennt!" – das Gewerkschaftsgebäude wurde tatsächlich von den Nazis angezündet.

Weltgeschichte vom Tresen aus betrachtet: In dieser Art Zeitreise, setzen die Darsteller sich, aber auch das Publikum einem Risiko aus. Schließlich ist die Fallhöhe mit dem "Dritten Reich" als Zeithorizont denkbar hoch. Kann und darf man mit den Südknechts, sie sind doch "ganz normale Deutsche", lachen und mitleiden? Wer will schon einen Hitlergruß erwidern? War dieser Witz harmlos oder schwang da doch Antisemitismus mit? Als Zuschauer ist man immer wieder gefordert, sich zu hinterfragen, auch wenn das durch unterhaltsame Weise geschieht. Eine große Leistung – nicht nur – für eine kleine freie Theatergruppe.

Adolf Südknecht. The Improvised Alternate-History-Show
Konzept: Armin Zarbock, Susanne Bolf, August Geyler, Claudius Bruns
Mit: Armin Zarbock, Susanne Bolf, August Geyler und ein Gast Am Flügel: Claudius Bruns, Gast am Schlagzeug: Frank Berger
Dauer: 1 Stunden 30 Minuten, keine Pause

www.adolfsuedknecht.de

 

Mehr zu Adolf Südknecht: Einen Mitschnitt der 31. Folge unter dem Titel "Festung Europa" gibt es hier.

 

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