Die Unglückstage ziehen vorbei

von Christian Rakow

Berlin, 7. März 2015. Aus dem Theater gekommen und nicht über Ästhetik, Spielhaltungen, Dramaturgie geredet, sondern über deutsche Außenpolitik. So war es, und so ist es eigentlich immer bei guten Abenden von Hans-Werner Kroesinger. Man verzeiht und vergisst, dass bei dem Dokumentartheatermacher die Spieler im Wesentlichen rumstehen (ja, doch), Vorlesung halten und politische Bildung fördern, und taucht sogleich in die von ihm ausgebreiteten Sachverhalte ein.

Ein Theater der Worte

Dabei ist an diesem Abend einiges anders als gewohnt. Kroesinger, der Mann der Aktenberge, hat sich dieses Mal ein Romanmassiv vorgenommen: Die gut 900 Seiten "Die vierzig Tage des Musa Dagh" von Franz Werfel über den Völkermord der Türken an den Armeniern 1915. Das Buch erzählt vom Widerstandskampf einer rund 5000 Leute zählenden Gruppe Armenier, die nach der Zwangsräumung ihres Dorfes nicht den Todesmarsch in Richtung mesopotamische Wüste antritt, sondern auf den Berg Musa Dagh flieht, um dort den türkischen Militärs zu trotzen. Für Armenier hat das akribisch recherchierte Werk den Rang eines Nationalepos. Der Bücherverbrennung der Nazis auf dem Berliner Bebel-Platz 1933 entging es als einziges aus der Feder des Juden Werfel nur deshalb, weil der Text erst kurze Zeit später fertig wurde. So pointiert Till Wonka sein lockeres Intro zum Kontext dieser Bühnenadaption "Musa Dagh – Tage des Widerstands" im Maxim Gorki Theater.

musa dagh1 560 ute langkafel uDie Türkei im Nacken: Marina Frenck und Judica Albrecht © Ute Langkafel

Der Roman selbst ist dabei zunächst nur Anlass zu einer kroesingermäßig breiten Materialschau. Historische Informationen werden entfaltet: Falilou Seck macht sich mit Sachlichkeit und Ruhe einen Urania-Vortrag des Reiseschriftstellers Armin T. Wegner von 1919 zu eigen, um die Geschichte der Armenier (des ersten Volkes, das das Christentum zur Staatsreligion erhob) bis zu ihrer Vertreibung und massenhaften Ermordung durch die Jungtürken unter Führung des Triumvirats Talaat Pascha, Enver Pascha und Djemal Pascha zu rekapitulieren. Wegner hatte seinerzeit die Todesmärsche nicht nur in Augenzeugenberichten, sondern auch in Fotografien festgehalten, die er in der Urania 1919 als Dias präsentierte. Seck hält demgegenüber lediglich kleine Diarahmen zwischen den Fingern, Projektionen gibt es nicht. Kroesingers Theater ist eines der Worte, nicht der emotionalisierenden Bilder.

Wer redet heute noch von der Vernichtung?

Diese Askese hat Methode. Tatsächlich sucht Kroesinger in dem speziellen Konflikt das abstrakte, exemplarische, menschheitsgeschichtlich sinnfällige Schema. Kroesinger lässt das Denkmuster des Nationalismus gleichsam als europäischen Exportschlager diskutieren. Er beleuchtet die Argumentation der Türken, die die Armenier als Kollaborateure der feindlichen Kriegsmacht Russland behandelten (an der Darstellung, dass es sich bei der Verfolgung um legitime innenpolitische Polizeimaßnahmen gehandelt habe, hält die Türkei bis heute offiziell fest). Er zeigt, wie die kaiserliche deutsche Regierung 1915 beide Augen zudrückte, weil man es sich nicht leisten konnte, die Türken als Bundesgenossen im Weltkrieg zu verlieren. Er lässt – mit einiger Ironie – heutige Parlamentsanfragen vortragen und kostet aus, wie sich die Bundesregierung in deren Beantwortung windet, weil sie sich noch im Jahr des hundertsten Weltkriegsgedenkens 2014 scheut, die Verfolgung der Armenier als "Genozid" im Sinne der UN-Konvention von 1948 zu definieren. Die Reise in eine scheinbar entlegene Region südlich des Kaukasus, nördlich des Zweistromlandes, entpuppt sich mehr und mehr auch als echte Deutschlandreise.

musa dagh2 560 ute langkafel uVor der Arche: Judica Albrecht, Marina Frenck, Armin Wieser, Falilou Seck, Till Wonka,
Ruth Reinecke  © Ute Langkafel

In all dem dominiert aber nicht das Begehren nach Schuldzuweisung, sondern die humanitäre und politische Reflexion: "Jede Person und jede Nation kommt einmal in die Lage, die schwächere zu sein. Deshalb darf man einen Präzedenzfall der Ausrottung, ja auch nur der Schädigung nicht dulden", sagt Ruth Reinecke einmal in der Rolle der Werfelschen Romanfigur Pastor Johannes Lepsius. Das politische Kräftespiel bedarf um seiner selbst willen des Schutzes der Schwächeren. Darum geht es. Als Adolf Hitler 1939 seinen Militärs die Auslöschung der polnischen Bevölkerung auftrug, sagte er: "Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?" Nach der gleichen Siegerlogik hätte 1945 das deutsche Volk von der Landkarte verschwinden können. Wer den Genozid akzeptiert oder relativiert, schafft Präzedenzfälle für den Barbarismus. Das Gorki Theater tritt dem mit eindrücklicher Erinnerungsarbeit entgegen: "Musa Dagh" ist der Auftakt zur vierzigtägigen Veranstaltungsreihe Es schneit im April – Eine Passion und ein Osterfest zum 100. Jahrestags des Völkermords an den Armeniern.

Europas Geschichte liegt nie nur diesseits des Bosporus

Kroesingers Abend, der mit Vorträgen beginnt und Akten wälzt, bewegt sich in der zweiten Hälfte in den spannungsreichen Plot des Romans: in die Bergschlachten am Musa Dagh. Ein riesiger Schiffsrumpf, eine Arche, wird dazu freigelegt. "Die Unglückstage ziehen vorbei", singt Marina Frenk wunderbar nüchtern zu orientalischen Rhythmen. Die Arbeit gewinnt über ihre gut hundert Minuten stetig an theatraler Zugkraft. Inhaltlich packend ist sie von der ersten Minute an. Die Frage nach dem Völkermord an den Armeniern bedeute, die Türkei in die "europäische Erinnerungskultur" einzubeziehen, heißt es einmal in einem Bundestagszitat mit Blick auf die Verwerfungen des 20. Jahrhunderts in Europa. Das gilt selbstredend auch vice versa: Europas Geschichte liegt nie nur diesseits des Bosporus, so wenig wie sie nur diesseits des Atlantiks liegt. Ohne ein grenzüberschreitendes Gedenken ist "europäische Erinnerungskultur" nicht zu haben.

 

Musa Dagh – Tage des Widerstands
von Hans-Werner Kroesinger
frei nach dem Roman "Die vierzig Tage des Musa Dagh" von Franz Werfel
Regie: Hans-Werner Kroesinger, Bühne und Kostüme: Valerie von Stillfried, Musik: Daniel Dorsch, Dramaturgie: Aljoscha Begrich, Künstlerische Mitarbeit: Regine Dura.
Mit: Judica Albrecht, Marina Frenk, Ruth Reinecke, Falilou Seck, Armin Wieser, Till Wonka.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.gorki.de

 

Mehr zu der Veranstaltung: Vor der Premiere von "Musa Dagh" hielt der Anwalt und Schriftsteller Harout Ekmanian eine Rede "A Century has passed and… The Struggle for Justice Continues!", die bereits in Auszügen im Tagesspiegel auf Deutsch zu lesen war.


Kritikenrundschau

"Ausgerechnet den Dokumentaristen Hans-Werner Kroesinger mit der Inszenierung des literarischen Zentralwerks der armenischen Tragödie zu betrauen, erwies sich als brauchbare Idee", schreibt Ingo Arend in der taz (9.3.2015). Denn "Kroesinger hat Werfels schwülstigen "Musa Dagh" zur mal historisch präzisen, mal locker improvisierenden Montage aus Zentralszenen des Romans und historischem Aktenmaterial ausgenüchtert." Seine Inszenierung "schießt sich zu Recht" auf die "verdrängte deutsche Mitschuld, Mithilfe an dem Genozid ein. Aus dessen universeller Dimension prägt sie so freilich innenpolitisch-didaktische Münze." Größere Erschütterung habe der Besucher durch Filme, die vor der Theaterpremiere als Teil der Veranstaltungsreihe gezeigt wurden, erfahren.

Diesem Theater gelinge "etwas, das sich weder politisch noch widerstandslogisch verrechnen lässt: Es schafft historische Tiefe, lässt das Geschehene nicht zum bloßen Aufreger, nicht zum schieren Anlass wohlfeiler moralischer Empörung verkommen", schreibt Dirk Pilz in der Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau (9.3.0215). Der erste Teil sei "klassische Aufklärungsarbeit"; der zweite wird für den Kritiker besonders stark, wenn "Kroesinger, ungewöhnlich für ihn, einzelne Szenen spielen" lasse. Kroesinger "Theater will Zusammenhänge aufdecken, nicht nur Schuld benennen", es deute auf "offene Erinnerungswunden". Einziger Aussetzer seien die unklaren Verweise auf die Haltung der Bundesregierung zum Genozid heute: "Anders als sonst hüllt sich der Abend hier in undeutliche Moralwolken – er legt diesbezüglich keine Strukturen, keine Hintergründe offen."

"Ein grandioser, spielerisch mitreißender Theaterabend ist das Musa-Dagh-Projekt naturgemäß nicht. Aber es gelangt an den Punkt, an dem die historischen Ereignisse verbindliche Haltung im Hier und Jetzt und Heute einfordern", was allemal "viel" sei. So berichtet Michael Laages für Deutschlandradio Kultur (7.3.2015).

In der Süddeutschen Zeitung (10.3.2015) schreibt Peter Laudenbach, Kroesinger recherchiere und montiere die Informationen so, dass etwas entstehe, was in der "informationsübersättigten Öffentlichkeit" inzwischen selten sei: "Scham und Erschrecken zum Beispiel." Kroesinger zeige Dokumente, bringe sie zum Sprechen. "Das genügt für den spannendsten, auf seine nüchterne Weise bewegendsten Theaterabend der Saison." Kroesingers Zumuntung sei, dass er die "rationale Perspektive der Täter" ernst nehme. "Der Zuschauer macht dann die ziemlich unangenehme Erfahrung, ein politisches Verbrechen auch aus der Perspektive der Mörder zu betrachten."

Ein "erhellender Abend" ist es für Christine Wahl vom Tagesspiegel (10.3.2015) und – wie zumeist bei Kroesinger – einer für Zuschauer, "die sich im Parkett lieber erkenntnisgewinnbringend anstrengen als berieseln lassen". Er nehme "die gnadenlose Systematik des Genozids in den Blick: Das weit über den konkreten Fall hinausweisende Muster (...): 'Diesmal herrscht nicht regellose Willkür und aufgepeitschter Blutrausch', spricht Till Wonka den zentralen Satz des Abends, 'sondern etwas weit Entsetzlicheres – Ordnung.'"

 

Kommentare  
Musa Dagh, Berlin: wirksame Kulisse
Dass das Zulassen der Taten genau so schuldbehaftet ist wie deren Begehen, dass der erste Genozid des 20. Jahrhunderts und die folgende Straflosigkeit und fehlende Aufarbeitung von späteren Regimen, beispielsweise von Hitler, als Freibrief und Blaupause für ihre Verbrechen benutzt wurden, legt Kroesinger ebenso eindrücklich wie für seine Verhältnisse ungewöhnlich wenig oberlehrerhaft dar. Wo in vielen seiner Arbeiten der trockene Frontalunterricht Distanz aufbaut, gelingt ihm hier eine Multiperspektivik, die den Zuschauer nicht nur in ihren Bann zieht, sondern ihn vor allem auch zwingt, sich mit den unterschiedlichen Sichtweisen auseinanderzusetzen und seine eigene Perspektive zu entwickeln. Wobei es gerade jene der Opfer, derer, die dauerhaft zum Verstummen gebracht werden sollten, ist, die immer mehr Oberhand gewinnt.

So reduzieren sich mit fortschreitender Dauer des Abends die dokumentarischen Passagen und rückt Werfels Roman in Spielszenen in dem Mittelpunkt. Selbst ein theatrales Bühnenbild (Valerie von Stillfried) gönnt Kroesinger sich und uns: ein sukzessive ausgebaute Skelett einer Arche (zweifellos eine Anspielung auf den armenischen Nationalberg Ararat, auf dem der Bibel zufolge einst die Arche Noah gestrandet sein soll). Auch wenn das ein wenig plakativ sein mag, so bildet es doch eine wirksame Kulisse für einen Behauptungswillen, der dann eben doch mehr ist als referierte Worte, sondern sich trotzig die Bühne erobert und bei dem es um mehr geht als ums bloße Überleben. Es geht ums Nichtvergessen, um die Würde der Toten, wie der Lebenden, um Schuld und der Preis, den wir für das kollektive Verdrängen zahlen. Wenn Marina Freak mit zarter und doch kraftvoller Stimmen vom Unglück singt, das vorüber ginge, dann ist das auch eine Einladung an uns. Von selbst verschwinden wird es nicht. Die von einem Außenamtsmitarbeiter (Armin Wieser) gegenüber Lepsius vorgetragene Ansicht, Minderheiten seien in erster Linie eine Belastung für jede Gesellschaft, bildet auch heute noch, selbst in unserer freiheitlichen Demokratie, einen zentralen Aspekt der Politik. Der Widerstand, von dem Kroesinger und Werfel erzählen, und den das sechsköpfige Ensemble andeutet, er ist auch als Aufforderung an uns zu verstehen. Die letzten Worte an diesem Abend gehören Till Wonka: “Was gibt es noch zu erzählen?”, fragt er. Die Antwort liegt bei uns.

Komplette Kritik: https://stagescreen.wordpress.com/2015/03/08/was-gibt-es-noch-zu-erzahlen/
Musa Dagh, Berlin: der Gegenwart gilt's
Leider ziehen die Unglückstage nicht vorbei. Am gleichen Ort finden gerade die gleichen Massaker wieder statt. Es ist völlig gleichgültig (und ein Relikt nationalistischen Denkens in Völkern und Volksgruppen), wie man die Gruppen der Opfer und der Täter nennt. Armenier oder Jesiden, Türken, Kurden oder IS. Verbrechen an Menschen verübt von Menschen.
Ich war gestern drin. Ich mag ein Theater nicht, dass ständig Vergangenheit bewältigt, weil es die Gegenwart nicht bewältigen kann. Die Diskussionen über die strategischen Interessen, die die deutsche Heeresleitung 1915 davon abhielten, einzuschreiten, sind mir genauso egal wie die Frage, ob der Deutsche Bundestag das heute als Völkermord klassifizieren will oder nicht. Da wird ein abgegriffenes "mea culpa"-Ritual und Fremdschämen zelebriert, um sich vor der Gegenwart in die Vergangenheit zu flüchten.
Natürlich muss man sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen, um in der Gegenwart besser zu handeln. Aber all das, was man gestern hörte und sah, ist sooooo bekannt. Jetzt passiert Unrecht. Jetzt braucht es Aufklärung. Und zwar nicht über Vergangenheitspolitische Debatten im Bundestag, sondern über IS, Syrien etc. Der 15-minütige Vortrag der Historikerin vor der Filmreihe im Studio Ja war 1000 mal aufschlussreicher und zeitgenössischer als dieser xte Aufguss der Spielerei mit Leitzordnern in einem Schnellsprech-Tempo, das zwar 500 Seiten in 100 Minuten hinter sich bringt, aber jedes Verstehen sabotiert.
Musa Dagh, Berlin: wichtiges Statement
@ 2.:

Heisst das, überspitzt formuliert, dass Theater nur dann Sinn macht, wenn es sich auf Gegenwärtiges bezieht? Dass Aufarbeitung und in Erinnerung rufen langweilt? Da bis zum jetzigen Zeitpunkt keinerlei Verantwortung seitens der türkischen Regierung für die Geschehnisse um 1915 übernommen wurde, halte ich diese Inszenierung gerade vom Gorki unter Leitung einer türkischen Intendantin für ein regelrechtes und vor allem wichtiges Statement. Jegliches " das weiss doch mittlerweile eh jeder" ist kurzsichtig und reaktionär. Wobei ich in einem Punkt mit ihnen übereinstimme: Es war teilweise zu schnell, dadurch zu sehr Informationen abspulend...
Musa Dagh, Berlin: nicht ernst zu nehmen
@Guttenberg: Ich kann nicht anders, als zustimmen...

Allerdings muss ich hinzufügen, dass es wirklich grotesk ist, wenn der Genozid an den Armenieren darauf zurückgeführt wird, dass Europa// Deutschland bahnbrechend beteiligt war - wo doch jedes Kleinkind mittlerweile davon unterrichtet werden sollte, dass Kemal Atattürk im Namen einer zukünftigen Türkei diese Entscheidung getroffen und in die Tat umgesetzt hat... Da wird dann eben doch das Wesentlichste der Geschichte eben weichgespült und relativiert... Also für mich ist es ein Abend aus der Sicht eines weißen Europäers, der nicht mit den Menschen spricht, sondern eben nur über sie- so funktionierte auch die Kolonialisierung und auch heute noch die Post-Kolonialisierung und das finde ich gefährlicher als fschistoides Gedankengut, dass in die Öffentlichkeit tritt... Es sabotiert eben jeden Verstehen... Legitimiert ist dieser Abend von einer Türkin, die sich als superlinks oder wenigstens liberal gibt... dass ich nicht lache... Wenn es sie wirklich interessieren würde mit der (...) Türkei mal hart ins Gericht zu gehen, dann würde sie dafür sorgen, dass diese Land mal wirklich von oben bis unter untersucht würde... Es würden sich dann eben nicht mehr bloß die Unterschiede herausstellen (á la arme Ausländer und böse Deutsche// Europäer) sondern es würden sich sämtliche Gemeinsamkeiten herausstellen (...)
Das Gorki ist politsch betrachtet absolut NICHT ernst zu nehem und sollte endlich aufhören sich als politcal mother der Theatersene zu behaupten, denn langsam wird es unglaubwürdig, langweilig und peinlich!
Musa Dagh, Berlin: erst schauen
@ Lilo

Und an welchem Berliner Theater sind Sie angestellt? Ernsthaft. Sie haben offenkundig den Abend nicht gesehen und benutzen die Kommentarfunktion scheinbar, um gezielt Stimmung zu machen. Ansonsten schrieben Sie nicht "Es würden sich dann eben nicht mehr bloß die Unterschiede herausstellen (á la arme Ausländer und böse Deutsche// Europäer) sondern es würden sich sämtliche Gemeinsamkeiten herausstellen." Denn gerade von Ihnen geforderte Gemeinsamkeiten oder die 'gemeinsame Sache' zwischen Türkei und der Deutschen wird in dieser Inszenierung deutlich. Also erst schauen und denken , dann schreiben.
Musa Dagh, Berlin: mehr solche Vorlesungen
Ojeh, Lilo!

1. Der Völkermord an den Armeniern jährt sich dieses Jahr zum 100. Mal. Also sprechen wir über das Jahr 1915. 1915 war Atatürk Offizier an der Westtürkischen Front an den Dardanellen. Sein Einfluss auf die Türkei begann erst ab 1919. Autsch!

2. Lilo, noch weniger sind Ihre Kenntnisse über das künstlerische und politische Wirken von Shermin Langhoff. Ihr Wirken kennt nun wirklich jedes Kleinkind in Deutschland, das sich mit Theater beschäftigt. Ihr Kommentar tut wirklich weh!

Zum Abend: Kroesinger halt. So sollten Vorlesungen an der Uni gehalten werden. Dann hätten wir weniger Kommentatoren wie Lilo.
Musa Dagh, Berlin: Form und Inhalt
Nun ja, dass es ein wichtiges Thema ist und damit wichtig, dass sich auch Theater damit beschäftigt, steht außer Frage!

Ob es ein gelungene Inszenierung ist sei dahingestellt. Für mich war die Rede von Harout Ekmanian der mit Abstand stärkste Teil des Abends.

Wenn danach jemand wie Till Wonka mit einer nonchalenten Entertainerpose versucht witzig zu sein und den Abend mit einer Readers Digest Version des Romans beginnt, ist dass nicht nur peinlich, sondern schlicht geschmacklos.

Allein Ruth Reinecke und Falilou Seck vermögen dem Thema innerhalb der Inszenierung mit den vorgegebenen Spielweisen zT etwas abzugewinnen. Aber auch die persönlichen Zugänge der Schauspieler zum Thema geraten doch ziemlich ungelenk und wirken bemüht.

Inhaltlich waren die Momente der aktuellen Bezüge interessant, vor allem was die Bundesregierung zum Begriff des Völkermords in diesem Zusammenhang zu sagen hat.

Das es den Abend gibt ist wichtig. Ob es die angemessene Form ist, darf bezweifelt werden.
Musa Dagh, Berlin: Erinnerungskraft
(…) Übrigens hab ich Musa dagh gesehen... Naja... Aber Hey, nirgendwo auf der Welt, in diesem Jahr, an keinem Ort!!! - so viel erinnerungskraft wie am gorki, was wollt ihr denn mehr???? (…)
Musa Dagh, Berlin: das furchtbare "Es war einmal..."
Das Betrauern und Bedenken von Völkermord vor 100 Jahren ist auch mir wichtig.
Aber ich kriege ein Magengeschwür, wenn ich daran denke, dass heute weiter gemordet wurde.
Insofern war mir Kroesingers Stück über Ruanda wichtiger.

2. Sicher ist es eine Leistung, dass Shermin Langhoff diesem Thema in ihrem Theater ein Platz gibt.
Aber ich kriege ein Magengeschwür, wenn ich daran denke, dass die Anerkennung dieser Leistung ein Rückfall in nationalistisches Denken ist. Ich möchte denken, dass Shermin Langhoff Shermin Langhoff ist und nicht Repräsentantin der türkischen Nation. Jeder muss selbst Trauerarbeit leisten, wenn Gewalt nicht ewig Gewalt zeugen soll. Wir können das nicht an Symbolfiguren delegieren. Jeder muss den Erkenntnisprozess und die Sensibilisierung an sich selbst vollziehen.

3. Über diesem Samstag Abend hing furchtbar das "Es war einmal". Selbst die anerkennenswerten Ausschnitte aus den Bundestagsdebatten schienen mir wie aus fernen Zeiten.

4. So fern ist das Problem garnicht. In Aserbaidschan findet wegen der Berg-Karabach-Frage zur Zeit die Staatliche Indoktrination einer ganzen Gesellschaft mit einem rassistischen, antiarmenischen Virus vom Kleinkind bis zum Intellektuellen statt: in jedem Museum, in jeder Schule, auf jedem Fernsehkanal... Als ich das 3 Wochen lang an Ort und Stelle erlebt habe, habe ich verstanden, wie der Antisemitismus der 30er Jahre in Deutschland funktionierte.

5. Die Selbstsensibilisierung durch Beschäftigung mit Geschichte sollte dazu führen, dass sich Dinge nicht wiederholen.

6. Ich verstehe, dass für die unmittelbar Betroffenen die Anerkennung des Genozids eine andere Funktion hat und existenziell wichtig ist.
Musa Dagh, Berlin: Theater hat viele Formen
Liebe Lilo,
wer ist peinlich? Ich bin erschrocken über das, was Sie schreiben. Ich bin betroffen über das, was ich gesehen habe.
Ich war in der Premiere, habe Herrn Harout Ekmanian zugehört. Ich finde das, was Sie von sich geben peinlich und absurd. Ich danke Frau Langhoff für ihre Worte.
Mach einer sollte, bevor er bzw. sie sich so wichtig nimmt, lieber schweigen.
Für mich war dieser Abend eine Rückbesinnung auf ein sehr gutes Buch, das ich vor 25 Jahren gelesen habe. Bilder der Lektüre tauchten im 2. Teil wieder auf.
Der erste Teil war eine glaubhafte Auseinandersetzung mit dem Mitläufertum und der Frage nach deren Schuld.
Herero und Nama, Armenier, Juden, Tutsi...
Und darum sind diese Abende wichtig, wichtig auf den Bühnen der Theater. Man kann auch Richard III. in der Schaubühne schauen, begeistert sein oder Pollesch, Castorf und Fritsch in der Volksbühne. Theater hat viele Formen und Möglichkeiten.
Doch dieser Gorki Theater Abend war mir wichtig.
Danke!
Musa Dagh, Berlin: Erschrecken
Einige Kommentare erschrecken mich und erinnern mich an Gerede in den fünfziger, sechziger Jahren: "Ich kann das nicht mehr hören ...". Dagegen dürfte Brecht recht haben: "Der Schoß ist fruchtbar noch ..."; siehe Medien. Umso wichtiger also, zu veranschaulichen, was bei ausgelebtem Haß auf Minderheiten droht. (Ich erlaube mir diesen Kommentar vor dem MGT-Besuch, aber nach Reisen durch Türkei und Armenien sowie atemloser Lektüre von Franz Werfel.)
Musa Dagh, Berlin: absurd aber typisch
@6: "Das künstlerische Wirken von Shermain Langhoff" - wow! ich wusste gar nicht, dass sie Künstlerin ist. Ich dachte, sie wäre Theaterleiterin, also administrativ tätig, allerhöchstens kurativ. Kann man da von künstlerischer Tätigkeit (oder sogar "Wirken") sprechen? Tut das gar, und offensichtlich voll Verzückung, "jedes Kleinkind in Deutschland"?
Künstlerisch gewirkt hat hier doch Kroesinger (bzw. anderer Regisseure, die Frau Langhoff sich zusammenengagiert). In der Summe ist es vielleicht das Gorki-Theater (als Gesamtheit seiner dort Kunst produzierenden Theaterleute), bei dem man ein künstlerisches Wirken konstatieren kann. Aber Shermain Langhoff? Dieser Personenkult ist absurd, aber typisch. Mir fällt zunehmend auf, wie sehr das deutsche Theatersystem mit seinen Ensembles und Repertoires zu einer Aufwertung (bzw. Überschätzung) der Verwaltungs- und Repräsentationstätigkeit und damit zur Abwertung der eigentlichen künstlerischen Arbeit führt. Die künstlerische Energie wird nicht in den Kunst produzierenden Ensembles akkumuliert sondern auf der Verwaltungsetage. Am Ende bleibt dann nicht das Werk eines Regisseurs in Erinnerung, sondern die Ära eines Intendanten.
Das ist so, als würde man den Konzertveranstalter feiern statt des Musikers, den Museumsdirektor statt des Malers, den Kellner statt des Kochs.
Musa Dagh, Berlin: in Szene gesetzt
@ 12
Shermin Langhoff hat an diesem Abend 3 x gesprochen, ach was: sich in Szene gesetzt. Ohne Substanzielles zu sagen. Vielleicht treibt der Fisch Personenkult vom Kopf her.
Musa Dagh, Berlin: jedes Schicksal
@ 13
Sinnlosester Kommentar, Herr Guttenberg.
Es gab, für alle, die nicht da waren, ich war da, sehr viel wichtige Worte von Frau Langhoff. Herr Guttenberg scheint aber anderes im Sinn zu haben.
Was erwarten Sie, Herr Guttenberg? Sie sagen jedenfalls nichts, aber auch gar nichts Substanzielles. Sie schwafeln. Geschichte ist immer wichtig, Ruanda steht neben Südwestafrika oder dem Genozid an den Armeniern oder den jüdischen Mitmenschen. Wer hier eine zeitliche Geichtng will, hat nichts verstanden. Mir geht jedes einzelne Schicksal nahe.
Was ist in Sie gefahren mit dem letzten Vergleich? Ihre Meinungen klingen eigentlich nie so doof.
Herzliche Grüße!
Musa Dagh, Berlin: Trainer nach dem Spiel
Danke Olaf. Guttenberg scheint regelmäßiger Besucher des Gorki zu sein, denn in schöner Regelmäßigkeit liest man seine negativen Auslassungen über dieses Theater. Das kann dieser ja auch tun und lassen wie er lustig ist. Allerdings gehaltvoll ist es in eben solcher Regelmäßigkeit nie. Wieso bloss zieht es ihn/sie immer wieder dorthin?
Dass eine Intendantin hier und da in dafür passenden Momenten, das Wort ergreift, ist keine Neuigkeit und absolut in Ordnung. Dann dürften ja sämtliche Sporttrainer und Manager nie Interviews nach z.b. Spielen ihrer Mannschaft geben. Dann sollten allein die Spieler reden. Albern diese Einstellung. Eigentlich gar borniert.
Musa Dagh, Berlin: reichlich Diskussionsstoff
Historiker berichten, dass in der Nacht vom 24. auf den 25. April 1915 mehr als 200 Armenier, vor allem Akademiker aus der Mittel- und Oberschicht, in Konstantinopel/Istanbul verhaftet wurden. Dies gilt als Ausgangpunkt für eine Kette dramatischer Ereignisse, die von den Armeniern als "Aghet" bezeichnet werden, was man als "Katastrophe" übersetzen könnte.

Auch ein Jahrhundert später ist diese Wunde noch längst nicht verheilt. In den vergangenen Tagen spitzte sich der schon länger gärende Streit zu, wie dieses historische Ereignis zu bewerten ist. Nur an der Oberfläche scheint es ein Streit um Begriffe zu sein. Die türkische Regierung wehrt sich vehement dagegen, von einem Genozid oder Völkermord zu sprechen.

Nach längerer Debatte einigten sich die Koalitionsfraktionen auf eine recht diplomatisch verklausulierte Formulierung für das Leid der Armenier: “Ihr Schicksal steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gekennzeichnet ist.” Bundespräsident Gauck und Bundestagspräsident Lammert gingen in ihren Reden gestern Abend im Berliner Dom bzw. heute vor dem Plenum des Deutschen Bundestages einen Schritt weiter und bezeichneten die historischen Vorgänge unmissverständlich als "Völkermord".

Die hitzigen Debatten der vergangenen Wochen böten Hans-Werner Kroesinger viel Stoff, sein Rechercheprojekt Musa Dagh – Tage des Widerstands , das am Gorki Anfang März Premiere hatte und den Passions- und Oster-Schwerpunkt "Es schneit im April" mit Filmen, Diskussionen, Lesungen, Konzerten und Performances einläutete. Kroesinger gelang ein sehr konzentrierter, faktenreicher Abend, der Motive aus Franz Werfels Roman "Die vierzig Tage des Musa Dagh" mit den Ergebnissen seiner Recherchen zeitgeschichtlicher Akten, die er so akribisch auswertete, wie wir es aus früheren Arbeiten von Kroesinger z.B. am HAU gewohnt sind.

Nach einem recht flapsigen Einstieg von Till Wonka beginnt eine ernste Auseinandersetzung, die das historische Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet: Welche Rolle spielten die Diplomaten des deutschen Kaiserreichs, eines Kriegsverbündeten der Türkei? Auf welche Arten intervenierte der Theologe Johannes Lepsius bei den offiziellen Stellen? Wie ging der Deutsche Bundestag in den vergangenen Jahrzehnten mit dem Thema um? Die Schauspieler stellen eine Begegnung zwischen Lepsius und Hodscha nach, lesen aus dem Plenarprotokol der ersten großen Bundestagsdebatte zu diesem Thema vor zehn Jahren und aus der kurz angebundenen Antwort der Regierung auf eine Kleine Anfrage von 2014.

Kroesingers Abend bietet eine Fülle von Informationen, ohne das Publikum durch eine zu große Flut zu überfordern, und sorgt für reichlich Diskussionsstoff im Foyer oder auf dem Heimweg, als nach etwas weniger als zwei Stunden das Licht auf der Bühne plötzlich erlischt und der letzte Satz “Was gibt es noch zu erzählen?” nachhallt.

http://kulturblog.e-politik.de/archives/24770-kroesingers-dokumentartheater-projekt-musa-dagh-bei-der-gorki-passion-sehenswertes-politisches-theater.html
Musa Dagh, Berlin: gute Idee, aber ohne Bühnenzauber
Ich fand es eine gute Idee, das Stück aus drei verschiedenen Haltungen zu Weben. Aus dem Zwirn des Romans, aus dem politischen Windungen der deutschen Politik von damals und heute und eingesprungenen persönlichen Ansichten der Schauspieler. Aber sonst, war es ohne Bühnenzauber aufs Parkett gezimmert.

http://sector-o.cc/2015/05/musa-dagh-tages-des-widerstands/
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