Machtgefälle-Tausch

von Dorothea Marcus

Duisburg, 13. März 2015. Eigentlich war das Stück fast schon vergessen, wenn es nicht Regisseurin Andrea Breth vor knapp einem Jahr aus der Theater-Mottenkiste respekt- bis liebevoll auf eine pittoresk verrumpelte Bühne geholt hätte. "Der Hausmeister", jenes Stück von "einem Hausmeister und zwei Brüdern" (Harold Pinter), verschaffte zwar dem späteren Literatur-Nobelpreisträger im Jahr 1960 den Durchbruch. Heute wirkt es aber stark aus der Zeit gefallen mit seinen langen Monologen, der langsamen und recht unmotivierten Handlung, der reizarmen Fokussierung auf die schwierige Bruderbeziehung und dem Obdachlosen, der, einmal eingeladen, die Londoner Baustellenwohnung nicht wieder verlassen will.

Mit Kuschelteddy und Werkzeug-Box

In Duisburg, bei der einzigen echten Premiere des 36. Theatertreffens Akzente, hat Regisseur Philipp Kugler zumindest die von Pinter so ungeheuer detailliert beschriebene Bühne entrümpelt: Im nackten Bühnenraum sind nur die Möbel-Begriffe mit Klebeband auf den Boden geschrieben, statt der Bilder werden die Vorstellungen der Bilder geliefert. Ein "Toaster" schmiegt sich da in kleinen Buchstaben an einen großen "Tisch", vorwitzig ragt ein "Ofenrohr" in die Schriftzüge, die "Schubladen" sind gleich mehrfach übereinandergeklebt, als würden sie herausstehen. Der schöne metaphorische Effekt dieses kostengünstigen Arrangements in "Dogville"-Manier ist, dass Aston, Bruder des Eigentümers, und der obdachlose Eindringling Davies sich auf einer Ebene befinden und beide wie metaphysisch Unbehauste ihr Lager auf dem Boden aufgeschlagen haben – Aston allerdings noch mit Kuschelteddy und Werkzeug-Box neben sich.

hausmeister 560 saschakreklau uStefan Kolkenbrock und Michael Altmann © Sascha Kreklau

Dreitagebart und kaputte Sandalen

Der Armutsabstieg eines Menschen kann so zufällig sein, wie schnell können prekäre Existenzen entstehen. Und wie rasant können sich die Machtgefälle vertauschen. Fast sieht es so aus, als würde dies Eindringling Davies gelingen, nur durch üble Nachrede gegenüber Mick – heute auch Mobbing genannt. Den Schauspieler Michael Altmann, diskret umweht von Promi-Bonus und einer langen, schönen Theater- und Filmkarriere, zeigt in Dreitagebart einen geradezu naturalistisch glaubwürdigen Penner. Mit falsch zugeknöpftem Mantel und kaputten Sandalen versteht er es meisterhaft, herrische Ansprüche an seine von Aston stets willfährig gelieferten Almosen zu stellen, für die er prompt den Schuhanzieher dabei hat; oder ihn beiläufig, selbstgerecht und dampfplaudernd nörgelig vollzuquatschen oder übergriffig seinen Arm festzuhalten.

Bruder Aston, der Hausmeister der in Duisburg so leergefegten Immobilie, wird von Peter Götz in Standard-Karohemd und schlammgrüner Jägerjacke fast zu lebensecht als langweiliger und devoter Loser auf der falschen Seite des Schicksals angelegt. Dass er eine Hirnoperation hinter sich hat, erfährt man hier und im Stück erst später, wird aber ohnehin bei Kugler nur recht flüchtig gestreift.

Einschläfernd texttreu

Emsig schabt Einzelgänger Aston an einem echten Elektrostecker herum, als sei er die Verlegenheits-Requisite in einem Laienschwank. Eilfertig drängt er Davies erst ein Bett, dann Geld, schließlich die Wohnungsschlüssel auf, die dieser immer herrischer und nörgeliger annimmt und sich anschickt, seinen Gönner ganz auszuschalten. Mick dagegen, der Macher und Hausbesitzer in der Geschwisterbeziehung, der so gerne seine Wohnung mit pergamentfarbenem Linoleum auslegen möchte (heute schon fast wieder modern) ist bei Stefan Kolkenbrock ein hitziger Jungspund, mit kleinen aggressiven Ausreißern in der ansonsten brudersolidarisch aufrechten Haltung. So weit, so gut: schauspielerisch souverän, mit großer Gelassenheit, jedoch einschläfernd texttreu lässt Regisseur Kugler das Stück  vom Blatt spielen, dass man sich die Augen reiben muss.

Der (nach dem Bühnen-Arrangement mit Klebeband) zweite und letzte gute Einfall des Abends materialisiert sich kurz vor Schluss. Als Davies es fast geschafft hätte, Aston aus dem Haus zu ekeln, fallen auf einmal Seifenblasen-Schwaden von der Decke. Welchen Allmachtsträumen ist der lästige Landstreicher da aufgesessen? Schnell platzen sie jedoch wieder, da sich in Mick doch noch genug Brudersolidarität befindet.

Der Regisseur Philipp Kugler, ehemals Regieassistent an der Berliner Schaubühne und regelmäßig tätig am Staatstheater Mainz, lässt nicht erkennen, was ihn an Pinters Stoff interessiert hat. War es die Bruder-Rivalität? Die Willkürlichkeit der Machtverhältnisse? Und so kann man Schauspielern von interpretatorischer Feinarbeit unbeeindruckt bei der Arbeit zusehen. Das ist zwar nicht unangenehm, pustet aber auch nicht gerade den Staub von der Vorlage.

 

Der Hausmeister
von Harold Pinter
Regie: Philipp Kugler, Ausstattung: Caroline Jarczyk, Dramaturgie: Michael Steindl, Regieassistenz: Jennifer Riahi, Stellwerk: Michael Mohr.
Mit: Michael Altmann, Peter Götz, Stefan Kolkenbrock.
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

www.duisburg.de/theater/

 

Kritikenrundschau

Philipp Kuglers Inszenierung von "Der Hausmeister" wirft für Anne Horstmeier unter anderem die Frage auf: "Warum taucht dieses geniale Stück, das den späteren britischen Nobelpreisträger Harold Pinter 1960 weltberühmt machte, so selten auf den Spielplänen auf?" Der Abend beeindrucke, so Horstmeier in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (16.3.2015), "weil das Stück im Ungewissen darüber lässt, mit wem es da eigentlich zu tun hat". Er sei aber auch wegen der Schauspieler "unbedingt zu empfehlen". Peter Götz und Stefan Kolkenbrock bestünden neben "diesem umwerfend starken Michael Altmann" mit Bravour.

Von einer "erstklassigen Inszenierung" spricht Ingo Hoddick in der Rheinischen Post (14.3.2015). Das Stück sei "ein wenig stilisiert", die Figuren seien aber derart realistisch, dass man bald vergesse, dass es Schauspieler seien.

 

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