Presseschau vom 6. April 2015 – Ein Gespräch mit Franz-Xaver Kroetz in der Wochenzeitung Freitag
Irgendwann haben die am Theater festgestellt, dass sie die Herren der Produktionsmittel sind
Irgendwann haben die am Theater festgestellt, dass sie die Herren der Produktionsmittel sind
6. April 2015. Michael Angele von der Wochenzeitung Der Freitag hat den Dramatiker Franz-Xaver Kroetz in seinem Haus in Obermenzing in München besucht. Kroetz hat vor ein paar Wochen den alten Dramatiker aus Daniel Kehlmanns Stück "Der Mentor" für ein Hörspiel eingesprochen.
O-Ton Kroetz: "Vielleicht haben's beim MDR gedacht, wenn man jemanden nimmt, der selber Dramatiker ist, hat das einen bestimmten Effekt. Hörspiel ist ja nur noch für Blindenhunde. (...) Ich habe sofort zugesagt. Weil ich dachte, das ist sehr süffiger Boulevard. (...) Das Stück besteht auch aus lauter Klischees! Ich meine, ein einziges gutes Stück in seinem Leben geschrieben und sonst nichts, und anschließend Holzhändler geworden, Rimbaud! Das ist von Kehlmann schon sehr zurechtfrisiert. Aber es ist wunderbar geschrieben. Boulevard vom Feinsten!"
Michael Angele: "Sie haben ja in einer Zeit mit dem Stückeschreiben angefangen, wo man noch ungeheure Auflagen erreichen konnte!"
Franz-Xaver Kroetz: "Allein bei Suhrkamp war meine Auflage bei 280.000. Und ich habe ja die Stücke auch geschrieben, damit man sie liest. Ob nun Lyrik, Prosa oder Stücke, das soll doch alles gelesen werden, dachte ich. Aber lesen tut doch überhaupt niemand mehr ein Theaterstück."
Michael Angele: "Was sagen Sie denn zum Fall Baal? Jetzt mehr als Verleger."
Franz-Xaver Kroetz: "Na ja, wenn man davon ausgeht, dass Brecht doch immer noch einer der wichtigsten Schulautoren ist, und dann gehen Sie mit Ihrer Schulklasse in den Baal von Castorf, und es sind dann nur zehn, vielleicht 15 Prozent des Textes noch von Brecht, aber 85 Prozent aus Apocalypse Now und so weiter, dann ist natürlich schon die Frage, ob der Verlag da nicht sagen muss, das geht nicht. Weil die Kinder gehen ja doch raus und sagen, das ist nun also Brecht (...)
Früher war es so: Man saß mit den Schauspielern am Text und fragte? Warum da dieser Satz und hier dieses Komma? Heute hat sich das Theater von der Literatur emanzipiert und als eigenständige Kunst etabliert. Der Dramatiker ist halt ein Zuträger unter anderen. Dazu kommt: Irgendwann haben die am Theater festgestellt, dass sie die Herren der Produktionsmittel sind, ihnen gehört die Produktion, nicht den Autoren.
(...) Ich glaub schon, dass dieses Bewusstsein gewirkt hat: Wir haben die Produktionsmittel, die haben nur die Schreibmaschine. 200 Jahre lang haben wir uns von denen unterdrücken lassen, da steht "Regen", wie sollen wir jetzt Regen machen, machen wir doch Sonnenschein (lacht diebisch)."
Das vollständige Interview steht hier.
(sle)
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Humor ist ja oftmals Überwindungsstrategie.
Es geht nicht darum, sich "ach so benachteiligt" zu fühlen,
es geht um die Folgen der Emanzipation vom Text und wohin sie führen -ins Unsichtbarwerden der literarischen Vorlagen.
Es geht nicht um die Selbstüberschätzung des Autors, sondern um das Wegradieren, das stattgefunden hat. 280 000 als Auflage! Was für eine Wirkung! Da hat sich schon etwas verändert, meinen Sie nicht?
@nachtkritik: Kleine Korrektur, nicht böse gemeint: Obermenzing ist nicht bei München, sondern ein Stadtteil von München.