Kunstblut unter Kokospalmen

von Falk Schreiber

Hamburg, 26. April 2015. Mit die skurrilste Variante des deutschen Rechtsradikalismus repräsentierte der vergangenen Juli gestorbene Dr. Axel Stoll. Im Internet kursieren unzählige Videos, in denen der promovierte Geologe über Reichsflugscheiben oder Chemtrails schwadroniert. Stoll war unappetitlich, aggressiv, antisemitisch; ein unterhaltsamer, aber gefährlicher Spinner, der in seine kruden Vorträge immer wieder die besserwisserische Floskel "Muss man wissen!" einflocht.

Im Foyer der Hamburger Gaußstraße sitzt Daniel Lommatzsch als Wiedergänger Stolls. Ein kleiner, verklemmter Typ vor einem halbleeren Glas Bier, fettiges Haar, Bärtchen, zu enge Weste mit Ärmelschonern, der sich erstmal ausdauernd die Lunge freihustet. Um dann loszulabern, von der Mühsal des entfremdeten Lebens. "Sorgen ist die wirkliche Todesursache von tausenden Todesfällen. Sorgen stört den Appetit, den Schlaf, macht die Atmung unregelmäßig. Sorgen untergräbt die körperliche und geistige Gesundheit." Was nicht von Stoll stammt, sondern von August Engelhardt, einem Lebensreformer, der um 1900 die Befreiung von allen Sorgen mittels einer strengen Kokosnussdiät erreichen wollte, 1919 mangelernährt und wahnsinnig auf der Südseeinsel Kabakon starb und fast 100 Jahre später in Christian Krachts umstrittener Robinsonade "Imperium" zum Romanhelden wurde.

Es berichtet die Schickeria

Jan Bosse adaptiert Krachts Roman im Thalia erstmals für die Bühne, quasi als Negativ zu seiner Robinson Crusoe-Inszenierung 2012 am Burgtheater. Das Vorspiel im Foyer ist ein geschickter Schachzug: Bosse stellt gleich klar, dass er sich mit "Imperium" auf vermintes Terrain begibt (Kracht war nach Erscheinen des Romans 2012 von Georg Diez im Spiegel Rechtslastigkeit vorgeworfen worden). Indem Engelhardt von Lommatzsch mit dem prototypischen Aluhutträger Stoll gekreuzt wird, schillert die Inszenierung von der ersten Minute an zwischen skurril, entertaining und gefährlich. Und kann problemlos in Krachts Abenteuererzählung münden.

Imperium 560 Armin Smailovic hEnnui gebiert Erzählung: Das imperiale Ensemble, im Vordergrund Daniel Lommatzsch
© Armin Smailovic

Stéphane Laimés Bühne abstrahiert Deutsch-Neuguinea in der Gaußstraße mit sparsamen Mitteln, aber wirkungsvoll: In der Mitte ein Sandhaufen, links ein wenig Zivilisationsmüll, rechts eine Heimorgel, auf der Jonas Landerschier Easy-Listening-Sounds klimpert, und ein Sessel, in dem Christoph Bantzer märchenonkelhaft das Setting vorstellt, beides die einzigen Lässlichkeiten der ansonsten sehr konzentrierten Inszenierung.

Die in der Folge den Fokus auf eine Strandgesellschaft legt: Lommatzsch, Marie Löcker, Jörg Pohl, Steffen Siegmund und Sebastian Zimmler stellen nicht etwa die Krachtschen Protagonisten dar, sondern die Nachwuchselite Kampens; Stehkragenschickis auf Esotrip, die rauchen, tänzeln, mal versuchen, der ironischen Inselsituation ausgerechnet mit Ironie beizukommen, mal gelangweilt einen Tennisaufschlag versuchen. Doch Ennui sieht zwar toll aus, ist aber auf Dauer nicht abendfüllend, also fangen sie an, sich die Zeit mit Erzählungen zu vertreiben.

Nix zu tun mit Nazitum

Sie erzählen von Engelhardts Niedergang, zunächst noch O-Ton Kracht, dann immer freier, und nach und nach verwandeln sich die Darsteller, wobei die Rollen ununterbrochen gewechselt werden. Verwandlung heißt hier Regression: Bald sind die ersten nackt, wird die Zivilisation verdammt, werden alle Hemmungen fallengelassen, und nach einiger Zeit gibt es den ersten Toten. Einmal noch hält die Inszenierung bei einer Position an: Engelhardt bekommt mit dem Friesen Aueckens einen Jünger, der sich freilich nach kurzer Zeit als glühender Antisemit entpuppt, "Du bist wahrscheinlich ein Nazi!", brüllt Lommatzsch (der in diesem Moment für Engelhardt steht) da, "Könnt' ich kotzen! Damit hab' ich nichts zu tun!" Womit das auch klargestellt wäre.

Der mit seinen Arbeiten auf der großen Thalia-Bühne zuletzt ein wenig in der Konvention erstarrte Jan Bosse dreht richtig auf und lässt es unter Kokospalmen hübsch splattern. Unter Einsatz großer Mengen Kunstblut beißen sich Pohl und Zimmler nacheinander Ohr, Finger und Penis ab, dann verschwindet die Utopie endgültig im Wahn, und Bantzer spricht noch einen bösen Epilog, der historisch großer Blödsinn ist, so aber auch bei Kracht steht: Engelhardt taucht nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal auf und landet auf einer US-Militärbasis, wo er mit Fastfood aufgepäppelt wird. Burger, Cola, Hollywood – der absolute Horror für den handelsüblichen antiamerikanischen Aluhut. Muss man wissen.

Imperium
nach dem Roman von Christian Kracht
Regie: Jan Bosse: Bühne: Stéphane Laimé, Kostüme: Kathrin Plath, Musik: Jonas Landerschier, Dramaturgie: Gabriella Bußacker.
Mit: Christoph Bantzer, Marie Löcker, Daniel Lommatzsch, Jörg Pohl, Steffen Siegmund, Sebastian Zimmler.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.thalia-theater.de

 

Kritikenrundschau

"Wie bei Kracht ziemlich zu Beginn des Romans fällt auf der Bühne bald die Bemerkung, dass die Geschichte des deutschen Aussteigers Engelhardt Parallelen aufweise zu Hitler und dies 'durchaus beabsichtigt' sei“, schreibt Anke Dürr auf Spiegel online (27.4.2015). Aber wie im Roman bleibe das auch bei Bosse "so als Behauptung stehen, ohne dass man sich im weiteren Verlauf noch eingehender damit beschäftigt“. Überhaupt sei die Inszenierung ziemlich nah am Roman, wenn auch der mäanderne Erzählfluss von Kracht "radikal begradigt wurde“, so Dürr. Bosse gehe es nicht um Ideologien. "Aber was will er uns dann erzählen?“ Auch hier sei er ganz nah bei Krachts Roman, dessen "allwissender Erzähler“ die Antwort schuldig bleibe.

Hubert Spiegel schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (28.4.2015): Krachts Roman, "den ein Spiegel-Rezensent in die rechtsextreme Ecke schieben wollte", stelle auf "ironisch-raffinierte Weise" die Frage nach "dem Zusammenhang von utopischem und totalitärem Denken: Trägt die romantische Suche nach dem Heil schon den Keim des Unheils in sich?" Jan Bosses Inszenierung hingegen konzentriere sich zunehmend auf die "schlichtere Frage, wie sich Langeweile durch Klamauk vertreiben" lasse. "Schwerfällig, hölzern und bemüht" schleppe sich die erste Stunde dahin: "Fünf junge Schnösel stehen rauchend im Sand und sagen Romanstellen auf." Steffen Siegmund als Insulaner Makeli müsse die zweite Hälfte des "nicht sehr langen Abends nackt zubringen". Es "fließt Blut, Augen werden gerollt, Finger und andere Körperteile abgebissen, und den Schauspielern ist recht kannibalisch wohl".

Armgard Seegers schreibt im Hamburger Abendblatt (28.4.2015), Bosse lasse mit "einem glänzend aufgelegten Ensemble" mal die "Geschichte vom Nudisten und Kokovoren" von "wechselnden Schauspielern" erzählen, "mal lässt er die Spieler die Figuren verkörpern". Die Mischung gehe "nicht immer" auf. "Was Freaks und Religionsfanatiker so alles können und anrichten, hätte man viel lieber nur im Spiel gesehen", als in der Nacherzählung. "Theater kann doch mehr". Gespielt werde nur wenig und "wären die Schauspieler nicht so wandlungsfähig und ausgelassen, der Abend, der an ein Sandkastenspiel erinnert, wäre verzichtbar".

Michael Laages schreibt auf der Internetseite von Deutschlandfunk (27.4.2015), zum einen setze Jan Bosse "den deutschen Sonderling" in den Lehnstuhl und lasse ihn vorlesen, zum anderen fänden sich auf "einem kleinen sandigen Insel-Rund" fünf junge Leute "ganz von heute" ein, und übernähmen rundum Engelhardts Insulaner-Part. Bei Kracht sehe sich sein Held Engelhardt zum Schluss vom "Weltjudentum" verfolgt, aber "politisch korrektes Gezeter" habe die Theaterfassung "auf keinen Fall verdient". Sie sei "charmant", bleibe aber auch "eher niedlich". So wirke das "Märchen aus uralt-deutschen Zeiten nicht wirklich zwingend auf der Bühne"

In der Süddeutschen Zeitung (28.4.2015) schreibt Till Briegleb, Bosse erzähle Krachts Roman als "Persiflage auf die Geschichte des Aussteigertums" nach. Von der "Verbissenheit irrer Überzeugungen" bleibe hier nur soviel übrig, "als es sich in Parodie auflösen" lasse. Mit vielen Kostümwechseln erwecke Bosse den "Jet-Set eines Gunter Sachs wie die verrenkten Wohlstandskinder" auf Goa. Auch Krachts Roman sei natürlich "eine Parodie auf alles Radikale und seine tragische Rechthaberei". Aber dort mache "die Recherche über den geschichtlichen Hintergrund" den Helden zu einer "interessanten Zeitfigur". Als "lächerlicher Querschnittshippie" für "hundert Jahre Zivilisationsflucht" vereinsame dieser Eremit bei Bosse ein wenig im "Imperium der Scherze".

In der taz (29.4.2015) schreibt Alexander Kohlmann, Bosse bebildere zwar "einfallsreich die Vorlage", aber er durchdringe sie nicht. Er entfache in "kühl-kalkulierten Bildern" den Wahnsinn auf Kabakon, aber er verwandele ihn nicht in eine Emotion, die "in den Zuschauerraum übergreifen" könne. Dabei müsse man heute Verwandte der Sehnsucht dieses August Engelhardts, "sich selbst in einer alternativen Lebensform zu finden, seiner militanten Schriften zum veganen Leben und seines Narzissmus" in "alternativen Szenevierteln" nicht lange suchen: "Wohlhabende Zöglinge, die sich in hanebüchene Ideologien verirren". Leider werde zur "Lachnummer", was auch als "Kontinuität einer sehr deutschen Befindlichkeit" funktionieren würde.

 

Kommentare  
Imperium, Hamburg: schneller als ein Bier
Ich finde, Anke Dürr bringt es auf den Punkt: was will der Regisseur uns mit dem Abend sagen? Hat er überhaupt etwas zu sagen außer einer Aneinanderreihung von Miniideechen, die nach hilflosen Probebühneneinfällen aussehen? Der Abend ist leider schneller vergessen als das Bier danach ausgetrunken ist ... Schade!
Imperium; Hamburg: Rezensent hat Buch nicht gelesen?
Der Rezensent hat "Imperium" offensichtlich nicht gelesen.Erst mit einem Zitat des in seiner naiven Böswilligkeit gründlich diskreditierten Diez aufzuwarten um dann mit gefurchter Stirn "vermintes Terrain" zu lokalisieren - das grenzt an üble Nachrede.
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