Theatertreffen 2015 - Warten auf Godot von Ivan Panteleev, eine Hommage an Gotscheff mit Samuel Finzi und Wolfram Koch
Am Rande des Kraters
von Sophie Diesselhorst
Berlin, 8. Mai 2015. Als sich nach den ersten zehn Minuten im Saal des Deutschen Theaters eine Grippe-Epidemie zu manifestieren schien, riss meinem Sitz-Nachbarn der Geduldsfaden: "Hat jetzt jeder schon einmal gehustet?", schrie er leise und hob den Publikums-Geräuschpegel damit noch an. Es war bisher auch die Theatertreffen-Premiere, bei der am meisten Zuschauer demonstrativ rausgegangen sind. Immer wieder ruckelte es an der Drehklinke, und der Saal wurde kurz ein bisschen heller.
Umkommen vor Langerweile
Woran liegt's? Dass "Warten auf Godot" kein unterhaltsamer Stoff ist, dürfte den meisten Menschen bekannt gewesen sein, die sich Karten für diese Vorstellung gekauft haben. Es wird in Ivan Panteleevs Inszenierung allerdings auch nicht zu einem solchen gemacht. Sondern die vier Schauspieler weiden sich an der Sinnlosigkeit, die sich mit Samuel Becketts lebens-metaphorischer Dehnübung produzieren lässt.
Ich habe den Abend vor ein paar Monaten zum ersten Mal gesehen und bin fast umgekommen vor Langeweile. So habe ich es damals empfunden: Wolfram Koch und Samuel Finzi entsteigen als Estragon und Wladimir einem öden Krater, der öde bleibt. Unheimlich viel Raum für die großen Präsenzen dieser beiden großen Schauspieler und für die übergroße Präsenz ihrer Gemeinsamkeit. Nichts lenkt ab, oder: An nichts kann man den Blick zwischendurch aichen, um die Größe dann wieder als solche wahrzunehmen.
Die fehlende Möglichkeit des comic relief
Finzis und Kochs Gotscheff-Beschwörung (dem der Abend auch explizit gewidmet ist) wird manchmal unterbrochen von Christian Grashof und Andreas Döhler als Pozzo und Lucky und später von Döhler als "dem Jungen", der verschwommene Botschaft von Godot bringt. Aber diese Szenen fügen sich ein in den zutiefst pessimistischen Blick, den dieser Abend durchhält. Was total fehlt, ist der comic relief oder auch nur die Andeutung seiner Möglichkeit.
Schnitt: Ich hatte also blanken Horror davor, mich diesen zweieinhalb Stunden nochmal auszusetzen. Und wurde blank überrascht davon, wie anders sie sich erleben lassen. Es lag bestimmt unter anderem daran, dass es außer den vielen Hustern und Gehern auch wesentlich mehr Lacher gab als beim ersten Mal, von denen Finzi und Koch sich an einer Stelle zu einer gefühlt viertelstündigen Slapstick-Show anstacheln ließen.
Risiko der Freiheit
Es lag definitiv an Finzi und Koch; und an der Freiheit, die Panteleevs Inszenierung ihnen in guter Gotscheff-Tradition gibt. Eine Freiheit, am Rande des Kraters aufzublühen zur höchsten Komik, indem der Kampf gegen die mit im leeren Raum stehende Sinnlosigkeit immer wieder live und direkt aufgenommen wird – oder eben auch: in sich zusammenzufallen, Karikaturen zu skizzieren, das Ganze zu einer Blödigkeits-Zumutung zu machen.
So etwas ist im Theater viel riskanter als im Film, den man zuhause eher nochmal nachguckt. Und ja, liebe Theatertreffen-Jury: sogar doppelt bemerkenswert.
Zur Nachtkritik der Premiere von Warten auf Godot bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen (6/2014)
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