Eine Spur zu elegant

von Georg Kasch und Sophie Diesselhorst

Berlin, 13. Mai 2015. Nach der Theatertreffen-Premiere von "Die lächerliche Finsternis" von Wolfram Lotz unter der Regie von Dušan David Pařízek hat das mobile Kritiker-Duo wieder im  Skype-Chat Resümee gezogen. Hier die Gesprächschronik:


[13.05.15 22:49:24] Sophie Diesselhorst: Einen weiteren Zweistundenabend beim Theatertreffen 2015 haben wir hinter uns – "Die lächerliche Finsternis" von Wolfram Lotz in der Uraufführungsinszenierung von Dusan David Parizek… mit Blackfacing!

[13.05.15 22:51:54] Georg Kasch: Wobei das ja bewusst unklar gelassen wird, was genau das ist – die Farbe ist schlierig, halb transparent, und was das mit den Schauspielerinnen macht, bleibt auch unklar. Allerdings ist das Spiel mit Farbe und Haut immer problematisch.

[13.05.15 22:53:46] Sophie Diesselhorst: Gerade deshalb, weil es so unklar gelassen wird, finde ich es problematisch. Es ist reine Kunstfreiheitsbehauptung. Und albern! Wie auch die vielen Dialekt-Spielereien der vier tollen Schauspielerinnen (nach die unverheiratete der zweite Abend vom Burgtheater, und wieder ein reiner Frauenabend!); aber: Ich muss zugeben, ich habe mich gut unterhalten gefühlt. Wie ging's Dir?

Dialekte und ostafrikanische Polyphonie

[13.05.15 22:57:30] Georg Kasch: Die Dialekte waren klar eine Verneigung vor dem Hörspiel, das der Lotz-Text ursprünglich ist – einerseits. Andererseits wurde so doch immer wieder markiert, dass die Finsternis hier ist, im Herzen Europas, in uns. Eine Spur, auf die einen auch die Musik führt – großartig war doch dieses Stück Volksmusik, das im ersten Moment klang wie ostafrikanische Polyphonie.

[13.05.15 22:58:03] Sophie Diesselhorst: Warum markieren die Dialekte die Finsternis in uns?

[13.05.15 23:01:05] Georg Kasch: Weil das alles deutsch-österreich-italienische Dialekte waren. Beim Ausflug ins Fremde stoßen die Figuren immer nur auf das ihnen Bekannte. Es geht bei Lotz u.a. darum, dass wir die Welt durch unsere eurozentristische Brille sehen – und auch gar nicht anders können. Das fand ich hier ziemlich gut herausgearbeitet.

[13.05.15 23:03:00] Sophie Diesselhorst: Ja... aber das Sächseln von Stefan Dorsch passt nicht so gut in diese Deutung, das hat für mich doch auf eine andere Wirkung abgezielt.

[13.05.15 23:05:03] Georg Kasch: Das war dann wieder Hörspiel. Oder Karikatur. Was allerdings durchs Spiel von Frida-Lovisa Hamann wieder aufgehoben wurde, das so gar nichts Zuspitzendes hatte, eher auf angenehme Weise zurückhaltend.

[13.05.15 23:05:25] Sophie Diesselhorst: Gut. Was war denn für Dich an diesem Abend bemerkenswert? – Für mich war es vor allem das unverfrorene Spiel von Stefanie Reinsperger, die wir ja auch schon in die unverheiratete gesehen haben.

finstermis2 560 reinhard werner u"Die lächerliche Finsternis" bei der Premiere in Wien @ Reinhard Werner

[13.05.15 23:10:12] Georg Kasch: Erst einmal war das ein exzellenter Stadttheaterabend: ein Text, der was zu sagen hat, eine Regie, die einen Blick hat für die Untiefen dieses Textes, und hervorragende Schauspielerinnen, die sich da mit Lust reinwerfen. Und ja, Stefanie Reinsperger ist wieder ein Ereignis, ich tippe stark darauf, dass sie den Alfred-Kerr-Darstellerpreis kriegt. Dann aber gibt es diesen merkwürdigen Bruch, diese 20-Minuten-Pause, in der die Schauspielerinnen Teile der Bühne schreddern. Warum? Das ist jedenfalls eine Geste, die den Stadttheaterrahmen sprengt in ihrer Verschwendungs-Setzung.

Nie anstrengend, eine Spur zu elegant

[13.05.15 23:12:45] Sophie Diesselhorst: Ja, für mich wie auch viele andere Gesten an diesem Abend eine kunst-wollende Geste. Aber diese Gesten werden nie anstrengend, es bewegt sich alles im geschmackssicheren Bereich. Was es leicht macht, sich am Hochglanz zu freuen. Diese gekonnte Verarbeitung des Lotz-Texts – sozusagen das Gegenteil des Schredderns – ist aber auch eine Spur zu elegant für sein Thema geraten.

[13.05.15 23:13:43] Sophie Diesselhorst: Dafür, dass hier ein eurozentristischer, festgefahrener Blick kritisiert werden soll, verlässt sich das alles für mich zu sehr auf genau diesen Blick in seiner Assoziations- und Spielfreude – siehe Dialekte.

[13.05.15 23:14:25] Sophie Diesselhorst: Oder liegt das schon im Text??

[13.05.15 23:19:20] Georg Kasch: Ich weiß gar nicht, ob Lotz diesen eurozentristischen Blick wirklich kritisiert. Zunächst konstatiert er ihn. Dann sagt er eher: Weil wir den haben, können wir eigentlich gar keine "wahren" Aussagen treffen. Sein Text ist wie alle seine Texte ja eine große Feier des Fiktiven. Und da ist das Spielerische, Ironische ein wichtiger Teil, ein ständiges Balancieren zudem auf dem äußerst schmalen Grat zwischen Komik und Tragik. Die Momente, in denen eine Sehnsucht aufscheint, Hoffnung, Wut, sind kurz, aber die treffen ins Mark – hier auch dank Parízeks Regie.

[13.05.15 23:20:03] Georg Kasch: Das war jetzt der neunte Abend, jetzt kommt nur noch Baal. Zeit für ein vorläufiges Resümee?

[13.05.15 23:25:01] Georg Kasch: Mein beglückendstes Erlebnis: Common Ground. Der Abend, an dem ich am meisten gelitten habe: Warten auf Godot. Dazwischen viel Angedachtes, Ausprobiertes, nicht vollkommen Gelungenes, dafür aber auch wenig Abgesichertes und Routiniertes. Auch Guckkasten-Opulenz à la Breth und Hermanis gab's in diesem Jahr nicht, allenfalls beim Borkman aus Hamburg.

[13.05.15 23:30:03] Sophie Diesselhorst: Auch mir hat Common Ground den schönsten Theatertreffen-Abend bereitet. Aber angedacht, ausprobiert, wenig abgesichert? Hab ich nicht so empfunden. Eher: sehr satt, sehr selbstbewusst, sehr behauptend. Ganz unterschiedliche Dinge...

[13.05.15 23:31:09] Sophie Diesselhorst: Zum Beispiel Warum läuft Herr R. Amok. Das war total Guckkasten. Wenn auch nicht opulent.

Tastend oder Theaterdampfer?

[13.05.15 23:33:34] Georg Kasch: Stimmt. Aber so hermetisch, dass es schon wieder interessant wurde – jedenfalls für ein paar Minuten und am Ende auch noch mal. Als tastend, ausprobierend habe ich zum Beispiel Das Fest empfunden und Atlas der abgelegenen Inseln.

[13.05.15 23:35:29] Georg Kasch: Atlas hat mich atmosphärisch enorm angefixt, allerdings habe ich mir die Frage gestellt, ob nicht viele andere Texte auf dieselbe Weise erzählt werden könnten. Beim Fest hat mich das Kinderspiel fasziniert, aus der Rüping eine beklemmende Welt auferstehen (und immer wieder ins Chaos zusammenfallen) lässt.

[13.05.15 23:36:04] Sophie Diesselhorst: Ich habe Atlas der abgelegenen Inseln in seiner Detailverliebtheit als total hermetisch empfunden. Trotz des besonderen Orts und einer Sehnsuchts-Atmosphäre, die da hergestellt wurde. Aber für mich blieb's ein Theaterdampfer, auf dem wir saßen.

[13.05.15 23:38:50] Sophie Diesselhorst: Interessant finde ich schon, dass die Eröffnungsinszenierung Die Schutzbefohlenen sich um die Kritik des Repräsentationstheaters dreht (und ja auch, soweit ich sehe, für am meisten Diskussion gesorgt hat) und wir dann im Anschluss sehr viel klassisches Repräsentationstheater gesehen haben. Im Sinne von handwerklich perfektem Spiel.

[13.05.15 23:40:26] Sophie Diesselhorst: … und einer Freude der Regisseur*innen daran. Die in Warten auf Godot zugegebenermaßen sehr weit getrieben wird. Warum hast Du daran so sehr gelitten?

[13.05.15 23:40:46] Georg Kasch: Weil ich mich entsetzlich gelangweilt habe. Das wirkte wie der dritte Aufguss einer mittelmäßigen Gotscheff-Inszenierung – und hat mich weder berührt noch mir irgendetwas erzählt, was ich nicht schon gekannt hätte, inhaltlich wie ästhetisch.

[13.05.15 23:41:21] Georg Kasch: Aber die Frage, wer spricht und wer sprechen darf, wird doch von "Common Ground", dem "Fest" und der "Finsternis" gleichermaßen aufgenommen, nur jeweils ganz anders weitergedacht.

[13.05.15 23:41:26] Sophie Diesselhorst: "Common Ground": granted. Aber sonst wird sie doch eher routiniert zum Thema gemacht. Lange nicht so ernsthaft wie von Stemann.

Starkes Rahmenprogramm

[13.05.15 23:43:35] Sophie Diesselhorst: Was natürlich auch an dem großen Thema "Flucht und Asyl" liegt, das der in den Theaterraum geholt hat. Und dieses Thema blieb ja präsent in den Spendenaufrufen, die nach fast jeder Vorstellung verlesen wurden. Auch sonst hat das Theatertreffen sich in seinem Rahmenprogramm stark geöffnet, oder? Ich war gestern bei einer Diskussionsveranstaltung zum Thema "Rebellion der Kunst", wo gar nicht mehr über eine der zehn Inszenierungen diskutiert wurde, sondern über den Kunst-Aktivismus des Zentrums für politische Schönheit und über einen Dokumentarfilm über Graffiti-Künstler in Ägypten.

[13.05.15 23:47:29] Georg Kasch: Stimmt, finde ich wichtig. Und konsequent vom Festival, dass es das Thema durch die allabendlichen Spendenaufrufe ebenso wach hält wie durch solche Veranstaltungen. Aber muss Theater diese Ernsthaftigkeit besitzen, um relevant zu sein?

[13.05.15 23:50:04] Sophie Diesselhorst: Eine Ernsthaftigkeit im Sinne eines Bewusstseins von anderen, härteren Realitäten als der Bühnen-Realität für mich schon – dabei kann ja auch ein leichtfüßiger Abend wie "Common Ground" rauskommen, der nicht mit dem Zeigefinger wackelt, sondern einen unter anderem mit seinem Humor um den Finger wickelt.

[13.05.15 23:53:53] Georg Kasch: Am welthaltigsten waren "Die Schutzbefohlenen" und "Common Ground" auf jeden Fall.

[13.05.15 23:55:30] Sophie Diesselhorst: Das stimmt. Aber ich muss mir gleich selber widersprechen mit meiner Hoffnung auf Castorfs "Baal", da von einer großen Kunst-Verschwendung maßlos überfordert zu werden.

[14.05.15 00:00:07] Georg Kasch: Darauf freue ich mich auch schon – durch Dauer, Zitate-Schleudern und Brüll-Rausch wurden wir bislang noch nicht herausgefordert. Dann würde ich doch sagen: bis Sonntag!

[14.05.15 00:01:38] Sophie Diesselhorst: Zum großen Finale!

[14.05.15 00:01:51] Georg Kasch: Genau!

 

Zur Nachtkritik der Premiere von Die lächerliche Finsternis am Burgtheater Wien (9/2014)

Alles zum Theatertreffen 2015 gesammelt in der (mitwachsenden) Theatertreffen-Übersicht 

 

Kommentare  
tt15, Lächerliche Finsternis: ist das noch Theaterkritik?
Entschuldigung, aber ist das noch Theaterkritik? Oder ist das schon der Diskurs zwischen Sozialphilosoph*Innen, die eine Woche Kulturausflug haben? Was hier beschrieben wird, sollte unbedingt seinen Platz finden in Kritiken. aber ist das hier eine produktive Form der Auseinandersetzung? Liest man hier eine Beschäftigung, einen Denkprozess mit Themen und Abenden, wo die eigene Meinung sich auch mal schwer tun kann? Hier scheint vieles nicht mal mehr gutmeinend, geschweige denn gutmachend. Gelingen kann Theater immer nur im Auge einer jeden Betrachter*In für sich selbst. Die Welthaltigkeit ist dabei eine Möglichkeit, ist ein Kriterium, aber nicht zwingend das Alleinstellungsmerkmal, erst recht nicht für gut und schlecht. Und sollte dies doch das Kriterium sein, möchte ich doch zumindest wissen, wie man auf seine Wahl gekommen ist, was die angefachten Parameter sein sollen.
Denn ob der Abend zu Ende gedacht ist, und zu welchem Ende, bleibt immer in der Produktion versteckt, denn oft genug gibt es ja erfahrungsgemäß nicht das Ziel und das Ende des Denkens, stattdessen aber ausdenken, nachdenken und weiterdenken.
Wie toll wäre eine Theaterkritik, die sich für ihren Gegenstand begeistert, nicht immer nur die vermeintlichen Fehler sieht und sich dann darüber stellt. Theater als gemeinsames Angebot für Macher*Innen, Kritiker*Innen und Publikum, nicht als Blasenraum, wo sich immer nur zwei der drei benannten Gruppen verstehen, und eine*r immer das Arschloch zu sein hat.
tt15, Lächerliche Finsternis: grobe Kurzabrechnung
Hermanis, Breth und Kennedy unter dem Begriff der Guckkasten Opulenz zusammen zu fassen, halte ich für ideologisch. Überhaupt ist diese Kurzabrechnung des TT so grob, meinungsgesättigt und damit für mich unbrauchbar, dass ich mir etwas Sorgen um den Ruf dieser sonst seriösen Seite mache. Wo seid ihr, liebe Frau Slevogt, Herr Behrends, Frau Kaempf und alle anderen?
tt15, Lächerliche Finsternis: das schöne Stück Volksmusik
Das schöne Stück Volksmusik ist ein Remix von den Biermösl Blosn und heißt: "Wo samma". Leider nicht auf YouTube verfügbar.
tt15, Lächerliche Finsternis: surreale Reise in die eigenen Innereien
Also ich finde diese Art der "anderen" Theaterkritik mal ganz interessant. Warum sollte denn noch einmal eine konventionelle Kritik hier stehen zu Sachen, die man ja eh schon auf Nachtkritik nachlesen kann? Ansonsten sehe ich die Gedanken zur "Lächerlichen Finsternis" ganz ähnlich. Des angedeuteten Blackfacing hätte es sicher nicht bedurft. Ich deute es aber auch eher als einen Anklang an Coppolas Film, in dem sich am Ende Lance B. Johnson als Zeichen des langsam eintretenden Wahnsinns mit Kampftarnfarben im Gesicht bemalt. Auch die DT-Inszenierung hat das ja so ähnlich drin. Sehr schön auch die Idee, die Reflexionen von Lotz über sein Gefühl, über Dinge zu schreiben, die einem „fremd“ sind, in der sogenannten Pause mit sprechen zu lassen. Oder etwa die Frage der Mutter an Lotz: "Und es kommen keine Frauen vor?" Das löst Pařízek ja sehr schön, indem er alle Rollen von Frauen spielen lässt. Insgesamt eine große surreale Reise in die lächerliche Finsternis der eigenen und europäischen Innereien, die - wie so oft im postmodernen deutschen Drama - in den eigenen Darmwindungen kreist. Hier aber eben auf eine sehr ironisch lustvolle, poetische und auch selbstkritische Weise.
tt15, Lächerliche Finsternis: aus belangloser Vorlage Bestmögliches gemacht
Dass die Uraufführung von Dušan David Pařízek am Wiener Burgtheater nicht ganz so seit an der Oberfläche surft wie Daniel Löffners Versuch an den Kammerspielen des Deutschen Theaters, liegt am komödiantischen Talent von Stefanie Reinsperger, die es versteht, aus der grotesken Vorlage subtileren Witz herauszukitzeln.

In Erinnerung wird außerdem die Einlage in der Pause bleiben: die Schauspielerinnen bleiben auf der Bühne, zerlegen das Interieur mit Kettensägen und Maschinen und trällern dazu The Lion Sleeps Tonight. Mit der Besetzung aller männlichen Figuren – vom diplomierten Piraten mit Stipendium der Studienstiftung des somalischen Volkes über den Hauptfeldwebel mit seinem Unteroffizier bis zum Missionar und dem italienischen Blauhelm-Soldaten – durch vier Frauen entsteht eine weitere ironische Brechung. Pařízek und seine vier Schauspielerinnen machen aus einer belanglosen Vorlage das Bestmögliche.

http://kulturblog.e-politik.de/archives/24906-theatertreffen-fazit-2015-lina-beckmann.html
tt15, Lächerliche Finsternis: für Kinder
Ein Abend für Kinder.
tt15, Die lächerliche Finsternis: auf der Höhe der Zeit
@6: Richtig, und zwar einer der tiefgründigsten, humorvollsten, dialektischsten, die ich je sah. Danke, Wolfram Lotz, danke lieber Dusan David Parizek, danke, liebe Damen Reinsperger, Hartinger, Hamann, Striebeck. Zeitgenössische Dramatik auf der Höhe der Zeit, in Text und Umsetzung. Einige der großen Fragen mit Verve und Ernsthaftigkeit auf die Bühne zu bringen, das ist rar. Sie verführen meine Gedanken. Und das soll Theater leisten.
tt15, Die lächerliche Finsternis: Konstrukt krachend eingerissen
s geht um uns, in uns ist diese Finsternis, die hier reproduziert und nicht reproduziert wird, die Behauptung ist und doch – irgendwo, überall – auch Wirklichkeit. Der somalische Pirat, der seine Geschichte erzählt, sein Freund, der am Ende sein Recht, von sich zu erzählen einklagt – und dem Pařízek sinnigerweise Worte auf Lotz’ “Rede zum unmöglichen Theater” in den Mund legt – bevor er zum Schweigen gebracht wird: Sie sind natürlich weiße Mittelstandsprojektionen, ihre Stimmen – wie im Fall des wienerisch parlierenden Piraten – unsere. Dieser privilegierten Sicht ist sich nicht nur der Text, sondern auch und gerade die Uraufführungsinszenierung jederzeit bewusst. Überall ist Ironie: im Text, der das Schlachten und Essen eines Huhns als Grausamkeitsritus parodiert und die kolonialistischen wie rassistischen Beweggründe der vermeintlichen Wohltätern ebenso entlarvt wie parodiert, in der Inszenierung mit ihren sächsischen und italienischen Akzenten, den aufgeklebten Bärten, dem halbherzigen Solidaritäts-Blackfacing, das doch nur westliche Hybris ist, was letztlich auch – und bewusst – für den Text selbst gilt. Lotz und Pařízek versuchen gar nicht erst, den Nicht-Gehörten eine stimme zu geben, weil sie wissen, dass es nur die eigene sein könnte, eine selbstgerechte, weiße Mittelstandsstimme. Und so reißen sie das selbstgebaute Konstrukt krachend ein, weil nur dieses Einreißen, das Zerstören des theatralen Versuchs das “unmögliche Theater” denkbar macht. Am Ende starren wir auf uns selbst und mit uns Autor und Regisseur. Und wir erkennen: Nichts. Außer der Notwendigkeit, weiter zu suchen, zu denken, Theater zu machen. Denn so lange wir Wände, Mauern, Grenzen einreißen, und sei es auf dem Theater, so lange können wir uns zumindest einbilden, die Wirklichkeit ließe sich verändern.

Komplette Kritik: https://stagescreen.wordpress.com/2015/05/15/die-welt-im-hacksler/
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