Kohlhaas Global

von Anne Peter

Berlin, 23. Mai 2015. Die Welt steht in Flammen. Die Kontinente brennen. Vor der in Brand gesteckten Weltkarte krümmt Thomas Wodianka sich übers Mikro, schießt seinen augenaufrissig-wütigen Wodianka-Blick ins Publikum, krächzt Paint it black! und würde wohl jeden Mick-Jagger-Überbietungswettbewerb gewinnen. Mach schwarz die Welt, die in Arglist versunken ist! Was einst zur Anti-Vietnam-Kriegs-Hymne taugte, fetzt hier und jetzt als Kleist-Revival-Song. Rock it, Kohlhaas!

Benachteiligungsklischee-Kanonade

Die Geschichte jenes gerechtigkeitsfanatischen Rosshändlers Michael Kohlhaas ist es, von dem aus dieser ideenschäumende, spielfreudesprühende und heftig beklatschte Abend im Berliner Gorki Theater Anlauf nimmt. Nach ihrer gefeierten Balkankriegs-Auseinandersetzung Common-Ground und der vergleichsweise nabelbeschaulichen Großstädter-Sex-Talkshow Erotic Crisis tänzelt die Hausregisseurin und unerschrockene Konfliktzonen-Bezwingerin Yael Ronen mit "Das Kohlhaas-Prinzip" wieder in Richtung Großthema: Gerechtigkeit, Rache, Selbstjustiz.

Kohlhaas 560a UteLangkafelMAIFOTO uBrandstifter oder Feuerwehrmann?  Kohlhaas-Variante von Thomas Wodianka  
© Ute Langkafel | MAIFOTO

Und wie so oft gelingt es ihr aufs Leichtfüßigste, das sich politisch gebärdende Theater in seinem Relevanzbemühen gleichzeitig zu verfertigen und selbstironisch auf die Schippe zu nehmen. "Vielleicht sollte ich etwas sagen, was 'ne wirkliche Bedeutung hat", räsoniert Dimitrij Schaad zu Anfang in einem scheinbar hinimprovisierten Monolog. "Wir sollten mal aufbegehren, wir sollten wütend werden!" Um kurz darauf seine Kollegen mit einer Kanonade aus schlimmsten Benachteiligungs-Klischees zu überfallen: "Jerry, wenn ich du wäre, ich wäre so sauer! So ein behinderter Schwarzer in diesem Land! Du musst ja andauernd diskriminiert worden sein."

Kohlhaas, der Fahrrad-Händler aus Friedrichshain

Nachdem Ronen einen derart am eigenen Vorurteilsschlafittchen gepackt und die moralischen Messlatten des Zuschauers schon gleich zu Beginn durcheinanderrüttelt hat, steigt Wodianka mit Pappsteckenpferd und ältertümelnder Perücke in die moralisch ebenfalls höchst schwierig zu sortierende Geschichte des Rosshändlers Kohlhaas ein und verwandelt sich flugs in einen Schrotthändler ... Fahrradhändler ... "Entrepreneur für elektrische Fahrräder".

Die zusammenkonstruierte, sich lose an Kleist-Parallelen entlanghandelnde Story, die von den fünf Spielern kollektiv erzählt wird, dreht sich um Wodiankas ökologischen Zweirad-Revolutionär, der samt (Puppen-)Sohnemann von dem mit Vitamin B vollgepumpten Milliardärssöhnchen Hajo von Tronka (Schaad schön kotzbrockig) über den Haufen gefahren wird. Er fordert Ersatz für sein zerschrottetes E-Bike samt Entschuldigung und wird vom Rechtsstaat ob massiver Korruptionsverfilzung ähnlich gefoppt wird wie Kleists Gewährsmann im 16. Jahrhundert von der adeligen Willkür.

Wutbürger, Justizopfer, Flüchtling, Terrorist

Gekreuzt wird das mit einer weiteren Kohlhaas-Variante um den palästinensischen Käsehändler Michail (in mehreren Rollen groß in Form: Taner Şahintürk), der von israelischen Grenzsoldaten schikaniert, um sein Auto gebracht wird und schließlich in Deutschland Asyl beantragt – wo sein Verfahren vorbei ist, bevor es angefangen hat, weil er nicht in dem ihm zugewiesenen Asylbewerberheim bleiben will, das von Neonazis belagert wird. Während der eine Kohlhaas aus Prinzip zum Terroristen wird, versucht der andere, aus existentieller Notwendigkeit heraus die eigene Haut zu retten – welch Luxusproblem ist die Fahrerflucht im Vergleich zum illegalen Flüchtlingsdasein. Oder? Ist Wodiankas Kohlhaas jener Wutbürger, der seinen Hintern nur hochkriegt, wenn's vor der eigenen Haustür ungemütlich wird?

Heike Schuppelius' Bühne besteht aus einem Haufen hingeworfener Auto- und Fahrradteile, die für windeseilige Spielsituationen diverser Art taugen. Mal bebildern die Autotüren den Stau vor dem Checkpoint, mal wird eine als Anwaltsschreibtisch aufgebockt. Stimmungsverstärkend wirken Hanna Slaks Videobilder und die tolle Soundspur, die Nils Ostendorf von den Stones über Elektro bis in rachelustige Western-Gefilde legt. Und dann wimmelt es auf der Bühne noch von schwarzen Raben, die als Metapher aller Erniedrigten und Beleidigten und als "invasive Spezies" speziell die Flüchtlingsproblematik ins aggressive Bild fassen.

Bitterer Ernst mit Amüsement-Faktor

Der Plot dient dabei vor allem Gerüst, an dem alle erdenklichen Gegenwartsprobleme und -problemchen in Form kabarettistisch zündender Kabinettstücke aufgehängt werden, in denen sich die Schauspieler karikierend durch verschiedene Rollen brillieren. Kohlhaas selbst ergeht sich zeitgemäß rechtschaffen im mülltrennenden Biobürgertum, protestiert als Stehender Mann vom Taksim-Platz, startet später eine Facebook-Kampagne, die nach seinem ersten Bombenanschlag auf das Soho-House 15.000 Likes zählt, während Attac und Blockupy via Twitter gratulieren und Spieler mit Guy-Fawkes-Masken durch den Bühnennebel robben. Ein assoziationsseliges Protestbewegungs-Potpourri mit hohem Wiedererkennungs- und entsprechendem Amüsement-Faktor.

Und doch schafft Ronen es, den Zuschauer Kohlhaas gegenüber in ein beständiges Hin- und Hergeworfen-Sein zwischen Identifikation und Distanzierung zu bugsieren. Bei all dem Herumgewitzel scheinen die aus Mai-Manifesten und Papstreden ersampelten Sätze wie "Die gegenwärtige Krise ist kein natürlicher Unfall!" und "Baut eine bessere Welt!" bitter ernst gemeint und gleichzeitig Ausdruck davon, dass alle Protestformen, alle Rebellenposen längst erprobt, bloß Zitat sind – und die Welt noch immer dieselbe ungerechte ist. Die Erkenntnis, dass auch unser Rechtsstaat heute von Vetternwirtschaft und Bestechlichkeit durchschlupflöchert ist, ist zwar keineswegs neu, aber immer noch erschreckenswert. Es ist jedenfalls längst auch unsere Hütte, die da brennt.

 

Das Kohlhaas-Prinzip
von Yael Ronen und Ensemble, frei nach Heinrich von Kleist
Regie: Yael Ronen, Bühne: Heike Schuppelius, Kostüme: Miriam Marto, Musik: Nils Ostendorf, Video: Hanna Slak, Licht: Hans Fründt, Puppenbau und Coaching: Ulrike Langenbein, Dramaturgie: Irina Szodruch.
Mit: Jerry Hoffmann, Cynthia Micas, Taner Şahintürk, Dimitrij Schaad, Thomas Wodianka.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, ohne Pause

www.gorki.de

 

Kritikenrundschau

Eine blitzgescheite, wirbelnde Performance über Political Correctness und Klischee-Zuschreibungen sei das, so André Mumot auf Dradio Fazit Kultur vom Tage (25.5.2015). Ob Deutschland die bestmögliche aller Welten sei, diese Frage werfe das Ensemble schon zu Beginn der Premiere im Berliner Gorki-Theater auf. "Grandios ist das, absolut hinreißend – besser noch im Grunde als das, was kaum weniger virtuos darauf folgt". Es fehle das verzweifelte, selbtsironische, lösungslose Hin und Her, "dafür setzt es umso mehr Aktion und Humor, jede Meneg kurzweilige Momente, in denen das feuereifrige Ensemble nur allzu gern seine Glanzstücke abliefert. Pralles, hyperaktives Volkstheater ist das – so mitreißend, dass einem schwindlig werden könnte."

"Ronens theaterselbstkritischer Humor ist wahrscheinlich die klügste Haltung, wenn es darum geht, mit derben Zügen, mit Anklängen ans Kabarett aus dem Kleistschen 'Kohlhaas' Bauanleitungen für zeitgenössische politische Revolten zu entwerfen", findet Eberhard Spreng im Deutschlandfunk (24.5.2015). Sie benutze das Stück als dramatisches Skelett, dem sie ein heutiges Themenkostüm überwerfe und lasse in der Frage nach der biografischen Legitimation von gewalttätigem Widerstand ihre israelisch-palästinensische und ihre deutsche Lebenswelt aufeinandertreffen. "Als Politkabarett, lustig buntes und ziemlich lautes Sittenbild und mit Schauspielern in einer revoluzzenden Jungmännerpose, wie es so nur am Gorki zu sehen ist."

"Yael Ronen, die ihre Stücke stets zusammen mit den Schauspielern entwickelt und dabei auch diesen kreativen Prozess mitreflektiert, hat die diesmal die Pferde durchgehen lassen", meint Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (26.5.2015). "Weil so viele Funkenflug-Einfälle und verblüffende Querschläger rübergebracht, so viele verschiedene Typen karikiert werden müssen und darüber hinaus auch noch alle Nase lang das sperrige, aus illustrativem Schrott bestehende Bühnenbild kompliziert umzubauen ist, bleibt wenig Raum für Figuren, Spiel und moralische Irritation." Bei aller fantastischer Überfrachtung und bei aller verzweifelten Albernheit sei zu verbuchen, "dass die Inszenierung in dem Drang, alles auf einmal zu erzählen, auf dass des Zuschauers Nerven explodieren, doch ziemlich nah bei Kleist landet."

Gar nicht amüsiert ist Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (26.5.2015): Ronen schmeiße sich mit ihrem fünfköpfigen Ensemble schamlos ans Publikum heran und setze voll auf ökologisch-populistische Comedy. Am Ende versinke "das biologisch-dynamische Gutmenschentum, mit dem Kohlhaas bei Yael Ronen in knapp zwei Stunden abgespeist wird, in saurem Kitsch – und in rührseligem Studententheater, in dem viel geulkt, aber wenig gedacht, viel gebrüllt, aber wenig gespielt wird: Klamauk ja, Kleist kaum".

Anders als in "Common Ground" arbeite Ronen beim "Kohlhaas-Prinzip" nicht mit den Biografien der Schauspieler, sondern werfe gemeinsam mit ihnen bewusst alles umstandslos in den "Kohlhaas"-Topf, was so an Ungerechtigkeitsstereotypen und Widerstandsposen im zeitgenössischen Bewusstsein herumschwirrt, berichtet Christine Wahl im Tagesspiegel (26.5.2015). Ihr Fazit: "Wohl war: Wohl dem, der Widerspruch und Revoluzzer-Pose, Protest und Protestfolklore anno 2015 auseinanderzudividieren vermag!"

Ronen verstehe sich darauf, sich hochpolitischen Stoffen mit Leichtigkeit und Selbstironie anzunähern, so Mirja Gabathuler in der tageszeitung (26.5.2015). "Die Kernfragen von Kleists Novelle verlieren durch die bewusst eingesetzten ironischen Brechungen aber nicht an Sprengkraft, scheinen die Zuschauer dadurch sogar unvermittelter zu treffen."

In der Süddeutschen Zeitung (27.5.2015) schreibt Peter Laudenbach: "Die Inszenierung gibt sich diffus radikal – sie bedient aber nur die üblichen Ressentiments. Dass der Abend als gekonnt inszenierte Farce, als fröhlicher Klassenkampf-Boulevard trotzdem funktioniert, verdankt er der tollen Spielfreude der Schauspieler." Selbstironie werde zur Selbstfeier und das Spiel mit der Authentizität zum Kalauer. Ziemlich platt sei der " Versuch, die Klassengesellschaft im Straßenverkehr zu entdecken oder den Rechtsstaat mit feudalen Herrschaftsverhältnissen gleichzusetzen." Es gehe auch nicht um etwas anderes als um "eine Bebilderung von Klischees, der Kleist höchstens als Stofflieferant dient".

Nach einem furiosen Auftakt geht dieser Abend für Dirk Pilz in der Neuen Zürcher Zeitung (30.5.2015) nicht recht auf. Ronens Kohlhaas kenne "einzig irdische Ungerechtigkeit. Was bei Kleist ein aufschlussreich unlösbarer Konflikt ist, wandelt sich bei Ronen zum knalligen Prinzip. Es lautet: Aus Ungerechtigkeit erwächst Fanatismus, Gewalt, Mordbrennerei." Der Held des Abends sei "hauptsächlich damit beschäftigt, wider das Gefängnis seiner eigenen Prinzipienreiterei zu wüten statt gegen die Ursachen der Ungerechtigkeit. Er wird zum Genarrten der gesellschaftlichen Verhältnisse – und der Zuschauer bleibt schlicht Voyeur einer schön anzuschauenden Entsetzlichkeit."

 

Kommentare  
Das Kohlhaas-Prinzip, Berlin: mit Verlaub
Oben ist alles ge- und beschrieben. Der Abend ist - mit Verlaub- einfach nur geil!
Das Kohlhaas-Prinzip, Berlin: äußerst kurzsichtig
Einspruch, euer Ehren. (1)

„Der Plot dient dabei vor allem (als [sic]) Gerüst, an dem alle erdenklichen Gegenwartsprobleme und -problemchen in Form kabarettistisch zündender Kabinettstücke aufgehängt werden. Ein assoziationsseliges Protestbewegungs-Potpourri mit hohem Wiedererkennungs- und entsprechendem Amüsement-Faktor.“ Was hier von Anne Peter so hoch gelobt wird, ist m. E. aber auch das große Manko des Abends, der über diese Mätzchen hinaus keinerlei echte Haltung zeigt. Als wenn es Bücher wie „Der kommende Aufstand“ oder „Empört Euch!“ nicht gegeben hätte. Und Organisationen wie Blockupy, Attac oder Wikileaks nur Ansammlungen von Wutbürgern wären. Eigentlich ein Schlag ins Gesicht echter Bürgerempörung und -bewegtheit angefangen von Aktionen gegen den Nato-Raketenbeschluss über Atomkraft Nein danke bis zu den Ostermärschen der 1980er Jahre, die viele nur noch vom Hörensagen kennen. Über die 68er will ich gar nicht erst reden. Wahrscheinlich geht es uns wirklich zu gut. Das macht der Abend ja wenigsten einigermaßen deutlich.

Das Runterbrechen von Kleists Kohlhaas auf einen Latte trinkenden Ökofaschisten in Radlerhosen aus Friedrichshain, der im Internet zu Gerechtigkeits-Kampagnen aufruft und damit einen infernalischen Flächenbrand auslöst, ist aber ein ziemlich schlechter Witz. Also mich bugsiert da nichts in irgendeine Identifikation oder Distanzierung zu dieser Person, die in ihrer Überzeichnung eher bedauernswert ist. Ich will nicht sagen, dass wir uns an der Entertaste des Computers nicht alle mal abreagieren würden. Brennende Autos und ähnlich Gewaltaktionen gibt es ja auch. Wir regen uns mehr über Prenzlschwaben, laute Biergärten, Bahnstreiks oder die allgemeine Gentrifizierung auf, als über Flüchtlingsprobleme oder Machenschaften von Geheimdiensten. Dass das aber wiedermal nur in eine Frage nach der Gewalt mündet und schließlich in die Nähe der R.A.F. gerückt wird, ist äußerst kurzsichtig und zeugt nicht von einer dialektischen Denke, wie sie z.B. Stéphane Hessel einfordert.
Das Kohlhaas-Prinzip, Berlin: wo das Denken einsetzen muss
Teil 2:

Interessanter Weise macht Yael Ronen nebenbei noch eine zweite Baustelle auf, in der ein entrechteter Palästinenser namens Michail aus Israel nach Berlin flieht, dem Wutbürger Kohlhaas als Zeuge seines Unbills zufällig über den Weg läuft und schließlich in einer Geheimdienstposse (erst israelischer dann deutscher Art) als Sündenbock herhalten muss. Dem kommt dann auch, wenn die Bomben vor dem Soho-Haus explodieren, plötzlich alles so bekannt vor. Wow, wie provokativ ist das denn? Na ja, leider wird dieser Plot nicht wirklich weiter verfolgt, dazu hätte es einer guten, plausiblen Story bedurft, die Fragen unserer tatsächlichen Verfasstheit betrifft. Und hiermit meine ich durchaus auch ein Nachdenken über die Buchstaben des deutschen GG. Das hat Anja Gronau mal anhand des Kohlhaas‘ sehr schön in ihrem Theatersolo „Kohlhaas. Hiermit kündige ich als Staatsbürger“ getan.

Natürlich lässt es sich in Deutschland als unbescholtener, rechtschaffender Bürger relativ unberührt von den Sorgen der Welt recht gut leben. Niemand wird das ernsthaft in Frage stellen. Das ist dann vielleicht auch der Punkt, wo das Denken einsetzen muss, und nicht beim Streit BMW-Schlitten mit Pandafell versus kaputtem E-Bike. Rachefabel hin oder her, der Kleist`sche Kohlhaas zweifelt neben der Absurdität einer kleinstaaterischen Anmaßung von Recht und Bürokratie (Da gibt es sicher auch Parallelen ins Heute. Der Ausflug an den israeleichen Checkpoint oder die Ignoranz deutscher Polizeibeamter lässt das zumindest erahnen) auch die allgemeine, gottgewollte Rechtsordnung seiner Zeit an. Das betrifft dann schließlich den Landesfürsten selbst und da hörte der Spaß bekanntlich auch bei Luther auf, der mitnichten ein pazifistischer Einbeter war, und wenig zu tun hat mit dem von Yael Ronen herbeizitierten US-amerikanischen Bürgerrechtler gleichen Namens M. L. King und dem Begründer des passiven Widerstands Mahatma Gandhi, die hier den außer Kontrolle geratenen Eiferer mit den Worten des Reformators aus Kleists Novelle zur Ordnung rufen wollen.
Das Kohlhaas-Prinzip, Berlin: mitreißend
Kann mich nur anschließen: Hammergeiler Abend! Spannend, virtuos, soghaft schnell, oft saukomisch und dann wieder berührend. Einfach mitreißendes Theater!
Das Kohlhaas-Prinzip, Berlin: großes Kompliment
Wow. Die Energie dieser Inszenierung ist schlicht unglaublich. Fünf Schauspieler-/ innen erzählen in Hochgeschwindigkeit und einer riesigen Spiellust die Geschichte von Michael Kohlhaas, dass man hinterher trotz der Monströsität allen, ziemlich beseelt nach Hause geht. Ob nun jede einzelne "Übersetzung" adäquat in ihren Mitteln ist, sei dahingestellt. Alles fügt sich dennoch und scheint stimmig. Ein großes Kompliment. Ein sehr großes!
Das Kohlhaas-Prinzip, Berlin: Tortur
Es hat etwas von einer Tortur. Erzähltheater mit erschreckend platten Texten, sprachlich und inhaltlich eine Qual. Ich frage mich, wie man auf die Idee kommen kann, den Namen eines der größten Werke deutscher Literatur als Titel für die eigenen sprachlich und konzeptionell unbeholfenen Schreibversuche zu verwenden. Ein Lichtblick sind, das muss man sagen, die Schauspieler, auch wenn Ihnen mit diesem Stück nicht die Chance eingeräumt wird, sich zu entfalten. Sorry!
Das Kohlhaas-Prinzip, Berlin: nicht von Kleist
Da es sich hier um "Das Kohlhaas- Prinzip" handelt, sollte man nicht "Michael Kohlhaas" von Kleist erwarten, Hergott.
Das Kohlhaas-Prinzip, Berlin: den Vorbildern nicht gewachsen
Schon zu Beginn wird klar, dass Yael Ronens sehr freie Auseinandersetzung mit Kleists berühmter Novelle nicht so wohltemperiert ablaufen wird wie Laurent Chétouanes Choreographie "Considering", die vom selben Autor inspiriert war. Dimitrij Schaad nuschelt einige Sätze aus Kleists Michael Kohlhaas und fällt dann im doppelten Sinn aus der Rolle: Breitbeinig stellt er sich hin und verkündet im Brustton der Überzeugung, dass mit seinem geballten Talent hier niemand mithalten könne. Einen nach dem anderen nimmt sich der Dimi vor und knallt den Kollegen im jovialen Ton Unverschämtheiten voller garstiger Klischees über Migranten und andere Minderheiten an den Kopf: der Jerry, die Cynthia, der Taner und der Thomas – das seien ja alles nur Loser. So markiert der Dimi sein Revier und wirft seinen Hut in den Ring: Wer ist die coolste Rampensau des Gorki-Ensembles?

Die Samthandschuhe sind ausgezogen, das Spiel kann beginnen: den Kohlhaas gibt es hier gleich in doppelter Ausführung. Mit der Obrigkeit legt sich sowohl ein E-Bike-Verkäufer aus dem Friedrichshain als auch ein Schafskäse-Händler aus Ramallah an. Der eine wird von einem BMW, der mit allen Extras ausgestattet mehr einem Panzer als einem herkömmlichen Auto gleicht, gerammt und sein Sohn dabei verletzt. Der andere Kohlhaas wird an einem Checkpoint der israelischen Armee aufgehalten, in ein kafkaeskes Labyrinth aus Anträgen und Formularen geschickt und schließlich ins Gefängnis geworfen. Da er später mit einem Visum nach Deutschland einreist, kreuzen sich die beiden Kohlhaas-Erzählstränge in Berlin. Ab dieser gewagten Volte wackelt das Erzählkonstrukt teilweise bedenklich, fliegt Ronen und ihrem Ensemble aber nicht um die Ohren.

Es ist jetzt ohnehin Zeit, das Tempo noch mal gehörig anzuziehen, findet Yael Ronen. Sie bringt nicht nur die schon erwähnten aggressiven Raben ins Spiel, die schon längere Zeit mehr oder minder dezent als Videoprojektionen über die Wände flimmerten, sondern sprintet rasant durch immer neue Verästelungen ihres Plots, bis sie bei zwei weiteren großen Auftritten ihrer Schauspieler landet. Der eine gehört Cynthia Micas, die fest entschlossen ist, Timo Weisschnur nach seiner jüngsten Superhelden-Performance in der Box des Deutschen Theaters den Fehdehandschuh hinzuwerfen: Wer schwingt sich eleganter von der Decke? Sie in ihrem schwarzen Batwoman-Kostüm oder er mit dem Veto-V auf der nackten Brust?

Der zweite große Auftritt vor dem Finale gehört Thomas Wodianka: er lässt die Pappbühne in Flammen aufgehen und tigert in bester Mick Jagger-Manier mit seinem Paint it black-Solo über die Bühne. Gut gekontert im Wettstreit um den Titel, wer sich als coolste Rampensau des Gorki-Ensembles bezeichnen darf! Die Jury plädiert auf Unentschieden.

“Total durchgeknallter Abend” seufzt eine Besucherin nach dem Schlussapplaus. Aber nach dem lautstarken Beifall zu urteilen, ist die Mehrheit damit sehr glücklich. Endlich, endlich sind wieder der Schuss Anarchie und die überschäumende Spielfreude am Gorki zu erleben, die das Haus in der ersten Spielzeit unter der neuen Intendanz von Shermin Langhoff so interessant machten, an einigen Abenden zuletzt aber vermisst wurden.

Dieses Feuer, das "Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen", "Small Town Boy" und mit Einschränkungen auch "Common Ground" zu Theaterereignissen machte, springt auch auf "Das Kohlhaas-Prinzip" über. Dass der Abend diesen Vorbildern dennoch nicht ganz gewachsen ist, liegt daran, dass er die zahlreichen politischen Probleme, die er kurz antippt, nur streift, ohne sie so strukturiert zu vertiefen, wie es die genannten Abende auszeichnete.

Vollständiger Text hier: http://kulturblog.e-politik.de/archives/25057-yael-ronens-das-kohlhaas-prinzip-am-gorki-stinkbomben-aufs-soho-house-schikanen-am-israelischen-checkpoint-und-ein-bisschen-kleist-ergeben-eine-explosive-mischung.html
Das Kohlhaas-Prinzip, Berlin: welches Prinzip
was ist ein PRINZIP? wodurch begründet sich das hoheitliche DAS? warum hießen die anderen abende nicht: das Nibelungen Prinzip, das Kirschgarten Prinzip usw?
Kohlhaas-Prinzip. Berlin. Titel-Vergleich
Warum hieß der Geizige bei Laberenz am DT nicht " Das Geizigen- Prinzip"? Oder Hartmanns Woyzeck "Das Woyzeck- Prinzip"?? Oder Ostermeiers " Hamletprinzip"?
Kohlhaas-Prinzip, Berlin: wirkt wie Projektantrag
Die Inhalte der Stücke am Gorki lesen sich langsam wie Projektanträge für eine dieser diversen Stiftungen. Und was ist eigentlich mit so Grundsachen wie saubere Recherche: "Asylbewerberheim bleiben will, das von Neonazis belagert wird" - Hätte die Dramaturgin nur einmal die google-Machine angeworfen, da wäre klar geworden, die Heime werden nicht von Neonazis belagert, sondern, die stellen das Wachpersonal. Ich schlage vor, das Gorki sollte weniger auf Gerechtigkeitsrhethorik setzen, wirkt auf jeden Fall glaubhafter, bei allem Respekt für die Regisseurin - ihre Arbeit ist gute Kunst - nur bitte, Yael, such dir bei Gelegenheit auch mal ein anderes Team zusammen!
Das Kohlhaas-Prinzip, Berlin: Anliegen?
IM Unlustig, wer in Hellersdorf gewesen ist und die entsprechenden Fernsehbilder genauer betrachtet hat, kann zu keinem anderen Schluss kommen, dass das Heim von Neonazis belagert wurde. Was ist Ihr Anliegen? Sich an der einen Formulierung aufhängen und deshalb einen Austauch des Teams vorschlagen? Entschuldigung, aber das ist mindestens hanebüchen! Eher kleingeistige Pingelei.
Das Kohlhaas-Prinzip, Berlin: wunderbare Schauspieler
"Studententheater, in dem viel geulkt, aber wenig gedacht, viel gebrüllt, aber wenig gespielt wird: Klamauk ja, Kleist kaum."

Also wenig gespielt ist absoluter Hohn und Spott auf die grandiose Leistung der fünf wunderbaren Schauspieler. Mehr Spiel geht kaum. Frau Bazinger scheint auch nicht genau zu wissen, in welches Stück sie ging. Michael Kohlhaas von Kleist war nämlich mitnichten angekündigt. Eine offenkundig feindselige Kritik, die aber natürlich nicht sehr überrascht, sieht man doch von wem und für welche Zeitung sie geschrieben wurde.
Das Kohlhaas-Prinzip, Berlin: Hellersdorf-Chronik
@11:

Im Stück wird das Flüchtlingsheim Hellersdorf namentlich erwähnt

Eine Chronik der Ereignisse im Sommer 2013 ist z.B. hier zu finden: http://www.rbb-online.de/politik/thema/fluechtlinge/berlin/bildergalerie-chronologie-hellersdorf-hilft.html
Das Kohlhaas-Prinzip, Berlin: Bin ich Neonazi?
@Kritiker*innen: schlechte Recherche bleibt schlechte Recherche, ob nun mit oder ohne Hellersdorf. Und was ich nicht verstehe: was sind eigentlich neonazis?
Bin ich auch schon neonazis, wenn ich den flüchtlingen sage: kämpft in der heimat für den erhalt der heimat - macht dort klassenkampf, nicht bei uns?
Das Kohlhaas-Prinzip, Berlin: Zusammenhang Rüstungsgeschäfte
@ IM Lustig: Und da sehen Sie dann aber nicht den globalen (Wirtschafts-)Zusammenhang? Stichwort: Rüstungsgeschäfte, zum Beispiel.
Das Kohlhaas-Prinzip, Berlin: nicht Klischees recherchieren
@16: Inga, wollen Sie mir weismachen, dass jed*e(r) Bootsflüchtling aus Syrien, Eritrea, Südsudan usw. nach Europa kommt, insbesondere in unsere schöne deutsche Heimat, um uns, das deutsche Volk, in seinem Klassenkampf gegen Krauss-Maffei-Wegemann zu unterstützen? Ich meine, super, das ist erste Sahne, das unterstütze ich! Aber ist dem so? Das deutsche Volk scheint mir derart geschichtsvergessen, das Konzept Klassenkampf derweil komplett gestrichen scheint, aus Köpfen und Herzen! Und die Flüchtlinge - wissen die, was Klassenkampf überhaubt bedeutet? Den Migranten, denen ich im meinem persönlichen Alltag half, habe ich bislang Arschtritte für meine Hilfe zu verdanken, auf ihrem Weg in ein kleinbürgerliches Konsumdasein mit schräger Lobhudelei für ihre Flüchtlingsgeschichte! - Also Ronens Verdienst ist m.E. die Bühnenfähigkeit dieser Problematik, das ist unbestritten und verdient mein höchstes Lustempfinden, aber meine Kritik richtete sich schon in 11 an die Ausrichtung des Hauses, in persona der Dramaturgin: Recherche heisst auch, nicht Klischees recherchieren zu wollen. Und ich glaube nicht an den guten Deutschen. Und ich glaube auch nicht an den guten Flüchtling. Ich vermisse grundsätzlich, nicht nur am Gorki: Klischee ist Plastiktheater und verdeckt die Tragödie - es fehlt mir an analytischer Hellsichtigkeit, diese wäre dringend geboten.
Das Kohlhaas-Prinzip, Berlin: konkretes Beispiel?
@ IM....Was genau ist denn nun schlecht recherchiert worden? Geben Sie bitte ein konkretes Beispiel! Zur ihrer scheinbar rhetorischen Frage sollte besser keine Antwort gegeben werden. Die Inszenierung greift Motive aus Kleists Kohlhaas auf. U.a., dass einem Menschen seine Lebensgrundlage genommen wird und er im Folgenden weitere Verluste zu verkraften hat. Im Falle der Flüchtlingsfigur sein Käse und im weiteren die Freiheit selbst. Als Flüchtling in Deutschland/ Berlin angekommen wird er in das Asylbewerberheim in Hellersdorf verlegt, das nachweislich ( in der Realität) von empörten Anwohnern und aber auch Neonazis belagert wurde mit Schmährufen etc.
Wo genau ist schlecht recherchiert worden? Dass Forrest Gump nicht der Gründer von Apple ist, dürfte jedem klar sein. Und damit auch, dass eine rein fiktive Figur in reale Vorgänge des Lebens eingebettet wird, sowohl in Film als auch im Theater.
Das Kohlhaas-Prinzip, Berlin: Ist Kleist ein Klassenkämpfer?
@ IM Lustig: Es geht hier, bei Ronen, doch gar nicht um das "deutsche Volk" und/oder um "Klassenkampf". Und ist Kleist ein Klassenkämpfer? Wohl nicht. Ein Geflüchteter kommt nach Europa bzw. Deutschland und soll hier nun auch noch Klassenkampf betreiben? Verstehe ich nicht. Und warum sie "Arschtritte" von einem Migranten bekommen, das müssten Sie auch erstmal logisch herleiten. Er kommt doch wohl, weil ihm seine Lebensgrundlagen in seiner Heimat zerstört wurden/werden. Und das durch den globalen Kapitalismus, wozu auch Rüstungsgeschäfte gehören. Was hat das mit dem Thema "gut sein" zu tun?
Das Kohlhaas-Prinzip, Berlin: grausame Klischees
aha, "kämpft in der Heimat für Klassenerhalt...blabla"..Ihr Zitat....- was aber, wenn es "die Heimat" gar nicht mehr git? Wenn, wie in Syrien, es einfach weggeschossen wurde, mein Haus, meine beste Freundin auf der Demo neben mir plötzlich bei lebendigem Leibe abgeknallt , wenn ich in Pakistan knapp einer Kugel entflohen bin, wenn in Eritrea das Militär meinen Bruder erschlagen hat, wenn meine alleinerziehende Mutter verhungerte, und ich nur noch das Land verlassen habe, auf schnellstmöglichstem Wege mit bis zu 20000 Euro an Schleppergeld, um meine Haut zu retten, da ich sonst auch tot wäre? ....das sind alles wahre Geschichten , die ich hier erzähle, brandneu in den letzten fünf Jahren geschehen, und mir von Menschen (!) erzählt wurden, die im Schnitt in der Heimat reicher waren als der mittlere Kleinbürger hier, denen es nicht ums Geld , sondern um LEBENSRETTUNG ging..wie sollten die da in der "Heimat" um Gerechtigkeit kämpfen?? Hallo?? - Und wie sollten auch in der Vergangenheit Menschen in Deutschland kämpfen, die, ohne ihre Flucht ins Ausland, einfach vergast worden wären? Wie grausam waren damals Länder, die diese Menschen nicht aufgenommen haben (das gab es durchaus, z.B. die reiche Schweiz), will Deutschland mit SEINER, DIESER Vergangenheit sich da HEUTE ihrer Ansicht nach, einreihen...als IM Lustig??! Apropos IM: Was, wenn man Flüchtlingen aus der DDR, die z.B. aus politischen Gründen im Knast saßen, und freigekauft wurdne, einfach gesagt hätte: wir schicken Euch zurück , ihr sollt biite in der DDR weiterkämpfen..oder die an der Mauer angeschossen wurden...wunderbar, gute IDEE!! Bitte nachdenken, bevor Sie hier grausame Klischees verbreiten....-- daß es natürlich auch unter Geflüchteten wie unter allen Bürgern dieses Landes und auf der Welt auch welche gibt, die einfach sich NICHT für Politik interessierne und einfach existiere wollen (arbeiten, essen, wohnen, fernsehen etc), kann man auch nicht verwehren, es gibt immer solche und solche Interessen,denen Menschen nachgehen, das liegt in der Individualtät der Menschen begründet.
Das Kohlhaas-Prinzip, Berlin: Lage sehr viel schlimmer
@19: Ich sehe den globalen (Wirtschafts)zusammenhang und habe geantwortet. Ich denke sehrwohl, dass es bei Kleist und Ronens Gorkiinszenierung um das deutsche Volk geht, es geht auch um Klassenkampf, zumindest bei Kleist und seiner Übergangsgesellschaft von der Aristokratie zur Bürgergesellschaft, die heute das Gorki so aufrecht verteidigt und deshalb neulich sogar "unseren" Außenminister zum Gespräch auf der Bühne hatte, was gegen Wagner hübsch gedacht, war leider eher als Häckchen an der Bertelsmann-To-Do-List interpretierbar.

@18: Nun ist ja Hellersdorf repräsentativ für andere Flüchtlingseinrichtungen gedacht, im verlängerten Denkraum der Zuschauerschaft. Klar sind die Ostdeutschen in ihrer strammen pegidaneonaziusw. Haltung zu nennen. Ein Blick in die Biographien der Wachmannschaften hätte offenbart, dass die Lage sehr viel schlimmer ist, denn a) (das schreibt sogar die konservative Theaterpresse) handelt es sich bei dieser Gruppe um die abgehängten Ostdeutschen und b) blendet der Schluss auf die allgemeine Gültigkeit diesen Hintergrund aus. Das ist der Kern meiner Kritik. Es braucht keinen Dirk Laucke als Vorzeugeossi für Probleme in der Zone. Es braucht auch keine postmigrantischen Perspektiven für Probleme in den Ghettos. Wo ist der Unterschied zwischen Zone, Ghetto oder gated community/nation? Alle drei Wohneinheiten stellen unerträgliche Zustände dar. Die Arbeit am Gorki ist unbedingt zu begrüßen. Aber was dabei heraus kommt, wenn einseitig Migranten (und Westdeutsche zähle ich in Ostberlin aus sozialgeschichtlichen Gründen dazu) den Blick in die Zone schweifen lassen, dann kommt Plastik heraus, leider. Deshalb schlage ich mehr Zusammenarbeit vor, um die eigentliche Tragik der Ereignisse besser in den Blick zu bekommen.
Das Kohlhaas-Prinzip, Berlin: Tragödie braucht Empfindsamkeit, wenn sie Komödie sein möchte
@ 20: Also ich bin Bewohner der Zone und hätte gar keine 20.000 €, um mich auf den Weg zu machen. Mir bliebe nur die Bürgerwehr oder der Selbsmord, aber dazu habe ich keine Lust. Schön, dass Ihnen auffällt, wie viele in der Heimat reicher waren als der mittlere Kleinbürger hier. Vielleicht als Hintergrund: Ohne den Bürgerkrieg 1919 und den Sieg der Sowjetunion hätte es im NSW nach 1945 keinen Wohlfahrtsstaat gegeben, dessen Reste gerade abgebaut werden. Ich halte es für einseitig, nur auf diejenigen zu blicken, die durchs Raster einer nationalkaiserlichen oder später völkisch-nationalen Politik gingen, ins Exil, in den Tod. Mit der Mauer widersprichen Sie sich selbst (und wenn Sie der Dramaturgie des Gorki angehören, bitte lesen sie jetzt auch das als Kommentar zu Brauns Übergangsgesellschaft, und warum das nichts wurde), denn die galt als antiimperialistischer Schutzwall, Willi Seifert war in seiner Funktion zuständig für die Korrekte Anfertigung. Wer das in Buchenwald war, können Sie u.a. bei Semprun nachlesen. Es geht hier um eine Denkhaltung (nicht meine, die Seiferts - gut bei Müller: "So haben wir uns das vorgestellt in Spanien und Buchenwald") - das ist die wahre Kunst der Dekonstruktion, wollte man Ihr ästhetisches Programm irgendwie in Terme fassen, muss aber nicht sein. Und wissen Sie, es gibt auch in Deutschland Menschen, die in ihrer Familie sowohl Kriegsopfer auf Seiten der Wehrmacht wie auf Seiten der Alliierten, als auch Holocaustopfer haben. Ich bin so einer. Und auch einer, der einen freigekauften politischen Flüchtling vorweisen kann. Übrigens deshalb auch meine ethische Grundhaltung zur Unterstützung von Geflüchteten heute. Ich greife Sie, am Gorki, nicht persönlich an. Bloß ich wünsche mir, dass wir alle versuchen sollten aufeinander zuzugehen, ohne Ideologie und falschem Rauschempfinden. Ich kenne die deutsche Geschichte und die Mentalität zu gut, um sagen zu können: Sollte dies nicht gelingen, gibt es Bürgerkrieg. Und das gilt es zu vermeiden. Ich kenne niemanden in den deutschen Familien, die nicht Geliebte verloren haben, ohne Vater aufgewachsen sind. Wir sind empfindlich dafür, sehr sogar. Aber Tragödie braucht Empfindsamkeit, wenn sie Komödie sein möchte.
Kohlhaas-Prinzip, Berlin: auch Körper und Gefühl
Nein, ich bin nicht von der Dramaturgie des Gorki. Aber danke, daß Sie mir das unterstellen, das ist eine Ehre für mich. Aber ganz ehrlich: Sie sind viel zu kopflastig. Leben Sie!! Vergessen Sie mal die innere Ideologie! Intelligenz bedeutet, auch den Körper und das GEFÜHL mitzunehmen: Ich empfehle da als Lektüre: Hans-Joachim MAAZ: Der Gefühlsstau.
Kohlhaas-Prinzip, Berlin: nicht folgen
Es tut mir leid, aber ich kann weder Ihrer Argumentation folgen, noch mutet sie an wirklich etwas mit der Inszenierung zu tun zu haben.
Kohlhaas-Prinzip, Berlin: Trennung Ost und West
@ IM Lustig: Warum trennen Sie immer noch in West- und Ostdeutsche? Genau damit verhindern Sie, dass man versucht, Ihre Argumente nachzuvollziehen. Verhalten Sie sich auf diese Weise nicht auch ideologisch, wenn Sie versuchen, jeden Westdeutschen als solchen zu markieren? Natürlich sind Menschen nicht immer nur gut, sowohl länger in Deutschland Lebende als auch Geflüchtete. Robert Misik hat dazu auch schon viel Interessantes gesagt, allerdings bezogen auf Österreich. Aber in Kleists Kohlhaas geht es doch vor allem um die Frage, wie Gerechtigkeit zu erreichen ist, ohne andere und vor allem sich selbst damit zu zerstören.
Das Kohlhaas-Prinzip, Berlin: Kolonialgebiet Ost
@25: Gerechtigkeitsrhethorik ist etwas anderes als Suche nach einer gerechten Welt. Ich trenne solange zwischen Ost- und Westdeutschen bis in der Zone die Renten angeglichen, die Einkommen angeglichen sind, die westdeutschen Eliten, die hier überall nach '89 installiert, abgezogen sind usw. Darum geht es auch, wenn es um "Selbstzerstörung" bei Kleist geht, nämlich die Reduktion von einer ganzen Reihe hausgemachter Probleme westdeutscher Arroganz seit der Eroberung des Kolonialgebiets Ost auf eine Truppe abgehängter Neonazis, die vor irgendeinem Asylheim rumlungern. Das Gorki interessiert sich für Pathos, Schnellschüsse und Plastikwelten, nicht aber für Empfindsamkeit. Das kann nicht gehen, geehrte Inga.
Das Kohlhaas-Prinzip, Berlin: alles zu pauschal
@ IM Lustig: Okay, aber dann versuchen Sie mal, das alles gemeinsam mit Westdeutschen zu klären. Woran erkennen Sie eigentlich, wer wo geboren wurde bzw. gelebt hat bzw. lebt? Für mich gilt: Es funktioniert nur gemeinsam. Leben und leben lassen. Sie dürfen sich gern (gemeinsam mit mir) über Politiker aufregen, aber wenn Sie Menschen in Ihrem Bezirk meinen, da hört's bei mir auf. Es geht um Strukturen. In der DDR war auch nicht alles gut, weil von oben gelenkt. SED-Mist.

Ausserdem, ich kann mir vorstellen, dass Sie das als Metapher/Bild verwenden, aber "Kolonialgebiet Ost", das ist doch auch nicht ganz richtig. Ebenso wie der Vorwurf der "westdeutschen Arroganz", das ist mir alles zu pauschal. Klar ist auch mir die tatsächlich arrogante Treuhandpolitik bekannt. Aber bei einzelnen Individuen sollte man mit vorschnellen Begriffen vorsichtiger und - ja - empfindsamer sein.

Apropos, in den Ländern, wohin Sie die Geflüchteten zurückschicken wollen, gibt es zum Teil überhaupt keinen Wohlfahrtsstaat. Natürlich kann man sagen, man muss die Probleme vor Ort lösen. Aber wenn Kriege auch mit durch den Westen (Politik und Wirtschaft) ausgelöst werden?

Schließlich, sind Sie da nicht auch etwas empfindlich? Ich bin es ja auch, in Bezug auf die angebliche "westdeutsche Arroganz". Warum müssen Sie sich diesen Neonazi-Schuh anziehen? Ich bin mir sicher, dass die Inszenierung klar macht, dass nicht alle Menschen in der "Zone" Neonazis sind. Sondern dass es, ja, Sie erwähnen es, um die Abgehängten geht. Und das ist tatsächlich ein Problem. Und zwar global betrachtet.

Bach kam auch aus Ostdeutschland, nicht wahr? In diesem Sinne, mehr Empfindsamkeit.
Das Kohlhaas-Prinzip, Berlin: explosive Spiellust
Es wird zu sehr Off-Topic jetzt. Ich verstehe die Kritik am Flüchtlingsstrang nicht so recht. Er gibt doch ziemlich genau wieder wie es sein könnte. Dass Neonazis in Hellersdorf waren, ist unumstritten. Dass deshalb ein dort Untergebrachter sich weigert, weiterhin dort zu bleiben, scheint logisch. Was ich allerdings etwas schade finde, ist, dass diese Parallelgeschichte nicht recht weitergeführt wird. Nach der Verhaftung endet sein Weg. Schade. Das hätte man durchaus gern weiterverfolgt. Aber gut, die explosive Spiellust der Beteiligten ist sensationell.
Kohlhaas-Prinzip, Berlin: Widerspruch
Eine kurze Anmerkung zum Einsatz der Schauspielerinnen und Schauspieler: die Eingangs beschriebenen Benachteiligungs-Klischees stehen für mich im Widerspruch zur weiteren Besetzung: da spielt Jerry Hoffmann in kleinsten Nebenrollen und hauptsächlich den kleinen Jungen (als Puppenspieler) und Cyntia Micas läuft im hautengen Kostüm durch die Bühne, teilweise als Raabe (ein Tier-Werden als Fluchtlinie?). Entweder verpasse ich hier eine Metakritik an den Besetzungsstrukturen im Theater oder die Besetzungsstrukturen bleiben unsichtbar sichtbar auf der Bühne - und unkommentiert (und für mich ein großer Kritikpunkt an einem interessanten Abend).
Das Kohlhaas-Prinzip, Berlin: platte Analyse
So weit so gut: So lange der Abend Ernst und Satire im Gleichgewicht hält, folgt man ihm gern, denn faszinierend ist dieses Hochgeschwindigkeitstheater durchaus, einfallsreich sowieso, eines, welches das “Spiel” im Theaterspiel groß schreibt. Natürlich sind die Gleichsetzungen der modernen Geschichte mit jener von Kleist bemüht, plakativ und ein wenig denkfaul, ist manche Spielerei, etwa die, den Firmenpatriarchen als Wiedergänger von Kubrick’s Doktor Seltsam darzustellen, ein wenig albern, der Erkenntnisgewinn eingeschränkt. Und doch funktioniert der Abend als spielerisch satirische Erinnerung daran, dass sich schlechte Gewohnheiten doch so schnell nicht ablegen lassen, unsere Gesellschaft eben doch das eine oder andere von ihren Vorgängern geerbt hat, was sie eher hätte ausschlagen sollen. Nein, das Problem von Das Kohlhaas-Prinzip ist ein anderes. Zum einen übernimmt es wie bereits beschrieben den bevormundenden Gestus, den es kritisiert, fällt letztlich in seine eigene Klischee- und Vorurteilsfalle, statt die Dopplung der Kohlhaase zu einer multiperspektivischen Deutung zu nutzen, zum anderen nimmt es irgendwann die eigenen Thesen zu ernst. Gerade noch hat man belustigt über die Polizei- und Wutbürgerparodien gelacht, da erkennt man: Eigentlich meinen die das ernst, ist dieser Kohlhaas in all seiner Verbohrtheit doch nur einer, de keine Wahl hat, als die Welt anzuzünden, weil sie so verdorben ist.Und da fällt die ganze schüne Ambivalenz in sich zusammen und bleibt doch nur eine Gesellschaftsanalyse, die in ihrer Plattheit erschreckender wirkt als der Terrorist Kohlhaas. Aber wenigstens hatten wir Spaß.

Komplette Kritik: https://stagescreen.wordpress.com/2015/06/15/spiel-mir-das-lied-vom-klischee/#more-4563
Das Kohlhaas-Prinzip, Berlin: Besetzung / Besatzung
Ich finde die Inszenierung ziemlich ärgerlich, weil sie eine wenig durchdachte Melange an Klischees und Klamauk ist, eigentlich bar jeglichen wirklich interessanten Gedankens. Wie schon von anderen festgestellt, schmeißt sie sich an ein (ziemlich junges) Publikum heran, das nicht nachdenken, sondern bespaßt werden möchte. Die gilt leider auch für die Nachtkritik-Rezensentin. Einige Kritikpunkte im Einzelnen:
- Die Einseitigkeit der nebenbei vorgenommenen Darstellung des Nahostkonflikts (armer Palästinenser, bürokratisch-böse Checkpoint-Soldaten) grenzt an Antisemitismus und macht auch dramaturgisch kaum Sinn, da dieser Plotteil im weiteren Verlauf des Stücks zur Fußnote wird (Palästinenser bleibt Opfer nun der deutschen Gesellschaft bzw. Bürokratie, aber wird am Ende zumindest von Kohlhaas verschont).
- Die Willkür in der spätmittelalterlichen ständisch-feudalen Gesellschaft ist also direkt übertragbar zum modernen Rechtsstaat, weil dort Politik, Polizei, Justiz incl. anwaltlicher Vertretung alle untereinander und mit dem Geldadel in Totalität mafiös miteinander verstrickt seien. Das ist keine Gesellschaftsanalyse oder -kritik, sondern eine von jeder ernstgemeinten oder -zunehmenden Theorie oder Empirie unberührte boulevardeske Zuspitzung von Klischees:
- Die Inszenierung bebildert die ungefähre Dynamik in der Novelle mit einer zeitgenössischen Revoltenromantik incl. Facebook, Feueraction, Stones-Song usw. Das ist sicher teilweise mitreißend und unterhaltsam, aber ist relativ plumpe Aktualisierung statt Reflexion. Die Inszenierung zeigt null Interesse an Kleists Menschenbild.
- Die SchauspielerInnen sind oft mitreißend und spielfreudig, aber auch zwischen der pseudospontanem Anfangsimprovisation und der weiteren Inszenierung und Besetzungspolitik kann ich nicht viel Sinn ausmachen: Über Cynthia wird am Anfang gesagt, jeder denke an hartem Sex bei ihrem Anblick. Im weiteren Verlauf trägt sie meist einen sexy Catwoman-Suit und hat wenig Sprechanteile. So what? Warum nicht anders besetzen und inszenieren statt einmal kurz über Sexismus zu reflektieren?
- selbst die in den Rezensionen z.T. gelobte Schnelligkeit des Stücks kann ich nicht nachvollziehen: Nachdem klar war, dass die Ideen und Aktualisierungen ziemlich dumpf sind und die Kleist-Geschichte in der Eskalationsdynamik mehr oder weniger nachvollzogen und bebildert wird, fand ich es eigentlich nicht mehr spannend und habe ab und zu gedacht, dass es jetzt auch langsam zu Ende gehen könnte.
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