Farbenblind?

1. Juni 2015. In der Süddeutschen Zeitung (27.5.2015) beschreibt Joseph Hanimann die Auseinandersetzung um die keineswegs "farbenblinde" Besetzungspolitik im französischen Theater.

Die "Frage der Verwendung" weißer Darsteller in Rollen von Schwarzen und umgekehrt habe nun auch die "französische Theaterwelt" erreicht. In Frankreich, das als "ehemalige Kolonialmacht" Schauspieler "unterschiedlichster Hautfarbe" aufweist, stelle sich die Frage, "warum Schwarze nicht auch Hamlet, Don Juan, Antigone oder Phädra spielen" sollten. Schwarze Darsteller protestierten dagegen, immer nur "Diener oder Dealer" zu geben.

Drei verschiedene Handlungspraxen

Grundsätzlich gebe es dreierlei Ausgangssituationen, erläutere der Soziologe Éric Fassin: "Entweder befolgt man die Anweisung des Autors wie bei Genet oder Koltès oder man achtet nicht auf die Hautfarbe, wie Peter Brook dies tut oder man macht die Sache zum Reflexionsthema."

Stéphane Braunschweig, Direktor des Pariser Théâtre National de la Colline, konstatiere, Frankreich habe anders als die angelsächsischen Länder bisher kein "Colour Blind Casting", die Rollenbesetzung unabhängig von der Hautfarbe, praktiziert. Auch er selber habe sich bislang "vor solchen Fragen gedrückt".

Als Braunschweig das Nationaltheater Straßburg und die angegliederte Schauspielschule leitete, habe die Jury in Aufnahmeprüfungen bei jedem "nicht-weißen Kandidaten" besonders hingeschaut, "um kein Talent zu verpassen". Inzwischen bestehe an schwarzen Schauspielern "kein Mangel" mehr, doch blieben "Nicht-Weiße" auf den französischen Bühnen "auffällig unterbesetzt".

Aus eigener Kraft

Braunschweigs Nachfolger in Straßburg Stanislas Nordey habe am Pariser Colline-Theater einen "Fortbildungszyklus für nicht-weiße Schauspieler" eingerichtet. Bei einer Aufführung dieses Kurses im Colline-Theater hätten "nicht-weiße Schauspieler" ihre "Verachtung" für solche Initiativen bekundet und erklärt, "Schwarze könnten nur aus eigener Kraft ihren Platz auf den Theaterbühnen erobern".

Der Soziologe Éric Fassin plädiere dafür, im Theater weniger auf den "repräsentativen Anteil von Minderheiten auf der Bühne" zu achten als vielmehr darauf, welche "Realität dort hervorgebracht" werde. Wenn der große Schauspieler Sotigui Kouyaté als Prospero in Shakespeares "Sturm" unter Peter Brook aber mit der gleichen Selbstverständlichkeit hingenommen werde, mit der man Maria Casarès in der Inszenierung von Bernard Sobel als König Lear bejubelte, "sei viel getan".

(sz.de / jnm)

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