Ein Grinsen genügt 

von Georg Kasch

München, 6. März 2008. Wer ist Abulkasem? Die Frage stand schon Ende September im Raum. Beim 5. Wochenende der jungen Dramatiker wurde Jonas Hassen Khemiris Bühnenerstling "INVASION!" neben vier anderen neuen Stücken gekürzt in den Münchner Kammerspielen präsentiert. Nun erstand seine offizielle deutschsprachige Erstaufführung als letzte Premiere des hauseigenen Festivals "Doing Identity – Bastard München" im Werkraum. Auslöser für die paranoide Jagd auf Abulkasem ist ein Stück des schwedischen Schriftstellers Carl Jonas Love Almqvist.

Auf der Bühne stehen Jochen Noch und Sandra Hüller vor einer Wand aus Kartons und deklamieren Verse. Bis Papierkügelchen aus dem Publikum kommen, dann Stimmen. Erstaunlich, wie gut dieser alte Theatertrick noch funktioniert: Da drehen sich ältere Damen empört um, zischt jemand "Pssst!" Doch kaum stehen Oliver Mallison und Bernd Moss mit dunklen Vokuhila-Perücken und Jogginghosen auf der Bühne, ist klar, dass die Störer Teil der Fiktion sind.

Ein Stück Fernsehkritik
Denn nun tritt Abulkasem, dessen Name bei Almqvist fiel, seinen Siegeszug an. Unter den Jugendlichen, die die Theateraufführung störten, wird er zu einem Füllwort für alles: "Voll Abulkasem!" Einer der Jungs benutzt ihn bei einem Date spontan als Pseudonym, die genervte Angebetete verwendet ihn, um über ihre Lieblingsregisseurin zu sprechen, als ihr deren Name entfallen ist. Die Telefonnummer, die sie der Nervbacke gab, um ihn loszuwerden, gehört einem illegal eingewanderten Apfelpflücker, der sich von den Sprüchen Abulkasems auf seiner Mailbox verfolgt fühlt.

Zwischen diese Szenen hat Khemiri Expertenrunden geschaltet, die im Fernsehen die Existenz Abulkasems klären sollen. Dabei stellen sie sich einander komplett widersprechende Thesen von Wissenschaftlern vor. Alle Behauptungen und Namen sind auf A4-Blättern zusammengefasst, die die Experten in die fiktive Kamera halten. Als "Einblendung" wirkt das Ängste vor dem Eindringling schürende Blabla seriös – ein virtuoses Stück Fernsehkritik.

Zauberwort Distanz
Virtuos auch, mit welchem Tempo Jorinde Dröse und das Ensemble "INVASION!" präsentieren. Sie haben das Stück von erzählerischen Kapriolen wie platten Szenen befreit, um es innerhalb einer guten dreiviertel Stunde unter Hochdruck über die Bühne zu jagen. Im Vergleich zum September wirkt die Inszenierung nun konzentrierter, zielgerichteter.

Um was es bei allem Witz eigentlich geht, deuten bereits die eingeblendeten Aufnahmen von Überwachungskameras an. In der letzten Szene über einen sich selbst verstümmelnden Immigranten, die ganz ohne den Namen Abulkasem auskommt, ist jegliches Gelächter verstummt. Die quälenden Bilder verbrennender Haut lassen auch deshalb nicht los, weil sie vor der nun umgestürzten Kartonwand erzählt und nicht illustriert werden. Wie Distanz überhaupt das Zauberwort dieses kleinen, feinen Abends ist.

Auf den Punkt
Schon das Stück hält sich die Abbildung gekonnt vom Leib. So ist der Ghetto-Slang, den Jana Hallberg dem schwedischen Original nachempfunden hat, klar eine Bühnensprache, die nicht mit der Realität konkurrieren will. In Dröses Inszenierung blitzen unter den dunklen Perücken immer die blonden Haare der Schauspieler hervor. Oft werden die Szenen aus Sicht eines Protagonisten direkt ans Publikum erzählt, während die anderen erstarren. Ein Grinsen, das Drehen einer Perücke, wenige Gesten genügen, um Charaktere zu skizzieren, sie zu porträtieren und zugleich zu entlarven.

Wunderbar, wie die Lerngruppe der erzählenden Protagonistin als Grazien auf die Bühne trippeln und immer einer Meinung sind, diese aber minütlich ändern. Eine Glanznummer, wenn Jochen Noch in jener Perücke und Jacke, die Sandra Hüller in der Szene zuvor getragen hat, den depressiven Apfelpflücker gibt und Hüller seine schwedenblonde, dauerlächelnde, einfühlende Übersetzerin, die irgendwann beginnt, alle Klischees und Vorurteile zu reproduzieren, während Noch auf Englisch von Abba schwärmt.

"Doing Identity – Bastard München" stellte die Frage nach von Migration und Bastardisierung geprägten Identitäten. Khemiris tragikomische Abrechnung mit der Identitätszuweisung durch Klischees und Vorurteile setzt einen punktgenauen Schluss.

 

INVASION!
von Jonas Hassen Khemiri. Aus dem Schwedischen von Jana Hallberg
Regie: Jorinde Dröse, Bühne: Maren Geers, Kostüme: Sonja Füsti.
Mit: Sandra Hüller, Oliver Mallison, Bernd Moss, Jochen Noch.

www.muenchner-kammerspiele.de

 

Mehr zum 5. Wochenende der jungen Dramatiker, mehr zu Doing Identity – Bastard München.

 

Kritikenrundschau

Für Egbert Tholl (Süddeutsche Zeitung, 8.3.2008) ist dieser Abend "eine wunderbar fabulierende, durchgeknallte Entdeckung". Und das Stück ist ihm zufolge eine "furiose Farce", ein Text, der "in seiner grimmigen Hau-drauf-und-Schluss-Dramaturgie, die allerdings einzelne Szenen kunstvoll aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet, wie ein Film von Quentin Tarantino" daherkomme. Khemiri, schreibt Tholl, ist "ein Schwede mit tunesischem Vater, sieht aus wie eine Verheißung maghrebinischer Männerschönheit und hat ein äußerst entspanntes Verhältnis zu xenophoben Klischees. Ohne Scheu stellt er zwei Kanak-Sprak-Deppen auf die Bühne, für die Abulkasem zur Chiffre wird, einem Platzhalter, den man mit beliebigen Inhalten füllen kann". Dieser Khemiri schenke "den sprachlosen Migrantenkindern ein Phantasiewort für alles, was auf sie projiziert wird", nämlich das Wort Abulkasem. Und die Schauspieler? "Schlüpfen voller Freude in die verschiedenen Figuren und begeben sich als Expertenteam auf die Suche nach dem echten Abulkasem."

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