Presseschau vom 19. Juni 2015 – Die NZZ zur Diskussion um die mangelnde Diversität an Frankreichs Schauspielhäusern

Warum weiß?

Warum weiß?

Nach der Süddeutschen Zeitung berichtet nun auch Marc Zitzmann für die Neue Zürcher Zeitung (17.6.2015) über jüngste Diskussionen in Frankreich zu der Frage: "Warum sind die Bühnen der institutionellen Häuser im ganzen Land fast nur von weissen Schauspielern bevölkert?"

Auslöser der Diskussion war das Programm "1er acte" des neuen Straßburger Intendanten Stanislas Nordey: "Im ersten Jahr dieser Initiative erhielten einundzwanzig junge farbige Darsteller Schauspielunterricht. (...) Nordey begründet die Notwendigkeit dieser Art von positiver Diskriminierung mit dem grassierenden Rassismus in Frankreich."

Das koloniale Verhältnis zum "Anderen"

Bei einer Podiumsdiskussion, die eine Zwischenbilanz von "1er acte" ziehen sollte, sahen sich die Initiatoren von "Vertretern der 'Diversität'" heftiger Kritik ausgesetzt: "So gründe das Problem der Unterrepräsentation nichtweisser Schauspieler auf Frankreichs Bühnen in der mangelhaften Aufarbeitung der Kolonialgeschichte, behauptete die in Marseille etablierte franko-ivoirische Regisseurin Eva Doumbia, Wortführerin der Protestler im Saal des Théâtre de la Colline. Die (weissen) Initiatoren des Programms '1er acte' hätten noch immer ein koloniales Verhältnis zum 'Anderen'; sie seien sich des eigenen Rassismus nicht bewusst." Zitzmann sieht darin kein schlagendes Argument gegen Nordeys Initiative, da es pragmatischer sei, "in '1er acte' einen Schritt in die richtige Richtung zu sehen" als "die Behebung sämtlicher Missstände auf einen Schlag zu fordern."

Doumbia habe zudem behauptet, "das grösste Hindernis für das Verständnis einer 'institutionellen' Theateraufführung durch ein 'populäres' Publikum sei die Aussprache, die Phrasierung, die den Schauspielern in den Konservatorien antrainiert werde." Zitzmann entgegnet: "Eine problematische These: Das auf solchen Bühnen gesprochene Idiom ist per Definition eine Kunstsprache, die sich von der Alltagssprache abhebt. Doch Kunst vermittelt man nicht durch volksgerechte Vereinfachung, sondern indem man die Vertrautheit mit ihrer Künstlichkeit fördert."

Zitzmann räumt jedoch Folgendes ein: "Bevor sie Förderprogramme für angehende farbige Schauspieler lancieren, sollten Frankreichs Theater verstärkt jene beschäftigen, die bereits ausgebildet sind."

(wb)

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