Die ägyptische Stute küsst filmreif

von Alexander Jürgs

Mainz, 23. Juni 2015. Sie flüstern die Sätze, sie zischen es heraus: "How to become a diva?" "How to become a politician?“ Das ist es, worum es Claudia Bauer in ihrer Inszenierung von Shakespeares "Antonius und Cleopatra" geht. Ihre Herrscherin ist vor allem ein Sehnsuchtsobjekt, ein role model, eine Ikone – eine Monroe oder eine Madonna. Die ägyptische Stute wird sie hier genannt. Zu Beginn tragen die sechs frei durch den Stoff tigernden Akteure dieses Abends gediegene Sechziger-Jahre-Klamotten, die auch aus dem Fundus von John Cassavetes "Opening Night" stammen könnten. Ungelenk nehmen sie auf den rotgepolsterten Stühlen Platz und fangen an zu schwärmen. Von der Königin, der wirklich alles gut stehe: Schimpfen, Lachen, Weinen, und sogar der Makel.

Alles ist künstlich

Es wird unglaublich viel stolziert an diesem Abend. Und es wird unglaublich viel posiert. In abgehackten Bewegungen tänzeln die Darsteller über den mit Marmor-Imitat verkleideten Bühnenboden, nehmen schaufensterpuppengleich ihre Positionen ein. Wenn sie die Faust recken, ausholen und einen Schlag imitieren, dann erklingt aus den Lautsprechern ein Geräusch wie aus einem Computerspiel. Wenn sie sich küssen, dann ist das immer überdeutlich ein Filmkuss. Meistens sehen wir ihn deshalb auch gleich noch auf einer Videoleinwand oder auf einem Fernsehbildschirm.

Man versteht sehr schnell, welche Botschaft dahinter steckt: Alles ist künstlich, alles ist Pose, alles ist Inszenierung – die Liebe genauso wie die Politik. Deshalb fühlt man sich auch ein wenig wie in einem Einführungsseminar zum Poststrukturalismus, nur dass es hier komischer und unterhaltsamer zugeht.

Über die Details fegt Claudia Bauer hinweg

All die Details, die politischen Verstrickungen, die strategischen und militärischen Schachzüge, die von Shakespeare in seinem Stück, basierend auf Sir Thomas Norths Übersetzung von Plutarchs Parallelbiografien, minutiös ausgebreitet werden, bekommen in der Inszenierung so gut wie keinen Raum. Die Geschichte, die nach Julius Caesars Tod, zur Zeit des zweiten römischen Triumvirats, spielt, ist für Bauer eine Blaupause. Fest verteilte Rollen gibt es nicht. In gerade einmal etwas mehr als zwei Stunden eilt die Regisseurin durch den Stoff, der in der zweisprachigen Reclam-Ausgabe über 250 eng bedruckte Seiten füllt. Marcus Antonius heiratet Octavia, die Schwester seines Widersachers Octavius: Für eine halbe Minute erklingt Orgelmusik. Die Verhandlungen der römischen Herrscher mit Pompeius: Aus Plastikkanistern wird Wein getrunken, dazu läuft nun Tavernenmusik. Die Seeschlacht bei Actium: eine reichlich amüsante Angelegenheit in weiten Gewändern und mit klatschnassen Tüchern voll roter Farbe.

Antonius und Cleopatra 560 Bettina Mueller uLachen und Weinen stehen der Königin gleich gut: Anna Steffens in "Antonius und Cleopatra"
© Bettina Müller

Das ist hier tatsächlich alles erfrischend albern. Etwa auch die Szene, in der die Darsteller Sexinszenierungen nachspielen. Die Erregung, den Durchmarsch zum vermeintlichen Höhepunkt, imitieren sie ganz routiniert – aber auch ein wenig uninspiriert. Dabei dürfte es sich um eine Anspielung auf die Dreharbeiten zum legendären Kino-Blockbuster "Cleopatra" mit Richard Burton und Elizabeth Taylor, der 1963 herauskam, handeln. Die Hollywoodstars haben sich während des Drehs ineinander verliebt, waren damals allerdings jeweils noch mit einem anderen Partner verheiratet. Bei den Aufnahmen der Liebesszenen gaben sie sich der Legende nach deshalb besonders viel Mühe, unmotiviert zu wirken – um jeden Verdacht einer Liaison direkt zu zerstreuen.

Wenig überraschend: Politiker sind Rüpel

Immer wenn in Bauers "Antonius und Cleopatra" die Staatsmänner auftreten, dann wird das Licht kälter und die Darsteller tragen übergroße, schrill verzerrte Puppenköpfe. Ungestüm bewegen sich diese maskentragenden Weltlenker über die Bühne, ihr Text wird dann von den anderen Schauspielern gesprochen. Die Fratzenmänner polstern sich die Unterwäsche aus, prahlen mit ihrer Potenz. Sie brüllen, sie zetern, sie befehlen. Politiker sind machthungrige Rüpel soll uns das ganz unübersehbar sagen. Besonders subtil ist die Inszenierung in ihrer Kritik der Künstlichkeiten nicht.

Das ist leider auch das Problem des Abends: dass das Stück recht schnell anfängt, sich im Kreis zu drehen, dass mit immer neuen Szenen im Grunde doch immer wieder das Gleiche behauptet und erzählt wird. Bauers "Antonius und Cleopatra" bietet zwar eine ganze Handvoll starker Bilder, bleibt dabei aber immer vorhersehbar. Und deshalb letztlich harmlos.

 

Antonius und Cleopatra
von William Shakespeare
Deutsch von Jens Roselt, in einer Fassung von Claudia Bauer
Regie: Claudia Bauer, Ausstattung: Patricia Talacko, Musik: Smoking Joe, Licht: Sebastian Ahrens, Dramaturgie: Malin Nagel.
Mit: Lilith Häßle, Antonia Labs, Anna Steffens, Clemens Dönicke, Matthias Lamp, Henner Momann.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

 

Kritikenrundschau

"Rom und Ägypten sind vor einheitsgrauen Wänden unendlich weit weg", und die Geschichte verwirre sich mehr als sich zu erklären, schreibt Stefan Benz im Darmstädter Echo (24.6.2015). Der Abend liefere keine Antworten auf die Leitfragen, die er sich selber stellt. "Nur öden Jux."

"Trash-Theater (...) – aber durchaus amüsant" hat Jens Frederiksen gesehen und macht im Wiesbadener Tagblatt (25.6.2015) als "das wirklich Erstaunliche" daran aus: "Die Handlung kommt blitzsauber rüber." Die Aufführung vergehe flott, aber sie mache das Stück durch ihren "Mix aus Unernst und vorgeschützter Improvisation" auch klein. "Manchmal unnötig klein."

Kommentare  
Antonius und Cleopatra, Mainz: gescheiterte Parodie
Shakespeares ANTONIUS UND CLEOPATRA zählt ohne Zweifel zu den ganz großen politischen Tragödien in der klassischen Dramenliteratur. Und tatsächlich ist auf der Bühne im Kleinen Haus des Mainzer Staatstheaters - ohne wenn und aber - eine große, fulminat ausgestaltete Tragödie zu erleben!!! Denn wie Regisseurin Claudia Bauer verzweifelt darum bemüht ist, ihre zweistündige Spekatelshow zum provokanten Theaterskandal auszubauen... DAS ist eine wahrhafte Tragödie wie sie kaum größer sein könnte. Eifrig greift Bauer in die Materialkiste des Regietheaters. Alles ist dabei: Nacktszenen, errigierte Kunstpenisse, gleich zu Beginn alberner Gruppen-Sex, stoisch geleierter oder statisch rezitierter Text (teils mit Stimmverfremdung vie Mikrofon), viel Geschrei, literweise Kunstblut und Körperflüssigkeiten werden auf der Bühne verteilt und natürlich gibt es reichlich Videoprojektionen. Nur verfolgt Bauer mit diesen ganzen Zeichen keinerlei Ideen. Vielmehr wirkt es, als hoffe die Regisseurin auf ein Fleiskärtchen für jedes verwendete Stilmittel. Mal davon abgesehen, dass sich die Regisseurin für die Handlung des hier angeblich zur Aufführung gebrachten Dramas nichtmal oberflächlich zu interessieren scheint, ist der Abend in sich einfach eine viel zu beliebige Ansammlung theatralischer Ausdrucksmöglichkeiten. Jede einzelne Szene ist von so schematischem und klischeehaftem Aufbau, dass die gesamte Inszenierung stets völlig vorhersehbar ist. Um zu provozieren muss man als Regisseur Positionen (!!!) beziehen, Meinungen haben und verteten. Einfach 6 Schauspieler artifizielle Verrenkungen machen lassen und beliebig auf der Klaviatur des Regietheaters spielen provoziert nicht - das langweilt. Alles in dieser Inszenierung hat man schon gesehen - nur meist viel besser, akzentuierter in Szene gesetzt und damit tatsächlich provokant und in jener Provokation mitunter neue Sichtweisen auf eine bekannte Geschichte eröffnend. Diese Mainzer Inszenierung wirkt in ihrer ganzen Bemühtheit hingegen mehr wie eine gescheiterte Parodie auf die künstlerisch wertvolle Tradition des deutschen Regietheaters und ist damit letztlich genauso spießig wie die meisten anderen, brav vom Blatt abgespielten Schauspiel-Inszenierungen am Mainzer Staatstheater seit dem jüngsten Intendantenwechsel. Doch schließen wir positiv: Die Gattung wurde immerhin über Umwege eingehalten: ANTONIUS UND CLEOPATRA ist eine Tragödie - die Inszenierung des Mainzer Staatstheaters ebenfalls.
Antonius und Cleopatra, Mainz: explosive Hassliebe
How to become a diva? How to become a politician? Diese zwei Fragen dominieren Claudia Bauers Inszenierung von "Antonius und Cleopatra" im Staatstheater Mainz. Es wurde wieder in den Spielplan aufgenommen und läuft bis Februar. Für den Theatergänger ein Muss. Warum?
Weil Bauer die dramatische Wucht von Shakespeares Sprachkunst in eine neue Dimension hebt, die von sehr körperbetontem Spiel lebt und die technischen Möglichkeiten des zeitgenössischen Theaters gut ausschöpft. Das Ganze wirkt von Zeit zu Zeit geradezu durchgeknallt, obszön und vulgär, aber es verfremdet Shakespeares Intention nicht, sondern überträgt sie in eine alle Gefühle entblößende, unmissverständlich pathetische, aber keinesfalls künstliche Darbietung.

Die in die politischen Machenschaften der antiken Legenden Antonius und Cleopatra eingebundenen Figuren entblättern sich erst leise, dann ganz vehement als brachliegende Nervenbündel, die einfach nicht fassen können, was da vor sich geht, aber dem Treiben hilflos ausgeliefert sind: Lug und Trug, Verrat und Verkommenheit, Liebe und Leidenschaft, Sex und Hass. Cleopatra als Nabel der Welt mit schicksalsschwangerer, todbringender Launenhaftigkeit ohnegleichen wird vor allem durch Anna Steffens vortrefflich ins gleißende Licht des politischen Showbusiness gerückt.

Aber hier gibt es keine konsequenten Part-Zuweisungen. Alle spielen alle und jeder spielt jeden. Jens Roselts Übersetzung von Shakespeares Text wurde fragmentarisch in diese Bühnenfassung eingearbeitet, die zunächst als scheinbare Audition oder Lesung beginnt und dann in einem bedrückenden Bäumchen-wechsel-dich-Spiel gipfelt, infolgedessen man aber nicht den Überblick verliert, weil die Darsteller überzeugen, ohne sich dabei zu übertrumpfen. Und nicht immer darf sich ein Schauspieler so austoben wie bei Claudia Bauer: Hier wird sich entkleidet und wieder angezogen, hier wird mit Kostüm und Maske hantiert wie mit Pingpong-Bällen, hier wird sich beschmiert und bewässert. Schließlich sind da noch Fernseher und Leinwand, die das Spiel zur Seifenopern-Parodie ummünzen. Whisky, Glitzer-Lidschatten, schwarze Perücke, goldenes Kleid – ja, es erinnert an die Film-Cleopatra von 1963, und der Zusammenprall mit den römischen Machthabern an die Amour fou zwischen Elizabeth Taylor und Richard Burton. Der Verweis auf diese beiden Filmlegenden und ihre einzigartige Konstellation, an deren öffentlich zur Schau gestellte, explosive Hassliebe keines der vorigen, späteren und zeitgenössischen „Traumpaare Hollywoods“ heranreicht, ist charmant und verleiht der Inszenierung ihr I-Tüpfelchen.

Aber hinter all dem vortrefflichen Vorführen von gekünstelten, übertriebenen und triebgeleiteten Aktionismen verblassen die Persönlichkeiten der Figuren. Es wird zwar herausgeschrien und getänzelt, es wird bildlich verdeutlicht, welche Machtmensch die „dickeren Eier“ hat, und die zeitweilige Projektion eines Handelnden auf mehrere Darsteller vervielfacht den schrecklichen Aberwitz ihres Tuns. Während wir über all das lachen, oder uns manchmal das Lachen im Halse stecken bleibt, weil das Geschehen in teilweise zu große, schamlose Gebärden transportiert wird, fragen wir uns jedoch: Wer waren Antonius und Cleopatra? Wieso taten sie das, was sie eben taten? Weshalb hat sich Shakespeare ihrer angenommen und wie zeichnet er sie? Dies ist für den Zuschauer nicht mehr nachzuvollziehen, er erlebt ein krasses Machwerk, das ihn fast zwei Stunden lang fesselt und bei Laune hält, doch nicht an die Seele des Textes heranführt. Das ist nicht mehr Shakespeare im eigentlichen Sinne. Trotzdem: unbedingt ansehen!
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