Presseschau vom 22. Juli 2015 – Die Süddeutsche Zeitung legt noch einmal zur "Baal"-Debatte nach

Das Regietheater hat sich zu Tode gesiegt

Das Regietheater hat sich zu Tode gesiegt

22. Juli 2015. Nachdem die Theaterkritikerin der Süddeutschen Zeitung Christine Dössel vor einigen Tagen den Urheberrechtsstreit um Frank Castorfs "Baal"-Inszenierung noch einmal aufrollte (hier die Presseschau), legt heute der Literaturkritiker Christopher Schmidt an selbigem Ort zu selbiger Causa nach. Anders als Dössel, die sich für eine Reform des Urheberrechts im Geiste des neuen Regietheaters aussprach, kümmert sich Schmidt um die Autorenrechte.

Goethe und Schiller in ihren theaterpraktischen Bemühungen um texttreue Umsetzungen der Werke Shakespeares erscheinen Schmidt als Gewährsleute: "Ohne dieses Engagement im 18. Jahrhundert wäre das bürgerliche Theater mit seinen festen Bühnen, stehenden Ensembles und seinem Repertoiresystem überhaupt nicht entstanden. Das Autorenprinzip schränkt also die künstlerische Freiheit nicht ein, es ist vielmehr dessen Grundlage."

Mit Gründgens habe sich "Werktreue" als Mittel zum Schutz von Bühnenwerken gegen die Vereinnahmung durch NS-Hetze behauptet. Gegen die damit einhergehende "Illusion, es gäbe so etwas wie einen nicht-korrumpierten geistigen Glutkern der deutschen Kulturnation, der während der Nazi-Herrschaft unangefochten überdauert habe", sei das Regietheater seit den 1960er Jahren aufgetreten. "Allerdings hat sich auch das Regietheater irgendwann zu Tode gesiegt. Der Zwang, immer innovativ zu sein, zeitigt Ermüdungserscheinungen, Regisseure zweifeln, ob der andauernde Bildersturm noch der eigenen Markenbildung dient."

Vor diesem geschichtlichen Hintergrund wirkt die Debatte um Castorfs "Baal"-Adaption auf Schmidt "vor allem unzeitgemäß". Interessant sei sie allerdings, "weil sie ein Schlaglicht auf die schwindende Bedeutung des Autors im Gegenwartstheater wirft“. Auf dem Spiel stehe in dieser Debatte "die Tauglichkeit des Theaters als Reflexionsmedium, und diese ist nun mal ans Wort und damit an Autorschaft gebunden."

(chr)

Mehr lesen:

- Alles zum Urheberrechtsstreit um Baal

- Rupprecht Podszuns Genealogie "Nach Baal: Dürfen Regisseure remixen? Urheberrecht und Regietheater"

- Nachtkritik zu Castorfs "Baal" von Michael Stadler vom 15. Januar 2015

- Bericht von der Derniere beim Theatertreffen 2015 von Sophie Diesselhorst

 

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