Kolumne: Als ich noch ein Zuschauer war - Wolfgang Behrens über die Fallen des Sommertheaters und den grenzenlosen Masochismus des Publikums
Ufos auf Domstufen
von Wolfgang Behrens
29. Juli 2015. Gestehen wir es rundheraus: Der Kritiker freut sich auf das Sommerloch. Nach einer anstrengenden Saison lechzt er förmlich nach einer Theaterpause. Als ich noch ein Zuschauer war, war das freilich anders. Wie ein Süchtiger auf Entzug taumelte man im Sommer dahin auf der Suche nach einem ästhetischen Kick. Weil aber die Salzburger Festspiele zu teuer und überhaupt zu exklusiv waren und weil man bei den Bayreuther Festspielen länger auf eine Karte warten musste, als man überhaupt Zeitspannen zu überschauen in der Lage war, stocherte man orientierungslos im Sommertheater-Angebot seiner Region oder seines Urlaubsorts herum. Und im schlimmsten Fall tappte man hinein in die Fallen, die das Sommertheater stellt.
So geriet ich etwa einmal mitten im Juli im naiven Glauben an die Segnungen der Hochkultur in eine dieser "Jedermann"-Aufführungen, die in Großstädten grassieren und sich meist eine Kirche oder gar einen Dom als Unterschlupf suchen. Ein sogenannter Burgschauspieler oder ehemaliger Burgschauspieler, jedenfalls eine Größe, spielte den Jedermann, als Buhlschaft war eine B-Prominente vom Ohnsorg-Theater besetzt. Burg und Ohnsorg – man hätte misstrauisch werden müssen. Der Burgschauspieler jedenfalls tönte so hohl, wie ich es noch nie gehört hatte, und wurde von der Ohnsorg-Darstellerin regelrecht an die Wand gespielt. Seit diesem Abend halte ich – was sicher ungerecht ist – Hofmannsthal für einen gnadenlos überschätzten Autor.
Jene mit Ekel gepaarte Faszination
Ich habe später auch noch manches Mal auf Domstufen geblickt, auf die dann zum Beispiel ein Ufo herabschwebte und einen Fliegenden Holländer oder ähnliches Opernvolk ausspuckte. Einmal war ich auch Zuschauer in einer der notorischen Naturfelsenbühnen, wobei meine Begleitung und ich schon bei der Ankunft erschrocken feststellten, dass wir so ziemlich die Einzigen waren, die keinem Bus entstiegen. Das bemerkenswerteste Ereignis jenes Nachmittags war dann auch, dass knapp vor Beginn der Aufführung exakt vor uns eine alte Dame der Länge nach hinschlug. Sie wurde von ihren Freundinnen flugs wieder aufgerichtet und verfolgte blutüberströmt, aber völlig stoisch die Vorstellung. Die Leidensfähigkeit des Sommertheater-Publikums geht offenbar ins Unendliche ...
Wahrscheinlich ist das Wesen des Sommertheater-Publikums ohnehin der Masochismus. Und als Kritiker, also gleichsam als berufsmäßiger Sadist, tut man gut daran, sich ihm zu entziehen. Aber der Zuschauer in einem lässt sich ja nicht ausrotten, und ganz tief drinnen findet sich dann noch immer jene mit Ekel gepaarte Faszination für diese sommerlichen Events, die sich als Kunst tarnen und doch höchstens Spektakel sind. Apropos: Was macht eigentlich der Berliner-Ensemble-Eigentümer und Sommerschreck Rolf Hochhuth in diesem Sommer? Da wäre ich doch sehr neugierig, als Zuschauer und als Kritiker!
Wolfgang Behrens, Jahrgang 1970, ist Redakteur bei nachtkritk.de. Er studierte Musikwissenschaft, Philosophie und Mathematik in Berlin.
Für seine Kolumne Als ich noch ein Zuschauer war wühlt er in seinem reichen Theateranekdotenschatz – mit besonderer Vorliebe für die 80er und 90er.
Alle nachtkritik-Kolumnen hier. Zuletzt schrieb Wolfgang Behrens dort über "Regie-Rabauken" und das Für und Wider sprachlicher Entgleisungen.
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ein alberneres, unkonkreteres Gewäsch floss selten aus der Kritikerfeder. Nutzen Sie doch bitte das ersehnte Sommerloch zur Regeneration und nehmen Sie zur Weiterbildung ein Bändchen Alfred Kerr oder Ernst Schumacher in Ihr Urlaubsgepäck. Wir Sommertheatermacher orientieren uns jedenfalls immer an den Besten unserer Zunft, mit durchaus schwankendem, aber rezensierbarem Erfolg.
das Sommertheater ist sicher nicht für Sie gemacht. Also schreiben Sie besser nicht darüber. Vieles andere ist auch nicht für Sie gemacht, und Sie schrieben auch nicht darüber. Wenn Sie es doch tun, sollten Sie besser Respekt vor der Arbeit anderer haben.
mit freundlichen grüßen aus jagsthausen
mit freundlichen Grüssen aus Franken
Nun denn: Ich gelobe hiermit, dass ich wieder Zuschauer werde und mir noch in diesem oder aber im nächsten Sommer eine Freilichtaufführung ansehen werde. Und ich will versuchen, unvoreingenommen - als Zuschauer eben - an die Sache heranzugehen.
PS Was ist eigentlich mit diesen 62 Facebook-Likern der Kolumne? Warum schweigen die alle? Das macht mich ganz verzweifelt …
Sondern zur Ankurbelung von Tagestourismus, Unterhaltung von stationären Touristen, Marketingaktionen für die Region, Werbung für Kulturpolitiker und Präsentation von Gastronomie etc. Die künstlerischen Aspekte werden zumeist diesen Zielsetzungen total untergeordnet, oft ist die Akustik bzw. das technische Equipment mangelhaft, die Optik auf die Gegend, Fassaden etc. ausgerichtet. Nicht so sehr tönende Burgschauspieler sind das Problem dieser Spezies sondern – aus Gagengründen – unerfahrene bzw. unroutinierte Schauspieler, die mit diesen Situationen schlecht zurechtkommen.
So wie Heimatabende in den Skiorten mit Brauchtumspflege nichts mehr zu tun haben, haben manche dieser Aufführungen nichts mehr mit theatralen Ansprüchen zu tun. Allerdings sollten sie nicht SOMMERtheater genannt werden sondern TOURISMUStheater. Der Sommer kann nämlich nichts dafür.
Sie haben wirklich vollkommen Recht..!! ....
...alles nur mit mentalem Sonnenschutzfaktor 57 und einem Kopf voller hirnseliger Sonnenstiche zu ertragen....Schwitzende Grüße!
....
Dann in der Bildung Frohn,
bessrer Berater,
spielt mir der Lebenston
Sommertheater.
Da ward mir frei und froh
vor bunter Szene.
Liebte Madame Angot,
schöne Helene.
Blaubarts Boulotte und,
nicht zu vergessen,
Gerolstein, Trapezunt,
alle Prinzessen.
Und bis zum letzten Lohn
schwebender Wonne
tanzte und schlug den Ton
Gilette von Narbonne.
Leben kein Sündenplatz,
Kunst keine Sühne.
Schwerlosen Wissens Schatz
bot mir die Bühne.
... (Karl Kraus)