Lob des Ungehorsams

von Simone Kaempf

Berlin, 7. August 2015. Roter Teppich ist auf dem Bürgersteig ausgerollt. Jean-Claude Junckers Foto schmückt das Rednerpult, neben dem die EU-Flagge gehisst ist. Und mächtig thront auch das Brandenburger Tor im Bild. Die theatrale Setzung stimmt schon mal, die Bildsymbolik auch, um etwas offiziell Staatsmännisches zu suggerieren. Und ziemlich viele Kamerateams, Fotografen, Pressevertreter sind gekommen zur Verleihung der Europäischen Verdienstkreuze, die die Künstlergruppe Peng! Kollektiv an diesem Vormittag an acht Fluchthelfer beziehungsweise ihre Stellvertreter vergibt.

Die Ordensverleih-Performance ist der Medienpart einer Aktion, mit der das Kollektiv erstmals Anfang des Monats auf sich aufmerksam machte, als es aufrief, im eigenen Auto Flüchtlinge mit über die Grenze nach Deutschland zu nehmen. "Ich bin Fluchthelfer" heißt die Kampagne, die rechtzeitig zum Urlaubsrückreiseverkehr auf ihrer Website nicht nur professionelle Tipps und ausführliche Rechtsberatung gibt, sondern auch den argumentativen Überbau liefert: auf diese Weise gegen Flüchtlingspolitik zu protestieren und Flüchtlingen zur Chance zu verhelfen, hier ihren Asylantrag zu stellen. Denn das Dublin-Abkommen macht Asylsuchenden die legale Einreise nach Deutschland so gut wie unmöglich.

Große Worte, Orden an die Brust

Jetzt aber stehen erstmal diejenigen im Vordergrund, die Flüchtlingen bereits geholfen haben. Etwa der Zeit-Reporter Wolfgang Bauer, Autor des Buchs "Über das Meer", der sich mit dem Fotograf Stanislav Krupar syrischen Flüchtlingen angeschlossen hat, die versuchten, von Ägypten nach Italien zu gelangen. Oder die Berlinerin, die einst einen afghanischen Jungen im VW-Bus versteckte und an der bulgarischen Grenze in Untersuchungshaft geriet. Oder Theodora Tsongari: in Griechenland nahm sie in ihrem Auto eine erschöpfte Flüchtlingsfamilie mit, die zu Fuß zu einer Meldebehörde unterwegs war. Das reichte für Festnahme samt Gerichtsverfahren und Verurteilung.EuropaischesVerdienstkreuz2 560 SimoneKaempf uWas tun? Die mediale Öffentlichkeit hält kreisförmigen Abstand zur Laudatorin
© Simone Kaempf

Tsongari nimmt ihren Orden persönlich entgegen. Die meisten lassen sich vertreten, was dem Ritualhaften der Sache keinen Abbruch tut. Es geht ums symbolische Ereignis, die Geste der Ordensübergabe, ums Lob des Ungehorsams, Hilfsbereitschaft und Verteidigung von Werten. Jedenfalls nicht um Authentizität. Die Fluchthelfer-Geschichten ähneln sich schnell, die Verleihungen ziehen sich. Eine der Aktivistinnen, die sich Laura Thomson nennt, liest die Laudationes. Große Worte, Orden an die Brust, Applaus. Die Filmteams bekommen ihre Bilder. Als Flüchtlinge das Wort ergreifen – Aktivisten, die sich zur Coalition International of Sans-Papiers Migrants CISPM zusammengetan haben und von den Zuständen in Ceuta berichten –, packen die ersten Kameraleute das Equipment ein.

Selbstjustiz unter positiven Vorzeichen?

Was kaum kritisierbar ist. Das Aufsehen konzentriert sich auf den Aufruf zur Fluchthilfe. Auf die Lücke zwischen Recht und Gerechtigkeit, in die er stößt und Selbstjustiz unter positive Vorzeichen setzt. Als Zeit-online vor fünf Tagen von dem Projekt berichtete, entfachte sich die Diskussion denn auch erstmal an der Einsortierung: Ist das nun Menschenschlepperei, humanitäre Hilfe oder doch nur Wichtigtuerei? Und darf man diese Aktion der Fluchthilfe überhaupt mit DDR-Fluchthilfe vergleichen, ging es doch damals um Menschen in einem eingesperrten Land?EuropaeischerVeridenstorden 560 Simone Kaempf uDie acht Preisträger vor symbolträchtiger Kulisse © Simone Kaempf

Das Peng! Kollektiv hat seine Aktion so medial breit und hochprofessionell organisiert, als wolle man dem Zentrum für politische Schönheit Konkurrenz machen. Der größte Unterschied scheint zu sein, dass alle Mitglieder anonym bleiben, kein einzelner Kopf steht im Vordergrund. Aber die ganze Stoßrichtung ist klar an deren Aktionen geschult. Ein Scheitern scheint auch bei dieser Aktion abgepuffert zu sein, suggeriert doch die Ordensverleihung schon so etwas wie Erfolg. Nach Peng!-Auskunft haben in den vergangenen Tagen 18 potentielle Fluchthelfer Kontakt aufgenommen. Deprimierend wenig eigentlich, vielleicht wird am Ende keinem einzigen Flüchtling nach Deutschland geholfen. Was den medialen Erfolg leider nicht mal schmälern würde. Der ist mit dieser – hochsympathischen – Aktion bereits locker verbucht.

 

Mehr Infos: www.fluchthelfer.in

 

 

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