Presseschau vom 9. August 2015 – 5 Thesen des Münchner Kunsthistorikers Wolfgang Ullrich zu einem taz-Interview mit ZpS-Frontmann Philipp Ruch und ein Twitterduell

Kunstfreiheit vs. Meinungsfreiheit

Kunstfreiheit vs. Meinungsfreiheit

9. August 2015. Philipp Ruch, der Frontmann des Zentrums für Politische Schönheit hat am 1. August der taz ein Interview gegeben (hier unsere Zusammenfassung). In seinem Blog hat ein paar Tage später der Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich darauf mit fünf Thesen reagiert. Dem war noch am Erscheinungtag des Interviews ein kurzes, polemisches Twittergefecht zur Frage des vom ZpS vertretenen Kunstbegriffs vorausgegangen, als dessen Ergebnis man die Thesen betrachten kann. Ullrich hat sich in seiner Arbeit wiederholt mit der (totalitären) Aufrüstung des Kunstbegriffs in der Moderne auseinandergesetzt.

Philipp Ruch habe, so Ullrich dann in seinen Thesen, in besagtem taz-Interview für die Aktionen des ZpS den Begriff Kunstfreiheit in Anspruch genommen. "Doch warum genügt es nicht, für ein politisch motiviertes Anliegen – einen anderen Umgang mit Flüchtlingen – Meinungsfreiheit in Anspruch zu nehmen? Tatsächlich ist dieser Unterschied alles andere als marginal".

Autoritärer Gestus

Was eine Meinung ist, sei ziemlich klar, so Ullrich, "während immer wieder strittig ist, was Kunst ist. Wer sich auf Kunstfreiheit beruft, provoziert also vielleicht zuerst eine Debatte darüber, ob er/sie überhaupt Kunst macht und dazu berechtigt ist, sich auf die Kunstfreiheit zu berufen." Das sei gerade im Fall von politischem Aktivismus besonders problematisch, da dessen Anliegen dann in den Hintergrund tritt: Statt z.B. über Flüchtlingspolitik werde dann nur mal wieder über Readymades, Happenings und die Grenzen zwischen Kunst und Nicht-Kunst diskutiert.

Es sei, so Ullrich in seiner 2. These, "ein autoritärer Gestus, für das, was man tut, den Status von Kunst in Anspruch zu nehmen. Dies zumindest dann, wenn man nicht in einem institutionellen Rahmen agiert (z.B. einem Museum, einer Galerie, einem Kunstverein), d.h. wenn abzusehen ist, dass der behauptete Kunststatus strittig ist."

'ne Antwort anderswo die Tage?

Der autoritäre Gestus des Anspruchs auf Kunstfreiheit werde, so These 3, umso deutlicher im Vergleich zu einer Berufung auf Meinungsfreiheit. "Wer das, was er/sie artikuliert, als Meinung ausgibt, signalisiert die Bereitschaft, darüber auch mit VertreterInnen anderer Meinungen diskutieren und streiten zu wollen. Die anderen werden grundsätzlich als gleichberechtigt anerkannt, es gelten die Regeln der Demokratie. Wer hingegen das, was er/sie tut, als Kunst deklariert, nimmt für sich eine Sonderstellung in Anspruch und schafft eine Hierarchie." Wer, formuliert Ullrich schließlich in These 5, "demokratisches und nicht autoritäres Bewusstsein vorleben und stärken will, wird sich auf dem politischen Feld immer auf Meinungs- und nie auf Kunstfreiheit berufen."

 

Einen Hinweis auf seine Thesen hat Wolfgang Ullrich dann am 8. August 2015 noch einmal via Twitter verbreitet:

8. Aug.
Debatte über vs. , 5 Thesen von mir gegen + Ph. Ruchs taz-Interview

 

... worauf via Twitter das Zentrum für politische Schönheit reagiert:

8. Aug.
Sie haben was von einem Türsteher. Viel Erfolg noch.

 

... daraufhin Wolfgang Ullrich:

8. Aug.
Nö, ich sage nur, dass Berufung auf Meinungsfreiheit Ihren Zielen letztlich mehr dient als Berufung auf Kunstfreiheit.

 

... und nochmal Wolfgang Ullrich:

24 Std.vor 24 Stunden
Im Übrigen: Gäbe es Türsteher, würden Sie ja offenbar in einen exklusiven Club reinwollen. Passt das zu Ihren pol. Zielen??

 

... an dieser Stelle schaltet sich Volker Stock ein:

20 Std.vor 20 Stunden
die Aktionen von PS sind durch Kunstfreiheit weitaus besser geschützt als durch Meinungsfreiheit.

 

... am Rande ein  kurzer Dialog zwischen Wolfgang Ullrich und dissent.is/██:

8. Aug.
was wäre wenn bloss x-beliebige produkte zu markte trüge + wüsste, wie dies zu inszenieren ist?

 

darauf Wolfgang Ulrich:

8. Aug.
Dann wäre 'Kunst' ein Verkaufsargument, so wie 'Bio', etwas für statusbewusste Leute, die sich gerne besser fühlen

 

wieder dissent.is/██/

8. Aug.
genau. das meine ich.

 

dann noch mal dissent.is/██/

8. Aug.
wozu bemühen, wenn schon nach der gegenstand pulverisiert ist?

 

... und noch mal dissent.is/██/

8. Aug.

BÜHNE IST FAKE eine logische folge von

 

Inzwischen ist der 9. August 2015. Es twittert wieder das Zentrum für politische Schönheit:

3 Std.Vor 3 Stunden
Dass ein Kunstkritiker "Die Toten kommen" zu einer Meinung machen will, ist das geistige Verrenkung oder schon Verirrung? .

 

...  Zwischenruf  des Journalisten Christian Möller:

3 Std.Vor 3 Stunden
Schade, dass auf die bedenkenswerten Einwände von wie ein beleidigtes Kind reagiert. War der Text zu lang?

 

Antwort Zentrum für politische Schönheit:

1 Std.vor 1 Stunde

eher die Satzmöglichkeiten bei Twitter zu kurz. ;-)

 

... und  Ali S.R. twittert:

3 Std.Vor 3 Stunden
Da kann jemand Kritik nicht aushalten. Lächerlich!

 

...  dann wieder Wolfgang Ullrich:

3 Std.Vor 3 Stunden
Schade, Sie bestätigen meine Befürchtung: Sie wollen nicht offen diskutieren, sondern vom Sockel der Kunst herab abkanzeln.

 

... dann twittert sputnik:

9 Std.vor 9 Stunden
sie hams auch nich so mit kritik, wa?

 

... Marén fügt hinzu:

11 Std.vor 11 Stunden
Ich kapier einfach nicht, wieso über künstlerische Konzepte debattiert wird, wenn es um Menschenleben geht.

 

... und Clemens Donner fragt:

21 Std.
Verstehe beim besten Willen nicht, was es beim Thema Flüchtlinge zu diskutieren gibt.

 

... schließlich ein Vorschlag von CameLion:

diskussion auf twitter?! Ihr text hat auch >140 zeichen. ne antwort anderswo die tage wär cool.

 

Aktualisiert: 10. August 2015.  8:00 Uhr.

(sle)

Kommentare  
Twitterscharmützel über Thesen zum ZpS: bedeutend schwieriger
Schwierig wirds dann, wenn jemand also die Meinung vertritt, was er tue sei Kunst. Wenn er dies mit einem eindeutig spürbaren Gestus, also gezielt theatralisch tut, das Vorbringen und Vertreten seiner Meinung, dann kann über den Kunstbegriff gestritten werden UND über die Meinungsfreiheit. Gleichzeitig. Das ist bedeutend schwieriger, als nur über eines von beiden zu streiten. Demonstriert aber eindeutig, dass Meinungs- und Kunstfreiheit in Demokratien zusammengehören und dass, sobald sie getrennt - nicht unterschieden, differenziert, sondern getrennt werden KÖNNEN, und sei es argumentativ, das lediglich den Nachweis erbringt, dass es sich nicht um eine Demokratie handeln kann, in der diese Fragen beredet werden sollen undoder müssen.
Kommentar schreiben