Hipsters Nachtgesang

von Esther Slevogt

Berlin, 27. August 2015. Auf die Idee kann man in Zeiten wie diesen schon kommen: dass man nochmal in die Vergangenheit reist, um das Schlimmste in der Gegenwart zu verhindern, die aus Sicht der Vergangenheit dann noch in der Zukunft liegt. In das Jahr 1985 zum Beispiel, als die vom Kalten Krieg schockgefrorene wie atomar hochgerüstete Welt noch einigermaßen übersichtlich schien: Es war noch keine Mauer gefallen, keine Sowjetunion untergegangen. Das Internet war auch noch nicht am Horizont zu sehen und statt Ipod trug der Hipster (der damals auch noch nicht so hieß) eine kleine Kassettenrekorderkiste, den sogenannten Walkman.

Das Jahr 1985 ist als Ziel einer Zeitreise auch insofern interessant, als just in diesem Jahr schon einmal jemand auf die Idee gekommen ist, in die Vergangenheit zu reisen, um Katastrophen zu korrigieren oder zu verhindern: der amerikanische Regisseur Robert Zemeckis nämlich, der 1985 Teil eins der schrillen Science-Fiction-Trilogie "Back to the Future" herausbrachte. Darin geht eine Comedy-Version Albert Einsteins mit dem Teenager Marty McFly in einem atomar zur Zeitmaschine getunten Sportwagen auf Zeitreise. In unser heutiges Jahr 2015 unter anderem, das dem Jahr 2015 im Film allerdings nicht im mindesten ähnlich sieht. Und das eigentlich nach jemandem schreit, der hier nachträglich in der Vergangenheit die eine oder andere Weiche noch einmal anders stellt. Diese Sci-Fi-Trilogie (speziell Teil 2) diente den Performern von copy & waste als inspiratorische Basis, von der aus sie nun im besagten Jahr 2015 zu einer eigenen Zeitreise aufbrechen.

Lifestylemäßiges Konsumieren

Und so betreten wir also eine Etage in einem etwas heruntergekommenen Haus am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg. Die Gegend ist noch ein sozialer Brennpunkt. Und doch ist hier schon der kalte Atem der Gentrifizierer zu spüren. Auch am Ort, den sich copy & waste und das English Theatre ausgesucht haben: den Club West-Germany, wo vor zehn Jahren die ersten Hipster in dieser Gegend landeten.

Knick Knack5 560 c Jerun Vahle xOb in der Vergangenheit oder in der Zukunft: Schöner kaufen mit Konzept
© Jerun Vahle

Die etwa vierzig Zuschauer werden von freundlichen Thirtysomethings an ihre Plätze begleitet, die sich auf drei Räume verteilen: einen sogenannten Concept-Store, wo an der Decke weiße T-Shirts hängen, an der Wand weiße Nike-Turnschuhe ausgestellt sind. Concept-Stores, das sind Geschäfte, die versuchen, die Profanität des Konsumierens lifestylemäßig zu übertünchen und dem Akt des Shoppens den Anschein einer Kulturtechnik zu verleihen. Dann kommt ein Warteraum, und hinter einem schlauchartigen Flur befindet sich die Bar, in Raumteil drei der simultan bespielten Stätte.

In der Kunstblase

Jeweils ein Performer tritt an eine Besuchergruppe heran. Mittels Atemübung soll die Abreise aus der Gegenwart erleichtert werden. Und tatsächlich wird man auch bald von einer atmosphärischen Blase an- beziehungsweise aufgesogen: Sie besteht aus Livemusik, voice-over wie live (in Mikroports) gesprochenen Texten, an die Wände projizierten Videobildern (darunter im Dauerloop auch immer wieder Mini-Sequenzen aus "Back to the Future") und großer Sommerhitze, die gelegentlich die Technik zum Absturz bringt. Der Text, den der copy-and-waste-Mitbegründer und Dramatiker Jörg Albrecht als eine Art fliegenden Teppich dieser Zeitreise unterlegt hat, kreist um Identitäten von Orten und Personen. Wie werden wir, was wir sind? Wie verändern sich Orte? Was macht das Kapital aus ihnen? Welche Rolle spielen die Künstler im Gentrifizierungsprozess? Woher kommen wir? Wie behaupten wir uns vor den allgegenwärtigen Bildern? Können wir überhaupt ohne Bilder noch Vorstellungskraft entwickeln?

Und so reisen und reisen wir, ohne die Gegenwart wirklich je zu verlassen, schauen den drei Performern Laura Flachmeyer, Daniel Brunet und Roman Hagenbrock zu und sitzen erst noch wohlig, aber bald mit wachsendem Ausstiegswunsch auf dem überladenen Assoziationsmuster des Textteppichs von Jörg Albrecht. Er punktet zwar zwischendurch mit starken poetischen Bildern, ist aber am Ende nur ein wohltemperiertes Hipster- und Kunstgebräu, das keinen Weg aus dem Concept Store (oder der Kunstblase) weist. Um statt in den Spiegel zum Beispiel dahin zu schauen, wo gerade die Katastrophen passieren, die in der Vergangenheit nicht verhindert worden sind.

 

Ruckzuck in die Zukunft | Knick-knack to the Future
Concept Store Performance
von copy & waste
Text: Jörg Albrecht
Von und mit: Jörg Albrecht, Daniel Brunet, Lisa Flachmeyer, Roman Hagenbrock, Steffen Klewar, Laura Landergott, Caspar Pichner & Daniel Sauermilch; Produktionsleitung: ehrliche arbeit – freies Kulturbüro
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.etberlin.de

copyandwaste.de

 

Kritikenrundschau

Von einem "atemlos durch Jahrhunderte, Sinn- und Unsinn mäandernden Textfluss" schreibt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (29.8.2015). Dass Jörg Albrecht diese Gedankenreise mit der schrillen 80er-Jahre-Flimkomödie "Back to the Future" verquickt hat, macht aus Sicht der Kritikerin Sinn. "Denn wie deren Figuren Marty MacFly und Doc Brown durch ihre Zeitreisen immer wieder versuchen, ihre Geschichte zu optimieren und damit erst Schaden anrichten, führt direkt auch in die Diffusionen und Paradoxa gegenwärtiger Stadtentwicklungen: Geldgier oder Menschlichkeit?" Leider aber bleibe die Rolle der Politik völlig ausgeblendet. "Da denkt Albrecht so wirtschaftsliberal amerikanisch, wie der deutsche Wohnungsmarkt zunehmend wird."

 

Kommentare  
Ruckzuck in die Zukunft, Berlin: Unwort Hipster
habs nicht gesehen, möchte aber freundlich anmerken, dass für mich der begriff "hipster", abwertend in einer theaterkritik angewendet, eines der unworte der letzten jahre ist. was soll das sein, ein hipster, was hat "hipster-kunst" beispielsweise grundsätzlich schlechtes oder negatives an sich? was ist überhaupt gegen einen "Hipster" einzuwenden? ist das nicht eher ein leicht albernes distinktionsgehabe gegen...ja gegen wen eigentlich? "cool" will dann andererseits doch wieder jeder sein, wenigstens ein bisschen. und charlie parker hatte ja auch was drauf. soll es ein diss gegen "zu intellektuelle" performance künstler sein? ich habs bisher einfach nicht verstanden, ich bin ratlos, was soll es bedeuten? diese frage mal allgemein in die große runde der theaterkritikerinnen..herzliche grüße
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