Ein Wendepunkt

9. Oktober 2015. Die deutsche Bundesregierung hat sich mit einem Positionspapier erstmals deutlich gegen Einschränkungen der kulturellen und medialen Vielfalt durch das geplante Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) gewandt. Damit reagierte die Bundesregierung auf die anhaltende Kritik verschiedener kultureller Institutionen und Verbände, die in dem Freihandelsabkommen nicht zuletzt eine große Gefahr für die Praxis der Kulturförderung sahen.

In dem nun von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) vorgestellten Papier heißt es u.a.: "Die Bundesregierung tritt im Rahmen der TTIP-Verhandlungen dafür ein, dass das Abkommen keine Bestimmungen enthält, die geeignet sind, die kulturelle und mediale Vielfalt in Deutschland zu beeinträchtigen. Die Bundesregierung hält passgenaue, konkrete und rechtsverbindliche Vorkehrungen für erforderlich, die präzise und 'maßgeschneidert' den Schutz von Kultur und Medien in den relevanten Kapiteln des Abkommens absichern und im EU-Rahmen Chancen auf Durchsetzbarkeit haben."

Zudem setze sich die Bundesregierung bei den Verhandlungen für eine sogenannte "Subventionsklausel" ein, genauer: "eine horizontale Ausnahmeklausel für Beihilfen bei Dienstleistungen." Dies sei gängiger Standard und sichere "die Möglichkeit für Fördermaßnahmen im Sinne der Kultur- und Medienvielfalt. Mögliche Kapitel zu Beihilfen, Wettbewerbsrecht oder 'State owned enterprises' dürfen keine Bestimmungen enthalten, die diese Ausnahme für Subventionen aushebeln." Sigmar Garbriel betonte, dass eine "öffentliche Finanzierung von Museen, Theatern oder Opern weiterhin möglich sein" werde.

Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, begrüßte die Vorlage des Positionspapiers der Bundesregierung: "Dieses Papier markiert einen Wendepunkt in der Position der Bundesregierung zu den Auswirkungen der TTIP-Verhandlungen auf den Kultur- und Medienbereich." Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats Olaf Zimmermann sagte: "Endlich, nach zwei Jahren hartnäckiger Weigerung, erkennt die Bundesregierung vollumfänglich an, dass der Kultur- und Medienbereich durch TTIP gefährdet ist. Wir freuen uns, dass die Bundesregierung versuchen will, den Kultur- und Medienbereich bei den Verhandlungen so weit wie möglich zu schützen, doch weiß auch die Bundesregierung, dass diese Bemühungszusagen eben keine Zusagen sind, da nicht sie am Verhandlungstisch sitzt, sondern die EU-Kommission."

(wb / Bundesregierung / Deutscher Kulturrat)

Im Mai 2014 kommentierte Birgit Walter auf nachtkritik.de die möglichen Folgen des Freihandelsabkommens TTIP für die Kultur .

Mehr darüber, wie Kulturschaffende und Kulturjournalisten die Verhandlungen um das Freihandelsabkommen einschätzen, steht in unserer ausführlichen Presseschau zum TTIP.

Kommentare  
Bundesregierung zu TTIP: Rumms
DANKE, BUNDESREGIERUNG. RUMMMS, DA FÄLLT MIR EIN STEIN VOM HERZEN!
Bundesregierung zu TTIP: wieder im Eimer?
Klingt erstmal gut. Aber:
"Die Bundesregierung hält (…) Vorkehrungen für erforderlich, die (…) im EU-Rahmen Chancen auf Durchsetzbarkeit haben."
Ist damit dieses wunderbare Vorhaben nicht schon gleich wieder im Eimer?
TTIP: französische Position
@Peter
Nein, wohl nicht. Deutschland ist nur sehr spät auf die französische Position (vgl. exception culturelle) eingeschwenkt. Die EU wird das Problem nicht sein.
TTIP: Konzern-Machtergreifung
Liest man das „Positionspapier“ der Bundesregierung, ahnt man, warum insbesondere die US-amerikanische TTIP-Seite die Angelegenheit in einer Weise behandelt, die für jeden Verschwörungstheoretiker einem Kuraufenthalt gleichkommt. Was nämlich für die „kulturelle Ausnahme“ gelten soll, gilt, logischer Weise, für alle anderen Bereiche des sozialen und wirtschaftlichen Lebens nicht, womit durch die Nebelschwaden, welche die TTIP-Verhandlungen umgeben, sich der gewaltige Umriß einer internationalen, irreversiblen Konzern-Machtergreifung abzeichnet. Aus den vergleichbaren Verhandlungen der Vergangenheit lernen wir, daß ihre Geheimhaltung sich stets auf die Vorteile erstreckt, die der Profitmaximierung der Wirtschaftsunternehmen der beteiligten Staaten aus solchen Abkommen erwachsen. Wir haben es, um ein Kanzlerinnenwort abzuwandeln, mit einem „nicht demokratiekonformen Marktgeschehen“ zu tun, über dessen wahre Natur die Bevölkerungen gezielt im Unklaren gelassen werden sollen. Es möge doch niemand glauben, daß das kulturelle Leben eines Landes, selbst wenn es gelingen sollte, dieses Leben vor den dreistesten Übergriffen der Geldleute zu bewahren, nicht in vielfältigster Form in Mitleidenschaft gezogen würde.
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