Höfliche Utopien

von Esther Slevogt

Berlin, 13. November 2015. Das Highlight ist natürlich, als Thomas Wodianka ausholt und die berühmte Stimme des "kleinen Mannes" hörbar macht, wie sie auf Facebook, in Radiosendungen oder Leserbriefen diffuse Ängste vor "Überfremdung" und diesen Dingen formuliert. Heinrich (52) aus Golzow zum Beispiel, der in den Flüchtlingen eine Überforderung für den Sozialstaat sieht. Oder Petra (39) aus Frankfurt, die befürchtet, dass "der kriegserfahrene arabische Mensch" sich in den drohenden Verteilungskämpfen am Ende gegen "friedfertige Deutsche" durchsetzen wird. Immer wütender schraubt Wodianka sich in seine anschwellende Suada herein.

Plötzlich sind wir bei den "scheiß Hugenotten", die im 17. Jahrhundert vor religiöser Verfolgung aus ihrem "mittelalterlichen" Frankreich ins schöne Preußen flohen. Und die Seidenweberei, Bouletten und anderes wertvolles Kulturgut dort implantierten, das die Preußen zivilisierte. Brauchen wir nicht, diese Scheiße. Geht nach Hause. Oder die Römer mit ihren scheiß effizienten Verwaltungsstrukturen. Wollen wir nicht. Weg damit. Geht heim! Am Ende ist Wodianka beim Fisch angekommen, der das Wasser verlässt, irgendwann vor 400 Millionen Jahren, und die Evolution um DEN entscheidenden Schritt voranbringt. "Unser Land! Verpiss Dich sofort zurück ins Meer, Du Flossen-Fotze."

Poesie meets Politikersprech

Das Publikum gluckst und kichert. Wir befinden uns im völlig leer geräumten Theatersaal des Maxim Gorki Theaters. "In unserem Namen" ist der Abend überschrieben, der Texte aus Aischylos' "Die Schutzflehenden" und Elfriede Jelineks "Die Schutzbefohlenen" mit Politikersprech und Versatzstücken aus einer Sitzung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages zur Asylpolitik verschränkt. Wir sind das Publikum, die Gesellschaft, der Chor, aus dem sich plötzlich einzelne Stimmen erheben: Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten und nur das Leben retten konnten. Jetzt sind sie da. Aber was nun?

Diese Frage verhandelt der Abend, der sich als Momentaufnahme einer demokratischen Gesellschaft im Umbruch präsentiert, die ihre Grundlagen neu vermessen muss: Da sind die Neuen und das, was sie mitbringen, und die Alten, die das, was sie haben, verteidigen. Da ist ein Staat, der fuchtelnd seine Gesetze den neuen Umständen anzupassen versucht, und die Geflüchteten, die sich bei diesem Staat als neue Rechtssubjekte bewerben und an denen er, der Staat, schließlich Gerechtigkeit üben könnte. (Und bitte nicht bloß üben!)

InUnserewmNamen1 560 UteLangkafel Maifoto uWir bilden eine Gemeinschaft: Transformationsübungen am Gorki Theater in Sebastian Nüblings Projekt "In unserem Namen" © Ute Langkafel / Maifoto

Es geht um Überforderung von Sachbearbeitern auf Ämtern, um individuelle Geschichten einzelner Flüchtlinge. Die Schauspielerin Orit Namias schiebt immer mal wieder kleine gemeine Reflexionsebenen ein. Mitleid mit Flüchtlingen, sagt sie zum Beispiel gleich am Anfang einmal, sei ein völlig selbstreferentielles Gefühl. Die Schauspieler irrlichtern zwischen dem Publikum herum, sprechen, flüstern, schreien. Texte von Aischylos bis Jelinek, die, aus dem Fluss ihrer eigenen Suaden gefischt, allerdings keine rechte Wirkung entfalten.

Der Geruch der moralischen Anstalt

Das Publikum sitzt, steht und läuft. Einmal wird es etwas übergriffig zum großen Menschenhaufen formatiert: Bildet, bitte sehr, mal eine Gemeinschaft mit den Geflüchteten, ist die Aufforderung, die man dahinter spürt. Da riecht der Abend dann plötzlich etwas streng nach moralischer Anstalt.

"In unserem Namen" ist das Herzstück des 2. Berliner Herbstsalons des Gorki Theaters, der in Kunst- und Performanceprojekten fortsetzt, was auch Sebastian Nüblings Theaterabend verhandelt: Facetten der gegenwärtigen Transformation zu beleuchten. Besonders schön ist eine Klanginstallation von Azin Feizabadi, 1982 im Iran geboren: Im Stil des islamischen Gebetsrufs hat er Teile des deutschen Grundgesetzes vertont, die nun fünf Mal am Tag (zu den islamischen Gebetszeiten) aus Lautsprechern am (in unmittelbarer Nachbarschaft des Theaters gelegenen) Palais am Festungsgraben zu hören sind: ein ebenso subtiler wie poetischer Kommentar zum Wandel, den diese Gesellschaft gerade durchläuft. Bei Nübling bleibt das Ende dieses Prozesses offen: Publikum und Spieler finden sich auf einer Art öffentlichem Forum wieder: im Gespräch, bis sich die Menge verläuft.

Romantischer Blick

Dabei ist der Blick des Theaters natürlich hoffnungslos romantisch. Wogegen grundsätzlich gar nichts einzuwenden ist. Höchstens vielleicht, dass die Rechnung: bornierte Alteingesessene, tolle innovationskräftige Geflüchtete so einfach womöglich nicht ist. Und die Win-Win-Situation, die der Abend so freundlich ausmalt, ist ebenfalls nicht erwiesen.

Aber seit Lessing wissen wir ja: Das Theater ist genau der Ort, der diese höflichen Utopien formulieren muss. Und wohlig schwimmen wir also wie die Fische im warmen Wasser dieser heutigen Ringparabel, die uns Sebastian Nübling und sein Ensemble erzählen. Und wollen gar nicht mehr an Land. Denn dort sprechen die Anschläge in Paris zur gleichen Zeit eine ganz andere Sprache.

 

In unserem Namen
mit Texten aus Aischylos' "Die Schutzflehenden", Elfriede Jelineks "Die Schutzbefohlenen", der 42. Sitzung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages sowie Originalbeiträgen der Schauspieler*innen.
Textfassung: Sebastian Nübling, Ludwig Haugk, Julia Pustet.
Regie: Sebastian Nübling, Ko-Regie / Choreinstudierung: Lars Wittershagen, Bühne: Magda Willi, Kostüme: Ursula Luenberger, Video: José Luis Garcia, Licht: Hans Fründt, Dramaturgie: Ludwig Haugk.
Mit: Maryam Abu Khaled, Ayam Majid Agha, Tamer Arslan, Elmira Bahrami, Vernesa Berbo, Karim Daoud, Anastasia Gubareva, Mateja Meded, Cynthia Micas, Orit Namias, Tim Porath, Dimitrij Schaad, Hasan H. Tasgin, Thomas Wodianka, Mehmet Yilmaz.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.gorki.de


Kritikenrundschau

Jelinek und Aischylos, das sei vielversprechend, und dann eben doch enttäuschend, so André Mumot auf Dradio Kultur (13.11.2015). "Offensichtlich will man bei 'In unserem Namen' nicht in die Fallen tappen, in die andere Aufführungen in letzter Zeit geraten sind. Man will nicht Flüchtlinge fremde Texte sprechen lassen, (...) eher eine möglichst freie, möglichst selbstbewusste Versuchsanordnung schaffen." Die kurzen Ausschnitte verpuffen, finden keinen Adressaten, sind nur Stichwortgeber. "Viel besser gelingen die symbolischen, theatralen Mittel", und auch die israelische Schauspielerin Orit Nahmias bekomme einige gescheite, stichhaltige Comedy-Momente zugestanden. "Doch insgesamt, auch in der halb parodistischen Nachspielerei einer Bundestagsdebatte um die Änderung des Bleiberechts, fehlt diesem Abend die nötige Schärfe, auch die nötige Differenziertheit, um den aktuellen Konflikten wirklich nahe zu kommen."

Gerd Brendel schreibt auf der Website von Deutschlandradio (14.11.2015), die Ensemble-Mitglieder des Maxim Gorki Theaters, mit "Migrationshintergrund", ließen den Text zur Anklage werden, die alle im Saal mit deutschem Pass treffe. Vor dem Stück habe die "großartige" Orit Nahmias als Vertreterin der "Das Boot ist voll"- Fraktion das Premierenpublikum vor dem "depressiven Stück" gewarnt und verschiedene Reaktionen empfohlen: "Leugnen, verdrängen, vergessen, rationalisieren." Aber keine der Strategien funktioniere.

Das Stück sei, "freundlich gesagt, ein Kabarettabend mit Tanzeinlagen, wenigen Dichtersätzen und nicht immer freiwilliger Publikumsbeteiligung", schreibt Wolfgang Höbel auf Spiegel Online (14.11.2015). "Ein paar Szenen sind, unfreundlicher gesagt, gruselig missglückt: So darf eine Darstellerin ekelhafte Neonazi-Witze erzählen, einer der Mitspieler labert als schlechte Kopie des Komikers Michael Mittermeier die Ansichten von Pegida-Sympathisanten nach." Nübling setzte auf Bewegung (der Spieler und Zuschauer) und "formt zwei Theaterstunden lang eine Art Gruppenbewusstsein unter sonst Vereinzelten. Er appelliert nicht an den Verstand seiner Zuschauer, sondern an ihre Emotion. Er inszeniert ein Solidaritätspalaver. Es fühlt sich, an einem Abend, an dem in den Pariser Straßen der Kriegshorror ausbricht, gar nicht so schlecht an."

Peter Laudenbach schreibt in der Süddeutschen Zeitung (16.11.2015), Im "vergnügungssüchtigen Berlin" mache Nübling aus "düster schillernder Text" von Jelinek ein "naives Erlebnisangebot". Seine Aufführung sei eine "bunte Mischung aus Party, Agitprop-Kabarett und Körpereinsatz". Gerne scheuchten die Schauspieler die Zuschauer durch den entkernten Innenraum des Theaters, "als wäre ihre Aufenthaltserlaubnis ungültig geworden und die Niederlassungsfreiheit auf den Sitzplätzen abgelaufen". "So weit, so politisch völlig korrekt und in der Kulturbetriebsroutine auch harmlos und erwartbar." Die zeitliche "Koinzidenz" mit den Anschlägen in Paris indes mache den Abend zu "einer schönen, schrecklich fragilen Utopie". Plötzlich wirke Nüblings "Kindergeburtstags-Versuchsanordnung wunderbar optimistisch und menschenfreundlich".

Katrin Bettina Müller schreibt in der taz (16.11.2015) "In unserem Namen" sei "appellatives und pädagogisches" Theater, "spielerisch, das jeden zur Bewegung auffordert, zur Verrückung von Standpunkten". Vielsprachig werde der Jelinek-Text gegeben, unruhig wanderten die Spielenden durch den leer geräumten Raum. "Kein Ankommen, kein zur Ruhe kommen." Thomas Wodianka gebe nicht zum ersten Mal den Wutbürger-Parodisten und schicke 4000 Jahre Zivilisation an ihre Absender zurück. Vor dem Hintergrund der Pariser Anschläge gewönne der Schluss der Inszenierung eine neue Bedeutung. Einzelne Schauspieler fassten Aischylos "Die Schutzflehenden" zusammen: In Argos bitten aus Ägypten geflohene Frauen um Aufnahme. Der König von Argos gewährt ihnen letztlich diesen Schutz, trotz des Risikos, dass Argos damit in einen Krieg verwickelt werde.

Das "babylonische Hauptstück" des Herbstsalons nennt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (16.11.2015) den Nübling-Abend. Die verwendeten Texte "erklingen zwar in den vielen Sprachen des multi-ethnischen Ensembles, bleiben aber weitgehend Dekoration." Für eine "ziemlich didaktische inszenatorische Hauptintention" hält der Kritiker die "Zuschauersituation", in der Besuchern wenige Sitzgelegenheiten zur Verfügung gestellt würden; und "dort, wo es am engsten ist, agieren mit Vorliebe die Sprecherspieler". Effekt: "Abgesehen davon, dass man zumeist im Gestus der Anklage vollgetextet wird, erlebt man Gedrängel, Zusammenrücken, Aggression, Missmut am eigenen Leib". Ein "Glanzstück" sei gleichwohl die Suada von Thomas Wodianka.

"'In unserem Namen' ist Theater über Geflüchtete in irritierend routinierter Rechtschaffenheit, ein energiearmes, fast liebloses Abhandeln von Wirklichkeit", schreibt Dirk Pilz in der NZZ (17.11.2015). Nur in Thomas Wodiankas Wutrede am Ende gewinne der Abend an Bissigkeit, "reisst er sich aus seiner wohligen Lethargie", so Pilz: "Bezeichnenderweise." Denn diese Wutrede offenbare auch "die schlichte Denkungsart des Abends: Der Dumpf- und Dummheit von Fremdenfeindlichen wird das Bild stets weltoffener, gedankenheller Geflüchteter gegenübergestellt. Ganz so simpel dürfte die Realität allerdings nicht sein." Die Widersprüche einer im Umbruch befindlichen Gesellschaft würden so "wohl eher verschüttet".

"Eigentlich geht es hier – handfest und körperlich – um die Frage, wie man zusammenleben kann, wenn immer neue Leute dazukommen", schreibt Peter Kümmel über die "fröhliche, nicht allzu komplexe Aufführung", die gewirkt habe "wie eine Entspannungspause im Diskurs um die 'Flüchtlingskrise'", in der Zeit (26.11.2015). "Wie anders wäre die Vorstellung verlaufen, wenn die Beteiligten von den Attentaten (von Paris, Anm.d.Red.) gewusst hätten", so Kümmel: "Wie unmöglich wäre es gewesen, sie im Angesicht des Terrors stattfinden zu lassen. Und wie gut war es, dass sie stattfand."

 

Kommentare  
In unserem Namen, Berlin: können Schulen besser
Ich war sehr enttäuscht. In der Ankündigung hieß es Aischylos, Jelinek. Das hat mich interessiert. Gesehen habe ich eine Vorstellung, die einem Schulprojekt mit unseren 9. Klässlern ähnlich war. Aber unsere Schüler fand ich noch besser.
In unserem Namen, Berlin: Verhandlung schreckt ab
Ich habe kürzlich einen Spätjugendlichen für Theater begeistern wollen und ihm diese Seite hier anempfohlen und ihm dazu eine Rede geredet darüber, was das Theater alles so schön "verhandelt". Er hat mir dann gesagt, als ich endflich fertig war mit Belehrung - dass es gerade das ist, was ihn total abschrecken würde davon auch nur theaterähnliche Veranstaltungen zu besuchen: Der Wille zur "Verhandlung" von Gegenwart - das fand der vollkommen widerwärtig. Musste ich lange darüber nachdenken und ihm dann leider und zähneknirschend recht geben. Warum, weiß ich aber auch nicht.
In unserem Namen, Berlin: zu wenig
@2. falls das hier nicht rollenprosa sein sollte und sie sich eigentlich irgendwie unernst geben wollen, würde ich sagen: der letzte satz und also die pointe ihres beitrags ist für einen lehrer/eine lehrerin zu wenig.
In unserem Namen, Berlin: Frage an den Text
"Mitleid mit Flüchtlingen, sagt sie zum Beispiel gleich am Anfang einmal, sei ein völlig selbstreferentielles Gefühl."

Dazu habe ich eine Frage: Warum? Mitleid und Mitgefühl, sind das nicht erst die Werte bzw. gefühlsmäßigen Motive, welche Solidarität in Gang setzen? Es gibt eine narzisstische "Mitleidsmoral", und die ist selbstreferentiell. Okay. Die will wirklich nur belehren. Und die braucht dann auch keiner.
In unserem Namen, Berlin: Chor-Sprechen üben
Es war ein solches Durcheinander. Kunstquark. Behauptung von Heutigkeit, Aber wenn man die Schutzflehenden mal gelesen hätte, hätte man dort viel mehr Heutigkeit gefunden, als sie gestern behauptet wurde.
Übrigens kann man auch Chor-Sprechen üben, liebe Schauspieler. Das war extrem dilettantisch! Vielleicht kriegt das Gorki ja einen Austausch mit Leipzig hin. Dort wurde beim selben Projekt ja wohl, nach allem was man hier liest und hört, an den Texten und Inhalten gearbeitet.
In unserem Namen, Berlin: 3sat Kulturzeit
3sat Kulturzeit: "emotionale, energiegeladene Inszenierung" und "wichtige Botschaft"

http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=55390
In unserem Namen, Berlin: Fremdschäm-Theater
Das sieht ja wirklich aus wie die Theaterterapiegruppe Hanau-Südwest. Extremes Fremdschäm-Theater.
In unserem Namen, Berlin: zwei starke Kabarettnummern
Den stärksten Eindruck hinterlassen die pointiert-kabarettistischen Einlagen zu Beginn und am Ende von „In unserem Namen“: Orit Nahmias, die Spezialistin am Gorki für irritierende Einwürfe, fällt dem Mann vom Abenddienst das Wort ab, als er im Foyer die weiteren Ablauf des Abends erklärt. Sie habe das Stück gestern gesehen und könne nur warnen. Der Abend verderbe die Laune, sei langatmig und mache geradezu depressiv. Immer dieses Flüchtlingselend, das kenne man ja schon aus den Nachrichten zur Genüge. Am besten solle man gleich wieder gehen oder zumindest eine der Abwehrstrategien anwenden, die sie vorschlägt.

Knapp zwei Stunden später endet der Abend mit dem Auftritt von Thomas Wodianka, der seit „Small Town Boy“ und „Das Kohlhaas-Prinzip“ der Experte im Ensemble für Wut-Reden ist.

Er zitiert die Statements besorgter Bürger, die in Dresden oder Erfurt vor Überfremdung warnen und die abendländische Kultur in Gefahr sehen. Vor einem Jahr seien es die Rumänen gewesen, diese „Armutsflüchtlinge“, vor denen uns die CSU beschützte. Davor waren es die vielen Polen, seufzt er. Und davor mussten wir die Gastarbeiter aus der Türkei ertragen, fährt Wodianka genervt fort.

Richtig schlimm seien die Hugenotten, die Römer und die Zuwanderer aus Mesopotamien im Neolithikum gewesen. Sie alle hätten unsere bisherige Lebensweise zerstört und uns die Zivilisation aufgenötigt. Wer brauche schon Trinkbecher, wenn man das Wasser auch aus der Hand auflecken kann, empört sich Wodianka. Am aller schlimmsten seien aber die Fische und Amphibien, die es wagten, an Land zu kommen und die Evolution voranzutreiben. Das gehe doch wirklich zu weit und zerstöre unsere Traditionen. Die sollten doch bitte schön alle dorthin zurückgehen, wo sie hergekommen sind.

Zwischen diesen beiden Kabarettnummern liegt die babylonische Sprachverwirrung. Im leergeräumten Saal (dieser von der Volksbühne ausgelöste Trend scheint Kreise zu ziehen) haben sich die Schauspieler mitten unter das Publikum gemischt. Sie versuchen, sich einen Weg zu bahnen, in unserer Gesellschaft anzukommen. Sie schreien ihre Ängste auf Russisch, Arabisch und noch weitere Sprachen heraus. Sie gehen als Parcoursläufer aus Verzweiflung im wahrsten Sinne des Wortes die Wand hoch.

In der Uraufführungs-Inszenierung von Elfriede Jelineks Text „Die Schutzbefohlenen“ führte Nicolas Stemann mit sarkastischem Witz vor, wie wir versuchen, die Flüchtlinge zu ignorieren und nach dem Unglück von Lampedusa schnell wieder zur Tagesordnung übergingen. Heute sind solche Abwehrstrategien nicht mehr möglich, das ist seit diesem Sommer und Herbst allen klar geworden. Die Flüchtlinge sind längst nicht mehr zu übersehen und fordern ihr Recht ein, wahrgenommen und fair behandelt zu werden.

Kompletter Text: http://kulturblog.e-politik.de/archives/26776-in-unserem-namen-gorki-widmet-sich-mit-jelinek-und-aischylos-der-angst-vor-ueberfremdung.html
In unserem Namen, Berlin: Nummernrevue
Der Abend ist eine Abfolge von Versatzstücken. Da werden Schlangen gebildet, wird im Kreis gelaufen und gegen Wände gerannt, Orit Nahmias darf wiederholt sarkastisch satirische Einwürfe setzen, die auch schnell verpuffen, es gibt Live-Video und ganz am Ende Einzelgruppen, in der jeder Darsteller einigen Zuschauern etwas erzählt – über den Flüchtlingsalltag, die deutsche Wirtschaft oder Persönliches. Frontalunterricht auch das. Der Abend erzählt nichts, was der wohlmeinende Theatergänger nicht schon wüsste, ist eher schlicht in seiner Gegenüberstellung guter Flüchtling – böser Deutscher, macht nichts aus dem vermeintlich zentralen Element der Sprachverwirrung. Er ist wie schon gesagt, eine Nummernrevue, uninspiriert, enthusiastisch dargeboten wie eine abzuarbeitende Checkliste. Der regt nie auf, aber eben auch nicht an, die Flüchtlingsproblematik, das Leid der Flüchtenden bleiben weit weg. Da hilft auch keine halbherzige Wutrede. Vielleicht wollten Sebastian Nübling und sein Ensemble nichts falsch machen bei diesem sensiblen Thema. So haben sie letztlich gar nichts gemacht. Der Abend ist so ärgerlich, weil er so vollends belanglos ist und das bei einem Thema, dass uns nicht kalt lassen darf. Bekäme In unserem Namen (der Titel bezieht sich übrigens auf das “Wir-sind-das-Volk”-Geschrei von Pepita und Co.) ein Arbeitszeugnis, stände darin sicher der Satz “Er war stets bemüht”.

Komplette Kritik: https://stagescreen.wordpress.com/2015/11/21/stets-bemuht/
In unserem Namen, Berlin: So nicht
Ich war gestern in der Aufführung und mein Zorn ist auch heute noch nicht verflogen. Vor allem die Haltung der Darsteller*innen und die Rollenzuschreibung der Zuschauer*innen ist so über die Maßen ärgerlich weil unüberlegt, zu kurz gegriffen oder schlicht dumm. Nicht nur, dass wir uns alle zur gleichen Zeit in einer moralischen Anstalt befinden (s.o.), was in Bezug auf den Gegenstand der verhandelt wird überaus unangebracht ist, wird die ganze Inszenierung hindurch nicht klar, an wen sich die Darsteller*innen eigentlich wenden. An mich? An irgendeine undefinierte deutsche Bürgermasse? An die zahlreichen Geflüchteten, Zugewanderten im Publikum? Wer seid ihr, die ihr respektlos über mich drübersteigt und droht mir Mikrophone an den Kopf zu schleudern, wenn ich nicht parriere. Das, mindestens das, müsst ihr doch klären bevor ihr mir so ein "Spiel" auftischt. Vom undifferenzierten Inhalt ganz zu schweigen, aber das hätte ich noch geschluckt, wenn euch Machern und Spielern klar wäre, was ihr da tut. Es ist ein perfides Spiel und in den schlimmsten zynischen Momenten eine fiese Form des Selbsterfahrungstheaters ("Kommt mal alle zusammen"), das weder die Darsteller*innen in ihrer Performativität, noch die Zuschauer*innen in ihrer Vielfalt und auch nicht das ernst nimmt, was ernsthaft zu verhandeln wäre, aber vielleicht besser nicht im Theater. Noch nicht. Und vor allem: so nicht.
In unserem Namen, Berlin: bewegend und unterhaltend
Ein toller, informativer, bewegender und unterhaltender Abend. Bezeichnend, dass einem hier Kommentierenden dazu nur einfällt, dass "die" mal deutlicher sprechen lernen sollten...
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