Die Jungs schrammeln mal wieder, lass sie!

von Esther Slevogt

Berlin, 14. November 2015. "Simulatiooooon! Simulatioooon!", fiepst Schorsch Kamerun schmelzrockig, als wolle er die Hamburger Schule mit Berlin-Kreuzberg auf die Kuschelkissen schicken. Am Keyboard schüttelt PC Nackt (bekleidet) seine modisch-korrekt überdimensionierte Haartolle und wippt rhythmisch zu dem, was er da gerade spielt. Fabian Hinrichs streichelt dazu mit hintergründigem Smile seine E-Gitarre. "Ich habe um Hilfe gerufen. Es kamen Tierschreie zurück" heißt die Veranstaltung etwas umständlich, die im alten Hebbel Theater gegenüber der Berliner SPD-Zentrale im Rahmen des Festivals "Marx' Gespenster" stattfindet. Wobei diese Gespenster gerade wahrscheinlich eher Sigmar Gabriel heimsuchen. Wenn überhaupt. Im Theater anzutreffen sind sie heute jedenfalls nicht.

Frisch aus dem Hobbykeller

Da treten nur ein paar ältere Jungs in Erscheinung. Einer von ihnen, Schorsch Kamerun, trägt beziehungsweise singt recht verschrobene Ältere-Jungs-Lyrik vor. Es ist ein bisschen wie im Probenraum einer Hobbycombo. Bloß dass es sich bei diesen Leuten hier um Größen des Fachs wie den Schauspieler Fabian Hinrichs, den Theater- und Goldene Zitronen-Macher Schorsch Kamerun sowie den als PC Nackt performenden Musiker Patrick Christensen handelt, der schon so mancher Sebastian-Hartmann-Inszenierung einen grollenden elektronischen Klangteppich verpasste (u.a. Der Löwe im Winter, Mein Faust). Fünfundvierzig Minuten geht das so, dieses launig-verschrobene Privatgeschrammel. Dann fängt doch noch so etwas wie Theater an.

Tierschreie Hinrichs Kamerun 560 dorothea tuchDa muss man jetzt einfach durch: Schorsch Kamerun und Fabian Hinrichs posieren fürs Promo-Foto © Dorothea Tuch

Kamerun und PC Nackt verschwinden. Fabian Hinrichs entert die weite Bühne, die mit drei riesen Vorhängen aus zusammengenähten bunten Seiden-Carrés dekoriert ist. Und einer riesigen chinesischen Vase. Später gibt’s auch noch einen passenden chinesischen Tanz dazu. Aufgeführt von der Skvo's Dance Company aus Minsk. Allerdings hatte deren Auftritt wahrscheinlich eher förderpolitische Gründe. Es mussten wohl Gelder des Goethe-Instituts Minsk ausgegeben werden.

Goldene Zitrone? Weißer Citroën!

Inhaltlich erschließt sich die Sache nicht. Auch das Erscheinen eines E-Cars der Firma Citroën auf der Bühne stellt die deutungshungrige Kritikerin vor unlösbare Probleme. Zunächst. Ein Blick ins Programmheft schafft schließlich Klarheit wirft aber sofort neue Fragen auf: der Wagen gehört dem Car-Sharer Muliticity. Aber ob diese Art Product-Placement wirklich in ein Marx-Festival passt? Oder soll das jetzt ganz besonders subtile Kapitalismuskritik sein? Doch kommen wir zu Fabian Hinrichs zurück.

Der kämpfte auf der Bühne mit dem Text. "Selbst geschrieben!“, blinzt Hinrichs bei einem Hänger einmal ironisch ins Publikum und sieht zwischendurch immer mal wieder herausfordernd die Souffleuse an, die hinter riesen Bambusstauden sitzt. Dort hatte Hinrichs sich zuvor schon in sein Kostüm, einen Taucheranzug, gezwängt. Und das macht dann doch manchmal Eindruck, wie dieser Schauspieler aus einem Nichts von Text, einer hingehuschten postmodernen Befindlichkeitsschrulle über Sein und Nichtsein im Raubtierkapitalismus doch noch eine halbwegs vergnügliche Angelegenheit macht. Allerdings werden dem Raubtierkapitalismus derart anämische Theatergespensterlein wenig Eindruck machen.

 

Ich habe um Hilfe gerufen. Es kamen Tierschreie zurück
von Fabian Hinrichs und Schorsch Kamerun
Konzept, Text und Regie: Fabian Hinrichs, Schorsch Kamerun. Bühne und Kostüme: Katja Eichbaum. Musik und Performance: Fabian Hinrichs, Schorsch Kamerun, PC Nackt. Tanz und Choreografie: Skvo's Dance Company Minsk, Dramaturgie: Christina Runge.
Dauer: 1 Stunde 25 Minuten, keine Pause

www.hebbel-am -ufer.de

 

Kritikenrundschau

Katrin Bettina Müller schreibt in der taz (16.11.2015), man erwarte von Kamerun und Hinrichs "ziemlich viel, das Eigenbrötlerische mit dem Klugen zu verbinden, vom Detail durch eine gelungene sprachliche Wendung auf den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu kommen". Weil Erwartungsdruck eins von den Dingen sei, "die im Kapitalismus das eben noch sich selbst erforschende Subjekt in eine Ware verfremden", ließen die beiden die Erwartungen "erst mal auflaufen". So komme zunächst "schrundig" klingende Musik, danach "ein langes Sprechsolo Hinrichs". "Hilferufe, Dramen in einem Satz, Schlagzeilen, ein Wust von Skizzen und Leben". Was das alles mit Marx zu tun haben könnte, frage sich Hinrichs Figur schließlich auch. Das "Schlingern zwischen Haupt- und Nebengedanken, diese Bereitschaft zur Ablenkung" mache "wuschig" im Kopf. Im "Teilen der Verwirrung" seien beide Künstler "großzügig".

Christine Wahl schreibt im Berliner Tagesspiegel (16.11.2015), die Zusammenarbeit von Hinrichs und Kamerun sei "heiß erwartet" worden. "Philosophische Überforderung" müsse niemand befürchten, trotz des Derrida-Zitats im Titel, marxistische Theorie käme eigentlich nicht vor. In Hinrichs "genialischem Singsang" klängen selbst die banalsten Sätze nach "massiver Komplexitätsproduktion".

 Für Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (16.11.2015) hätte dieser Abend nach dem dreiviertelstündigen "Kurkonzert" aufhören können. Denn Hinrichs Solo an einem "schnuckelig selbstverliebten Abend" überzeugt die Kritikerin nicht: "Hinrichs wird einfach zu gut verstanden von seinen Fans, die auf jedes Hüsteln begeistert zurückpiepen. Eine Katastrophe." Und weiter: "Für produktive Missverständnisse tun Hinrichs & Kamerun in dieser Show auch einfach zu wenig. Ihr Denken ist nicht wild genug – weit entfernt von den angerufenen Volksbühnengeistern."

Wie kann man sich mit Marx beschäftigen in Zeiten, in denen jede revolutionäre Parole zum Zitat geworden ist?, fragt Mounia Meiborg in der Süddeutschen Zeitung (18.11.2015). Das HAU jedenfalls finde bei seinem Marx-Festival keine Antworten. "Fabian Hinrichs macht sich über Meditationskurse und Selbsterfahrungsbücher lustig. Aber wie der Kapitalismus die Selbstverwirklichungsindustrie hervorgebracht hat, wie ökonomische Gesetze in private Bereiche des Lebens eindringen und den Kapitalismus so pervertieren - das wird hier nicht analysiert. Stattdessen gibt's Gitarren-Geschrammel, pseudo-chinesische Tänze und ein Elektroauto, das über die Bühne kurvt."

 

Kommentare  
Tierschreie, Berlin: kam nicht von Herzen
Schorsch Kamerun und Fabian Hinrichs am HAU: René Pollesch fehlte

Nach einer halben Stunde fällt die Tür krachend zu, die ersten Zuschauer gehen genervt. Die anderen rätseln noch, worauf sie sich bei dieser Performance „Ich habe um Hilfe gerufen. Es kamen Tierschreie zurück“ eingelassen haben. Als Fabian Hinrichs und Schorsch Kamerun gemeinsam mit PC Nackt musizieren, ist das zwar ein sympathischer Einstieg und eine Viertelstunde hört man auch gern zu. Schön wäre es allerdings, wenn die Texte auch so artikuliert werden, dass sie verstanden werden können.

Mit der Textverständlichkeit wird es zwar etwas besser, sonst hat sich aber auch nach vierzig Minuten nichts geändert.

Der Abend ist schon halb vorbei, als seine beiden Kumpels verschwinden und sich Fabian Hinrichs kurz hinter der Palme am Bühnenrand umzieht. Im Taucheranzug tigert er über die Bühne und bietet einen Monolog, der unentschieden irgendwo zwischen schlechter Kopie und Parodie seines „Keiner findet sich schön“-Solos an der Volksbühne pendelt.

Zwischendurch tritt dann auch noch eine Tanzgruppe aus Minsk in einer nicht näher definierbaren Landestracht auf und Hinrichs setzt seinen Monolog in einem Elektro-Auto fort. An diesem Abend, an dem ohnehin nichts zueinander passt, stören auch solche Merkwürdigkeiten nicht weiter.

Das Ganze war unter dem Festival-Titel „Marx´ Gespenster“ angekündigt und gefühlte fünf Minuten geht es in dem Monolog nach dem Konzert auch um Vergesellschaftung und „Produktionsidioten“. So unvermittelt wie dieser Themenstrang angerissen wurde, versandet er auch schon wieder. Hinrichs gibt stattdessen einen kurzen Abriss über die Architektur des Jugendstils im Allgemeinen und des Hebbeltheaters.

Fabian Hinrichs fällt es immer schwerer, sich das Grinsen über diese albernen, aneinandergestückelten Textbausteine zu verkneifen. Mehrmals muss er sich von der Souffleuse helfen lassen. Da ihm partout nicht mehr einfallen will, dass er angeblich ein Fan von Genesis von Phil Collins sei, entschuldigt sich Hinrichs mit kokettem Augenaufschlag: „Ja, das kommt eben nicht von Herzen.“ Mit Sicherheit nicht. Aber das gilt dann wohl auch für diesen ganzen Abend, der lieber im Probenraum einer Hobbycombo geblieben wäre, in den sich Esther Slevogt versetzt fühlte.

http://kulturblog.e-politik.de/archives/26701-26701.html
Tierschreie, Berlin: Wo der Meese mit dem Wolf tanzt
mann hau,
im ersten stock ne videoinstallation die mit ganz dicker hose angekündigt wird und aus einem läppischen Loop besteht, im zweiten stock zwei filme von 2010, kuratiert aus der 3sat mediathek - und als ganz grosser reisser ein voll hippes projekt, zusammengeschustert -äh, -kuratiert aus drei namen die irgendwie ganz schön hip sind - im "verbund" vom hau, kampnagel und mousonturm. hört endlich mal auf mit eurem scheiss marketing und nehmt mal etwas Geld in die Hand um wenigstens den Ansatz eines gedankens zu entwickeln. der hinrichs musste ja schon selber lachen - und hat das hkf und bkm Geld sicher gerne genommen. man kann ja über das stadttheater abkotzen wie man will - aber da wird wenisgtens noch der versuch gemacht ein wenig nachzudenken, bevor man etwas auf die bühne stellt. dass dieses Festival "kuratiert" sei - ist echt der grösste Witz - vorschlag ans hau: einfach alle namen der letzten Spielzeit in einen sack stecken - gut durchschütteln, auf 40 wochenenden verteilen, dann titel wie grenz:zaun oder complacency kills oder Monster of neoliberalism drüberschreiben, dazu noch bisschen tvprogramm abschreiben, sorry - kuratieren - und das ganze bei ksb hkf und bkm abgeben - dazu bisschen auf podiumsdiskussionen rumheulen, wie böse neoliberal der kulturstaatsekretär ist und dass die freie Szene echt voll vernachlässigt wird - und schon fliesst es wieder, und wenn nicht: last Exit neuhardenberg, wo der meese mit dem wolf tanzt.
Tierschreie, Berlin: Citroen und Roland Barthes
Möglicher Hinweis von wegen des Citroens, ob nun weiss oder schwarz:

http://www.deutschlandradiokultur.de/roland-barthes-muttersohn-und-mythenjaeger.976.de.html?dram:article_id=336430
Um Hilfe gerufen, Berlin: Dank
@ marx Oma
Danke!
Um Hilfe gerufen, Berlin: einzigartig belanglos
“Marx’ Gespenster” steht da auf dem Plakat. Aha. Es ist der Titel eines kleinen Festivals am HAU, in dessen Rahmen jetzt eine erst einmal spannend erscheinende Zusammenarbeit entstanden ist. Auf der einen Seite ist das Fabian Hinrichs, Schauspieler, Tatort-Kommissar, vor allem aber das Aushängeschild des Diskurstheaters, Pollesch-erfahren und immer für einen assoziationsstarken 90-Minuten-Monolog durch post-postmoderne Befindlichkeiten gut. Auf der anderen Seite Schorsch Kamerun: Punk-Urgestein, Kopf der “Goldenen Zitronen”, längst auch Theatermacher, ein satirisch-anarchistisch innovativer grenzüberschreitender Querkopf. Wenn die beiden auf die Suche nach Marx’ Gespenstern gehen in einer Welt, die diese längst vertrieben zu haben glaubte, kann das nur spannend werden, oder? Nichts da, schließlich sind Hinrichs und Kamerun vor allem in einem gut: Erwartungen zu unterlaufen. Das zumindest gelingt ihnen eindrucksvoll in diesen 80 Minuten, denen in Sachen Belanglosigkeit derzeit wenig im deutschsprachigen Theater das Wasser reichen kann (was an sich schon an ein Wunder grenzt). Dass der Abend durchaus kurzweilig und unterhaltsam daherkommt, macht die Sache nicht besser. Im Gegenteil.

Komplette Kritik: https://stagescreen.wordpress.com/2015/11/17/marx-im-tiefschlaf/
Um Hilfe gerufen, Berlin: die Laien und die Profis
Die männlichen Laienkritiker sind dagegen, die weiblichen Profis sind dafür. Und ich weiß auf welcher Seite ich bin.
Um Hilfe gerufen, Berlin: unnötiger Abend
Jede ernsthafte Kritik ist zuviel für diese lahme bis peinliche Impro-Show. Ein vollständig unnötiger Abend..hatte das Gefühl die Darsteller waren sich dessen ebenfalls bewusst.
@marx Oma: isso!
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