Gespräche über Bäume

von Esther Slevogt

Berlin, 24. November 2015. Wahrscheinlich ist das auch ein Relikt aus dem bürgerlichen Heldenleben: dass man in Zeiten wie diesen den Rat der alten Meister sucht. Von Bertolt Brecht zum Beispiel, der, als seine eigenen Zeiten immer radikaler wurden, auch von der Kunst Parteinahme gefordert hat. Der fand, ein Gespräch über Bäume beispielsweise könne ein Verbrechen sein, weil es das Schweigen über so viele Untaten einschließen würde. Zwischen 1933 und 1938 war das, als dieses berühmte Gedicht "An die Nachgeborenen" entstand, aus dem die berühmte Zeile von den berühmten Bäumen stammt. In diesen Jahren war Brecht schon im Exil. Geflohen aus einem Land, in dem sein Leben und das seiner Familie nicht mehr sicher war. Aus diesem Land.

Schweigen versus Getöse

Die Sache mit den Bäumen und dem Schweigen beschäftigt mich immer mal wieder. Und auch, ob das eigentlich so stimmt. Ob das Gespräch über Bäume zum Beispiel in Zeiten wie diesen wirklich ein Verbrechen ist. Ob es nicht eher ein Zeichen des Widerstandes sein kann, sich von der Gewalt, die zunehmend den Diskurs bestimmt, nicht in Geiselhaft nehmen zu lassen. Ob man also in Zeiten wie diesen nicht ERST RECHT über Bäume sprechen muss.

kolumne estherWeil ja auch nirgends dieses Schweigen vernehmbar ist, das Brecht so fürchtete: Sondern das mediale Getöse jeden Gedanken und jedes andere Sprechen übertönt. Alles nur noch Krieg Krieg Krieg, Terror Terror Terror oder Flüchtlinge Flüchtlinge Flüchtlinge ruft. Oder sonst wie von diesen zerrütteten Zeiten aufgeworfene Diskurse ausgemalt und weitergetragen werden. Und nichts anderes mehr. Wo alles in Ideologien des "dafür" oder "dagegen" gepresst wird, die Freiheit des Handelns und schlimmer noch des Denkens dabei zunehmend auf der Strecke bleibt. Muss man da eben nicht ERST RECHT über Bäume reden?

Und da bin ich wieder bei Brecht, der, als er noch in Deutschland war und die Kämpfe zwischen Rechts und Links auf der Straße und in der Welt immer kriegsähnlichere Züge annahmen, ein Stück geschrieben hat, das "Die Maßnahme" heißt. 1929/30 war das und darin werden Bedingungen für die Weltverbesserung durchdekliniert. "Versinke im Schmutz / Umarme den Schlächter. Aber ändere die Welt. Sie braucht es..." heißt es da unter anderem.

Fanatische Weltverbesserung

Hanns Eisler hat das wundervoll vertont: einen Choral daraus gemacht, der so fromm und erhaben wie Bachs H-Moll-Messe klingt (auch wenn Eisler damit vielleicht bloß kokettierte). Der Zweck heiligt die Mittel, sagt dieses luzide Werk. Oder spielt eiskalt durch, was geschieht, wenn das so gehandhabt wird: dass nämlich die Verhältnisse sich am Ende nicht mehr von denen unterscheiden, die vermeidlich bekämpft werden. Weil am Ende auch die zu Mördern werden, die den Mord bekämpfen. Dass fanatische Weltverbesserung also diese Welt am Ende eher noch schlechter und unbewohnbarer macht.

Womit wir wieder bei der Frage der Bäume wären: Ob man über sie reden muss oder nicht mehr reden darf. Ich für meinen Teil sehe das Theater gerade im Schmutz der Welt versinken und hörte deshalb im Augenblick lieber einem Gespräch über Bäume zu.

 

esther slevogtEsther Slevogt ist Redakteurin und Mitgründerin von nachtkritik.de. In ihrer Kolumne Aus dem bürgerlichen Heldenleben untersucht sie: Was ist eigentlich mit der bürgerlichen Öffentlichkeit und ihren Repräsentationspraktiken passiert?

 

Zuletzt schrieb Esther Slevogt in ihrer Kolumne Aus dem bürgerlichen Heldenleben über Navid Kermanis Gebetsaufforderung in der Frankfurter Paulskirche.

 

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Kommentare  
Gespräch über Bäume?: Resonanzraum für Feiglinge
Ich sehe eher unser Hirn im Schmutz der Welt untergehen, als das Theater. Dieser Zweitschlag im Kopf, den der Terror auslöst, diesen kulturellen Schlaganfall, nachdem man meint alles wieder neu erlernen zu müssen: die Sprache, die einfachsten Bewegungen und Gesten, das Vokabular.

Der Schlag in den Schädel reproduziert die senile Kriegslogik eines vergangenen Jahrhunderts, mit all seinen fadenscheinigen Worten, und am Ende der Kette dieses Echoraums, schießen die Türken ein russisches Kampfflugzeug ab, als ginge es darum ein neues Sarajevo Attentat zu konstruieren.

Ein Hunger nach Leiden, Demut, Kampf, Verteidigung, Selbstaufgabe, Schmerz, Schicksal, Terror und Gegenterror stellt sich der Freiheit entgegen. Diese verhasste Freiheit, die so wenig Struktur bietet. Die einen zwingt selber zu gestalten, wo doch Gewalt einen so einfach lenkt, und einen Weg weist, aufzubegehren gegen imaginäre Feinde. Die Fremden geben uns unsere Struktur zurück. Wir können uns wehren. Und diese Abwehr lenkt uns, gibt uns unsere angeblich in der Freiheit verlorene Struktur wieder zurück.

Dankbar klammern wir uns an die Agenda der Ereignisse. Sie gibt uns unsere Geographie zurück und lässt uns unsere längst vergessenen Werte wieder spüren. Plötzlich glauben wir wieder funktionieren zu können. Wollen Grenzen neu setzen. Es, die Gewalt, sie definiert uns neu in unserer alten Begrenztheit.

Das Theater ist dabei doch nur ein Resonanzraum für Feiglinge. Das bisschen Gegenwehr, ein Witz. Ein müder Widerhall verflossener Größe. Wenn überhaupt, ginge es doch nicht darum, wovon wir reden, seien es nun Bäume oder Kriege, sondern, wie wir im Theater darüber reden. Mit welchem Ton, welchem Wortschatz und wie ansteckend wir damit wären, wenn wir wären. Sie haben den Hass, wir den Champagner, das war ja wenigstens ein Ansatz.

Aber zu welcher Champagner-Revolte könnte sich das deutsche Theater heute noch aufschwingen?

Überall nur Brücken der Authentizität, des Diskurses hinein in den Bühnenraum, dort, wo wir diese wieder völlig exotisch und fremd gewordene Freiheit zelebrieren sollten, als etwas, das immer noch weit von uns entfernt ist, als etwas, das wir tragischerweise immer noch nicht verstehen. Es geht doch nicht mehr darum kriminell zu werden, weil man über Bäume redet, um damit soviel zu verschweigen. Es geht eher darum frei über Bäume zu reden.

Ungelenkt, von all den eingrenzenden politischen Zwängen, davon zu reden, wie man noch reden könnte. Der Gegenstand, das Thema des Redens ist bei all dem Lärm fast nachgeordnet. Das „Wie“ macht die Musik, die uns alle anstecken könnte wieder frei zu sein. Die Stimmung, der Klang, den wir erzeugen könnten, davon geht die Gefahr für alle Feinde der Freiheit aus. Das Fest des Lebens, das wir feiern könnten, davon fühlen sich die Gotteskrieger verhöhnt, das fürchten sie, und mit ihnen all diese kleinen Pegida und Afd- Fratzen.
Gespräch über Bäume?: Waldsterben
Wer heute über Bäume spricht, kann kaum über das Waldsterben schweigen.
Gespräch über Bäume: Selbstzensur und Selbstzweifel?
Nach meinem Verständnis sprach Brecht an der Stelle und in dem größeren Zusammenhang von der Selbstzensur: den Selbst-Zweifel über das vermeintliche "Verbrechen", im radikal gesellschaftsrelevanten Denken, sich trotzdem Zeit zu nehmen auch über ein Gespräch über Naturphänomene. Weil man baalistische Lust hat an ihnen und daher AUCH über ein Gespräch darüber. Nicht nur an Gesprächen über die Dinge, die politisch notwendig und theatral zweckmäßig, naheliegend, sind. Etwas zutiefst persönlich Wahrgenommenes und lyrisch Ausgetragenes - es ist wohl immer schlecht, wenn man Dichter in direkter Linie gebrauchen will, um eigene Gedanken und Gefühle zu beglaubigen im Gespräch mit anderen...
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