Antigone - Sophokles von Kostas Papakostopoulos am Theater im Bauturm in Köln anspielungsreich inszeniert
Erstickt an 500-Euro-Scheinen
von Martin Krumbholz
Köln, 27. November 2015. Diese Sophokles-Inszenierung ist gewissermaßen von Verwesungsgeruch geprägt. Die Leiche des Polyneikes, des Ödipussohns, der im Zweikampf mit seinem Bruder Eteokles fiel, ist direkt an der Rampe aufgebahrt. Wobei ja die Bahre strenggenommen schon des Guten zuviel ist. Der Verräter Polyneikes soll unbestattet liegen bleiben, wo er liegt, so hat der Herrscher Kreon es befohlen. Kreon wird sich später daran machen, den Leichnam buchstäblich auszuschlachten. Oder jedenfalls so zu tun, als ob. Denn "gespielt" wird der tote Polyneikes von einem echten und, wie man sehen wird, lebendigen Schauspieler. Der freilich ohne Text auskommt und sich erst zum Applaus erhebt.
Gefühlter Grexit
Das Deutsch-Griechische Theater in Köln, das seine Inszenierungen mit wechselnden Partnern koproduziert und sich auf die Bearbeitung griechischer Klassiker spezialisiert hat, feiert sein 25-jähriges Bestehen mit einer "Antigone", die der Theaterchef Kostas Papakostopoulos sich sehr großzügig aneignet. Diese "Antigone" spielt also heute in einem sogenannten Rechtsstaat. Anspielungen auf den "Grexit" fehlen so wenig wie solche auf den Terror des IS, infolge dessen das Volk von Theben "noch enger zusammenrückt".
Die Figur des Kreon ist verdoppelt, erscheint quasi als Kanzler und Präsident; der eine hat die Macht, der andere hält salbungsvolle Ansprachen. Damit ist die satirische Linie der Aufführung vorgebildet. Ihr Angriffsziel ist offensichtlich der Neoliberalismus gewisser Leute, die in Europa das Sagen haben. Die Euros quellen dieser Inszenierung sozusagen aus allen Knopflöchern, sogar aus dem toten Polyneikes werden sie zutage gefördert. Das Drama der tapferen Antigone tritt dabei in den Hintergrund.
Neoliberale Akklamation
Dabei gibt Lisa Sophie Kusz in ihrer Ernsthaftigkeit eine durchaus überzeugende Antigone ab, fragil und schroff zugleich. Doch Papakostopoulos richtet sein Augenmerk mehr auf die salbadernden Männer mit ihren roten Schärpen und ihre notorischen Kaspereien. Der Chor in Gestalt eines Musikers am elektrischen Klavier mischt sich nur sporadisch ein ("Ungeheuer ist viel..."). Der Konflikt zwischen Kreon und Antigone ist von vornherein entschieden, da Kreon sich – das ist der Unterschied zu Sophokles – keinem Konflikt aussetzt, am Schluss also auch nicht verzweifelt, sondern mit seinem neoliberalen Geschwätz jeden Widerstand erstickt. Der Autor/Regisseur macht es sich mit dieser Figur zu leicht.
Die eindringlichste Szene ist bezeichnenderweise die, in der Kreon ganz in den Schatten rückt: Der Auftritt seines Sohns Haimon, des Verlobten von Antigone, findet als Video-Projektion statt. Gespielt wird Haimon von Stephanie Meisenzahl, die auch die Ismene darstellt, mit einem kessen Schnurrbärtchen und einer Emphase und Schärfe, die der Aufführung bei aller Drastik sonst fehlt. Aus einem weichen braven Söhnchen entpuppt sich ein moralisch unerbittlicher Richter über den eigenen Vater; als Ausweg bleibt allein der Suizid. Dieser Video-Auftritt hallt nach. Als Ismene gibt Meisenzahl wieder die abgebrühte (später betrunkene) Zynikerin. Das entspricht der Generallinie der Inszenierung, die stets den grellen, möglichst drastischen Effekt sucht und die wohlfeile politische Akklamation.
Lebendige Leichen
Antigone wird in einer der Leichenkammern im Hintergrund der Bühne (Ulrike Mitschke) lebendig begraben und erstickt an 500-Euro-Scheinen, die sie sich selbst in den Mund stopft. Kreon tut sich mit der Leiche des Polyneikes zusammen, in einem eigentümlich makabren Akt flagranter Nekrophilie. Einfälle wie diese berühren unangenehm, aber sie tun nicht wirklich weh und erzählen auch nichts Wesentliches, außer dass hier jemand durchdreht, den bis dahin doch nichts im entferntesten zu tangieren schien.
Antigone
nach Sophokles
Regie: Kostas Papakostopoulos, Ausstattung: Ulrike Mitschke, Musik: Herbert Mitschke, Licht: Julia Marx.
Mit: Lisa Sophie Kurz, Stephanie Meisenzahl, Vassilis Nalbantis, Stefan Kleinert, Thomas Franke, Stephanie Meisenzahl, Annika Weitershagen, Terja Diava, Thomas Franke, Herbert Mitschke.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.theater-im-bauturm.de
Bernhard Krebs von der Kölnischen Rundschau (1.12.2015) findet vieles an diesem Abend "viel zu kurz gedacht". Etwa, wenn Antigone dem Onkel nur die Stirn biete, weil sie nach traditionellen Werten leben wolle. Antigone, die in der Sicht des Kritikers erste "Revolutionärin der Literaturgeschichte" werde hier "ein graues reaktionäres Mäuschen". Ansonsten seien "Vorgänge und Symbolik" dieser Inszenierung "so willkürlich und leer wie Kreons Begriff vom Rechtsstaat".
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