Unter Glückspilzen

von Falk Schreiber

Hamburg, 3. Dezember 2015. Vorneweg ein Geständnis: Ich bin nicht unabhängig. Ich habe Geld genommen, 2 Euro 33, nicht die Welt, okay, und ich habe sie auch gleich der Produktion zurückgespendet, aber zunächst habe ich sie angenommen. Ich bin ein Embedded Journalist, und die Situation wird nur ein klein wenig entschärft dadurch, dass jeder Theaterbesucher des Stücks "Lucky Dog – The Show“ 2 Euro 33 erhält.

Wobei der Begriff "Theaterbesucher" falsch ist, schon mangels Theater (das das ehemalige Schulgebäude Wartenau 16 im Hamburger Osten nun wirklich nicht darstellt). Wir sind kein Theaterpublikum an diesem Abend, wir sind Filmkomparsen, und die erhalten eben eine kleine Aufwandsentschädigung sowie filmübliches Catering: Obst, Saft und Schokoriegel.

Auf den Hund gekommen

Das Theaterduo Meyer&Kowski, bestehend aus Susanne Reifenrath und Marc von Henning, dreht also einen Film. Die Handlung: In der irischen Kleinstadt Sligo verbreitet sich 2012 das Gerücht, dass es Glück bringen würde, die Bronzestatue eines Hundes zu streicheln. Nach und nach streichelt die Bevölkerung brav, und tatsächlich – anscheinend haben die Leute immer mehr Glück. Worauf zwei TV-Promis, ein Zauberkünstler (Michael Reffi) und eine Kochbuchautorin (Julia Blechinger), in dem Städtchen einfallen, um Sligos Glück im Rahmen einer Fernsehshow herauszufordern. Und eben diese Fernsehsendung reenacten Reifenrath und von Henning für einen Film, der als One Take aufgenommen wird und nach Plan im April fertig sein soll.

luckydog theshow 560 kilograd 0Filmdreh für Fortgeschrittene: Bei "Lucky Dog" spielt das Publikum ein Showpublikum
© Kilograd 0

Reifenrath und von Henning inszenieren als Meyer&Kowski seit längerem verhältnismäßig traditionelles Schauspielertheater, das nicht ungeschickt die Grenze zwischen Zuschauer und Performer auflöst und zudem immer wieder neue, ungewohnte Orte im Hamburger Stadtraum für das Theater erschließt; der Doppelmonolog "Nirvana sehen" erhielt voriges Frühjahr durchaus verdient den Publikumspreis des Festivals Hauptsache frei. Das Gelingen dieses ganz eigenen Theaters jenseits aller Trends und Moden hängt aber extrem von der Güte des Stoffs ab, und die ist bei "Lucky Dog – The Show" eher zweifelhaft.

Viel mehr als "Glück ist in erster Linie das Nichtwahrnehmen von Pech" kommt nicht rüber, und auch wenn Hans-Jörg Frey als kleinstädtischer Pechvogel in einem tatsächlich sehr lustigen Video beweist, dass man ebenso das Glück konsequent ignorieren kann – das ist ein Kalenderspruch. Zu Beginn des Abends werden Passanten an den Landungsbrücken zu ihrer persönlichen Glücksdefinition interviewt, da fallen Stanzsätze wie "Wichtig ist, dass die Kinder gesund sind" oder "Glück ist, Zeit mit Freunden zu verbringen". Kurz fürchtet man, dass hier diese einfachen Gemüter denunziert werden, aber es ist schlimmer: Genau diese biedere "Glück ist, was man draus macht"-Moral ist die Basis des Abends.

Weinen ohne Schmerz, Lachen ohne Witz

Was nicht heißen soll, dass "Lucky Dog" als theatrales Experiment nicht seinen Reiz hätte. Aufnahmeleiterin Reifenrath scheucht uns Komparsen charmant von links nach rechts, so dass man für Momente vergisst, dass hier ein Publikum Publikum spielt, was performativ wenig hergibt, wenn man es durchdenkt, allerdings gar nicht mal so üble Mindfuck-Qualitäten hat. Zudem sind die (echten) Schauspieler gut geführt, Frey etwa mit verschmitztem Fatalismus, Tina Säck als Betriebsnudel, deren Leben man sich auch ohne Statuenstreicheln als glücklich vorstellen könnte.

Immer wieder gerät man so in Versuchung, "Lucky Dog" als krachledernes, aber handwerklich gut gemachtes Rampentheater misszuverstehen, man ignoriert also wohlig, dass man das Publikum nur spielt, sondern ist echtes Publikum – aber dann grätscht die Regie doch wieder mit einem "Cut!" dazwischen. Immerhin, so muss man den Inhalt des Stücks wenigstens nicht für bare Münze nehmen, sondern kann sich in eine zweite, postdramatische Ebene retten. Reifenrath: "Publikum bei 'Luck Dog' zu sein, ist wie Weinen ohne Schmerz, Lachen ohne Witz." Das Ganze ist raffinierter als man angesichts des doch eher schlichten Inhalts gedacht hätte.

Was insofern dann schon wieder enttäuscht: Eigentlich würde man jetzt auch gerne den Film sehen, an dem man die vergangenen gut eineinhalb Stunden fleißig gearbeitet hat. Aber Pech gehabt.

 

Lucky Dog – The Show
von Meyer&Kowski
Gesamtkonzeption: Meyer&Kowski (Marc von Henning und Susanne Reifenrath), Ausstattung: Annette Haunschild, Bildregie: Christa Pasch, Produktionsleitung: Kaja Jakstat, Technische Leitung: Sönke C. Herm.
Mit: Julia Blechinger, Hans-Jörg Frey, Susanne Reifenrath, Michael Reffi, Tina Säck, Phillip Versen. Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, eine Pause

www.meyerundkowski.de
www.luckydog-the-show.de

 

Live-Film Theater gibt es regelmäßig auch bei Katie Mitchell und Klaus Gehre. Vorreiter ist Volksbühnenchef Frank Castorf, der jüngst wieder im Karamasow die Kameras anwarf.

 

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