Zack, schon ist er umgebracht

von Dorothea Marcus

Krefeld, 30. Januar 2016. Es regnet in Schottland, und immerzu wabert der Nebel aus den Eismaschinen. Bei "Macbeth" ist er rot angestrahlt. Auch das Wasser aus dem komplexen Röhrensystem, das auf den roten Untergrund tropft, erweckt den Eindruck, als wateten die Figuren in Shakespeares Königsmörderdrama immerzu in Blut. Gut, dass sie alle, inklusive Lady Macbeth, robuste Schlammboots tragen (Bühne/Kostüme: Sigi Colpe). Mit strubbeligen Stromschlag-Haaren hauchen, stöhnen und hecheln die Hexen (Lena Eikenbusch, Esther Keil, Helen Wendt) ihre düsteren Prophezeiungen ins Mikrofon. Im weißen, blutigen Unterhemd torkelt Macbeth im Kreise seiner Soldatenkollegen über die Bühne, als ihm die Idee kommt, den gütigen König Duncan (Joachim Henschke als Großvatergestalt in langem schwarzen Mantel) umzubringen.

(Be-)Herrscher der Atmosphären

Paul Steinbach ist für die Rolle des Thronusurpators Macbeth eine gute Wahl: Er spielt ihn als ein eifrigen Emporkömmling mit Kindergesicht und Schwabbelbauch, der das Grundproblem des Zukurzgekommenen mit sich trägt. Durch so einen Mord kann man sich eben auch Männlichkeit erkaufen. Kein Wunder, dass Steinbach als Macbeth, der sich zur Tat entschlossen hat, im Pelzkragen gleich viel erwachsener und attraktiver aussieht. "Dir steht mehr zu, als ich bezahlen kann", sagt Duncan voll düsterer Vorahnung in Thomas Braschs knochentrockener Übersetzung, als er bei den Macbeths zu Gast ist, als würde er bereits ahnen, dass Macbeth eben alles haben will, was es auf dieser Welt zu holen gibt. Da wirkt er auf einmal äußerst modern.

macbeth1 560 Matthias Stutte uBlutrotes Wasser, geladenes Pathos: Ronny Tomiska, Cornelius Gebert, Paul Steinbach, Julia Klomfaß, Bruno Winzen © Matthias Stutte

Macbeths Einpeitscherin Lady Macbeth trägt in Krefeld zwar lieblich weißen Pelz und Flechtfrisur, ist aber trotzdem eine keifende Furie. Eva Spott spricht die Lady mit so viel gepresster, grimmiger Entschlossenheit, dass weder Zweifel noch andere Zwischentöne dazwischenkommen. Wo kommt all der verbissene Ehrgeiz her? Regisseur Hüseyin Michael Cirpici enthält sich jeder Erklärung: Bei ihm gibt es keine psychologisch-mangelerotischen Motivdeutungen des kinderlosen Ehepaars, die sonst gerne bemüht werden. Leider spürt man auf der Bühne auch kaum eine innere Verbindung zwischen ihnen. Cirpici, ein gebürtiger Krefelder, der bald auch am Deutschen Theater Berlin inszeniert, ist eher ein Beherrscher von Atmosphären als von Psychologien und hat sich neben Kunstnebel und rotem Regen vor allem die Klangkünstlerin Julia Klomfaß eingekauft. Im Hintergrund der Szenerie beherrscht sie souverän eine Armada von Instrumenten, wandelt zwischen Cello, Bass, offenen Klaviersaiten, Klangblechen und Xylophonen und nutzt zuweilen auch ihre Stimme. Ein grandioser Musikteppich begleitet den kurzen Abend, macht ihn bedrohlich und endzeitlich, zu einer sich immerzu fortsetzenden Geschichte aus Gewalt und Gier.

Das mörderische Milchgesicht muss weg

Die Schauspieler halten da nicht immer ganz mit, auch wegen der ihnen aufgezwungenen Geschwindigkeit: Cirpici hat Braschs Übersetzung auf fast schon zu rasante 100 Minuten gekürzt. Kaum baden Macbeths Hände in Blut, ist auch schon die Reue da, wird Banquo um die Ecke gebracht, erscheint er beim missglückten Bankett als realer Geist, begibt sich Macbeth angstgetrieben in den Strudel der Gewalt. Sein vergiftetes Königstum wird zu Tyrannenwillkür und Wahn, als die Angst besiegt ist durch die erneut aus dem Mikro erhauchte Hexen-Prophezeiung, dass kein von einer Mutter Geborener ihm etwas anhaben kann.

Was beim historischen Macbeth-Vorbild als Amtszeit immerhin 17 Jahre dauerte, ist in Krefeld in wenigen Minuten abgehandelt. Schon schleicht die wahnsinnig gewordene Lady Macbeth mit weißem Unterhemd, Kerze und Putzeimer über die Bühne, um sich blutspritzend vergeblich mit Blut zu reinigen. Wie konnte die vorher Wildentschlossene nur dermaßen aus den Fugen geraten?
Die Angehörigen des künftigen Macbeth-Besiegers MacDuff im Exil sind eine nette Familie in Alltagskleidung, der Sohn trägt Streifenshirt zu Sneakers und wird beiläufig mit dem Messer erledigt. Es ist nun völlig klar – das mörderische Milchgesicht, der schottische Teufel, muss weg.

Dampfende Heldenposen

Schön ist anzusehen, wie Cornelius Gebert als aufrechter Recke Macduff seine Rache mobilisiert, zum heulenden Trauertier wird und mit seinen Männern in Unterhemden und Schaftstiefeln die Säbel zückt, um den diktatorischen Usurpator loszuwerden. Zum Schluss steht er pathetisch heldenhaft mit ihnen im rot angeleuchteten Nebel, Macbeth wurde zuckend mit dem Dolch um die Ecke gebracht. Es dampft, elegische Geigenmusik wabert, drei tapfere Männer haben gesiegt: ein fast schon absurd pathetisches Bild, das unfreiwillig an totalitäre Bildersprachen erinnert. So schließt sich der Kreis der Gewalt.

Cirpici hat den "Macbeth" in seiner Heimatstadt schön und effektsicher auf die Bühne gebracht. Und dennoch wundert man sich über die seltsam unironische und gegenwartsfreie Verherrlichung des Tyrannenmords. Geht in der Krimi-Geschichte Macbeth wirklich alles so eindeutig zu? In Krefeld kann man sich etwas zu schnell, gemütlich und eindeutig auf die Seite der Guten schaukeln.

 

Macbeth
von William Shakespeare, Deutsch von Thomas Brasch, Inszenierung: Hüseyin Michael Cirpici, Bühne und Kostüme: Sigi Colpe, Live-Musik: Julia Klomfaß, Dramaturgie: Martin Vöhringer.
Mit: Joachim Henschke, Christopher Wintgens, Paul Steinbach, Eva Spott, Michael Ophelders, Ronny Tomiska, Cornelius Gebert, Esther Keil, Ronny Tomiska, Bruno Winzen, Helen Wendt, Lena Eikenbusch.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.theater-kr-mg.de

 

Kritikenrundschau

"Eine stimmige Atmosphäre" attestiert Klaus M. Schmidt der "Macbeth"-Inszenierung von Hüseyin Michael Cirpici für die WZ (31.01.2016). Allerdings dauere dieser "Macbeth" nur unwesentlich länger als ein TV-Tarot, weshalb sich auf der Bühne nur wenig "entwickelt". "Zu abrupt kehrt der ermorderte Banquo als Geist zurück, kaum nimmt man der harten Lady Macbeth ihr Irrewerden an der Schuld ab". Bis zum "Kern des Bösen" dringt Cirpicis Inszenierung leider nicht vor, findet Schmidt. "Die Gewalt bleibt fremd, als hätte sie mit uns selbst aber auch gar nichts zu tun."

Dem Vergleich mit Jürgen Groschs Skandal-Macbeth von 2005 besteht Cirpicis Inszenierung in keinster Weise, schreibt Petra Diederichs für RP Online (01.02.2016). "Sie ist weniger provokativ. Und trifft weniger ins Mark." Anstatt das Stück auf die Gegenwart zu beziehen, hebt Cirpici "die Morderei aus Zeit und Raum - und bleibt dabei nah bei Shakespeare." Zeit für "tiefe Zweifel" oder "ruhige Töne" hätten die Schauspieler in den gut anderthalb Stunden kaum, findet Diederichs.

 

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