Presseschau vom 22. Februar 2016 – Die Süddeutsche Zeitung mit einer Bestandsaufnahme der Tanzszene zum Auftakt des "Tanzjahrs 2016"

Mehr Handwerk, weniger Kunst!

Mehr Handwerk, weniger Kunst!

22. Februar 2016. Zum Auftakt des "Tanzjahrs 2016" wünscht sich Dorion Weickmann in der Süddeutschen Zeitung eine "Selbstbesinnung" der Tanzszene und findet klare Worte: "Was Beherrschung des Körperinstruments, Ausdruckskraft und Aussagefähigkeit betrifft, liegen Ballett und smarte Hip-Hop-Produktionen inzwischen gleichauf, während der zeitgenössische Tanz sich häufig mit bloßer Kunstbehauptung begnügt." Die Legende besage, dass der Stadt- und Staatstheaterbetrieb rückständig sei, die Labore des Fortschritts würden von der frei flottierenden Konkurrenz betrieben. "Empirisch trifft das Gegenteil zu", so Weickmann. "Die choreografische Avantgarde von Pina Bausch bis William Forsythe hat sich innerhalb fester Strukturen entwickelt."

Das bedeute "nicht, dass jede kommunale Bühne heutzutage Tanz auf Augenhöhe mit der Gegenwart produziert". Aber die Auslastung in den Stadt- und Staatstheatern sei gut, und das liege daran, dass Tänzer und Tanzmacher im festen Engagement für ihr Tun gerüstet seien, so Weickmann weiter. "Sie stehen auf dem Fundament ausgefeilter Bewegungstechniken. Deshalb wird ein Mindestmaß soliden Handwerks so gut wie nie unterschritten."

Falsche Geldverteilung und "dilettantischer Mischmasch"

In der Freien Szene sehe es anders aus. Erstens sei es "ein kulturpolitischer Skandal", dass "die Besten der Besten – Choreografen wie Meg Stuart, Sasha Waltz, Helena Waldmann oder Christoph Winkler" immer noch in prekären Arbeitsbedingungen ausharren müssten.

Zweitens drücke sich "der zeitgenössische Tanz von mittlerer Qualität" um eine Positionsbestimmung: "Wieso das Etikett 'Tanz' für Aufführungen herhalten muss, die wechselweise an Bewegungsdiarrhoe oder -obstipation kranken und keinerlei künstlerische Absicht, geschweige denn Stil- und Formwillen erkennen lassen, bleibt rätselhaft." Die "notbehelfsweise gern benutzte Rubrizierung 'Performance'" stehe in solchen Fällen für "dilettantischen Mischmasch". "Dabei ist die Sache eigentlich ganz einfach: Ob Musiker, Maler, Schriftstellerin oder Filmregisseurin – Profikünstler müssen ihr Werkzeug und ihr Metier beherrschen."

(sd)

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