Faust ist auch nur ein Popstar

von Christian Rakow

Weimar, 27. Februar 2016. Im Grunde ist dieser Satz einem jeden Regisseur mit auf den Weg gegeben, der sich an "Faust II" wagt: "Den lieb' ich, der Unmögliches begehrt." Goethes Alterswerk ist wahrlich ein Bühnenunding. Wer sich als Leser einmal durch die "klassische Walpurgisnacht" geackert hat – oder wohl eher durch den Anmerkungsapparat dazu – ahnt, dass die Spuren dieser Mythenspiele nicht in Äonen abgeschritten werden können.

Ein Bibliotheksdrama ist's, gespeist aus Buchwissen und gemacht für Buchwissen. "Hast du noch irgendetwas davon parat?", fragte sich ein Ehepaar hinter mir vor der Premiere ab. "Kaiser – Helena – Landgewinnung." Tja, wer könnte mehr vorweisen?

Ein Fall fürs Fremdenverkehrsbüro

Hasko Weber hat in Weimar für seine kühne Unternehmung allemal gut vorgebaut. 2013 zu seinem Amtsantritt als Intendant legte er den ersten Teil des Faust vor, bildgewaltig und hinreißend komisch, vor allem in den Nebenfiguren. Das Werk lief seither 60 Mal (wobei ein "Faust" in der Goethe-und-Schiller-Stadt ohnehin eher ein Fall für das Fremdenverkehrsbüro als für die Spielplan-Dramaturgie ist). Demnächst kommt es als Double Bill mit "Faust II" (weshalb mit Auftritten von "Gretchen" Nora Quest auch einige Querverweise eingebaut sind).

FaustII 1 560 Matthias Horn uFaust und Mephisto vor dem (Sonnen)untergang: Lutz Salzmann, Sebastian Kowski
© Matthias Horn

Wenn man jenem ersten "Faust" etwas vorwerfen konnte, dann dass er seinen Protagonisten zu billig abfertigte. Faust war bei Lutz Salzmann ein verkaterter Altgigolo, der sich mit Müh' und Not und etwas Heroin für seinen letzten Trip fit spritzte. Ein blasser Blender. Für den zweiten Teil der Tragödie, in der Salzmann als Faust abermals neben Sebastian Kowksi als Mephisto auf Reisen geht – und abermals arg laissez-faire gestimmt –, haut diese Anlage besser hin. Im großen Karneval der Allegorien und Symbole tauchen die Figuren mit ihren je eigenen Motivationen ohnehin früher oder später ab.

Anschluss an die Freiheit

"Faust II" ist in letzter Zeit regelmäßig auf die Modernisierungskritik hin angeschaut worden: auf das zwiespältige Ingenieurspathos (Stichwort: Landgewinnung) und die hoch riskante Papiergeldschöpfung (Kontext: Bankenkrise). Im Hintergrund stehen (literaturwissenschaftliche) Analysen, die den "Faust" als exemplarisch für den Epochenumbruch 1800 ansehen. Hasko Weber geht den Text historisch noch unmittelbarer an. Bei ihm ist die bankrotte Kaiserpfalz die DDR kurz vor der Wende 1989. Unter einem riesigen Marx-Kopf inmitten der holzvertäfelten Bühne (von Oliver Helf) hockt ein jungspundig ratloser Kaiser (Jonas Schlagowsky). Einen Maskenball und eine Papiergeldspritze später wird sein Staat mit bundesrepublikanischem Fähnchen und einem Transparent "Endlich Freiheit" den Anschluss an den Westen geschafft haben.

Popkultur at its best

Anschluss an den Westen heißt hier: Schleusen auf, freie Zeichenkunst, enthemmtes Spiel der Verweise, Popkultur at its best. Salzmanns Faust ist als Poet ein Jonathan-Meese-Wiedergänger in Adidas-Jacke. Als Impressario macht er auf Las Vegas. Im Helena-Akt kommt er als Ozzy Osbourne mit Sonnenbrille, Zylinder und Gehstock daher und bezirzt halbgar seine Helena, die wie die alternde Elisabeth Taylor unter einer Ayurveda-Gesichtsmaske hervorlugt (Elke Wieditz). Der Putz bröckelt, aber die Grandezza stimmt.

Mit großer Souveränität kostet Hasko Weber den amerikanisch geprägten Eklektizismus aus. Wenn auf Troja zurückgeblickt werden soll, rollt ein Vietnamkriegsveteran herein (Nahuel Häfliger als Fabelwesen Chiron). Für kommenden Kriegsgrusel fliegt Fridolin Sandmeyer als Euphorion heran, halb Marilyn Manson, halb Wuttkes Arturo Ui, zu krachenden Industrialbeats (durchweg großartige Klangschöpfungen von Pet-Shop-Boys-Soundtüftler Sven Helbig).

FaustII 2 560 Matthias Horn uHe has appetite for Destruction: Lutz Salzmann (Faust) © Matthias Horn

Letzter Tango vor dem Untergang

Da aber Faust in dem gesamten Verwandlungsspiel seine wegwerfende Grundgeste behält, meint man lange, hier werde Pop mit Pop ausgetrieben. Ein letzter Tango vor dem Untergang von Wall Street und Disneyland quasi. Sinnfälligerweise setzt Weber Mephisto als den Urheber des wilden Mummenschanzes an, wenn er ihn die zentralen Verse des Knaben Wagenlenkers zitieren lässt: "Bin die Verschwendung, bin die Poesie / Bin der Poet, der sich vollendet, / Wenn er sein eigens Gut verschwendet." Kantige Sätze, von einem Mephisto, der keine Laschheit duldet. Ein Hühne von einem Mann ist das, Sebastian Kowski, wie ein archaischer Heerführer aus den Highlands, fest und aufrecht, in lederner Rammstein-Kluft. Mephisto als Bote des Chaos mit der Bestimmtheit eines Generals.

Klägliches Finale

Drei Akte und gute zwei Stunden lang ist das großes, befreites Theater. Aber nach der Pause kippt es. Im Kriegsgetümmel zwischen Kaiser und Gegenkaiser von Akt IV verschenkt sich Weber an hingeworfene Nazi-Anspielungen. Der Amerikanismus-und Nachwende-Diskurs geht kaputt. Akt V hätte einen Faust gebraucht, dann doch. Aber vom Ingenieur und Staudamm-Errichter fehlt jede Spur. Stattdessen gibt's ein verzwergtes Finale im Altenheim, mit einem kläglich – sicher bewusst, aber eben doch – kläglich gestammelten Finale: "Solch ein Gewimmel möcht' ich sehn / Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn." Eine Rückbindung an die große inszenatorische Intuition der ersten Akte bleibt aus. Kein Überprüfung des Freiheitspathos anno 1989. Der Abend tröpfelt aus. Aber zuvor, zuvor hat er aus vollen Hörnern ausgeschüttet.

 

Faust. Der Tragödie zweiter Teil
von Johann Wolfgang Goethe
Regie: Hasko Weber, Bühne: Oliver Helf, Kostüme: Camilla Daemen, Musik: Sven Helbig, Video: Bahadir Hamdemir (Video), Dramaturgie: Beate Seidel (Dramaturgie).
Mit: Nahuel Häfliger, Sebastian Kowski, Simone Müller, Nora Quest, Nadja Robiné,  Lutz Salzmann, Fridolin Sandmeyer, Jonas Schlagowsky, Krunoslav Šebrek, Elke Wieditz, Anna Windmüller.
Dauer: 3 Stunden 10 Minuten, eine Pause

www.nationaltheater-weimar.de

 


Kritikenrundschau

"Dieses geniale Textpuzzle aus Mythen und Geschichten beschwört die Gegenwart", berichtet Angelika Bohn in der Ostthüringischen Zeitung (29.2.2016). "Strukturen und Gewissheiten zerbrechen und das Neue zeigt sich als hässliche Fratze." Weber zitiere "mehr und weniger Bekanntes aus Film und Pop-Kultur, um das Publikum da abzuholen, wo es viel Zeit verbringt". Manche Anspielung sei eher etwas für Popkultur-Experten. Viel Lob erhält das Ensemble: "Der physisch omnipräsente Mephisto (Sebastian Kowski) und der schmale Faust (Lutz Salzmann) wirken wie zwei Seiten der selben bösen Medaille. Neun weitere Schauspieler bedienen absolut großartig sämtliche weiteren Rollen, präzise bis in die kleinste Nuance."

"Das Problem" dieser Inszenierung liegt für Frank Quilitzsch von der Thüringischen Landeszeitung (29.2.2016) in Hasko Webers auf Unterhaltsamkeit angelegten Zugriff: Der Regisseur "formt die Fragmente zu einem quietschbunten Kaleidoskop, das vor Bildern und Anspielungen auf die Gegenwart nur so strotzt.“ Faust-Darsteller Lutz Salzmann "ist im zweiten Teil leider auch nicht präsenter als im ersten, den man nach nur zwei Jahren kaum noch in Erinnerung hat". Der Kritiker vermisst (außer bei Elke Wieditz) "hohe Sprechkultur" und chorisches Sprechen, "wie es Peter Stein praktiziert“. Fazit: "Dieser 'Faust', so unterhaltsam er auch daherkommen mag, schürft gefällig an der Oberfläche. Manchmal ist eben mehr Weber als Goethe drin."

Eine "gewöhnungsbedürftige Inszenierung, weil sie so reduziert gemacht ist, aber eben auch sehr genau und präzise", und im Ganzen eine Inszenierung, die "nachhaltig im Kopf bleibt", hat Stefan Petraschewsky im Gespräch für den MDR Figaro (29.2.2016) erlebt. Im "Probenbühnen"-Setting wolle Weber überprüfen, was diesen Goethe-Text "im Innersten zusammen hält": "Es ist eine Dekonstruktion. Und eine Infragestellung im Hier und Heute." Mit seiner Freude an Popkultur-Zitaten sei der Abend "sehr heutig und anders, aber von den Mitteln auch so wie Goethe". Fazit: "Wenn man beide Teile mal textnah und ohne viel Meta-Ebene und Überinterpretation sehen will, ist Weimar eine gute Wahl."

 

Kommentare  
Faust II, Weimar: so doof
Ich sah Schultheater der plumpesten Art. Bereits schon im ersten Teil. Nach der Pause? Darüber muss man gar nichts mehr sagen. Theaterleute tun immer so klug. Aber das war ja so doof!
Faust II, Weimar: grandiosestes Scheitern
Ich kann meinem Vorgänger nicht zustimmmen, pflichte der nachtkritik-kritik aber bei... bis zur Pause ein großer, witziger, einfallsreicher Theaterabend, der alle Register zieht und immer wieder überrascht, was aus einem Gedankenkonstrukt Faust II rauszuholen ist... Zwei Stunden lang Unterhaltung im wirklich besten Sinne... eine Art Rausch auf den man von den Protagonisten mitgenommen wird.... dieser Rausch verebbt leider mit dem Helena-Akt und versandet - wie oben beschrieben- zum Ende hin immer mehr...
Der Weber-Faust II war bisher mein vierter Kontakt mit diesem Werk auf der Bühne (in AU und DE) und ich muss sagen bei Weitem der gelungenste... Weber verzichtet auf Deutungshoheit, gibt dem Zuschauer schlicht Bilder und Assoziationen in die Hand und dennoch gelingt dadurch besonders im ersten Teil eine Art Zeitreise von der Wendezeit über die amerikanische Popkultur-temporeich, voller Rhythmus und Ideen... wer sich damit abfinden kann, keine Brachialsetzung zu sehen, die den Faust II in eine bestimmte Richtung denken will, hat eine intelligente, abwechslungsreiche Collage vor Augen, die jedoch nie beliebig wirkt... Den Kreis zu schließen gelingt am Ende nicht ganz...
Wenn man davon ausgeht, dass eine Faust II-Inszenierung eigentlich nur zum Scheitern verurteilt sein kann, dann war das das grandioseste Scheitern, das ich bisher gesehen habe! Geschmäcker sind verschieden! Aber "Schultheater", "plump" und "doof" sind meiner Meinung nach weder Kriterien, um den gestern gesehenen Faust zu beurteilen (allein die gemachten Striche, und die erstellte Strichfassung mit Bezügen und Zitaten aus dem Faust I lassen jeden Germanisten erblassen), noch um generell Kritik an Theaterabenden zu üben... wenn man Plumpheit vorwerfen kann, dann wohl eher dem oben angezeigten Kommentar.
Faust II, Weimar: starkes Ensemble, konsequente Fassung
Ärgere mich auch so sehr über den ersten hier gemachten Kommentar, dass ich selber mal schreib, denn plump und doof war dieser Abend in der Tat nicht.

Ich finde die Kritik von Chr. Rakow sehr, sehr treffend, sie hat mir den ersten Teil verständlicher aufgezeigt, danke dafür! Mir hatte bislang eher sogar der zweite Teil gefallen, in dem es ohne große Einfälle, dafür aber mit klaren Bildern und konsequenter Textführung gezeigt wird.

Dem Lob meines Vorschreibers für die gelungene Strichfassung schließe ich mich an, auch einige der Schauspieler haben mich beeindruckt (Kowski vorneweg). Weimar hat ein Ensemble, in dem richtig starke Leute spielen!

Ein kurzweiliger, interessanter Abend, der nicht durchweg überzeugt, aber der übrigens von sehr, sehr langem Beifall gekrönt wurde.
Faust II, Weimar: Entschlüsselung
Ein wirklicher Kraftakt des Ensembles!
Auch wenn ich nicht nach der Premiere sagen könnte, vollends verstanden zu haben, welche Dimensionen Goethe an Philosophie und anthropologischen Gedankengängen in seiner faustischen Tragödie zweiter Teil ausgeschöpft hat, ermöglichte einem die Inszenierung doch einen Zugang und eine Auseinandersetzung mit den Kernfragen Goethes Werk und auch einen Zugang zu den Texten generell. Wo Regisseure heut oft die Deutungshoheit für ein Stück beanspruchen, kommt es oftmals viel zu wenig zu einer Auseinandersetzung mit dem "Drama an sich". In Weimar finde ich ist beides gelungen! Zugriff und eine starke Beschäftigung mit der dramatischen Vorlage.
Das Stück mal wieder zu lesen wäre deutlich anstrengender gewesen, allein für diese Entschlüsselung bin ich dankbar... und das Faust so rocken kann, habe ich nicht für möglich gehalten - Goethe wahrscheinlich auch nicht! Wirklich wahnsinnig gute Sounds und Musik! Meine Meinung: nicht doof!
Faust II, Weimar: ein schwaches, hölzernes Goethe-Stück
Warum muss dieses Stück überhaupt noch gespielt werden?
Es hat keine schlüssige Dramaturgie, keine Kraft, die Szenen sind angerissen, nicht zu Ende erzählt, die Sprache ist - im Vergleich zum Beispiel zu Schiller - tönern, hölzern, kaum lebendig. Es gibt ein gutes Dutzend besserer klassischer Stücke, wenn man unbedingt etwas aus dieser Epoche im Spielplan haben muss...... Und gerade in Weimar sollte man sich nicht immer und immer wieder diesen Stücken nähern und diesen huldigen, in einer Zeit, in der es wichtig wäre, sich neuen, nichteuropäischen Texten und Gedanken zu öffnen..... Eine verschenkte Position im Spielplan, wenn man bedenkt, wie viele kleinere Stücke man hätte spielen können.....
Faust II, Weimar: grotesk
#5 Zu der Weimarer Faust-Aufführung kann ich nichts sagen, aber Herrn BEN kann ich sagen, daß er gewaltig irrt. Faust I und II sind ein grandioses Stück, bewiesen haben das Aufführung in Hamburg (Gründgens), in Stuttgart (Peymann/Freyer), in Dresden (Wolfgang Engel), am BE (Robert Wilson) ect.ect. Und natürlich gehört der Faust nach Weimar! Grotesk, dies zu bezweifeln!
Faust II, Weimar: immer neue Auseinandersetzung
Ich denke auch, dass der Faust gerade nach Weimar gehört... natürlich kann man sagen, dass gerade Faust II weniger ein Drama als Goethes theoretische Schriften sind, über das Leben, Gut und Böse, den kolossalen Epochenumbruch seinerzeit durch die Vorgänge der französischen Revolution, usw.
Es ist auch kein Wunder, dass Goethe selbst das Stück nicht zu seinen Lebzeiten auf die Bühne gelassen hat... und ja es stimmt, wie Herr Gander schreibt, dass man nur daran scheitern kann. Sich diesen Herausforderungen jedoch zu stellen, bringt doch eine immer neue Auseinandersetzung mit dem Stoff und die Möglichkeit sich dem von ganz verschiedenen Seiten zu nähern. Bliebe Faust (oder gerade Faust II) bloß im Bücherregal, wären doch die z.T. fortschrittlichsten Bewertungen Goethes (Geldschöpfung, Krieg, "Moderne"...) und die unbestritten herausragende Dichtung für die meisten verloren, die sich diesem Ungetüm lesend kaum nähern würden...
Außerdem ist es doch großartig, dass egal was in der Welt passiert, Weimar ein Ort ist, an dem man sich immer wieder mit diesem Werk beschäftigt! So finden die Weltbelange Eingang in die Sicht der Regie und der Zuschauer und auf Grundlage der gefühlt ewig alten Gedanken entsteht das Stück immer wieder neu. Goethes Gedanken vermischen sich mit denen einer ganz anderen Generation und wir können seine Erkenntnisse aufgrund unser aktuellen Situation und unseren Erfahrungen teilen und bewerten. Das ist natürlich das, was immer geschieht, wenn ein Stück inszeniert wird, aber gerade durch die Aufführungstradition des Fausts in Weimar, gibt es hier einen Ort und auch durch ein Publikum, das schon viele verschiedenste Ansätze gesehen hat, eine ganz besondere Art von Rezensenten. Auch wenn mich der Weber Faust nicht immer vollends überzeugt hat, bin ich doch froh, dass er den Faust II mal wieder aus dem Bücherregal geholt hat und so, und das kann ich sagen, ein wirklich mutiger, energetische Abend entstanden ist. Hochachtung vor der Schauspielerischen Leistung!
Faust II, Weimar: Danke
Das hab ich noch nie gemacht, aber nachdem ich die Nachtkritik gelesen habe, muss ich mich wirklich bei dem Autoren bedanken... es fällt es mir tatsächlich jetzt auch leichter den ersten Teil zu bewerten...
Bilder, Tempo, Musik in Kombination mit dem genialen Text fand ich einzeln sehr stark und habe es eher als Collage begriffen...
Mit dem Hinweis auf die Nachwendezeit und sozusagen dem "Epochenumbruch", den unsere Generation noch erlebt hat, ist das ein spannende Ansatz,der mir auch den Bogen aufzeigt, der somit auch ersichtlich wird.
Danke für die gute Nachtkritik!
Faust II, Weimar: sinnlos
Weder der Rezensent noch - vermutlich - die Produzenten haben eine Ahnung, was in Faust I und II verhandelt wird, aber schwadronieren und verbildern lässt sich sinnfrei Alles. Wen interessiert hier was, das wäre eine Frage wert.
Faust II, Weimar: kompetente Dramaturgie
#9 Ich kenne Beate Seidel die verantwortliche Chefdramaturgin aus etlichen dramaturgischen Einführungen und ihre Strichfassungen von manch einem Abend am DNT Weimar. Nicht immer habe ich den Vergleich zum Stücktext parat...bei Faust II hab ich es... so eine Fassung kann nur machen, wer weiß worum es geht... aber ich bin sicher Frau Seidel könnte Ihnen Einiges über den Inhalt erzählen... man kann über den Abend denken, was man will, aber mitnichten kann hier der Vorwurf gelten, dass die Beteiligten keine Ahnung hatten...
Dadurch dass der Abend eine klare Deutung vermeidet, alles eher eine Versuchsanordnung ist, steht der Text und somit der Inhalt doch viel mehr im Vordergrund, als bei anderen Abenden... ich halte diese Kritik für völlig fehl am Platze!
Faust II, Weimar: Wohin denn sonst?
Faust in Weimar ist natürlich Pflicht. Den ersten Teil habe ich bereits vor zwei Jahren gesehen und freue mich schon hinzufahren um Faust II zu sehen... die kontroverse Diskussion klingt ja vielversprechend! Faust gehört klar zu Weimar! Wohin denn sonst?
Faust II, Weimar: kurzgreifende Deutung
"Hasko Weber geht den Text historisch noch unmittelbarer an. Bei ihm ist die bankrotte Kaiserpfalz die DDR kurz vor der Wende 1989." Sollte das stimmen, dann ist das eine kräftige Deutung und zwar eine sehr kurzgreifende, liebe "Zuschauerin". Und was soll das wohl heißen "Versuchsanordnung"? Versuchanordnungen das sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen , denn wer versucht hier was warum, die Frage bleibt. Über die DDR weiß jeder Zuschauer a priori etwas mehr als Goethe, wozu brauch ich dann den ganzen Faust? Das ist doch die Frage!
Faust II, Weimar: tolles Ensemble
... ich denke auch man sollte die schauspielerische Leistung noch mal hervorheben! Das war wirklich großes Theater. Ein tolles Ensemble gibts wieder in Weimar...!
Faust II, Weimar: Bayreuth des Sprechtheaters?
Faust, das kluge Tier
Hurra, das Theater lebt! In Faust I ein volles Haus, überwiegend junge Leute, die bis zum Ende aushalten, ohne zu nerven. Das Gleiche in Faust II, wenngleich mit noch einigen freien Plätzen.
Während Goethe glauben machen wollte, dass „ein so buntes und so höchst mannigfaches Leben“, wie im ‚Faust‘ zur Anschauung gebracht, nicht „auf die magere Schnur einer einzigen durchgehenden Idee“ gereiht werden könne, hat Hasko Weber, unter – so scheint es – gehöriger Anteilnahme seiner Dramaturgin Beate Seidel, dem Faust eine ziemlich deutliche Generallinie verpasst. Sie sind dabei nicht ganz originell, aber auch keine Plagiatoren. Vielleicht sollten auch Kritiker sich einen Ruck geben und die 2 x 3 Euro in ein Programmheftchen investieren. Am pointiertesten ist der Tenor der Inszenierung darin bei Albrecht Schöne und Michael Jaeger nachzulesen.
Schöne spricht vom „rücksichtslos egozentrischen Genußstreben und Besitzverlangen“ eines „freudlosen Verderbenbringers, dessen Unternehmungen doch unentwegt scheitern und … ausnahmslos in Katastrophen führen“, wobei die „cholerisch aufbrausenden, nicht selten maßlos übertriebenen und übertreibenden Reaktionen diese Exzentrikers“ von einem „geradezu lachhaft großsprecherischen Pathos“ begleitet werden.
Und Jäger pariert mit „der verhängnisvollen Leidenschaft des Dilettanten“, den „Übereilungen eines modernen technischen und wissenschaftlichen Pfuschers, der sich anschickt, ohne Kenntis der Naturgesetze und ohne Geduld für das anschauende Studium der Natur, die Welt im Sinne seiner pathetischen Imagination zu kolonisieren und er bei diesem maßlosen Unterfangen das ultimative Desaster herbeiführt“.
Faust, im Pakt mit dem Teufel, reproduziert eine diabolische, eine „veloziferische“ Welt. Aber verkörpert Faust nicht das Lebensprinzip, das immer über sich selbst hinaus will und nur von außen in die Schranken gewiesen werden kann? So wäre der ‚Faust‘, im Sinne Nietzsche, nichts weniger als die Geschichte des Gestirns in einem „abgelegenen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls“, „auf dem kluge Tiere das Erkennen erfanden. Es war die hochmütigste und verlogenste Minute der ‚Welt(all?)geschichte‘: aber doch nur eine Minute. Nach wenigen Atemzügen der Natur erstarrte das Gestirn, und die klugen Tiere mussten sterben.“
Bei sehr guten schauspielerischen Leistungen meint man der Inszenierung hier und da doch anzumerken, dass sie rein budgetmäßig nicht aus dem Vollen schöpfen kann. Weil man sich eine rechte Walpurgisnacht mit aufreizenden Hexen nicht leisten mag, wird bereits Marthe Schwerdtlein vom ‚Herrn Baron‘ deftig heimgesucht. Wann endlich lässt sich der Bund herab, seine Verantwortung für das Deutsche Nationaltheater wahrzunehmen? Wenn die Volksbühne in Berlin zur „Schule des Befremdens“ degeneriert, hat vielleicht Weimar das Zeug zum Bayreuth des Sprechtheaters?
Faust II, Weimar: keine Schule
Wenn es für irgendetwas keiner Schule bedarf, dann für das Befremden, das funktioniert seit jeher von ganz allein.
Faust II, Weimar: Global Player Faust
Nachtrag
Übrigens waren auch einige junge muslimische Frauen (Gymnasiastinnen?) mit Kopftüchern in ‚Faust‘ I und II, wach und aufmerksam bis zum Ende.
Ich empfehle Berliner – und natürlich allen –Theaterinteressierten wenn nicht den ‚Faust‘, dann zumindest Michael Jägers Essay „Global Player Faust oder das Verschwinden der Gegenwart. Zur Aktualität Goethes“. Dort sieht Jäger es als Faktum, dass wir sensibel geworden sind für die „Verluste einer Weltkolonisation, die manche heute Globalisierung nennen, in der alle historisch gewachsenen und regional bedingten Differenzen hinter einer weltweiten neuen Realitätskonstruktion verschwinden“.
Logischerweise fehlt den weltweiten neuen Realitätskonstrukteuren diese Sensibilität. Chris Dercon und seine Anhängerschaft gehören dazu.
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