Erlösungsfantasie eines verwahrlosten Intellektuellen

von Esther Slevogt

Dresden, 5. März 2016. Das ist natürlich bereits eine Crux von Michel Houellebecqs Roman: dass Islamisten und rechtsradikale Beschwörer der Islamisierung des Abendlands einander im Grunde näherstehen als der alten liberalen, bürgerlichen Mitte Europas, von deren Identitätskrise sie gleichermaßen profitieren.

Und so kann am Ende der neue und frisch zum Islam konvertierte Pariser Universitätspräsident Rediger ganz unverhohlen über seine rechtsradikale Vergangenheit sprechen. Im Islam fand er seine Vorstellungen dann noch besser umsetzbar. Mit aasigem Charme steht der Schauspieler Ben Daniel Jöhnk da in seinem schwarzen Anzug: ein Existenzialist der neuen Sorte mit Trikolore am Revers, die ja einmal Symbol für den stolzen Schlachtruf der Französischen Revolution war: Liberté, Egalité, Fraternité. Er doziert über die Vorzüge der neuen Ordnung und glänzt darin bereits wie eine Made im Speck: drei Ehefrauen, ein luxuriöses Stadtpalais, Supereinkommen. All das bescherte ihm die Übernahme der Macht in Frankreich durch eine muslimische Partei, die Michel Houellebecq als schrilles Szenario in seinem Roman "Unterwerfung" konstruiert.

Wein, Weib, Harem

Vor Rediger steht François, der eigentliche Held des Abends: ein weinerlicher Jammerlappen und entlassener Uniprof in schäbigen Klamotten. Wir sind im kleinen Haus des Staatsschauspiels Dresden, wo Malte C. Lachmann diese Geschichte des trostlosen Intellektuellen auf die Bühne bringt, mit dem Houellebecq ja auch eine Art Bankrott-Figur des westlichen Intellektuellen an sich erdachte. Christian Erdmann, der ihn mit einiger Hingabe, hängenden Schultern und hängenden Augenlidern spielt, schlürft gierig den teuren Wein, den Rediger ihm kredenzt und saugt ebenso gierig dessen Ausführungen auf: bietet diese islamische Wende seinem sinn- und werteentleerten Leben am Ende Erlösung und sogar ehelich garantierten Sex in einem gut sortierten Harem an?

Unterwerfung1 560 David Baltzer uIm Jeanshemd, in dem man schon Michel Houellebecq gesehen zu haben meint: Christian Erdmann als François, Lea Ruckpaul als Ex-Freundin © David Baltzer

Süffig und ausgesprochen reibungslos ging bisher die überzeugend kondensierte Theaterversion des Stoffs (Janine Ortiz) über die kleine Studiobühne. Ursula Gaisböck hat sie mit Buchstaben möbliert, die die Parole "Liberté, Egalité, Fraternité" ergeben, sich aber auch als Sitzmöbel oder Stehpulte umfunktionieren lassen. Am Ende wird das islamische Glaubensbekenntnis an einem Sternenhimmel erscheinen und François zu Klängen von Charles Ives' "The Unanswered Question" seine Konversion zum Islam fantasieren.

Mediale Veranschaulichung

Aber jetzt steht er da noch, François alias Christian Erdmann, in seinem hässlichen hellen Jeanshemd (das man auch schon an seinem Schöpfer Michel Houellebecq gesehen zu haben meint) und gibt uns Einblicke in sein trostloses Intellektuellen- und Sexualleben. François' einziger Freund ist sein Smartphone, über dessen Bildschirm er immer wieder zärtlich streift. Dann sehen die Zuschauer an die Wände projiziert, was François auf seinem Smartphone sieht: Nachrichtenbilder aus einer Szenerie des Umbruchs.

Unterwerfung3 560 David Baltzer uEchte und gefakte Bilder, reale Ausschreitungen, inmitten der westliche Intellektuelle als
Bankrott-Figur © David Baltzer

Wir schreiben das Jahr 2022 und in Frankreich wird gewählt. Sozialisten und eine neue muslimische Partei koalieren, um Marine Le Pens "Front National" zu verhindern, die die meisten Stimmen hat. Es herrschen bald bürgerkriegsähnliche Zustände. Robert Lehniger, der die Videos gemacht hat, mixt aktuelle echte mit gefaketen, gestellten Bildern. Wir sehen reale Ausschreitungen auf Frankreichs Straßen, eine echte Marine Le Pen, falsche Nachrichtensprecher*innen, in einer Tankstelle hindrapierte falsche Tote – immer vom Smartphone-Interface geframed. Dazwischen (extra hergestellte) Bilder aus der Universität, wo François unterrichtet, und immer öfter Frauen mit Burka durchs Bild gehen.

Oder François erscheint darin, der mit seinem Smartphone einsam auf einer Bank im leeren Hörsaal liegt. Dazu die Depri-Hymne Day is done des Countrysängers Nick Drake, der sich 1974 umbrachte, und den schon Houellebecq symbolträchtig in sein Szenario baute. Lehnigers Bilder simulieren echte Ereignisse und liefern gleichzeitig gutes Anschauungsmaterial für die Manipulierbarkeit von Medienbildern. Vom Lügenfernsehen sozusagen.

Französische Geschichte

Ja, womit wir bei der deutschen (und Dresdner) Wirklichkeit wären. Denn es ist ja durchaus ein Politikum, diesen Stoff ausgerechnet in der Pegida-Metropole aufzuführen, der Wahnvorstellungen und Ängste aller Fraktionen präzise bündelt. Auf dem Programmheft eine Zeichnung der (zur Moschee umfunktionierten?) Frauenkirche mit Halbmond auf der Kuppel. Aber mehr Anschluss ist nicht. Es bleibt eine französische Geschichte und eine letztlich blitzsaubere, gut gemachte Adaption des Stoffs. Wenn man vielleicht auch die gelegentlich etwas überzogen karikierten Nebenfiguren, die alle Lea Ruckpaul und Lorenz Nufer spielen, als zu klischeehaft kritisieren könnte. So wird die Zeit dann zwischendurch sehr lang.

Unterwerfung
nach dem Roman von Michel Houellebecq aus dem Französischen von Norma Cassau und Bernd Wilczek, für die Bühne eingerichtet von Janine Ortiz
Regie: Malte C. Lachmann, Ausstattung: Ursula Gaisböck, Video: Robert Lehniger, Licht: Thomas Wildenhain, Dramaturgie: Janine Ortiz.
Mit: Christian Erdmann, Lorenz Nufer, Lea Ruckpaul, Ben Daniel Jöhnk.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.staatsschauspiel-dresden.de

 

Kritikenrundschau

Christian Erdmann gebe den François aus Houellebecqs Buch, "für den sich im Roman kaum Empathie finden lässt, (...) so, dass hier und da Sympathien für ihn aufwallen", schreibt Torsten Klaus in den Dresdner Neuesten Nachrichten (7.3.2016). Dazu komme "das Ineinanderfließen innerer Monologe in gespielte Dialoge, direkt und ansatzlos. Etwas, das dem zweistündigen Abend zweifellos Esprit gibt." Auf der Bühne entfalte sich "subtil auch das Analytische der Fiktion Houellebecqs neu."

Christian Erdmann gebe "den müden Helden überzeugend als einen mit sich selbst Hadernden, der von den Ereignissen hin- und herstoßen lässt", meint Guido Glaner in der Dresdner Morgenpost (7.3.2016). Es gelinge eine "solide, einigermaßen spannende und in ihrer Akkuratesse sehenswerte Inszenierung, die das literarische Original treu auf die Bühne überträgt. Die dabei aber eigenartig mutlos bleibt." Das Spiel vermöge "seinen Stoff nicht richtig packend zu gestalten" und bleibe "unter den Möglichkeiten, die Theater hat." Es habe das Zutrauen gefehlt, "mit diesem brisanten einen großen Wurf zu wagen".

"Belebende Regie-Einfälle" seien "in dieser eher statischen Inszenierung einen Seltenheit", schreibt Sebastian Thiele in der Sächsischen Zeitung (7.3.2016). Man vermisse "körperliches Spiel", "Biss, Schärfe oder Zuspitzung". Das Ganze wirke "sehr abbildhaft – hier fehlt eine Haltung zum Romaninhalt". Sicherlich sei "die Sorge groß, den falschen Ton zu treffen. Immerhin sieht man die Lächerlichkeit und charakterliche Schwäche des männlichen Protagonisten dramaturgisch deutlich markiert".

Der Regisseur Malte C. Lachmann setze "sehr auf Tempo", sagt ein genervter Stefan Petraschewsky auf MDR Figaro (zugesandt 7.3.2016). Lachmann hetze "seinen Protagonisten durch den Text, für Pausen und Haltungswechsel – die hier mehr Farbe ins Spiel bringen könnten – gibt der Regisseur kaum Zeit." Das sei "ärgerlich, weil in den kurzen Szenen, in denen Christian Erdmann [als François] mal freie Fahrt" bekomme, "sich tatsächlich ein Rhythmus und ein Spiel" entwickle, "aber dann kommt schon wieder der nächste Bruch, den die Regie vorschreibt und dem Schauspieler ist damit die Tour vermasselt." Petraschewsky meint, dass "hier ein offenkundig überforderter Regisseur eine Art Regiestudium-Zweitsemester-Inszenierung" abliefere, "die keine eigene Idee für das Theater – für diese Genre – entwickelt".

Hartmut Krug vom Deutschlandfunk (aufgerufen am 8.3.2016) findet, Lachmann versage den Schauspielern in seiner "nur soliden und ziemlich uninspirierten Inszenierung jede ernsthafte Spielmöglichkeit". Während der François des Roman etwa kurz vor dem Selbstmord stehe, spiele ihn der Schauspieler Christian Erdmann zwar bravourös als eine in sich zusammengesunkene Jammergestalt. "Doch zugleich nimmt er damit dem von der gesellschaftlichen Entwicklung überrolltem Meinungslosen jede innere wie äußere Spannung." Die Aufführung wirke so recht monoton schleppe sich immer wieder nur schwerfällig durch ihre "etlichen Spannungslöcher".

 

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