Die Dekadenz und das Zottelmonster

von Peter Schneeberger

Wien, 6. April 2008. Seit King Kong 1933 zum ersten Mal die blonde Schauspielerin Ann Darrow in seine schwarze Pranke genommen hat, ist die Welt von dem Megaprimaten nicht mehr losgekommen.

Japanische Filmemacher schickten den Affen 1962 in den Kampf mit Godzilla, 1982 kam das erste Computerspiel mit der Kultbestie als Hauptdarsteller auf den Markt (für Atari) und gleich zwei Mal – 1976 und 2005 – gingen in Hollywood Remakes des Films in Produktion. Dass eine Blondine im Dschungel einem mächtigen, männlichen und monströsen Wesen begegnet, war als Story einfach zu symbolträchtig, um sie nicht immer und immer wieder neu zu deuten.

Nun hat der 28-jährige österreichische Autor Johannes Schrettle auf der Off-Spielstätte des Burgtheaters seine Version des Klassikers vorgelegt: "Ich habe King Kong zum Weinen gebracht" erlebte im Kasino am Schwarzenbergplatz in der Regie von Robert Lehniger seine Uraufführung. Der Titel stellt von Anfang an unmissverständlich klar, was im Zentrum von Schrettles Interesse steht: Es ist nicht das zottige Monster, sondern die zarte, ehrgeizige und bildhübsche Schauspielerin Fay Wray, die als Ann Darrow über Nacht zu Weltruhm gelangte.

Flash back in die gute alte Zeit

Die Frau ist schon zu Beginn des Abends mit ihren Nerven am Ende: "King Kong" liegt 30 Jahre zurück, und seither kam kein Film mehr nach, der auch nur annähernd so erfolgreich gewesen wäre wie der Blockbuster von anno dazumal. Verzweifelt fleht Wray den Drehbuchautor Jack Driscoll an, Ann Darrow, King Kongs mutige Geliebte, in einem Sequel noch einmal zum Leben zu erwecken. Doch Driscoll winkt ab: "Nicht schon wieder!", schnaubt er genervt.

Also bleibt Wray nichts anderes übrig als ein Flash back in die gute alte Zeit: Regisseur Lehniger bietet fünf großartige Schauspielerinnen auf, um in 75 Minuten die Begegnung Ann Darrows/Fay Wrays mit King Kong noch einmal durchzuspielen: Stefanie Dvorak, Sachiko Hara, Alexandra Henkel, Myriam Schröder und Elisa Seydel schlüpfen in alle, auch die männlichen Rollen der Handlung, gerade so, als möchte Lehniger damit den Sexismus des Stoffes wenigstens symbolisch wieder gutmachen.

Fünf Schauspielerinnen sind auf der Suche nach sich selbst: Wer ist Ann Darrow?, lautet die zentrale Frage des hochgradig komplexen Theaterabends. Sie ist jene Frau, die King Kong zum Weinen brachte. Denn alles, was bis zu dem Moment, als sie den Dschungel auf Skull Island betreten hat, geschehen war, erscheint ihr wie ein Vorspiel für das, was dann in ihrer Biographie geschehen ist: die Begegnung mit dem fabulösen King Kong. Erst in diesem Augenblick wurde Darrow identisch mit sich selbst.

Der Traum von Wahrhaftigkeit

"Es ist kritisch und es ist Sexismus und es ist Ideologie, aber es beschreibt einen Traum, der Alptraum und Wunschtraum ist: Der Instanz gegenüber zu stehen, die dich vollkommen transparent macht", formuliert Schrettle im Programmheft. Popliterat Christian Kracht hat in seinem Roman "1979" die Sehnsucht der gelangweilten, dekadenten Generation Golf nach etwas Action beschrieben, der junge österreichische Dramatiker Ewald Palmetshofer erst vor wenigen Wochen am Wiener Schauspielhaus mit seinem Stück "wohnen unter glas" die Hölle der Ereignislosigkeit beschrieben. Nun hat Schrettle den King-Kong Stoff in diesem Sinn gedeutet: als Sehnsuchtsstudie über den Moment der Wahrhaftigkeit.

Handwerklich bedienen sich Schrettle und sein Regisseur ebenso großzügig wie gekonnt bei den Arbeiten und Theorien von René Pollesch: Die Entstehung von Theater wird auf der Bühne stets mitreflektiert. Im Kasino am Schwarzenbergplatz ist ein Film-Set mit Dampfschiff, Dschungel, King Kongs Pranke, Scheinwerfern, Regiestühlen und Leinwänden aufgebaut: In dieser Making-Of-Dekoration (Alain Rappaport) spielen die fünf Schauspielerinnen Schrettles Schauspiel übers Schauspielern.

Mirakulöse Leichtigkeit

Tatsächlich hätte sich Schrettle kaum eine bessere Vorlage aussuchen können, um der Frage nachzugehen, nach welchen Kriterien Geschichten gebaut werden, warum, wie und für wen man sie erzählt und welchen roten Faden nicht nur Ann Darrow in ihr Leben einzieht, um daraus eine Biographie zu machen. Die Reflexion über die Wechselbeziehung zwischen Fiktion und Realität, zwischen Film (Theater) und Leben gehörte schließlich schon zu den schillerndsten Stärken des Originals von 1933: Der Streifen erzählt die Geschichte eines New Yorker Filmteams, das mit einem Dampfer zu einer geheimnisvollen Insel aufbricht, aber bei den Dreharbeiten im Dschungel nicht nur über den Fortgang der Handlung, sondern auch über das eigene Leben jede Kontrolle verliert.

Johannes Schrettle ist ein wunderbar anspruchsvoller Abend gelungen. Nicht nur hat er die alte Story vom verliebten Monster zeitgemäß gedeutet und klug genutzt, mirakulös bleibt vor allem die Leichtigkeit, die dem Team trotz derart viel Kopfarbeit 75 Minuten lang nie abhanden kommt: "Ich habe King Kong zum Weinen gebracht" ist – nicht zuletzt – ein herrlicher Theaterspaß.

 

Ich habe King Kong zum Weinen gebracht
von Johannes Schrettle
Uraufführung
Regie: Robert Lehniger, Bühne: Alain Rappaport, Kostüme: Dagmar Bald, Musik: Wolfgang Schlögl, Video: Bert Zander. Mit: Stefanie Dvorak, Sachiko Hara, Alexandra Henkel, Myriam Schröder, Elisa Seydel.

www.burgtheater.at

 

 

Kritikenrundschau

Martin Lhotzky, er berichtet in der FAZ (8.4.2008), hat während der ganzen Uraufführung  von "Ich habe King Kong zum Weinen gebracht" an "der Deutung des Menschenaffen als Metapher für die amerikanische Arbeiterklasse" herum gekaut. Egal wie’s darum stehe, jedenfalls komme Johannes Schrettles "Liebe zur Anarchie zum Tragen", von Schauspielern und Regisseur allerdings "weniger als Herrschaftsfreiheit, mehr als Chaos "buchstabiert. Mit "erstaunlichem" Aufwand an Bühnenbild und Requisiten für das "dünne Plottchen" seien  knapp achtzig Minuten "Wirrnis" garantiert. Wenn sich jemand verspreche, sei das nicht schlimm, "mit einem 'Danke! Und aus!' darf man die Szene neu starten." Ob das eventuell zur Inszenierung gehöre, wisse in Ermangelung eines Textes "eh niemand". So "arbeiten sich alle an verschiedenen Deutungen ab, bringen eigene Textbrocken ein und spielen anarchisches Darstellertheater". Zum Zuschauen sei’s lustig, zum "Lernen und Mitnehmen nix".

In der Presse (8.4.2008) fragt Barbara Petsch: "Kann es sein, dass dem Burgtheater die Produktion 'Kongs, Blondes, Tall Buildings' von der Off-Gruppe Toxic Dreams entgangen ist? Wenn ja, sollte die Kommunikation zwischen etabliertem Theater und Off-Szene rasch verbessert werden. Wenn nein, bliebe es trotzdem dabei, dass Johannes Schrettles 'Ich habe King Kong zum Weinen gebracht' eine schlechte Kopie der Toxic-Dreams-Kreation darstellt." Der Text sei "eine krude Mixtur aus Weisheit, Blödsinn und Geschwätz." Die "Miniproduktion" protze "mit allem, was im großen Theater gut und teuer ist: Der Dschungel dampft. Wasser rauscht. Kameraleute huschen umher, wie bei Castorf "werde "zwischen Film und realem Geschehen hin und her gehüpft." Die Story habe außer mit Kong – wie bei Toxic Dreams durch eine riesenhafte Hand repräsentiert – und seinen Frauen noch "mit Kapitalismus, Chaos der heutigen Welt, Jobsuche zu tun." Aber die "guten Gedanken" seien in zu viel Wortmüll und Mist begraben.

Der als "Shootingstar gehandelte Nachwuchsdramatiker" Schrettle, schreibt Michaela Mottinger im Kurier (8.4.2008), habe "mindestens die drei King-Kong-Filme mit Fay Wray, Jessica Lange und Naomi Watts gesehen und bestimmt die gesamte Sekundärliteratur zum alten Affen gewälzt". Ein Jammer nur, "dass das Proseminar fürs Publikum entfällt." - "Symbol zu Synonym und retour", dass einem die "Gehirnzellen stocken". Kong und die weiße Frau hielten als Sinnbilder für wirtschaftliche Depression, vergewaltigte Natur, versklavte Arbeiterklasse und die US-Anarchistin Emma Goldman her. Das großartige Spiel der fünf "Scream Queens" bewahre den Abend vor der Unfertigkeit.



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