Tartuffe - Mit Maik Priebes Molière-Inszenierung kehrt das Wuppertaler Schauspiel endlich wieder ins Opernhaus zurück
Schau und Spiel
von Sascha Westphal
Wuppertal. 9. April 2016. Beinahe zwei Jahre ist es her, dass Christian von Treskows Inszenierung von William Shakespeares stürmischer Komödie Viel Lärmen um Nichts im Wuppertaler Opernhaus Premiere hatte. Es war ein Abend des Abschieds. Die letzte große Produktion der kurzen und auch ziemlich stürmischen Ära von Treskows sollte zugleich auch noch die letzte Schauspielinszenierung sein, die an diesem traditionsreichen Ort, der Bühne des Opernhauses, stattfand. Für das zur Saison 2014/15 noch einmal empfindlich verkleinerte Ensemble und seine Schauspieldirektorin Susanne Abbrederis sollte fortan das kleine, recht versteckt liegende Theater am Engelsgarten ausreichen.
Bleibt in Bewegung
Diese zur Theaterspielstätte umgebaute Lagerhalle, die seit dem ersten Premierenabend im September 2014 den Ruch der Notlösung nicht abschütteln konnte, ließ das ganze Wuppertaler Schauspiel wie ein Provisorium erscheinen. Es regt sich noch. Aber wo es mit ihm hingeht, war in den vergangenen anderthalb Jahren nie ganz sicher. Doch nun ist es mit Maik Priebes Inszenierung von Molières satirischer Komödie erstmals wieder auf die Bühne des nahegelegenen Opernhauses zurückgekehrt. Von dort aus sendet das kleine Ensemble ein echtes Hoffnungszeichen und wird dafür vom Publikum gefeiert.
Die Rückkehr wird so zum Triumphzug, zu dem die Auftritte des Wuppertaler Opernchores die passende Begleitmusik liefern. Die Lieder und Arien von Jean Philippe Rameau, Jean Baptiste Lully und Claude Goudimel verleihen Priebes "Tartuffe" zudem eine eigenwillige Künstlichkeit. Das Schauspiel nähert sich in den Chormomenten, die dem Abend einen ungewöhnlichen, zwischen Exaltation und Stillstand pendelnden Rhythmus geben, der Oper an und behauptet doch seine Eigenständigkeit. Zugleich lenken die musikalischen Zwischenspiele die Aufmerksamkeit auf den Raum und die Theatersituation.
Molières Sünden ausgestellt
Der Chor wechselt ständig seine Position. Zunächst stehen die Sängerinnen und Sänger noch ganz traditionell auf der Bühne. Später kommen ihre Stimmen mal von hinten, mal von den Seitenrängen. Priebe spielt mit den räumlichen wie den akustischen Möglichkeiten des Opernhauses und etabliert dabei eine Verbindung zwischen Chor und Publikum. Die Mitglieder des Chors rücken dem Geschehen auf der Bühne näher und näher, werden zu Voyeuren, die den Zuschauer mit seiner eigenen Schau-Lust konfrontieren. Und genau diese Lust, anderen dabei zuzuschauen, wie sie ihren Schwächen erliegen und sich dabei nach allen Regeln der Kunst lächerlich machen, ist zugleich der Motor dieser Inszenierung. Nicht zufällig gibt es ständig Szenenapplaus.
Sieben Wuppertaler Ensemblemitglieder und drei Gäste spielen auf Susanne Maier-Staufens meist leerer Bühne, die nach hinten hin von einem goldenen Fadenvorhang begrenzt wird, nicht einfach nur Molières Figuren. Sie stellen sie regelrecht aus. Wenn Tinka Fürsts Zofe Dorine ihren Unmut über das Verhalten von Monsieur Orgon stumm zum Ausdruck bringt, verwandeln sich ihre Gesichtszüge in eine cartoonhafte Fratze. Nichts könnte in diesen Momenten zu viel sein.
Schöne Selbstfeier
Die Übertreibung wird zum eigentlichen Motor der Szene und weckt die Sehnsucht nach noch groteskeren Grimassen. Aber auch Stefan Walz hält sich als Orgon keineswegs zurück. Einmal streift er Miko Grezas aalglattem Tartuffe einen seiner Ringe auf den Finger und verwandelt diese Geste in eine große Shownummer. Das Geschenk ist kein Ausdruck von Großzügigkeit. Hier inszeniert sich Orgon nur selbst. Sein Glaube an Tartuffe ist genauso geheuchelt wie dessen Bekenntnisse. Walz' Großbürger macht es einfach nur Spaß, seine Frau, seine Kinder und seinen Schwager zu düpieren.
Alles ist Spiel und Inszenierung. Davon zeugen auch die originellen Kostüme Susanne Maier-Staufens, die sich an der Mode des Barocks orientieren, aber immer auch mit der Moderne kokettieren. Maik Priebe versetzt Molières politische Komödie in einen Kunst-Raum, der komplett aus jeder Zeit gefallen ist. Die Vergangenheit ist ebenso präsent wie die Gegenwart, aber die Zeiten signalisieren nichts. Priebe zielt weder auf eine Abrechnung wie einst Dimiter Gotscheff in seiner Hamburger Inszenierung, noch verwandelt er das Stück wie Herbert Fritsch in Oberhausen in eine "Tartuffe" Horror Show“. Er und sein Ensemble feiern schlicht das Schau-Spiel.
Leben heißt, sich lächerlich machen
So wie Wolfgang Wiens’ Übersetzung keinen Reim und keinen Kalauer auslässt, so stürzen sich die Schauspielerinnen und Schauspieler in jeden Gag. Statt abzugehen, fällt Alexander Peilers Damis gleich mehrmals einfach von der Bühne, Julia Reznik gibt seine Schwester Marianne als Püppchen wie aus dem Bilderbuch. Sie und die anderen umarmen die Klischees regelrecht und dringen so zur Wahrheit in ihrem Kern vor. Leben heißt, sich lächerlich zu machen und trotzdem nicht aufzugeben.
Tartuffe
von Molière Deutsche Fassung von Wolfgang Wiens
Regie: Maik Priebe, Bühne und Kostüme: Susanne Maier-Staufen, Musikalische Leitung: Jens Bingert, Dramaturgie: Susanne Abbrederis.
Mit: Anke Hartwig, Stefan Walz, Philippine Pachl, Alexander Peiler, Julia Reznik, Lukas Mundas, Thomas Braus, Miko Greza, Tinka Fürst, Bernd Kuschmann und dem Opernchor der Wuppertaler Bühnen.
Dauer: 2 Stunden 10 Minuten, eine Pause
www.wuppertaler-buehnen.de
"Eine beeindruckende und bejubelte Aufführung" sah Jan Crummenerl für die Westdeutsche Zeitung (12.4.2016). "Unmerkliche Spannung" erzeuge auch "die oft geometrische Anordnung der Darsteller." "Nicht nur herausragende Einzelkünstler, sondern auch (..) was tatsächlich auf der Bühne zählt: ein geschlossenes Ensemble."
"Auf den ersten Blick ein durch und durch gewöhnlicher, beinahe historisch anmutender Abend", schreibt Helge Kreisköther für Literatur und Feuilleton (10.4.2016). Aber dann: "Die Pointen sitzen, Vergleiche und (stereotype) Sinnsprüche prasseln nur so auf den Zuschauer ein." "Ungeschränktes Lob" lässt auch er dem Ensemble zuteil werden. "Ein deutliches Signal an die desolate Kulturpolitik der 350.000-Einwohner-Stadt: Lasst dieses Ensemble weiterhin seine fantastische Arbeit machen."
Über ein Gastspiel des Wuppertaler Schauspiels in der Münchner Vorstadt schreibt Blanche Mamer in der Süddeutschen Zeitung (29.1.2017): Maik Priebe habe Molières Stück als "zeitlose Groteske" inszeniert. "Das Schauspiel Wuppertal begeisterte das Publikum im Gautinger Bosco mit dem bitterbösen Stück und erntete einen wahren Beifallssturm."
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