Presseschau vom 11. April 2016 – Der Theatertreffen-Juror Bernd Noack berichtet in der Neuen Zürcher Zeitung von Theatern und ihrem Publikum
Von Krawalltüten und Fluchtburgen
Von Krawalltüten und Fluchtburgen
11. April 2016. Es ist eigentlich trostreich, was der scheidende Theatertreffen-Juror und freie Theaterkritiker Bernd Noack in seinen "Beobachtungen eines reisenden Theaterkritikers" für die Neue Zürcher Zeitung notiert hat.
An den Kammerspielen in München wechselt derzeit das Publikum, beobachtet Noack. Die Bildungsbürger mit der ausgeschnittenen Zeitungskritik in Händen würden seltener. Die Zuschauer passten sich schon einmal vorsorglich dem Schlabber-Look des Vormannes Lilienthal, dem "Nonkonformismus des neuen Teams" an. Überraschend optimistisch schaut Noack, der München seit langer Zeit als Kritiker gut kennt, in die Zukunft: "Wenn es künstlerisch klappt, wird sich Lilienthal in ein paar Jahren ein völlig neues Stammpublikum erzogen haben."
Stuttgarter Proteste
Erhebend geradezu sind die Erfahrungen, die Noack aus Stuttgart mitzuteilen weiß. Denn während wir hundsgemeinen Nicht-Schwaben immer noch glauben, dort ginge es im Theater irgendwie gutmütig, behäbig und wohl gesittet zu, ist laut Noack gerade das Gegenteil der Fall. Nirgendwo sonst im weiten Land des deutschsprachigen Schauspiels sei man zu "derart energischen, rüden und fast schon aggressiven Protesten bereit, wenn eine Inszenierung nicht gefallen hat". In solchem Falle werde das "künstlerische Personal" am Ende mit "Buhrufen und Pfiffen abgekanzelt, falls nicht schon polemischer Kommentar in die Aufführung fährt". Der Stuttgarter sei zum "lautstärksten Aufstand fähig, knallt Türen und zeigt sich höchstpersönlich beleidigt, wenn ihm was nicht passt". Intendant Armin Petras habe den Kampf angenommen und sich mehr als einmal "beim Schlusskrawall solidarisch und aufmunternd bei seinen irritierten Schauspielern" eingereiht.
Zufluchtsorte
Noack erzählt dann weiter, von Hamburg, Zürich und dem Gorki Theater, wo Shermin Langhoff und Jens Hillje es binnen kürzester Zeit geschafft hätten, "das Theater zu einem Ort der Kommunikation zwischen sozialen Schichten und ethnischen Gruppen zu machen". Er berichtet vom bevorstehenden Verlust der Heimat für das angestammte Volksbühnen-Publikum und betrachtet, Stichwort Heimat, die Theater im Osten, die nicht selten in ansonsten verödeten Städten Orte der Zusammengehörigkeit darstellten. Auf einmal, schreibt Noack, wüchse diesen Theatern eine "weitere Funktion" zu: "Im unangenehmer werdenden sozialen Klima, in dem Hass und Fremdenfeindlichkeit bedrohlich wachsen, übernehmen sie die Rolle des demokratischen Rettungsankers. In unmoralischer Zeit werden sie zur moralischen Anstalt, zu Zufluchtsorten (...), oft genug zu den einzigen öffentlich zugänglichen Fluchtburgen demokratisch gesinnter Bürger."
(jnm)
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Jeder, der jemals eine Theaterpremiere besucht hat weiß, dass das Haus zur Hälfte gefüllt ist mit nicht zahlenden Kollegen, Ehrengästen sowie natürlich den Kritikern. Zumindest entspricht die Zusammensetzung sicher nicht dem typischen Durchschnitt eines spezifischen Publikums eines Hauses, um daraus solche Schlussfolgerungen ableiten zu können.
Ein jüngeres Publikum oder auch gefühlter "Nonkonformismus" in den Zuschauerreihen können also vielleicht auch einfach nur bedeuten, dass mehr Karten an Hospitanten und ihre Freunde verschenkt wurden, um die Vorstellungen zumindest bei Premieren zu füllen.