Presseschau vom 11. April 2016 – Die Süddeutsche Zeitung setzt sich mit drei Versuchen auseinander Theater gegen Pegida & Co. zu machen

Leuchten ins Dunkel des Fremdenhasses

Leuchten ins Dunkel des Fremdenhasses

11. April 2016. Das Theater könnte der "ideale Ort" sein, um "rechtspopulistische Ideen unerschrocken unter die Lupe zu nehmen", findet Andreas Zielkcke in der Süddeutschen Zeitung. Doch die Bühnen trauten sich nicht "so richtig". In seinem Artikel diskutiert er die entsprechenden Versuche in drei Inszenierungen: Geächtet am Münchner Residenztheater, Unterwerfung in Dresden und Graf Öderland / Wir sind das Volk ebenda.

Was bedeutet es, die "besorgten Bürger" ernst zu nehmen, fragt Zielcke. Gespräche mit ihnen setzten eine "gemeinsame Sprache" voraus. Die gäbe es nicht. Das genau mache den Kommunikationskonflikt zu einer Sache des Theaters. "Die Sprache der Fiktion und Ästhetik kann sich, heißt es, jenseits von Gut und Böse bewegen, wie geschaffen für die Brücke über mentale Abgründe."

Zwei Methoden

Die – mehr oder weniger zufällig ausgewählten – Inszenierungen von Geächtet am Münchner Residenztheater, von Unterwerfung am Staatsschauspiel Dresden und von Graf Öderland / Wir sind das Volk am selben Haus ließen "die Bandbreite der Versuche erahnen, mit denen man im Moment in das Dunkel des Fremdenhasses leuchten will".

Während die Inszenierungen von Ayad Akhtars "Geächtet“ in München und der dramatisierten Fassung von Houellebecqs Roman "Unterwerfung" in Dresden direkte Bezüge zu hiesigen Konfrontationen unterlassen, werde "Graf Öderland" in Dresden mit "offensivem lokalpolitischen Konfliktwillen auf die Bühne gebracht". Die "Sprengkraft des Urschreis 'Wir sind das Volk' treibe hier die Dramatik des Bühnengeschehens". Es handele sich also um zwei gegensätzliche Methoden, sich "den Abgründen der Fremdenfeindlichkeit mit spielerischen Mitteln zu nähern".

Der Muslimfeindschaft in die Hände gespielt

Das Residenztheater in München belasse Geächtet als kammerspielartiges Personendrama in seinem ursprünglichen amerikanischen Kontext. "Den Zuschauern wird die Dynamik einer privaten Dinnerparty, die zuerst aus Ehrgeiz und Vorurteil, dann aus Paranoia und Hass total entgleist, als New Yorker Desaster dargeboten." Entsprechend schwierig bleibe die "gedankliche Anknüpfung an die besondere europäische Xenophobie".

Das "Fatale" an der Inszenierung sei "die Anlage der muslimischen Hauptfigur", weil die Hauptfigur "im Zorn ihre Genugtuung über den Anschlag des 11. September zu erkennen" gebe. Damit bestätige sie den "allgegenwärtigen Impuls, jedem noch so angepassten Muslim auch das Schlimmste zuzutrauen". Diese finstere Botschaft wollten gewiss weder Autor noch Regisseur aussenden, "aber sie behauptet sich auf der Bühne unübersehbar. Statt Muslimfeindschaft vorzuführen, spielt man ihr in die Hände."

Keine Einblicke

Einem ähnlichen Effekt entkomme auch die Dresdner Inszenierung von Unterwerfung nicht. Der Front National tauche lediglich als "der indiskutable politische Feind auf", gegen den sich alle verbündeten. Immerhin leiste sich der Roman den von Houellebecq listig angeführten "gemeinsamen reaktionären Nenner von Antimuslimen und Muslimen". Doch dieser Nenner erlaube schwerlich eine Analogie zu den Muslimhassern hierzulande. Folgerichtig spare die Dresdner Fassung die "paradoxe Nähe von Identitären und Muslimen" aus. Damit aber bleibe an der Stelle, die "Einblicke in islamophobe Militanz" liefern könnte, ein Loch.

Noch unbefriedigender sei, dass man die Kernbotschaft des Romans, der Islam könne die Herrschaft in Europa erreichen, einfach wie einen bösen Witz stehen lasse. Auch wenn der Sarkasmus manchem Zuschauer ein "grimmiges Feixen" entlockt, reiche das zur Aufklärung?

Produktive Verwirrung

Ganz anders gehe die Inszenierung von Graf Öderland / Wir sind das Volk ans Werk. Völker Lösch habe Anhänger und Gegner von Pegida befragt und ihre "tabulosen Parolen" in Frischs Stück eingebaut. "In ihren starken Momenten ... fordert die Inszenierung mit dem Ineinander von Wut- und Gegenwutsprache, von Einblick und Fassungslosigkeit, von guten und bösen Fragen die Zuschauer in der Tat heraus."

Und die Regie ist sich bewusst, dass „gärende Widersprüche der Gesellschaft“ (Neue Zürcher Zeitung) auf der Bühne "zwangsläufig nur als szenische Dispute erscheinen". Am Ende beschimpfe der "faschistoide Hauptrebell" den demokratischen Widerstand gegen seinesgleichen, "indem er dreist den Spieß umdreht". Bei aller "Plumpheit und Obszönität dieser Retourkutsche" illustriere ihre "trotz allem unverkennbare Suggestivkraft", wie unerquicklich jede "rhetorische Schlammschlacht" seit. "Diese Lehre kann das Theater tatsächlich eindringlich erteilen wie kein zweites Medium."

Das Publikum feiere die Inszenierung. "Wenn Aufklärung gemeinsame Selbstvergewisserung meint, dann ist der Erfolg da." Meine sie aber auch "Erkenntnis über das andere, Unbegreifliche", dann müsse man den Erfolg des "ästhetischen Unternehmens bescheidener definieren", vielleicht als "Zustand konstruktiver Verwirrung und Sensibilisierung".

(jnm)

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