Fight Club

von Theresa Luise Gindlstrasser

Wien, 15. April 2016. Level 6 ist "closed for audience". Deswegen werden die verbliebenen Publikumspersonen pünktlich um ein Uhr nachts aus dem Schauspielhaus raus komplimentiert. Zwei Zeitfenster erlauben den Eintritt in die sogenannte 504-Stunden-Installation "Cellar Door" von Thomas Bo Nilsson, dem Signa-Bühnenbildner und Meat-Regisseur, am Schauspielhaus Wien. Level 4 und Level 5 sind "open for visit", der Kauf einer Karte ermächtigt zum vierstündigen Verbleib in der wirren Virtual-Reality-Welt. Wobei diese Erlebnisinstallation in den zur völligen Orientierungslosigkeit verunstalteten Räumlichkeiten nur einen Teil des Triptychons "Cellar Door" ausmacht. Ein zwölfminütiger Trailer suggeriert eine Vorgeschichte, eine Website bietet Insider-Info. Und: Dort soll es auch einen Live-Stream des Geschehens geben, sollen einzelne Darstellende befehligt werden können. Diese Funktion schien aber deaktiviert, oder sonst irgendwas an meiner Handhabung defekt zu sein.

Cellar Door 1 560 Matthias KoslikDrunten im virtuellen Fight Club wird gekämpft und gekuschelt. © Matthias Koslik

Wer Wodka will, muss aus dem Bauchnabel trinken

Die in den Zimmern bereitgestellten Uralt-graugroß-Computer sind aber auch bloß mäßig verführerisch. Ich bin also in der immersiven Installation geblieben, habe nur mich selber befehligt. Die Virtual Reality eines Computer-Spiels, die da als Theater-Fiktion nachgebaut wurde, ist hingegen nämlich sehr verführerisch. Alle Wege unergründlich, immer wieder neue Türen, durch den Schrank ins nächste Zimmer, ah! Kaum Licht und viel Graffiti an den Wänden, das sind die "Pits", da leben die "Fighters", so schnell wird der Spiel-Sprech zur Verständigung. Auf schmuddeligen Matratzen liegen Menschen in Leder, Seile in Händen, wer Wodka will, muss aus einem Bauchnabel trinken. Ein Heiligtum, irgendeine Gottheit, in finsterer Ecke, da stinkt es nach Scheiße. Düstere Kampfarenenwelt. Oben, im Dorf, in einer der Wohnungen, rosa Puderzucker mit Glasur-Geruch. Dort lebt Tanja (Vera von Gunten) und wartet, Lockenwickler im Haar, auf ihren Mann Raphael. Der scheint außerdem in irgendeiner intimen Beziehung zu Queen Lydia (Ute Reintjes) zu stehen, deren Schlafzimmer zugleich auch die Arena ist.

Die Suche nach der alles (oder vielleicht einiges) in einen Zusammenhang rückenden Information verläuft sich in Details. Beyonce war wohl die erste Gewinnerin der Fights, heute macht sie draußen Pop-Karriere. Homosexualität ist pfui, es gibt irgendwo einen Wald. Und die Fighters revoltieren nicht, werden immer weiter von den anderen Bewohnenden missbraucht. Girl One, Generation Two muss Tassen abwaschen und darf niemandem den Rücken zudrehen. Derweilen sitze ich auf einer Couch und lasse mir die Haare flechten. Simon Bauer, Ensemblemitglied und einer der insgesamt knapp 40 Performenden, trägt als Prolet auf und macht die Fighterin nieder. Meine eigene Sicherheit wird hingegen nie bedroht, meine Integrität nicht sonderlich herausgefordert. Ich interveniere, es funktioniert sofort und Girl One, Generation Two sagt später Dankeschön.

Ich habe Probleme mit der Handhabung meiner selbst

Ich, die ich mich in dieser dystopischen SM-Welt als irgendjemand spielen muss, um etwas zu erleben, habe deswegen aber auch Probleme mit der Handhabung meiner selbst. Was meine Rolle ist, das weiß ich nicht. "Shadows" sagen sie und meinen das Publikum. Und eben wie Schatten geistern wir durch Räume, haben keine Aufgabe, keine Einladung, manchmal stören wir, dann verschließen sich die Türen. Manchmal intervenieren wir, dann wird uns statt gegeben, aber im Ganzen bleibt die Welt der Bewohnenden eine begehbare Installation für mich. Als Shadow bin ich halb Teil, halb Nichts und also viel unbeteiligte Beobachterin.

Ich kann es nur vermuten, aber wahrscheinlich führt auch im Gaming-Bereich eine unklare Rollenausgestaltung zur Fokussierung auf einfache Handlungsmöglichkeiten. Beziehungsweise: Beides hat miteinander zu tun. Im Schauspielhaus lassen sich die Performenden über ihre Geschichte verhören, lassen sich Szenen wunderbar beobachten und kann man, wenn es zugelassen wird, körperliche Nähe herstellen. Da passiert aber keine Involvierung meiner Person in irgendeine Geschichte, zu der ich mich verhalten und also auch den Wirklichkeits- respektive Fiktionscharakter der Sache in Frage stellen müsste.

Cellar Door 2 560 Matthias Koslik uDroben räkelt man sich in Puderzucker-Pink. © Matthias Koslik

Die Umfassendheit der Raumgestaltung, sowie der Figurenreichtum in der Virtual Reality namens "Cellar Door" lassen solcherlei Schwächen der dramaturgischen Ausgestaltung aber hurtig vergessen. Immerhin bietet sich die Möglichkeit teilzuhaben, wenn auch nur für vier Stunden und wenn auch nur als Shadow, an einer Sekundär-Realität, die den Mechanismen von Internet-Foren und also virtuellen Fight Clubs einen wilden Bühnenboden gibt. Dass die gruselig genug sind, das wissen wir eigentlich eh. Es bleibt ein verführerisches Erlebnis von unklarem Inhalt.

 

Cellar Door
Künstlerische Leitung: Thomas Bo Nilsson, Regie: Thomas Bo Nilsson, Jens Lassak, Julian Wolf Eicke, Bühne und Kostüme: Thomas Bo Nilsson, Julian Wolf Eicke, Bühnenassistenz: Magdalena Emmerig, Francisco Castanheira, Moritz Marx, Set-Team: Kim-Fabian von Dall'Armi, Aaron Kimmig, Ines Kirchengast, Norma Kiskan, Torsten Köpf, Flora Lechner, Leo Mandel, Evamaria Müller, Liza Schluder, Stefanie Schluder, Maskenbau: Anna Panzenberger, Musik und Sounddesign: Jacob Suske, Dramaturgie: Tobias Schuster.
Mit: Susana AbdulMajid, Taneshia Abt, Simon Bauer, Andreas Binder, Francisco Castanheira, Adrian Echerer, Magdalena Emmerig, Julian Wolf Eicke, Lukas Gritzner, Augustin Groz, Vera von Gunten, Jesse Inman, Ali Jeetaria, Antonia Jung, Rahel Kislinger, Franziska Klein, Stella Köb, Elisabeth Kudela, Marita Landgrebe, Jens Lassak, Sophia Löffler, Skye MacDonald, Leo Mandel, Moritz Marx, Anaïs-Manon Mazic, Marian Mutschlechner, Thomas Bo Nilsson, Anna Panzenberger, Caterina Pfeffer, Valeria Pierri, Julia Plach, Ute Reintjes, Marlene Reiter, Adela Bravo Sauras, Alina Schaller, Philip Wacker, Christian Wagner, Gerald Wenschitz, Anton Widauer, Pia Wurzer, Juri Zanger.
Dauer: maximal 4 Stunden, keine Pause.

www.schauspielhaus.at
www.lexlydia.net

 

Kritikenrundschau

"Die Darsteller haben, wie bei partizipatorischen Arbeiten üblich, die Kontrolle", schreibt Helmut Ploebst im Standard (18.4.2016). Das Publikum spüre das und fahre die Schutzschilde hoch: durch offensive Teilnahme oder durch Zurückhaltung. "Der 'Cellar Room' weckt eher das Zweitere. Also ein Verhalten, das in der Hass-Mobbing-Porno-Sphäre des Internets immer mehr angesagt ist. Auf diesen Niedergang des World Wide Web will Nilsson mit seiner begehbaren Metapher auch explizit hinweisen."

 

 

Die Darsteller haben, wie bei partizipatorischen Arbeiten üblich, die Kontrolle. Das Publikum – es kann sich im Foyer bereits mit einem unsanften Kurzfilm von Matt Lambert einstimmen – spürt das und fährt die Schutzschilde hoch: durch offensive Teilnahme oder durch Zurückhaltung. Der "Cellar Room" weckt eher das Zweitere. Also ein Verhalten, das in der Hass-Mobbing-Porno-Sphäre des Internets immer mehr angesagt ist. Auf diesen Niedergang des World Wide Web will Nilsson mit seiner begehbaren Metapher auch explizit hinweisen. - derstandard.at/2000035080062/In-den-Ekelraeumen-des-Internets

Die Darsteller haben, wie bei partizipatorischen Arbeiten üblich, die Kontrolle. Das Publikum – es kann sich im Foyer bereits mit einem unsanften Kurzfilm von Matt Lambert einstimmen – spürt das und fährt die Schutzschilde hoch: durch offensive Teilnahme oder durch Zurückhaltung. Der "Cellar Room" weckt eher das Zweitere. Also ein Verhalten, das in der Hass-Mobbing-Porno-Sphäre des Internets immer mehr angesagt ist. Auf diesen Niedergang des World Wide Web will Nilsson mit seiner begehbaren Metapher auch explizit hinweisen. - derstandard.at/2000035080062/In-den-Ekelraeumen-des-Internets

Kommentare  
Cellar Door, Wien: Wie jetzt?
Vielleicht war die Kritikerin doch nachhaltiger beeindruckt (...), aber beim nächsten Mal wärs schön, vor dem Verriss die eigene Handhabung zu überprüfen. Zwei Beispiele:

Das Wort "Involvierung" gibt es nicht.

Und ich frage mich am Ende: Waren die Räume jetzt "zur völligen Orientierungslosigkeit verunstaltet" oder war es doch ein schönes Erlebnis wie es am Ende heißt dank der "Umfassendheit der Raumgestaltung"? Zurück auf Level 1.
Cellar Door, Wien: beschreiben, dann bewerten
Bitte erst beschreiben, dann bewerten. Und bitte: sich sprachlich niemals dem Niveau des Besprochenen andienen. Das führt zu Komplikationen, wie wir hier sehen.
Cellar Door, Wien: Chat + Livestream
Also ich konnte die Performance gestern nur aus der Entfernung beobachten, was dank Chat und Live-Streams auch ganz gut funktioniert hat. Da sollte die Rezensentin tatsächlich ihre eigene Handhabung überprüfen...
Cellar Door, Wien: Was ist das Problem?
Ich verstehe die Probleme von #1 und #2 nicht.
1. Ich lese hier keinen Verriss.
2. "Das Wort Involvierung gibt es nicht" ist so ein typischer Sprachpolizei-Reflex, der jeden Neologismus und jede Neubildung sofort verwirft. Wie arm wäre die Sprache, wenn immer die Sprachpolizisten obsiegt hätten.
3."zur völligen Orientierungslosigkeit verunstaltet" gibt mir eine Ahnung davon, wie da gestalterisch gearbeitet wurde. Als Sprachpolizist lesen Sie in die "Verunstaltung" eine Wertung, ich lese darin eine Stilfigur.
4. Der obige Text beschreibt, bevor er bewertet.
5. Welches soll denn das Niveau der Veranstaltung sein, welchem sich die Kritikerin vermeintlich angedient habe? Außerdem ein seltsames Verbot: Eine "Zauberberg"-Rezension beispielsweise, welche sich dem Niveau des "Zauberberg" angedient hätte, würde ich gerne lesen.
Cellar Door, Wien: Livestream-Widerspruch
Zur Klärung des Livestream-Widerspruchs: Soweit ich es mitbekommen habe, sind der Livestream und Chat irgendwann zu eher späterer Stunde während der Abend-"Vorstellung" ausgefallen. Davor hat alles funktioniert.
Cellar Door, Wien: Link
http://lexlydia.net/live-stream/
Cellar Door, Wien: nicht mein Thema
Jetzt auch noch SM. Signa interessiert sich nur für Abseitiges. Echt nicht meine Welt. So gar nicht.
Cellar Door, Wien: macht süchtig
Das war mal ein Theatererlebnis! Packend, verstörend und im Rückblick ein erschreckendes, auf die Spitze getriebenes Abbild unserer Welt.

Schnell wird bei einer Tasse Kaffee die Bande zwischen Performer und Zuschauer gebrochen. Man kommt ins Gespräch, spricht über dies und das und plötzlich passieren Dinge über die ich immer noch sprachlos bin.

Der Zuschauer wird unterdrückt, als Freund behandelt, beneidet, umschwärmt...nach Kaffee kommt Eierlikör...und man beginnt sich plötzlich wohl zu fühlen. Doch je länger man in dieser Welt ist, umso fragiler wird sie. Machtstrukturen werden offengelegt, feinste Mechanismen, die die Figuren verbinden werden sichtbar...man verliert sich in dem Labyrinth, eine weinende Bettlerin zu meinen Füßen. Man will einfach nur noch raus. Draußen angelangt schnappt man nach Luft, ein Bettler sitzt an der nächsten Straßenecke und man beginnt zu reflektieren, was man da gerade gesehen hat.

Diese Welt macht süchtig und man kann sie nur verstehen wenn man seine eigene Wahrnehmung schärft und langsam beginnt nachzudenken!
Cellar Door, Wien: Tipps
Zehn Tipps zum Besuch bei "Cellar Door".

http://www.mottingers-meinung.at/?p=18916
Cellar Door, Wien: mit Gewalt rausgeworfen
„Cellar Door“ trägt ein autoritäres, starres und faschistoides Unterdrückungssystem zur Schau. Schwierig wird dieses Unterdrückungssystem durch die Interaktion mit den ZuschauerInnen, genannt „Shadows“. Die Interaktion soll verstören, soll ekelhaft, sexuell belästigend, übergriffig sein. Hier beginnen aber die Schwierigkeiten, denn die Performance unterliegt dem sog. Lex Lydia, für das ich zwei der Gesetze zitieren möchte.
2. Lex Lydia’s enemies are your enemies; hate them with all your heart.
18. He who abuses The Game abuses you and your deceased; repay him with your fists!
Der Hass auf das Andere und der Einsatz physischer Gewalt bestimmt das sadomasochistische Gefüge, das von sog. „Lord“ und „Queen“ gesteuert wird. Kritisiert man das als Zuschauerin, bekommt man die Gewalt zu spüren. Meiner Freundin und mir ist es so beim Besuch ergangen: Nach zwei Stunden des Befragens der Performancefiguren haben wir es gewagt, die Unterdrückung durch den Lord zu benennen. Die Reaktion kam knallfall: wir wurden mit starker physischer Gewalt (4 sog. „Wächter“ packten uns) aus der Performance herausgeworfen.
Im Reglement der Performance funktioniert der Theaterbesuch also nur, wenn man die Unterdrückungen durch die Performerinnen über sich ergehen lässt. Ist das ein sinnvolles Konzept?
Cellar Door, Wien: wie bei MEAT?
Cellar Door = Meat, 2. Teil = weiterhin auf Skandal bürsten?
...denn wirklich neues bringt Thomas Bo Nilsson ja nicht auf die Bühne.
Die gleichen Themen, das gleiche Konzept wie bei "Meat" 2014. Perversion, Gewalt, Sex und soziale Verwahrlosung in einem Mix aus Virtualität und Nervenkitzel für den Zuschauer, der das alles hautnah erleben darf.
Und war da nicht mal was bei "Meat"? Schauspieler nicht bezahlt, nächtliche Randale in der Installation? Man kann nur hoffen, daß die jetzigen Schauspieler bei "Cellar Door" alle sozialversichert sind, und daß Matt Lambert kein Problem mit dem Jugendschutzgesetz bekommt, weil in seinem Sex-und Gewalt-Film ab 18 ein kleines Kind mitspielt.
Cellar Door, Wien: eindimensional
Ich stimme meinem Vorredner zu, es riecht wirklich sehr nach aufgewärmtem Meat.

Das Team TBN versucht immer wieder (mit aller Kraft), komplex, intelligent, immersiv und diskurskritisch zu wirken. Und doch bleibt es mit dem bloßen Fokus auf entfremdete Vereinzelung und einhergehender Verrohung immer eindimensional. Diese gedanklichen Schwächen werden aber in den meisten Gesprächen über die Arbeiten selten besprochen.

Viele sind eben verzückt durch die gut erzählbaren Slogans a la:

"523 Stunden Performance, auch Nachts" (Anmerkeung: Wenn Du nichts zu erzählen hast, erzähle langsam, dann könnte es etwas bedeuten ...)

"Die Performer schlafen, essen, leben in der Performance. Extrem!"

"Man kann Sekt aus Bauchnäbeln trinken"

ich glaube mit der Setzung dieser Parameter wird der nicht vorhandene Unter/Überbau der Arbeiten absichtlich überstrahlt. Die ganze Nummer bleibt aufgewärmte "Krassheit". Alles nett anzusehen, aber mehr als ein bisschen frech ist es leider nicht.
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