Presseschau vom 21. April 2016 – Im Art Magazin identifiziert Raimar Stange die Theater als neue Horte der politischen Kunst

Die Kunst ist umgezogen

Die Kunst ist umgezogen

21. April 2016. Im Art Magazin blickt der Kurator und Kritiker Raimar Stange vom Kunstbetrieb aus neidisch aufs Theater und wird selbstkritisch: Es scheine so, "dass die Institutionen der Kunst inzwischen nicht mehr in der Lage sind, der politischen Kunst eine adäquate Bühne zu bieten", schreibt er und nennt Beispiele: "Großausstellungen mit politischer Kunst finden, wenn überhaupt, im Theater statt, etwa der letztjährige 2. Berliner Herbstsalon zum Thema Migration im Gorki-Theater. Im Hamburger Bahnhof war dagegen gleichzeitig eine Sammlungsausstellung zu sehen. Mal wieder." Symposien im engeren Kunstbetrieb "wie jüngst 'Was ist Kritik?' im Neuen Berliner Kunstverein" schmorten dagegen "genüsslich im eigenen ästhetizistischem Saft", bilanziert Stange und fragt: "Woran liegt diese apolitische Conditio weiter Teile des Kunstbetriebs?"

Zwei Antworten gibt er sich selber: "Zum einen sicherlich an seiner Abhängigkeit von betuchten Sammlern und Mäzenen." Die hörten natürlich nicht gerne, "dass sie ihren Reichtum auch einer immer weniger sozial organisierten, neoliberalen Gesellschaftsform verdanken". Zum anderen gründe diese Haltung auch "in einer sich gleichzeitig ereignenden Veränderung des Kunstpublikums: Kaum noch ein engagiertes Bildungsbürgertum (das gesamtgesellschaftlich wohl eh vom Aussterben bedroht ist) gibt da den Ton an, sondern – zugespitzt formuliert – eine Gemengelage aus lifestyliger Jeunesse dorée, distinktionsbewußten Akademikern und besagten Neu- und Altreichen, darunter auch die megapotenten Globalisierungsgewinner à la Roman Abramowitsch."

Das Theater dagegen sei "weitgehend gewappnet" gegen die "Tendenz zum kommodofizierten Edelausverkauf von Kultur"; indem es keine sammel- und handelbaren Kulturwaren produziere, und vor allem indem dort "immer noch nach der gesellschaftspolitischen Relevanz von Kultur gefragt" werde, schreibt Stange und mutmaßt: "Ist vielleicht nicht zuletzt diese Leerstelle der Grund dafür, dass der renommierte Museumsmann Chris Dercon von der Londoner Tate Gallery of Modern Art nicht an ein deutsches Kunstmuseum wechselte, sondern ausgerechnet an ein Theater, nämlich die Berliner Volksbühne?" Schließlich habe auch Dercon auf einer Pressekonferenz nach seiner Berufung in Berlin die "Durchökonomisierung des Kunstbetriebes" beklagt, der daher vielleicht vom Theater aus "zu retten" wäre.

(sd)

 

Mehr zu Chris Dercons Wechsel zum Theater, der vom Theaterbetrieb gar nicht so einhellig positiv aufgenommen wurde, in unserer Chronik zum Berliner Theaterstreit.

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