Presseschau vom 23. April 2016 – Der Spiegel widmet Shakespeare zum 400. Geburtstag zehn Seiten Titelgeschichte

Das Weltphantom

Das Weltphantom

23. April 2016. Der Spiegel lässt sich nicht lumpen: 10 Seiten Titelgeschichte werden Shakespeare gewidmet. Volker Weidermann beschreibt, wie sein Werk lebendiger als je zuvor sei. Interessant sind die Aussagen zeitgenössischer Theatermacher. 

So bestätigt Schaubühnen-Intendant Thomas Ostermeier, was auch der Literaturwissenschaftler Stephen Greenblatt sagt: "Unsere Zeiten ähneln sich, Sie sind extrem prosperierend und gewaltsam. Es sind Zeiten extremer Dekadenz und großer Armut. Religionskriege, öffentliche Hinrichtungen, Terror-Angst." Und machtversessene, skrupellose Führerfiguren seien es, die die Macht mittels bewusster Tabubrüche noch steigern.

Shakespeare 560Shakespeare  © http://a3.files.biography.com

Shakespeare im Flüchtlingslager 

Tom Bird toure seit zwei Jahren mit seiner "Hamlet"-Produktion des Globe Theater um die Welt. Wenn sie an diesem Wochenende nach London zurückkehrten, würden sie in 195 Ländern gespielt haben, auch in Flüchtlingslagern, in Jordanien etwa. "Die Reaktionen waren so enthusiastisch, es war einfach großartig." Denn neben dem Hunger, dem Schmutz der Angst und der Ungewissheit sei die Langeweile in den Lagern eines der größten Probleme. Und er habe gelernt: wie viele unterschiedliche Stücke in ein und demselben Stück, in "Hamlet", stecken. "In Ruanda ist es ein Stück über Rache. Bei uns über zerbrochene Familien."

... in der Ukraine

Der ukrainische Dichter Juri Andruchowytsch, der Teil der Maidan-Bewegung war, habe vor ein paar Jahren "Hamlet" ins Ukrainische übersetzt, mit riesigem Erfolg und nun mit "Romeo und Julia" nachgelegt. "Ich finde es interessant, wie er gerade mit diesen zwei Stücken zum globalen Popsymbol geworden ist. In meiner Übersetzung versuche ich, seinen Text und seine Sprache absolut gegenwärtig zu machen, zugänglich auch für das Publikum, das normalerweise nur die Popkultur verstehen kann." Auch das sei das Verrückte an Shakespeares Texten: Man kann daran so viel heruminszenieren, weglassen, umschreiben, neu deuten, wie man will, aber der Kern bleibt intakt. "Das ist", sagt Andruchowytsch, "eine mächtige Fusion von Leidenschaft, poetischer Schönheit, Fantasie, Ironie, Zynismus und absolut brillantem Humor. Ich muss sehr oft lachen, wenn ich seine Tragödien lese. Sie sind der Goldene Schnitt von Pathos und Ironie."

Vielleicht sei Shakespeare auch in der Welt lebendiger und heutiger als in England selbst. "Der Autor, Regisseur und Übersetzer Roland Schimmelpfennig hat vor einiger Zeit den 'Hamlet' neu übersetzt. Er hat sogar 'To be, or not to be' neu übersetzt. Verrückt geworden? 'To be' heißt 'sein', was denn sonst? Schimmelpfennig aber sagt: 'Sechs einsilbige Wörter, die einen kompletten Kreis um das Leben eines Menschen ziehen. Mein Vorschlag: 'Leben oder nicht leben.'"

... und bei den Deutschen

Natürlich fehlt auch Lars Eidinger nicht in diesem Spiegel-Artikel, er berichtet von Erlebnissen auf einem Gastspiel in Teheran. Aber auch Joachim Meyerhoff kommt zu Wort, der 2007 in Jan Bosse "Hamlet" einen modernen Kreativen spielte, "in grauer Stoffhose und Designerpullover, mal als von der Verzweiflung Getriebenen, mal als Karikatur des modernen, verwöhnten Menschen." Inzwischen habe Meyerhoff drei Bestseller geschrieben, autobiografische Monologe. "Kein anderer Autor hat mich so geprägt wie Shakespeare", sagt er. Bei ihm gebe es keine Grenzen, alles durchmische sich mit allem. Das habe er beim Spielen als enorme Freiheit empfunden. "Das Denken wird ein physischer Prozess – ebenso das Poetische, der ganze Körper spricht und dichtet. Der ganze Mensch ist ungesichert, unangegurtet, unangeseilt. Und plötzlich gibt es Momente, da meint man dann tatsächlich zu begreifen, wie es ist, wenn aus der Welt als Scheibe eine Kugel wird. Das sind erhellende und berauschende Spielereignisse, wenn durch das Sprechen der Hamlet-Sätze sich die Zeit aufbiegt und Unmittelbarkeit entsteht."

(sik)

      

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