Nichts ist unmöglich

von Jan Oberländer

Berlin, 17. April 2008. Nach ziemlich viel Aktion ist plötzlich die Bühne leer, da steht nur noch ein Performer mit zerschlissenen Lederschuhen und kariertem Pullunder, blinzelt ins Publikum und sagt einfach mal privat, was er denkt. "Wenn ich hier auf der Bühne stehe", erregt sich Silvester von Hösslin, "und sage, dass ich nicht mehr atmen kann, dass es mich ankotzt, dass der Mainstream alles aufsaugt, dann werde ich nicht ernst genommen. Und wenn ich am Hauptbahnhof stehe und das gleiche sage, dann gehen die Leute vorbei."

Wunderbar ehrlicher Moment, denkt man. Der eigentlich das Dilemma von Politik auf dem Theater auf den Punkt bringt. Und gleich noch eine viel größeres Frage erlaubt: Wem hört man eigentlich zu und warum? Hösslin redet weiter, fordert weniger Zynismus, weniger Abgefucktheit, dafür mehr "Romantik" und "Naivität". Mitreißende Rede, das Pathoslevel steigt: "Stell Dir vor, es ist Kapitalismus und keiner geht hin." Guter Spruch. Dann wechselt Hösslin ins Englische, ein Zitat, ruft zum Weitermachen auf, zum Trotzalledem, ziemlich authentisch eigentlich. Denkt man. Und dann das. Der Slogan. "Impossible is nothing". Ein Werbeclip wird eingespielt, Muhammad Ali boxt grinsend in die Kamera. Ein Logo erscheint. Adidas.

Eine reine Schimäre

Schon clever, wie die Zürcher Gruppe "Far A Day Cage" in ihrem neuen Stück mit den Ebenen spielt. "Nothing Company" eröffnet das Festival "Palast der Projekte©", das sich im HAU noch bis zum 30. April mit dem "Verhältnis von Theater und Ökonomie" beschäftigen wird. Die Gruppe tut dies, indem ihre Performer in einem Labyrinth aus weißen Papp-Kabuffs, mobilen Arbeitsstationen, herumlaufen, in Webcams gucken, im Internet surfen und in altmodische Sprechanlagen sprechen. Schöne neue Arbeitswelt Dot Com. Ihre Firma, die "Nothing Company" ist eine reine Internetschimäre, präsent auf YouTube, Facebook, MySpace, notiert an allen Börsen, die Liste mit den Phantasieabkürzungen beim Geschäftsbericht ist endlos, ATF, ACT, BLT, BLC, BSE, CIA, FBI, HAU...

Diese Firma, das wird klar, ist ein Platzhalter, ein Kommentar auch darauf, wie immer weniger auf konkrete Produkteigenschaften, und immer mehr auf die Aura eines Produkts, auf das durch es vermittelte Lebensgefühl gesetzt wird. Placebos für einen Konsumenten, der eigentlich alles hat, dem aber irgendwas-er-weiß-nicht-was fehlt. Womit man nicht nur wieder bei Adidas, sondern auch beim alten Adorno und obendrein natürlich beim Theater ist, genauer: bei der "pseudopolitischen Unterhaltungsindustrie".

Das Gemeine ist bloß: Man kommt aus dieser Falle gar nicht raus. Selbst als die Firma von knallharten Revolutionären unterwandert und der allerdickste Hauptstecker gezogen, das ganze System gekippt worden ist und die Performer, begleitet von einer wackeligen Blair-Witch-Project-Kamera, verzweifelt durch das Tunnellabyrinth ihrer auf die Seite gelegten Arbeitskartons gekrochen sind – am Ende steht da doch wieder einer da und singt, bärtig und bebrillt, singt "I will eat your life", und die anderen schmiegen sich um seine Knie.

Vakuumanzüge

Die Dramatikerin Laura de Weck hat zu dem von Tomas Schweigen eingerichteten Stück einen Audiokommentar geschrieben, den die Performer immer mal wieder dem Publikum direkt in die Kopfhörer sprechen. Er dient als zweite Ebene, als zusätzliche distanzschaffende Maßnahme, ist aber eigentlich nicht nötig, Selbstreflexivität gibt’s genug: "Guck mal, eine Schweizer Theatergruppe hat ein Stück über unsere Firma gemacht!" Und der charmante Bühnenbildner Stephan Weber sagt schon in der Mitte des Stücks breit grinsend die gestalterische Pointe an: "Vakuumanzüge!"

Diese Silber-Overalls, in denen die Performer am Ende auf der Bühne stehen, sind dann tatsächlich ein schönes und stimmiges Bild für die Eingeschnürtheit, fürs Seelenasthma, wie Hösslin das nennt. Der Markt ist überall, auch in der Kultur. Sascha Lobos roter Digitalboheme-Iro, Naomi Kleins "No Logo" – alles Markenzeichen. Und das Thema des Stücks passt auch gut zum HAU-Thema von der Ökonomie. Man kommt einfach nicht raus.

Online-Zocken mit Chris Kondek

Das zweite Stück des Eröffnungsabends ist "Loan Shark", die neue Regiearbeit des Videokünstlers Chris Kondek. Nachdem 2005 sein Aktienhandel-Stück "Dead Cat Bounce" auf dem "Festival für Politik im freien Theater" den Preis des ZDF-Theaterkanals gewann, wird im HAU 3 wiederum live und in Echtzeit auf dem internationalen Geldmarkt mitgemischt. Die Zuschauer dürfen am Laptop Euros kaufen und verkaufen, da gibt’s mal vier Cent Gewinn und mal sieben Euro, man wird allerdings auch per Close-Up-Gesichtskamera gefilmt, was interessant ist, weil sich beim Online-Zocken interessante Stirnfalten ergeben, es ist allerdings auch ziemlich aufdringlich.

Vor allem aber wird nicht klar, was der Abend eigentlich will. Die amerikanische Hypothekenkrise erklärt er jedenfalls nicht, auch wenn er es versucht. Manche Erklärungen sind hübsch anschaulich, etwa wenn Thomas Wodianka mit limonadegefüllten (liquiden!) Gläsern und Kannen hantiert. Schade nur, dass er das ganze irgendwann selbst nicht mehr so richtig zu verstehen scheint. Noch schlimmer ist es, wenn Lars Rudolph und Chris Kondek gemeinsam mit zusammenkopierten Papierschnipseln die Geldwertproduktion zu erklären versuchen. Da kommt rein gar nichts rum, auch die eingespielten Interview-Schnipsel mit Experten (Ökonomieprofessor, Kreditprofi) helfen wenig, genauso wenig wie das Fachbegriffsglossar im Programmheft.

Ein verschnipselter und verstotterter Abend, der an allen Ecken und Enden auseinanderfällt. Der 50er-Jahre-Schwarzweißfilm "Loan Shark" ist da keine Klammer, nur Einstiegskrücke, die Livemusik bringt kein Tempo, sondern Unruhe. Am Ende hat der Abend kaum mehr eingetragen als ein bisschen Klimpergeld in den Taschen einiger klickwilliger Zuschauer. Man hätte zu dem Thema lieber eine sauber didaktische Powerpoint-Präsentation gehabt als lediglich den Eindruck, dass Kunst und Geld in diesem Fall tatsächlich so überhaupt gar nicht zu einander passen.

 

Nothing Company
von Far a Day Cage, Zürich
Regie: Tomas Schweigen, Bühne: Stephan Weber, Musik: Thomas Luz,  Audiokommentar: Laura de Weck, Web- und Mediendesign: Ger Ger.
Mit: Philippe Graff, Vera von Gunten, Silvester von Hösslin, Jesse Inman, Andrea Schmid, Stephan Weber.

www.faradaycage.ch
www.nothing-company.com



Loan Shark
Regie: Chris Kondek, Mitarbeit: Philipp Hochleichter, Komposition: Hannes Strobl, Hanno Leichtmann.
Mit: Lars Rudolph, Thomas Wodianka, Chris Kondek, Philipp Hochleichter, Hannes Strobl (Bass), Hanno Leichtmann (Drums).

www.hebbel-am-ufer.de

 

Mehr zu Tomas Schweigen: Mit Second Life inszenierte er im Oktober 2007 in Jena ein Stück zur digitalen Wunderwelt.

Kommentare  
Palast der Projekte: langweilig
alles passt und passt und passt... und tausend arbeitslosentode langweilig.
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