Presseschau vom 6. Juni 2016 – Der Schriftsteller Rolf Schneider kritisiert die Roman-Lust der deutschen Theater

Blindes Sägen am eigenen Ast

Blindes Sägen am eigenen Ast

6. Juni 2016. Rolf Schneider, einer der Berühmten der DDR-Literatur, beklagt in einem Beitrag auf Deutschlandradio, dass die Spielpläne der Theater derzeit kaum mehr aus Dramen, sondern nur noch aus Roman-Bearbeitungen, Film-Bearbeitungen und anderem szenischen Material bestünden.

Am Deutschen Theater etwa, der "heimlichen Nationalbühne der Bundesrepublik" stünden zur Zeit Dramatisierungen von insgesamt zwölf Prosastoffen, die "Theaterfassung eines Spielfilmes sowie drei Inszenierungen dramenfernen Materials" im Spielplan. 17 Projekte gegen gerade einmal sieben Stücke, die von ihren Autoren auch als Stücke gedacht waren. So ruiniere sich die Kunstgattung Dramatik selbst, kritisiert Schneider.

Die Romanstoffe gibt's auch in Stücken

Dabei kämen doch die Stoffe der Romanadaptionen in der Dramenliteratur durchaus vor. Das Thema von Turgenjews "Väter und Söhne" finde sich in Stücken Nikolai Ostrowskis und Anton Tschechows. Das Thema des Seghers-Romans "Transit" gebe es in Arthur Millers "Zwischenaufenthalt in Vichy" sowie in Sławomir Mrożek "Emigranten".

Wieso es zu dieser grassierenden Mode gekommen sei, lasse sich "nur schwer erklären". Den Bearbeitern bringe es "Tantiemen". Die Schauspieler müssten "keine Klassikerverse sprechen, womit zumal manche der jüngeren sprechtechnische Probleme haben". Man liefere außerdem "eine Art Uraufführung, was überregionale Beachtung erregt". Kein Feuilleton kritisiere diese Praxis mit der die Beteiligten ihr Metier und also sich selbst ruinierten.

(www.deutschlandradiokultur.de / jnm)

Kommentare  
Presseschau wider die Romanadaptionen auf der Bühne: anachronistisch
stefan [der Kommentator Stefan hatte auf den hier zusammengefassten Text im Thread zu Sebastian Hartmanns Inszenierung "Berlin Alexanderplatz" am Deutschen Theater Berlin hingewiesen] - so richtig kann ich nicht nachvollziehen was an diesem kommentar interessant sein soll - reaktionär, eitel, gar anachronistisch trifft es eher - man möchte dem Verfasser einen Besuch im Alexanderplatz empfehlen, dass er sich selbst korrigieren möge. Dem Theater an sich, und mit genügend Seitenhieben an seine Macher, vorzuwerfen es würde sich selbst ruinieren, wenn es im epischen nach Erzählweise und Relevanz sucht ist nicht nur im Brechtschen Sinne weltfremd - es ist "genuin" (um das Kern/Lieblings-wort des Verfassers zu zitieren) an unserer Gegenwart vorbei - steckt doch in dieser genuinen Geschichte ein Großteil unseres Verderbens. Nichts für ungut, nein nicht interessant!
Presseschau Rolf Schneider kritisiert Theater-Roman-Lust: vollkommen abwegig
Ein Kommentator fragt im Deutschlandradio auf den kurzen Beitrag Rolf Schneiders: „Wo ist das Problem? Warum eignet sich Literatur nicht für die Bühne?“ –
Das Problem scheint mir darin zu liegen, dass sich Erzählende Literatur nicht etwa partout nicht, sondern nur sehr eingeschränkt für die Bühne eignet.
Erzählende Literatur für die Bühne verlangt den Vorgang der Adaption, die über eine Texteinrichtung eines per se für die Bühne verfassten Textes hinaus geht. Durch diesen Vorgang wird das Wesentliche an der Erzählenden Literatur z w i n g e n d zerstört.
Das hat zumindest etwas von Respektlosigkeit als Haltung des Theaters gegenüber der Literatur als solcher. Wird das Wesentliche bei der Adaption nicht zerstört durch dafür erforderliche Kürzungen, Satz-Gesample, unautorisierte Umstrukturierung von originalen Handlungsverläufen, die von der erzählenden Sprachform nicht zu trennen sind z.B., wird hingegen das Theatrale am Theater zerstört.
Dies wiederum hat etwas von Respektlosigkeit als Haltung von Teilen des Theaterbetriebes gegen Schauspielkunst als Wesentlichem Teil des Theaters als solcher.
Was als Handlung und Motivgerippe aus einem Roman extrahiert wird, gerät auf der Bühne
a)zu oberflächlicherer Zeit- und Figurendarstellung als im jeweiligen Roman selbst und
b)zum möglicherweise kunstvollen Spiel des Theaters mit primär seinen Ausstattungsmitteln.
Dies aber führt in den Unernst des Theaters als Kunst, einschließlich in den Verlust des Spaßes, den Publikum an ihm haben kann, wenn es besonders ernsthaft unernst ist.
Das haben Sie jetzt nicht verstanden, Alfred? Dann sollte besser John von Düffel als zweifellos zu Recht in dem Beitrag erwähnter, fleißigster an Romanadaptionen schreibender Dramaturg im deutschen Theater, einmal begründen, warum genau der Autorenkollege Rolf Schneider vollkommen abwegig hier statt des Feuilletons diese zunehmend auftretende Theaterpraxis kritisiert.
Presseschau Romanadaptionen: Warum Verfilmung ok?
aber wenn mal ein roman verfilmt wird, dann finden das alle völlig ok. in was für einer zeit leben wir, dass romane nicht mehr auf die bühne sollen???
Presseschau wider die Roman-Adaptionen: Was bashing?
Es gibt eklatante Unterschiede in den darstellend-künstlerischen Möglichkeiten für eine Romanverfilmung und eine Bühnenadaption. Und zwar zu gunsten des Films. Das kann ich dezidiert begründen, tue das aber nur gegen Bezahlung oder im Gespräch unter Freunden.

Auf die Frage, was das "bashing" gegen Roman-Darstellungen auf der Bühne soll, gibt es zwei Antworten umsonst:
1. Das, was als bashing offenbar z.B. durch Anne Peter (?) als Theaterkritikerin interpretiert wird, ist gar kein bashing.
2. Darstellungen vollendeter Romane (bei Fragment gebliebenen Romanen oder Bühnenfassungen ihrer eigenen Romane durch Romanautoren liegt der Fall bereits wieder anders) auf der Bühne sind vor allem ein bashing gegen die Kunst der Epischen Literatur.
Presseschau wider die Roman-Adaptionen: Offene Formbilder
es gibt auch viele künstlerische möglichkeiten im theater, romane aufzuführen, die der Film wiederum nicht hat. ich finde es falsch, dem theater hier stoffwelten abzusprechen, nur weil man einem althergebrachten dramatiker-bild folgt. - warum? es gibt keine begründung. - bzw. nur gegen bezahlung ;-)
ich finde diese diskussion wirklich anachronistisch, weil sie von konservativen vorstellungen von theater, dem drama, dem dramatiker, aber interessanterweise auch vom roman ausgeht. (letztere kunstform müsste dann ebenso in die kritik geraten, weil sie nicht mehr roman ist wie früher - nur noch essay? nur noch blogg-drama? plagiat-zeugs?)
wir brauchen offene formbilder, sonst stehen die künste irgendwann still.
Presseschau wider die Roman-Adaptionen: Künste stehen still
Ich hatte differenziert, verehrter D.A.:
Romanfragmente oder Roman-Bearbeitungen für die Bühne, die von den Romanautoren autorisiert bzw. selbst gefertigt werden, für Theater durchaus geeignet zu halten, ist bitte nicht identisch mit Absprechen von Stoffwelten für Theater.

Die Künste stehen auch still, wenn wir nur noch offene Formbilder haben. D.h. nur noch offene Dramaturgien z.B. im zeitgenössischen Drama oder das Öffnen ehemals geschlossener Dramaturgien durch Regie-Eingriffe in Text.
Es ist korrekt erkannt, dass ich auch den Roman als Kunstform bedürftig der Kritik fände. Und das heißt, einer wesentlich genaueren Ästhetik, als jene, die Literaturkritik im Moment leistet.
Kritik ist für mich nicht Bemängelung oder Lobhudelei, sondern fundierte Erforschung und historische Einordnung vorgefundener Formen auch in den literarischen Genres. Dem Roman, der Lyrik, der Prosa und natürlich auch der Dramatik.
Es ist nicht korrekt wiedergegeben, dass die o.e. Begründung für den Film nur gegen Bezahlung erfolgte. Ich bemerkte: auch im Gespräch unter Freunden.
Romane kann man lesen, aber nicht aufführen. Wenn man Romane formal wie inhaltlich komplett aufführen könnte, wären sie keine Romane, sondern Dramen.
Romane, die durch Adaptionen partikulär aufführbar gemacht werden, halten das als Romane zwar aus. Aber man sollte dann bitte nicht so tun, und das auch keinesfalls so ankündigen oder sagen, als hätte man in der Tat einen Roman "aufgeführt".
Man hat dann lediglich die Vorstellung eines Regisseurs oder einer Dramaturgie von einem Roman aufgeführt.
Das ist ja ein bedeutender Unterschied. Zwischen einem Original, das in einem intimen Vorgang, dem Lesevorgang, antizipiert und mit der subjektiven Vorstellung des jeweilig Lesenden xy behaftet wird.
Oder der Vor-Vorstellung eines bestimmten Lesers, die öffentlich aufgeführt wird.
Das ist ja eine egoistische Haltung des Theaters gegenüber dem Publikum. Eine bildungsbürgerliche Haltung mit pädagogischem Impetus was literarische Formen anlangt. Die dem Publikum den intimen Antizipationsgebrauch des Romans raubt, anstatt ihn ihm zu schenken.

Wir brauchen im Moment primär präzise Form-Bilder der Kritik als Methode der Ästhetik als philosophischer Disziplin.
Ob diese Form-Bilder offene oder geschlossene Formen beschreiben und historisch einordnen, ist von sekundärer Bedeutung.
Wenn Sie es unbedingt so wollen, dass ich konservativ sein muss, habe ich also ein überaus konservatives Philosophenbild. Ja.
Das ist sehr korrekt erkannt.
Warum, kann ich ebenfalls wie diese Film-Sache dezidiert begründen. Tue das aber ebenfalls nur gegen Bezahlung oder halt im Gespräch mit Freunden für umsonst. (Bevorzugt in der Badewanne.)

Freundlichst d.o.
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