Schräger Lichteinfall

von Eva Maria Klinger

Wien, 20. April 2008. Was macht diesen Joachim Meyerhoff selbst im schlichtesten Vortrag so unwiderstehlich? Ein leptosomer Riese, leicht gebeugt, schütteres Haar, ein mageres, bleiches Gesicht – so sitzt kein Star zwischen den Souvenir-Vitrinen des Lebens. In sachlichem Ton, der die schlimmste Tragödie auf Zimmertemperatur hält, erzählt er Familiengeschichten. Niemals würde er sich in einen Furor steigern, seine Seele brennt unter feuerfester Oberfläche. Er formuliert intelligent, fabuliert fabelhaft. Der dritte Teil seiner satirischen "Memoiren" (nach der Kindheit als Sohn eines Psychiatriedirektors auf dem Gelände einer Irrenanstalt  und nach einem High-School Jahr in Amerika) ist eine Hommage an seine charismatische Großmutter, die Schauspielerin Inge Birkmann.

Großmutters Hermänner

Sein ironischer Blick auf die Tragödien des Lebens hat etwas Tabori-artiges. So erfährt man, wie komisch es zugehen kann, wenn zwei Mädchen plötzlich zu Vollwaisen werden und von der letzten Geliebten des Vaters umsichtig erzogen werden. Eines dieser Mädchen ist seine Großmutter. ("Ich habe nie eine schönere Frau gesehen!")

Sie geht in den dreißiger Jahren, ohne die Schule abgeschlossen zu haben, zum Theater, verliebt sich in Hermann, einen Regisseur, der dummerweise verheiratet und Vater zweier Kinder ist. Sie wird schwanger, flieht allein von Bremen nach Krefeld, wo sie Joachims Mutter zur Welt bringt. Hermann, der Regisseur, lässt sich scheiden, die Großeltern ziehen nach München und leben eine wunderbare Künstler-Ehe.

1946 fahren besoffene Amerikaner in einem Besatzungsauto das Paar über den Haufen. Joachim Meyerhoffs Großvater stirbt am Unfallort, seine Großmutter liegt zwei Jahre mit schweren Verletzungen im Spital. Nach zwei Jahren verlässt sie es mit einem kürzeren Bein und einem "neuen Hermann".

"Wir hören Musik"

Dem neuen Hermann bedeutete die schöne Witwe mehr als sein Theologiestudium,  er wurde Philosoph – ein religiöser allerdings. Die Ehe mit dem neuen Hermann gewinnt aus der Sicht des Enkels kabarettistisches Potential: der genormte Tagesablauf, die sonderbaren Ritualen des Paares, der beträchtliche, wenn auch auf genaue Trinkzeiten festgelegte Alkoholkonsum. Staubtrocken schildert Meyerhoff die Realsatire.

"Meine Großeltern hörten jeden Abend Musik. Sie zündeten Kerzen an und legten sich auf eine große Kaschmirdecke auf den Boden. Da lagen sie wie Tote, die sich selbst aufgebahrt hatten. Das taten sie auch, wenn sie Besuch hatten. Sagten 'Lasst euch nicht stören, wir hören jetzt unsere Musik'. Die Gäste, sie bekamen immer viel Besuch, saßen da und sahen ihnen beim Musikhören zu."

Der Witz und die Authentizität seines Vortrags deklassiert jede Dichterlesung. Ihn, den "Schauspieler des Jahres 2007", für ein einzigartiges Naturereignis zu halten, wozu man geneigt ist, lässt Joachim Meyerhoff nicht zu. Er führt sich lustvoll vor: Am Schluss zeigt er einen Filmausschnitt mit der alten, wunderschönen Großmama und einem steifen Filmeleven, einem ungelenken, historisch kostümierten Jüngling mit doofem Gesichtsausdruck. Es blieb Joachim Meyerhoffs einzige Filmrolle. Zum Glück. Umso öfter begeistert er uns live, in großen Rollen und selbst in einer Petitesse wie dieser.

 

Alle Toten fliegen hoch - Teil 3: Die Beine meiner Großmutter
von und mit Joachim Meyerhoff
Ausstattung: Sabine Volz

www.burgtheater.at

 

Kritikenrundschau

Der "grandiose Burg-Schauspieler Joachim Meyerhoff", schreibt Isabella Hager im Standard (22.4.2008), habe eine "schlichte, erlesene, ja sogar luxuriöse Form der Erzählkunst gefunden." Es komme nicht auf die, "wenngleich selten ‚durchschnittlichen’ Personen und Erlebnisse im offenkundig bodenlosen Erinnerungstopf an, aus dem Meyerhoff schöpft". Nein, Meyerhoff befriedige einfach "konkurrenzlos" ein "tief verankertes menschliches Grundbedürfnis, das im Grunde bloß verzweifelt nach Geschichten hungert – und jemandem, der sie eloquent zu erzählen weiß."

Es ist kein einfaches Unterfangen, das eigene Leben auf die Bühne zu bingen, weiß eine ungenannt bleibende Autorin, ein Autor?, in der Presse (22.4.2008). Meyerhoff gelinge die Gratwanderung: "Seine Erzählung ist stolz, aber nie eitel, berührend, aber nie kitschig, melancholisch, aber nie larmoyant, lustig, aber nie zotig." Der Schauspieler habe ein feines Gespür für die richtige Balance zwischen trockenem Humor und persönlicher Betroffenheit. Trotz aller Nähe zu seinen Großeltern, zu seiner Großmutter halte er beim Erzählen einen Respektabstand ein, "er schildert, wertet aber nicht."

In der Zeit (24.4.2008) bettet Peter Kümmel eine Eloge für den Schauspieler Joachim Meyerhoff ein, in eine seiner so wundervoll melancholischen Verlustanzeigen für das deutschsprachige Theater. Das Theater habe die Fähigkeit verloren, "Gegenwärtigkeit" herzustellen. Der vorherrschende Gestus des Erzählens der Vergangenheit, des Nacherzählens von Filmen und Romanen habe das Theater aus dem Augenblick vertrieben. "Im Theater sehen wir Körper, die Identität nicht mehr theaterhaft behaupten, sondern nur noch fahl umkreisen." Auf der Bühne stünden keine Figuren mehr, allenfalls ein "Team von Ermittlern", das sich "Texte und Rollen" teilte, keine Einzelwesen, nurmehr ihre Essenz, eine "Schicksalsgemeinschaft". Agambens Lager, in dem der schutzlose, nackte Mensch einsitzt, sei zur beherrschenden Metapher des Theaters geworden. Um aus diesem "Lager sich zu befreien", sagt Herr Kümmel, müssten die Schauspieler "vielleicht besser hinsehen, genauer spielen, witziger sein, die eigene Haut riskieren". Wie das gehe, wisse er auch nicht, aber er habe es bei dem tollen Schauspieler Joachim Meyerhoff in Wien gesehen, bei dem man spüre, was dem deutschen Theater "doch eher fehlt". Man denke, Meyerhoffs "schauspielerischer Reichtum" nähre sich aus einem "Depot an Wahnsinn", das er in seiner Kindheit als Sohn eines Psychiaters und Klinikleiters angesammelt habe. Dabei sei sein Erzählton "freundlich und fragend, als lausche er, während er spricht, und als rechne er damit, aus der Vergangenheit, von der er erzählt, jederzeit unterbrochen zu werden." Wie er die Atmosphäre in seinem Elternhaus "allein durch Sprache und Klang" erwecke sei "von genialer Schlichtheit" und übertreffe in "seiner Wirkung jede Großtheaterdrehbühne."

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