Presseschau vom 12. Juli 2016 – In der Süddeutschen Zeitung nimmt Peter Laudenbach die verwischten Grenzen zwischen Theater und Wirklichkeit unter die Lupe

Im Real-Erlebnispark

Im Real-Erlebnispark

12. Juli 2016. In der Süddeutschen Zeitung fasst Peter Laudenbach den Polizeieinsatz bei einer Kunst-Aktion während des Berliner Festivals Foreign Affairs zusammen, um dann allgemein auf die "Reibung zwischen Kunst und Wirklichkeit" zu sprechen zu kommen: Die kleine Referenzrahmenverschiebung sichere noch dem banalsten Vorgang erhöhte Aufmerksamkeit. "Weil das so prächtig funktioniert, ist die systematische Entgrenzung der Kunst und das Verwischen der Differenzen zwischen ästhetischem Spiel und sozialer Praxis, Kunstraum und öffentlichem Raum, Bühne und Flüchtlingscafe zur inflationär benutzten Strategie geworden, mit der sich auch billige Einfälle mit der Zuverlässigkeit eines pawlowschen Reflexes gegen die wertvollste Ressource des Kunstbetriebs eintauschen lassen: Aufmerksamkeit."

Auch bei politischer Aktionskunst laute am Ende regelmäßig die Frage, ob der Krisenbefund zum Zweck der Selbstinszenierung instrumentalisiert werde. Oder ob die Aktion zumindest Aufmerksamkeit auf einen in der Regel auch Nicht-Künstlern nicht ganz unbekannten Missstand lenke. "Schon die Frage, was Mittel und was Zweck sei, die Kunst oder die politische Bearbeitung eines Konfliktfeldes, ist ein Indiz dafür, dass bei diesen Kurzschlüssen zwischen zwei sehr unterschiedlichen Funktionssystemen beide Blessuren davontragen können: das Reflexionsmedium Kunst - wobei Kunst Selbstzweck ist und eben kein Mittel zum Zweck, auch nicht zu einem guten - und die politische Intervention (deren Akteuren es um politische Ziele gehen sollte, nicht um eine Karriere auf dem Kunst-, Kuratoren- und Intendantenmarkt)."

Natürlich könne die Reibung, die entstehe, wenn ein radikaler Künstler auf nicht weniger radikal eindimensionale Wirklichkeitsabteilungen treffe, sehr erhellend und unterhaltsam sein. "Niemandem ist das besser gelungen als Christoph Schlingensief." Allerdings: "Auch dass die Ausnahmefigur Schlingensief so viele Nachahmungstäter gefunden hat, dürfte zur Inflationierung der Versuche, Kunst ins vermeintlich echte Leben aufzulösen, beigetragen haben." Dem Theaterblick werde heute oft alles zum Theater. "Diese Wahrnehmung der Wirklichkeit ist dem touristischen Blick näher, als den Künstlern recht sein dürfte. Wie Touristen goutieren die Performance-Besucher reale Orte sozialer Praxis vor allem als ästhetischen Reiz und verwandeln sie, zumindest in der eigenen Wahrnehmung, in einen Real-Erlebnispark."

(geka)

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