Presseschau vom 30. Juli 2016 – Die Süddeutsche Zeitung berichtet über neue Blütezeit politischer Kunst und den Folgen fürs Publikum
Im Katastrophenmodus
Im Katastrophenmodus
30. Juli 2016. Die spektakuläre politische Kunst erlebt eine neue Blütezeits, resümiert Kia Vahland in der Süddeutschen Zeitung. Kein Wunder bei der finsteren Weltlage. Das aber habe Folgen für das Publikum, das so im Katastrophenmodus gefangen bleibe.
"Misst man den Erfolg von Kunst an der erreichten Aufmerksamkeit, dann übertrifft das Zentrum für politische Schönheit hierzulande Gerhard Richter, Banksy und so ziemlich alle anderen lebenden Künstler", schreibt Kia Vahland in der Süddeutschen Zeitung (30.7.2016). Eingeheizt werde hier nicht der Politik, "sondern dem Publikum, mit Aktionen, welche die auch schon rabiaten Auftritte der Tierschutzvereinigung Peta wie einen Streichelzoo wirken lassen".
Was, wenn die Politkünstler so moralisch tun, weil wir, die Zuschauerinnen und Zuschauer, dies so wollen. "Wir, die vor lauter Unglücksnachrichten sowieso schon im Katastrophenmodus sind, gieren möglicherweise auch in der Kunst nicht nach Abregung, Reflexion, Besonnenheit und Aufklärung, sondern nach größtmöglicher Steigerung unserer bereits von der Realität aufgewirbelten Gefühle."
Damit widersprechen diese Interventionen nicht dem gegenwärtigen Zustand des Kapitalismus, sondern sie entsprechen ihm. Die Macher verkaufen ein gutes Gewissen so wie die Teebeutelhersteller, die ihre Produkte mit aufgedruckten Lebensweisheiten an die Leute bringen. "Auf kultureller Bühne verdrängen die Kunden die Bürger. Mit ihrem Katastrophismus degradieren die Aktionskünstler ihre Rezipienten zu Politkonsumenten, die mit der Währung Aufmerksamkeit zahlen. Dafür bekommen diese gute Gefühle, ein bisschen Theater, nicht aber reale politische Anteilnahme. Die setzt Anstrengung und Wissbegierde voraus."
Das töne laut, was vor allem schade ist für ernsthaft politisch interessierte Künstler, "die wachen Auges die Welt beobachten, sie für uns darstellen und mit uns interpretieren". In Kunstausstellungen bilden sie inzwischen die Mehrheit, und ihre Stile sind vielfältig. Es gibt die historischen Erzähler wie den Ägypter Wael Shawky, der aus den Kreuzzügen ein Marionettenspiel macht, oder die Afroamerikanerin Kara Walker, die in Scherenschnitten die Brutalität der Sklaverei umkreise. Es gibt die Investigativen, die geschlossene Systeme auskundschaften, wie den großen Filmkünstler Harun Farocki. Es gibt die Experimentellen wie Pamela Rosenkranz, die auf der Venedigbiennale einen Pavillon mit fragwürdigen Kosmetikchemikalien füllte. Es gibt die Dokumentare wie den Libanesen Rabih Mroué, der die letzten Handyfilme Erschossener sammelte.
Fazit: "Sie und viele andere überraschen ihr Publikum, informieren und fordern es, anstatt uns erst aufzuputschen und dann, ermattet, alleinzulassen. Eine solche subtile Gegenwartskunst kennt keine einfachen Lösungen, weiß nicht alles besser. Gerade deshalb macht sie über die Kunst hinaus handlungsfähig. Die Welt ist zu schön und die Lage zu ernst, um sie ein paar hitzigen Tigerdompteuren zu überlassen."
(sik)
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