Presseschau vom 18. Agust 2016 – Tim Renner kritisiert "Kampagne" gegen Chris Dercon

Menschlich schofelig

Menschlich schofelig

18. August 2016. Im Interview mit dem Kulturradio des RBB äußert sich Tim Renner zum Streit um die Berliner Volksbühne und ihren designierten Intendanten Chris Dercon. "Ich finde es etwas absurd, wenn wir hier eine Kampagne erleben gegen jemanden, der noch gar nicht angefangen hat."

Das zeige, "dass es keine gute Idee ist, Systeme, so lange monolithisch zu lassen wie es bei der Volksbühne der Fall war. (...) Dann entstehen Substrukturen, wo Leute klar profitieren, und das sind auch diejenigen, die zur Verunsicherung beitragen." Für Renner sei "das wirklich Ärgerliche" daran, dass es hervorragende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Volksbühne gebe, die durch die Situation verunsichert würden – "von Leuten, die einen hohen Marktwert haben, die draußen längst weitergezogen sind zu anderen Häusern, die Dercon die Zusammenarbeit verweigern, die aber gerne hätten bleiben können, die alle von ihm Angebote gehabt haben, und das finde ich auch wirklich menschlich schofelig".

Renner möchte Amt behalten

Er stehe unverändert zu seiner Entscheidung pro Dercon. "Ich sehe seine Stärke darin, neue Talente zu entdecken." Er sei ein Mensch, der sehr nah an den Neuen dran ist, sehr gut vermitteln kann, ihnen Platz geben kann.

Renner erklärt, dass er auch über die im September anstehenden Wahlen hinaus weiter Kulturstaatssekretär bleiben wolle. Nicht zuletzt wegen der Volksbühne. "Das wäre natürlich schon ärgerlich, wenn man die ganzen Weichen gestellt hat und dann gar nicht dabei ist wenn entweder der Zug Fahrt aufnimmt oder - was natürlich auch passieren kann – der Zug entgleist, weil die Idee der Weichenstellung die falsche war."

Die beständig harsche Kritik von seiten des Intendanten des Berliner Ensembles Claus Peymann nimmt Renner mit Humor: "Ich denke, ich habe es geschafft, in meiner Amtszeit in die Neuauflage vom Peymann A-Z, das sind alle Beleidigungen, die Claus Peymann in seinem Leben losgelassen hat, hineinzukommen. Das war nicht mein primäres Ziel, aber es härtet in gewisser Hinsicht auch ab."

(miwo)

 

Hier haben wir Positionen der Nachtkritiker*innen zur Debatte um die Zukunft der Volksbühne gesammelt

Kommentare  
Tim Renner im Interview: Startschuss
Juhu. Sommer vorbei. Es geht wieder los. :P Ach, was haben die letzten Wochen gut getan.
Tim Renner im Interview: Marktwert
.."von Leuten, die einen hohen Marktwert haben"...
das spricht Bände!! Menschen haben einen Marktwert...Künstler auch...Tim Renner ist offensichtlich drin:
..."Das zeige, "dass es keine gute Idee ist, Systeme, so lange monolithisch zu lassen wie es bei..." nun ja bei Tim Renner offensichtlich auch der Fall ist.
Tim Renner im Interview: Frage
"Viele Menschen die wir später an der Volksbühne gesehen haben waren vorher mit Dercon unterwegs." Schön.Wer genau?
Tim Renner im Interview: Hauptsache digital
Lilienthal nicht, da ist es umgekehrt. Schlingensief, auch eher umgekehrt. Ragnar Kjartanson ist vielleicht gemeint.
Na hoffentlich hat er da nichts verwechselt. Dercon bezeichnet schnell mal Leute als seine Freunde. Castorf nannte er auch schon mal einen Freund, weil er sich so gut mit ihm unterhalten konnte. Das muss bei der Feier zum Hundertsten der Volksbühne gewesen sein, als Castorf noch nicht wusste, wen ihm da der Renner übergeholfen hat.
Aber ist doch auch egal. Hauptsache, da wird digitalisiert.
Tim Renner im Interview: die Logik des Kapitalisten
Tim Renner behauptet:
1. der Grund Chris Dercon zu besetzen sei, weil er neue Talente entdecken würde ("Ich sehe seine Stärke darin, neue Talente zu entdecken.")
2. man könne Chris Dercon nicht beurteilen, weil er noch gar nicht angefangen habe ("Ich finde es etwas absurd, wenn wir hier eine Kampagne erleben gegen jemanden, der noch gar nicht angefangen hat")
3. Der Grund für die "Kampagne" gegen Dercon sei ein korruptes System, bei dem die Profiteure sich nun an ihre Macht klammern und "hervorragende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter" verunsichern ("Das zeigt uns eher, dass es keine gute Idee ist, Systeme, so lange monolithisch zu lassen wie es bei der Volksbühne der Fall war.[...] Dann entstehen Substrukturen, wo Leute klar profitieren, und das sind auch diejenigen, die zur Verunsicherung beitragen.")

In Tim Renners Augen scheint es sich hier um rein private Interessen von einigen wenigen Profiteuren zu drehen.

Dagegen möchte ich folgendes zu Bedenken geben:
Chris Dercon hat sehr wohl bereits angefangen. Es geht also bereits um eine inhaltliche Debatte des wenigen, was von seinem Programm bekannt ist.
Dabei lässt sich feststellen: neue Talente scheinen noch nicht entdeckt.
Im Gegenteil, Sie selbst, Herr Renner, erklären, dass Dercon versuchte "Leute, die einen hohen Marktwert haben" zu halten; leider glauben Sie auch hier an rein private Beweggründe. Müssten Sie selbst nicht froh sein, wenn diese "Leute" freiwillig gehen, schließlich ist doch Dercons Stärke, neue Talente zu entdecken? Sind Sie nun selbst erschreckt, dass Sie in ihrer Entscheidung ernst genommen werden? Das es noch Künstler gibt, für die eine Idee der Treue existiert?

Ja, die Angst die der offene Brief der Mitarbeiter_innen der Volksbühne zum Ausdruck bringt, ist nicht in allen Teilen konkret belegt ("Wir befürchten einen Stellenabbau, bis hin zur Abwicklung ganzer Gewerke."), aber er benennt klar Dercons bisherigen Umgang mit den Mitarbeiter_innen.
Diese Sorge nicht ernst zunehmen, viel mehr als "Verunsicherung" durch Leute die "klar profitieren" abzutun, ist äußert bedenklich.
Das ist die Logik eines Kapitalisten. Das sollte nicht die Logik eines Sozialdemokraten sein.
Tim Renner im Interview: nicht schofelig
Es war doch Renner, der den radikalen Neuanfang wollte, der die Zusammenarbeit mit Castorf verweigert hat. Nun verweigern Pollesch, Fritsch und Co die Zusammenarbeit. Das ist nicht schofelig, das ist konsequent. Ausgerechnet diese Personen sollen jetzt auch noch schuld an der Verunsicherung der Volksbühnenmitarbeiter sein. Was soll man dazu noch sagen.
Der Zug fährt längst in die falsche Richtung.
Tim Renner im Interview: Lektüre
Der Kulturstaatssekretär Tim Renner hat das von Hans Dieter Schütt herausgegebene Buch " Peymann von A- Z " nicht gelesen, sonst würde er über das Buch nicht Unsinn verbreiten. Kann mir nicht vorstellen, daß er je in ein Neuauflage mit seinem Unsinn aufgenommen werden würde. Ein Lektüre des Buches würde ihm aber sicher zu mehr Verständnis von Theater verhelfen.
Tim Renner im Interview: Wunsch
Ich will einen radikalen Neuanfang an der Spitze der Berliner Kulturpolitik.
Tim Renner im Interview: inkompetent
Wenn Renner wirklich angenommen hat, dass er Castorf zuerst vom Hof jagen und Dercon dann auf Künstler wie u.a. Pollesch oder Wuttke für seine Vorstellung eines "Sprechtheaters" (wie das auch immer aussehen soll) zurückgreifen und damit das bisherige Stammpublikum halten kann, ist er noch inkompetenter, als ohnehin zu befürchten war.
Dercon könnte einem fast leidtun, wenn er so naiv gewesen sein sollte, die Intendanz unter dieser Prämisse zu übernehmen. Dann wäre es kein Wunder, dass ihm nach dem Brief der Volksbühnenmitarbeiter internationale Kulturarbeiter/innen zur Seite springen wollten, und er über hohle Floskeln hinaus noch nicht einmal ansatzweise ein wirklich tragfähiges Konzept vorstellen kann - von einem Programm ganz zu schweigen
Tim Renner im Interview: Es reicht!
Bei manchen sind 20 Jahre nicht zu lang, weil Größe dahinter steckt. Bei anderen sind 5 Jahre genug. Wenn Renner sich alles so schön redet, dann gehört er einfach weg. Bitte keine weiteren 5 Jahre monolithisches Gehabe eines Kleingeistes! Das Interview ist kaum zu ertragen. Wer ist Berater dieses Menschen?
Ich ahbe wirklich nichts gegen Dercon, ein großer Mann im künstlerischen Sinne. Der gehört nach Berlin, aber nicht an die Volksbühne. Und renner, der gehört nicht in den neuen Senat. Es reicht!
Tim Renner im Interview: Es reicht wirklich!
Es reicht wirklich . Wir wissen jetzt, dass Tim Renner Feinde hat. Das muss uns nicht jeden Tag zweimal neu gesagt werden.
Tim Renner im Interview: Anlass
... Renner gibt aber (leider) immer wieder Anlass, das eigene Entsetzen erneut zu formulieren.
Tim Renner im Interview: Renners Feind
Lieber Martin Baucks, der größte Feind ist er doch selbst. Wer wegen einer Gedenktafel die Facebook-Schwarmintelligenz anruft, um Text zu kürzen und Rechtschreibfehler zu verbessern, aber bei einer Entscheidung über das vielleicht wichtigste Theater unserer Zeit kompetente Leute wie Feinde des Fortschritts behandelt und demensprechend abkanzelt, sich mit Claqueuren umgibt, der braucht keine weiteren Feinde mehr.
Tim Renner im Interview: Cobains Feuerzeug
Apropos "schofelig". Das Trio (if you like: infernale) Müller/Renner/Dercon eröffnet eine Ausstellung namens "For Those About to Rock". Honi soit qui mal y pense.

http://www.bz-berlin.de/kultur/mehr-kultur/in-neukoelln-liegt-jetzt-kurt-cobains-feuerzeug

Müller in entlarvender Erkenntnis: „Nur da, wo Künstlerinnen und Künstler ohne Angst, ohne Ausgrenzung frei und offen leben können, da kann Kunst und Kultur erblühen. Und darum gilt es, zu erhalten, dass Berlin auch in Zukunft eine Stadt der Freiheit ist.“

Freiheit der Andersdenkenden, gute Nacht.

(PS: Wird die Kindl-Brauerei zur VB-Außenspielstätte? Gibt jedenfalls Ähnlichkeiten zur Dercon-Tate.)
Tim Renner im Interview: völlig richtiger Satz
#15 Ich find' den Satz von Müller vollkommen richtig. Es gibt genug Orte, wo Künstelerinnen und Künstler mit Angst und Ausgrenzung leben müssen. Denken Sie mal an all die queeren Künstlerinnen und Künstler in Afrika und in den osteuropäischen Ländern.
Tim Renner im Interview: Homogenisierung
@15: Ich finde den Satz wie Sie ebenfalls vollkommen richtig.

Allerdings sehe ich da ein Spannungsverhältnis zur überheblichen und demutsfreien Vorgehensweise seines Kulturstaatssekretärs. Ich beobachte eine Homogenisierung (in Sinne eines hechelnden Verflachens und Vermainstreamens) der Ästhetiken und Ansätze, was die Staatstheater betrifft. (Die von Renner zerschlagene castorfsche VB *ist* auf ihre singuläre Weise ein Freiheitsort. 'Dercon an die VB' ist nach wie vor so uninformiert wie marktgängig.) Das ist bitter. Und daran ändert in erster Ordnung auch eine noch so diverse "freie" Szene nichts. Die ist mit oder ohne eine castorfsche VB divers.

In Berlin ist die Ausgrenzung nicht nur (!) queerer Künstler/innen glücklicherweise weniger ein Problem als anderswo, scheint mir.

Nota bene: Chris Dercon ist meines Wissens weder Afrikaner, noch Osteuropäer, noch queer, Genausowenig wie Reese, Khuon, Peymann, Castorf, Langhoff, Ostermeier, Müller, Renner, Lilienthal. Meinethalben soll eine queere Afro-Osteuropäerin die Nachfolge von say Ostermeier (oder Renner oder Müller) antreten. Wenn das geiles Theater (bzw. geile Politik) bedeutet, immer her damit. Denn das zählt. Nicht, wer mit wem schläft.
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