Presseschau vom 1. September 2016 – Christopher Balme schreibt in der SZ über die Macht deutscher Theaterintendanten

Unter Übermenschen

Unter Übermenschen

1. September 2016. Die Intendanten der deutschen Theater genießen eine weltweit einzigartige Machtfülle. Der Streit um die Berliner Volksbühne zeigt aber: Das wird wohl nicht so bleiben. In der Süddeutschen Zeitung blickt Christopher Balme auf das System.

"Der Fall Dercon ist symptomatisch, denn er hängt mit der besonderen Herrschaftsform des Intendanten zusammen", schreibt Balme, Direktor des Instituts für Theaterwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die Besetzung der Leitung großer Häuser durch "große" Künstler wie Regisseure oder Dirigenten habe eine lange Tradition. "Nun installiert man nicht mit jeder Leitung auch Krisenanfälligkeit, sie muss auch nicht unbedingt während der Herrschaft des Amtsinhabers ausbrechen, überdurchschnittlich oft aber im Prozess des Übergangs, der Nachfolge." Nach Max Weber hänge die Schwierigkeit dieser Transformation damit zusammen, dass dieses Führungsmodell auf charismatsicher Herrschaft beruhe.

Wie könne die Nachfolge gelingen? Charismatische Herrschaft, so Weber, definiert sich durch institutionelle Instabilität, laut Weber stehe Außergewöhnlichkeit einerseits und bürokratische Veralltäglichung im potenziellen Konflikt. "Mit der Nachfolge-Krise an der Berliner Volksbühne kommen nun alle Elemente des alten Systems zusammen. Ein charismatischer Regie führender Intendant in der Person Castorfs, der seine Ablösung gar nicht einsieht. Castorf ist seit 1992 im Amt. Die übliche Laufzeit beträgt 10 Jahre. Ohne seine historischen Verdienste zu schmälern, ist man sich innerhalb der Kritikergemeinde einig, dass seine kreativen Kräfte schwinden und ein Nachfolger gefunden werden musste."

Für Balme werfe die Krise der Nachfolge die Frage auf, warum in Deutschland so lange an der Herrschaftsform des Regie führenden Intendanten festgehalten wurde. Fazit: "In der Figur des Regie führenden Intendanten hat sich ein besonderes und wohl anachronistisches Verhältnis zwischen Ästhetik und Institution herausgebildet. (...) Die Berufung von Dercon und Lilienthal könne darauf hindeuten, dass dieses Modell ausstirbt. Theater ist Krise, sagte Heiner Müller. Wo keine Krise, da keine Veränderung."

(sik)

Kommentare  
Prof.Balme über deutsche Intendanten, SZ: würden Sie sich selbst entlassen?
Christoph Balmer (Prof. für Theaterwissenschaft in München) argumentiert im Schulterschluss mit Tim Renner mit "überschrittenen Amtszeiten".

http://www.sueddeutsche.de/kultur/charismatische-herrschaft-in-der-kunst-unter-uebermenschen-1.3143348

Bizarr. Ein auf *Lebenszeit* bestallter Professor zieht das Argument, dass doch auch mal ein Wechsel sein müsse, wenn genug Zeit ins Land gegangen sei.

Herr Balmer, würden Sie sich selbst entlassen? Würden Sie Barenboim davonjagen? Karajan? Adorno?

Und zur Frage des regieführenden Intendanten: Bitte mehr davon. Mehr Kunst, weniger Lopachins! Dass fähige Geschäftsführer der künstlerischen Leitung zur Seite stehen, ist doch ein super Modell. Primat der Kunst. Unter Rücksicht auf die Gegebenheiten eines (öffentlich gewollten und daher hauptfinanzierten) Betriebs.
Prof. Balme über deutsche Intendanten, SZ: Plädoyer für Teams
@1
Der Gedanke der "Amtszeitüberschreitung" ist mir auch fremd, und eigentlich für die Argumentation des ansonsten sehr interessanten Artikels unnötig.

Und doch, ich halte regieführende Intendant*innen aus mehreren Gründen für die krisenanfälligste Form der Theaterleitung (und nicht nur beim Leitungswechsel).
Die immer gleichen Gründe: Während der eigenen Produktionen verschwindet der/die Intendant*in meist für die Mitarbeiter - Probleme werden nicht gelöst sondern aufgeschoben, die eigenen Produktionen stattet der/die Intendant*in mit unbegrenzten Ressourcen aus, alle anderen müssen sparen, es gibt keine künstlerischen Qualitätskontrolle der Intendant*innen-Produktionen, Eingriffe in die Produktionen anderer Regisseur*innen sind üblich, Wegbeißen der künstlerischen Konkurrenz, fehlendes Interesse für Abläufe innerhalb der Gewerke, fehlendes Interesse für betriebswirtschaftliche Zusammenhänge, in Mehrspartenhäusern zu wenig Wissen über die Arbeitsweisen der ihm/ihr fremden Sparten, Entmachtung der Spartenvorstände und der Dramaturgie, zu wenig Zeit für Lobbying, Übertragung der Befugnisse der Regie auf den gesamten Betrieb, Fokussierung auf den/die Intendant*in führt zu einer Entwertung der Leistungen aller anderen etc. etc.
"Primat der Kunst" – gern. Aber nicht auf Kosten der anderen Künstler*innen.

Und es gibt eine große Zahl von nicht-regieführenden Intendanten (mir fallen gerade nur Männer ein??), deren Arbeit beweist, dass "Kunst" das zentrale Anliegen ihrer Häuser ist/war: Nagel, Goerne, Baumbauer, Pierwoß, Stromberg, Börgerding, Lux, Schulz, Spuhler, Lilienthal ... (Und ich will gar nicht sagen, dass in den Häusern die von ihnen geleitet werden keine Probleme oder Krisen gibt/gab. Und auch nicht, dass ein*e nicht-regieführende Intendant*in durch Macht nicht korrumpierbar wäre.)
Das von mir bevorzugte Modell ist die Aufteilung von Macht und die Führung der Theater durch Teamleitungen - nur leider wird das zu selten versucht. Leider, denn so könnte man die Kontinuität, die der Betrieb braucht mit der Flexibilität und den Wechseln verbinden, die für die ästhetische Innovationen zuträglich sein können.

Ein riesiges Missverständnis besteht darin, dass behauptet wird die Leitung eines Theaters sei selbst – Kunst. Das ist falsch und irre. Die Zwecke eines Theaters sind die Produktion von Kunst, die Schaffung von Räumen und Zeiten, in denen Kunst entstehen kann, die Präsentation von Kunst. Aber die Leitung des Theaters ist eine Führungsaufgabe - keine Kunst.

Der mir liebste Absatz des Artikels beschreibt ein anderes Problem, die Findung eines/einer Intendant*in: "Bei Stadttheatern mit hohem Bekanntheitsgrad und bei allen Staatstheatern regiert absolute Verschwiegenheit; die Beratungen lassen das Konklave des Vatikans wie eine Facebook-Seite aussehen. Als könne die Übertragung des Amts nur außerhalb der Öffentlichkeit stattfinden, um die Wahrung des Charismas zu sichern. Es ist eine Rückkehr zum Regieren durch Geheimhaltung, einem Grundzug feudal-absolutistischer Herrschaft und damit die Antithese zu modernen transparenten Regierungsformen." Dem ist nichts hinzuzufügen.
Prof. Balme über deutsche Intendanten, SZ: Nachtrag
Nachtrag für die Liste der nicht-regieführenden Intendant*innen:
Barbara Mundel, Iris Laufenberg
Balme über Intendanten: kurzer Gegenbeweis, bitte!
Klaus M. ist wie immer sehr überzeugend und deshalb öffnet man sich sehr genr den Perspektiven, die er aus seiner Sicht zu bieten hatdas und befragt sich gern nach eigenen Vorurteilen oder Vorbehalten. So geht es mir auch hier mit seinen Argumenten gegen das Prinzip regieführender Intendant*in...
Warum schrieb er nicht den Artikel für die SZ?
Ich teile gar nicht die Ansicht, dass der Artikel gut sei. Ich fand ihn ganz entsetzlich. Ehrlich gesagt, ist mir vor Entsetzen beim Lesen fast das Herz stehen geblieben. Ich hab dann eine einigermaßen detailgenaue Argumentation gegen Balms vergleichende Argumente gemacht und das waren dann drei Seiten geworden, die wieder einmal in keinen Kommentarteil passen, obwohl vermutlich selbst Christopher Balm einsichtig von ihnen würde und sich gerne korrigierte. Vielleicht schafft es jemand, dem die von ihm hergestellte Analogie von Charisma von regieführenden Intendanten zu einem Charisma von Hitler und dessen Propagandaminister ebenso unanständig gemacht schien, ihm kurz und kommentarteil-tauglich zu wiedersprechen. Bevor Balm so etwas seinen Studierenden erzählt und die es ihm zu lange glauben, weil er doch der Professor ist... Danke.
Balme über Intendanten: intellektuelle Leibesübungen
Die Krise um die Volksbühne kommt daher, dass ein kleiner Kreis von Politikern entschieden hat, dass ein Museumsdirektor die Leitung eines Sprechtheaters übernehmen soll.

Und zwar ausgerechnet des Sprechtheaters, dass traditonell seit vielen Jahren in Berlin die Aura des Anti-Genderings und Anti-Globalisierung zelebriert.

Die Krise um die Volksbühne kommt daher, weil die berühmten Werkstätten der Volksbühne geschlossen werden sollen.*

Alles andere ist doch dummes Zeug, oder, richtiger: Intellektuelle Leibesübungen mit laienpsychologischen Einsprengseln. Was Theaterwissenschaftler eben so machen.

(*Ob Dercon in Sachen geplanter Schließung der Volksbühnen-Werkstätten überhaupt etwas zu sagen hatte, ist mir allerdings völlig unklar - vielleicht hätte die Politik das auch bei jedem anderen neuen Volksbühnen-Intendanten so gewollt. Schließlich sind diese Werkstätten die letzten Überlebenden... wurden die Werkstätten der anderen Berliner Theater schon vor Jahren geschlossen und alles muss seitdem zentral in den Werkstätten der Stiftung Oper in Berlin gefertigt werden.
Balme über Intendanten: realitätsentfernt
Mir stehen die Haare zu Berge: bei einer Intendanz von der " Herrschaft des Amtsinhabers " zu sprechen, ist so weit von der Realität entfernt, wie augenscheinlich die Praxisnähe des Autors zum behandelten Gegenstand. Es lebe das hohle Klischee !!! Zeitgemäße Theaterleitung ist gelebtes Teamwork an vielen Theatern in Deutschland, die vielleicht nicht im Focus der überregionalen Presse stehen, aber gerade hierin vorbildlich arbeiten.....
Balme über Intendanten: Ergänzung
Ergänzung zu #3
Dr. Bernhard Helmich
Balme über Intendanten: wie es sein sollte
Zu #2: Während der eigenen Produktionen verläßt sich der/die Intendant*in meist auf die Mitarbeiter - Probleme werden vertrauensvoll gelöst, nicht aufgeschoben, die eigenen Produktionen stattet der/die Intendant*in mit sparsamen Ressourcen aus, alle anderen brauchen ja auch noch Geld, es gibt die strengste künstlerische Qualitätskontrolle der Intendant*innen-Produktionen durch das ganze Haus, Eingriffe in die Produktionen anderer Regisseur*innen sind nur dann üblich, wenn das jeweilige Ensemble sie verlangt, Wegbeißen der künstlerischen Konkurrenz ist im Gesamtinteresse des Theaters kontraproduktiv, fehlendes Interesse für Abläufe innerhalb der Gewerke wird von den Gewerken moniert, fehlendes Interesse für betriebswirtschaftliche Zusammenhänge wird vom Verwaltungsdirektor beanstandet, in Mehrspartenhäusern wird zu wenig Wissen über die Arbeitsweisen der ihm/ihr fremden Sparten mit dem Entstehen schwierigster und zeitraubender Problemstellungen bestraft, Entmachtung der Spartenvorstände rächt sich durch Motivationseinbrüche, der Dramaturgie kommt eine zentrale Rolle zu, zum Lobbying fehlt manchmal die nötige Selbstgewißheit, die Übertragung der Befugnisse der Regie auf den gesamten Betrieb hält sich in Grenzen, da die Befugnisse durch hundert Personal- und Sachzwänge beschränkt werden, Fokussierung auf den/die Intendant*in führt zu einer Steigerung der Leistungen aller anderen etc. etc.
Balme über Intendanten: Widersprüche
WAS will Christopher Balme via SZ mir, z. B., sagen??? Dass und wie der Streit und die Castorf-Ablösung an der Volksbühne angefangen hat und dass er nach wie vor schwelt?? Warum wiederholt er dann lediglich die gleiche zusammenfassende Nachricht, wie sie seit Wochen unverändert durch die größeren wie kleineren Medien geistert?? Das wäre hinnehmbar- jedenfalls für mich, wenn er einen n e u e n Aspekt oder eine neues Detail, dieses Streites durch seinen Artikel bekanntmachen würde. Doch bleibt solches aus.

Möchte Herr Balme als Leiter eines Theaterinstitutes die heutigen regieführenden Intendanten neuer-dings gern in die Nähe von Gewohnheitsmachthabern stellen, die in guter alter NS-Tradition stehen??
Und das Tatsächlich mit deren Chrisma begründen, welches heuer nun wirklich kein Kriterium mehr sein sollte für Intendanten-Berufungen?? …
Man weiß kaum wo man anfangen soll, wenn man seinen Ausführungen als Leiter eines Theaterinstitutes einer namhaften deutschen Universität entschieden widersprechen möchte. Ich will es dennoch versuchen, kann aber hier im Kommentar argumentativ keine, wissenschaftlich angebrachtere Reihenfolge einhalten:

1. Völlig recht zu geben ist Balme darin, dass Matthias Lilienthal ganz bestimmt „ein viel radikaleres“ Verständnis vom deutschen Stadttheater hat als Chris Dercon. Jeder hat, wie es bisher aussieht, ein radikaleres Verständnis davon als Chris Dercon. Weil er offenbar gar kein wie auch immer geartetes Verständnis von ihm hat. Wenn doch, hat er diesem bisher jedenfalls keinen Ausdruck verliehen.
Das ist nicht wertend für oder gegen Chris Dercon gemeint, sondern eine nüchterne Feststellung eines argumentativen Status quo innerhalb der Berliner Kulturpolitik. Mitunter ist das Greenhorn eine befreiende Besetzungsidee. Die Tendenz zur Seltenheit des Gesamt-Gelingens durch außergewöhnliche Besetzung ist jedoch unbestreitbar. Der augenblickliche Kultursenator hat sich für das Setzen auf Seltenheitswert entschieden. Und da ist jedes mediale Lamento so unschön wie sinnlos. Es sollte deshalb auch nicht bezahlt werden, wenn aus dem Lamento Medien-Kassa gemacht werden soll…

2. Wenn man sich auf Max Webers Definition beruft, so man Charisma heute nicht selbst definieren möchte oder kann und dafür in einem veröffentlichten Artikel Intendanten-Charisma mit Hitler-Charisma gleichsetzen möchte, muss man sich nicht wundern, wenn jemand aus irgendeiner Küche oder Badewanne steigend daherkommt und am Verstand des Artikel-Verfassers öffentlich zu zweifeln sich veranlasst sieht aus folgendem Grund:
Mit dem Umstand, dass es eine „außeralltägliche Qualität einer Persönlichkeit“ via Weber für uns geben sollte, kann man sich eventuell noch befreunden.
Wenn man sehr eitel ist, könnte das gelingen.
Ich selbst finde das etwas ungenau und zu Nietzsche-verkehrt-verstanden-belastet, wenn jemand – auch wenn es Max Weber war – von einer „Qualität“ in Zusammenhang mit Persönlichkeit spricht.
Da steht schon um die nächste Ecke unauffällig lugend die gedanklich tiefenscharfe Freude am vermeintlich kompetenten Urteil zum „werten“ bis „unwerten“ Leben. Wenn man mich fragt.
Was man nicht tut.
Nun weiß man am ein oder anderen Ort wenigstens besser, warum nicht…
Balme über Intendanten: weitere Widersprüche
Christopher Balmes Argumenten folgend, macht für ihn via Süddeutsche Zeitung, hierin Weber kritiklos folgend, die Qualität einer Persönlichkeit ihr Charisma aus.
Und zwar, weil – durch ihn öffentlich unbezweifelt - die „Qualität“ einer charismatischen Persönlichkeit konkret darin besteht, dass sie „mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder zumindest spezifisch außeralltäglichen Kräften“ ausgestattet ist. Ob dem Christopher Balme das klar ist, was man daraus schließen kann, wie er mit ohne Kritik an Weber hier argumentiert??

3. Ich stelle weiter fest, dass Christopher Balme nicht zwischen dem Charisma einer Künstlerpersönlichkeit oder dem Charisma eines Heerführers oder dem eines Politikers unterscheidet.
Obwohl er über speziell regieführende Intendanten spricht. Über Künstler also, deren Charisma so überzeugend war/ist, dass sie die Führung eines Theaters übernehmen konnten und/oder können und dabei auch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dessen Unterhaltung im Sinne der Verbreitung ihrer eigenen wie der von ihnen ebenfalls akzeptierten und geförderten Kunst, bewältigen.
Er kann oder will deren Charisma offenbar nicht unterscheiden von dem Hitler und Konsorten zugeschriebenem Charisma.
Deshalb ist es hilfreich, vielleicht besonders hilfreich für das verantwortende Ressort der Süddeutschen Zeitung, vor Veröffentlichung zu prüfen und eventuell zu unterscheiden, mit welchen „übernatürlichen“, „übermenschlichen“ oder „zumindest spezifisch außeralltäglichen“ Kräften zum Beispiel Max Reinhardt, Gustav Gründgens, Bertolt Brecht, Frank Castorf, Claus Peymann, Max Reinhardt, Dieter Hallervorden oder etwa Thomas Ostermeier ausgestattet waren und oder sind.
Und mit welchen gleichen oder völlig anderen dieser spezifisch außeralltäglichen Kräfte etwa Adolf Hitler und sein Propagandaminister ausgestattet waren.

Man kann dann leicht feststellen: Von keinem der genannten regieführenden Intendanten ist jemals bekannt geworden, dass er sich etwa in ein Tier verwandelt habe. Oder Gläser verrücken konnte oder größere Gegenstände wie etwa Kulissen, ohne die dafür zuständigen Mitarbeiter. Und von keinem ist ebenso bekannt, dass ihm ein Tempel errichtet worden sei wie etwa einem Gott. Nein, sogar das Gegenteil ist der Fall. In ihren Biografien finden sich so viele von verschiedenen Kritikern geäußerte Kritiken an ihrem Führungsstil oder ihrer Kunst an dieser oder jener oder anderer Inszenierungs-Stelle, dass man denen das wirklich nicht neiden möchte.
Wenn es also eine „übermenschliche“ Kraft gibt, die sie alle entwickelt haben: Sie haben diese Kritik ausgehalten. Sie haben niemanden für seine geäußerte Kritik an ihnen umgebracht, sondern schlimmstenfalls einmal jemanden theatralisch ignoriert. Und sie haben außer dem aus irgendeinem, wohl tief in ihnen liegenden Grund von Zeit zu Zeit etwas unvergleichlich Schönes, zumindest bizarr Rätselhaftes in die Welt gebracht, was hernach aus ihr nicht mehr wegzudenken war…
Ich halte diese spezifische Art von Kraft jedoch nicht für übermenschlich, sondern für eklatant menschenmenschlich.
Ihrer ansichtig würde ich Charisma spontan – ganz ohne Max Weber, aber nicht ohne Christopher Balme wie es aussieht, folgendermaßen definieren:
Charisma ist ein dauerhaft gelebter Zustand von Streben nach Menschen-Möglichkeit. (vorsichthalber habe ich den Satz bei einem Notar hinterlegt, bevor er irgendwo öffentlich benutzt wird)
Balme über Intendanten: unglaubliche Vergleiche
Dem gegenüber kann man getrost Hitler und etwa Goebbels, aber auch dem Rest der Nazi-Führungsriege eindeutige Verbrecher-Eigenschaften zuordnen.
Bei näherer Betrachtung derer Biografien stellt man fest, dass sie übernatürlich sein müssen, weil zumindest der harte Kern der Nazi-Führungsriege unsterblich ist. Bis heute. Das Gerücht, Hitler, Goebbels und Co. seien mit übermenschlichen, zumindest spezifischen außeralltäglichen Kräften ausgestattet gewesen, hält sie unsterblich und sogar herrlich jung bis heute.
Selbst in den heutigen Argumentationen von Theaterinstitutsleitern innerhalb der universitären Lehre in Deutschland nistet sich Gerücht ein offenbar. - Da will man sich die weniger gebildeten und gröber heute argumentierenden Argumentierer doch bitte gar nicht erst vorstellen!

Bei noch näherer, und vor allem: geschichtswissenschaftlich nüchterner Betrachtung der Hitler & Co.-Biografien stellt man hingegen leicht fest, dass deren schier übermenschlichen Kräfte dem spezifischen Alltag vor allem politisch agierenden ö k o n o m i s c h e n Kräften zu verdanken waren.
Die Hitler und sein Kabinett mit vor allem hinreichend finanziellen Mitteln ausgestattet haben, um sich mit dessen Hilfe effektiv weiter zu bereichern, ohne sich selbst ernsthaft dafür die Finger oder die Seele schmutzig machen zu müssen.

Im Unterschied zu den inszenierenden Intendanten haben die charismatischen Führerführer sehr wohl Leute, die sie undoder ihre Freunde kritisiert hatten, getötet. Das war sogar sehr schnell möglich. Zur Tötungswürdigkeit genügte zum Beispiel schon, wenn einer es nicht so gut fand, das planvolle Ausrauben und den Massenmord von Juden zu organisieren straff organisiert durchzuführen. Selbst wenn dafür übermenschlich wissenschaftliche Persönlichkeits-Qualitätsbegründungen vorlagen, nicht so gut fand. Und diese Kritik brauchte nicht einmal öffentlich geäußert werden, um für die Kritiker tödlich zu sein! Sie konnten einen Kritiker schon das Leben kosten, wenn ihm die Kritik lediglich angedichtet worden war!!
Schließlich: im Unterschied zu den inszenierenden Intendanten haben Hitler, Goebbels und Co. a l l e Medien manipuliert.
Einschließlich das Medium Theater. Um es für ihre verbrecherischen wie Verbrechen vertuschen wollenden Zwecke zu benutzen.

Will alles sagen: es ist doch ganz unglaublich, was Studierende der Theaterwissenschaft in München von dem führenden Wissenschaftler-Kopf ihres Institutes heute lernen können, wenn ihm niemand widerspricht…

Fazit: Wie immer das in Berlin nun ausgeht, mit dem Dercon und dem Castorf und dem Peymann und dem Renner und was weiß ich noch mit wem – Ich wäre einfach dafür, dass Theaterleiter, selbst sich höchst verdient gemacht habende, mit Erreichen ihres Rentenanspruches auch in die Rente und ab da in die freiberufliche Nebentätigkeit gingen. Punkt.
Gleich, welche Verdienste sie sich und der Gemeinschaft durch ihre hervorragende Arbeit erworben haben. Das ist einfach eine Frage der Gerechtigkeit in den Erwerbschancen gegenüber der jüngeren Generation.
Desgleichen angestellte Professoren gleich welcher Art.
Und da hat Christopher Balme, Jahrgang 1957, also noch Zeit. Weshalb für ihn die ihm hier oben im Kommentarteil angeratene Frage nach der Selbstentlassung als moralische überhaupt noch nicht steht. Und die rhetorische Frage des Vorkommentars – leider - am Kern des Problems vorbeiführt.

(Liebe Redaktion, es ging leider nicht kürzer, denn Hitler is lange her, da sammelt sich ja was an, und Castorf und Co. ist jetzt, meine Idee war es ja nicht, das in einen Charaktertopf zu tun…)
Balme über Intendanten: Widerständler
Natürlich ist Castorf kein Diktator wie Hitler, und das kann Balme auch nicht wirklich so meinen. Ausserdem stört mich hier der Begriff des "Übermenschen", denn der ist eher der Philosophie Nietzsches zugehörig. Und nicht Max Weber mit seinem politischen Herrschafts-Begriff des "Charisma".

Davon abgesehen, Hannah Arendt hat im Zusammenhang mit Hitler und Eichmann den Begriff der Gedankenlosigkeit ins Spiel gebracht. Dummheit ist es, welche solche politischen Führer auszeichnet. Banale Dummheit. Und okay, D. Rust, auch wenn SIE aufs Ökonomische abzielen, allein das ist es ja vielleicht auch nicht. Denn auch das hätte Hitler nicht an die Macht bringen können, hätten die Menschen seiner Zeit sich seinen Ausführungen nicht so schnell angeschlossen. Ist das nicht sowieso die große Frage der Menschheit, wie bzw. warum Menschen solchen Führern plötzlich Gehör schenken und z.B. ihre Nachbarn verraten, anstatt weiterhin selbständig zu denken? Ich will mich hier nicht moralisch überheben, es ist eine schwierige Frage, ob man bereit ist, sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen, um das eines anderen zu retten. Aber zumindest gab es solche Widerständler. Und die geben Hoffnung.

Auch Hannah Arendt hat übrigens am Ökonomischen gerüttelt, allerdings hat sie eine sehr provokative These ins Spiel gebracht, die ihr die Gegnerschaft auch großer, von Männern geleiteter, jüdischer Organisationen eingebracht hat. Sie hat kritisiert, dass sich auch im Falle der Juden manch reicher Jude "rauskaufen" konnte, die armen Juden jedoch hatten keine Chance. Unfair, oder? Genau das aber wollten diese großen Organisationen nicht hören, schon gar nicht von einer Frau.
Balme über Intendanten: Schema F
"...ist man sich innerhalb der Kritikergemeinde einig, dass seine kreativen Kräfte schwinden und ein Nachfolger gefunden werden musste."...

Wie bitte? Über wen schreibt dieser Balme? Und das nach einer Spielzeit in der Castorf die Karamasows rausgehauen hat (und damit für den Faustpreis nominiert ist)? Die einzigen Kräfte die ich hier schwinden sehe, sind die, sich eine neue Rechtfertigung für die Nachfolgerfehlbesetzung des Jahrhunderts auszudenken. Und übrigens - das Modell Künstlertheater hat nicht begonnen auszusterben - VoBü und Kammerspiele waren eher der Schlusspunkt. Danach nur noch Kultur nach Schema F.
Balme über Intendanten: was wer darf
Entspannen Sie sich Herr Rust. Jemand hat lediglich die Entstehung des heutigen Intendantensystems historisch verortet. Der darf das!
Balme über Intendanten: alle dürfen alles
#12- Juden oder andere religiöse oder ethnische Gruppen oder nicht: die Reichen können sich immer eher "rauskaufen" in lebensbedrohlichen Situationen und Arme eher gar nicht. Ich habs nun einmal mit dem Ökonomischen. Irgendwie generell. Wenn ich nach Ursachen von Entwicklungen frage, versuch ich zu schauen, wie wann wohin die Geldströme fließen. Und das ist immer sehr aufschlussreich, wenn Politik an sich zunächst vollkommen unübersichtlich ist. Wenn man dann weiß, wie die Kapitalströme fließen, kann man sich auch übersichtlicher um Führer-Hörigkeit von Menschen und verräterische Nachbarn kümmern, ohne selbst zutiefst verleumdnerischen Motivationen zu folgen.
Der Balme darf alles. Ich auch. Fast wie die Männer verärgernde Hannah Arendt.
Balme über Intendanten: bevorzugter Diskussionsstil
@ D. Rust: Genau. Und das gilt dann aber bitteschön auch für einen Intendanten. Apropos, ganz in der Nähe der Volksbühne ist das Parteibüro der Berliner LINKEN. Ganz zufällig. Und auf Podiumsdiskussionen sitzt ein Jürgen Rose, Bundeswehroberstleutnant a.D., der in meinen Augen ALLEIN über das Ökonomische diskutiert, nicht aber über die zivile Bevölkerung in der Ukraine. Da ist mir, schon vom Diskussionsstil her, ein Autor, Serhij Zhadan, der auch dort lebt und nicht nur ideologisch rumbollert, bedeutend lieber.

Ich verstehe schon, dass Sie, wenn Sie vom Ökonomischen sprechen, wahrscheinlich die Parteienfinanzierung usw. meinen, oder? Was aber meinen Sie mit "Führer-Hörigkeit"? Es ging/geht hier, in der Frage des Politischen wenigstens, ja nicht um Fragen der Wegeplanung. Sondern um Menschenleben. Es gibt Unterschiede. Und meinen Sie wirklich, dass Menschen, die sich über Geld korrumpieren lassen, dann auch zugleich den Motivationen dieser Korrumpierenden folgen müssen?
Balme über Intendanten: das Problem ist die Machtfülle
Ich finde den Artikel sehr aufschlußreich, aber nicht in allen Punkten richtig. Das Problem ist die Machtfülle des Intendanten, nicht, ob er ein Künstler ist. Dieser Unterschied zwischen Regie und Dramaturgie/Kurator-Intendanten greift zu kurz. Ich kenne es nicht aus eigener Anschauung, aber nach dem was man hier auch lesen konnte und man hört habe ich Zweifel, ob es bei Lilienthal demokratischer und gerechter zugeht als bei Castorf.
Die Frage ist, warum diese Leute so viel Macht haben. In Bern und Trier müssen die unterfinanzierten Theater jetzt hohe Summen zahlen, weil der Intendant die Schauspielleitung ohne Grund rausgeworfen hat. Bzw nur aus persönlichen Gründen, wie man in Bern nach Wochen des Schweigens offiziell mitteilte. In Trier ist diese Woche auch nachzulesen, der Intendant kann nicht weiter mit Frötzschner arbeiten, weil das Verhältnis zerrüttet ist. Zwei Fälle von Rauswurf ohne arbeitsrechtliche Berechtigung, die die Theater viel Geld kosten und Unsicherheit für die Mitarbeiter bedeuten. Die Intendantenverträge sind das Problem, nicht die Frage, ob jemand ein Rgisseur ist.
Balme über Intendanten: fehlende Regeln und Instrumente
Lieber FPS, abgesehen, davon dass wir uns sicher nicht einigen können, was die Fokussierung auf die Person des Intendanten angeht ...
Sie beschreiben sehr gut "wie es sein soll" ––– und ich bin überzeugt, dass es eine ganze Reihe von regieführenden Intendant*innen gibt, die versuchen "ihre" Häuser fair und transparent zu leiten. Aber ich bin genauso überzeugt, dass die Doppelfunktion Regisseur*in und Intendant*in geradezu dazu einlädt, die übertragene Macht zu missbrauchen. Ich erwarte von einem/einer Regisseur*in, dass er/sie das "Beste" (Zeit, Bedingungen, Material, Personal) für seine eigene Inszenierung fordert – aber diese Unbedingtheit kann problematisch werden, wenn diese/r Regisseur*in in seiner/ihrer Position als Arbeitgeber*in nur mit Kolleg*innen zu tun hat, die zu ihm in einem echten Abhängigkeitsverhältnis stehen. Erschwert wird das ganze dadurch, dass für den Solo-Bereich des NV keine Regelung der Arbeitszeiten vorgenommen werden, §7 die Mitwirkungspflicht regelt und die Beschäftigten eigentlich keinen Kündigungsschutz haben (aber das wird ja an anderer Stelle diskutiert).
Wenn alles gut läuft, fein. Im Konfliktfall gibt es jedoch wenige bis keine Instrumente, um eine/einen Intendant*in zu disziplinieren, wenn der/die Intendant*in sie nicht selber etabliert und so seine/ihre eigene Macht beschränkt.

@17 Sie haben sehr recht. Die Auswahl eines/einer Dramaturg*in/Kurator*in schützt nicht vor Machtmissbrauch. Ich glaube, sie senkt das Risiko, mehr aber nicht. Eine Garantie für Fairness und Partizipation wird es nur geben, wenn die Strukturen der Häuser sich insgesamt verändern, so dass das Teilen von Macht und Verantwortung selbstverständliche Bauform der Theater wird - und wenn die Solo-Beschäftigten sich organisieren. Allerdings sehe ich für eine Strukturveränderung kein ausreichendes Interesse, weder auf Seiten der Politik noch auf Seiten der Theaterschaffenden. (Ausnahmen gibt es in Ansätzen zum Beispiel in Mannheim, gab es in der Vergangenheit an der Schaubühne, am TAT oder interimistisch in Bremen.)
Balme über Intendanten: fehlende "Führer"-Qualitäten
Ich glaube ja, das Problem liegt ganz woanders . Dercon ist an sich ein ganz lockerer, aufgeklärter Typ, der kein Interesse an Machtfülle zeigt und von seinen Teams redet. Das ist eine Art Schock für das Intendantenkarussell . Er macht das ohne wenn und aber und besteht auch nicht öffentlich darauf, die letzte endgültige Entscheidung für sich zu behalten. Das macht die Leute nervös, geradezu krank. Sie wollen einen "Führer", der sich bitte auch so benimmt, den man im Notfall beschimpft und nieder macht. Da dies bei Dercon nicht gegeben ist, fangen sie gleich mit dem Schlusskapitel an und versuchen ihn schon vorher fertig zu machen, weil sie sich nicht gewohnheitsmäßig nach deutschen Regeln an ihm abarbeiten können. Er unterläuft ihre Abläufe, fliegt sozusagen unter ihrem Radar daher. Das macht soviel Angst, so dass sie ihn nun permanent auf dem Schirm haben, wie einen gefährlichen Tarnkappenbomber, der er nicht ist, sondern einfach nur ein netter, symphatischer Belgier. Das ist wirklich Zuviel für die Leute hier.
Balme über Intendanten: stupid is as stupid does
Zu #18: Die Einladung zum Machtmißbrauch besteht doch nicht nur in den Theatern! "Stupid is as stupid does", sagt Forrests Mutter... Und zu #19:
Woran leidet "ein symphatischer Belgier"?
Balme über Intendanten: demokratischeres Bemühen
@19 ...na das auch umdgedreht werden: Sie schwenken ja blind das Fähnchen und begründen dies aktuell mit erschreckenden Oberflächlichkeiten. Soll jetzt etwa geglaubt werden, dass die smarte "Bro Culture" weniger konservativ (oder aggresiv) ist als die der Patriarchen?
Im Sinne der Volksbühne ist es Konflikt vorzulegen, an dem man sich reiben und formen kann. Das ist nicht nett oder sympathisch. Aber vielleicht ein demokratischeres Bemühen als die Widersprüche zu ignorieren und damit die Spaltung der Gesellschaft voranzutreiben.
Balme über Intendanten: deutsches Leiden
Das deutsche Leiden soll ihm doch hier gründlich besorgt werden. Nur, wer leidet schon an einem Real-Fake?! Nur Dummköpfe. Schmerzfrei ist kein Mensch! Deshalb darf man trotzdem freundlich sein.
Balme über Intendanten: Beispiel Intendantin
Zu #2
Ähm, Shermin Langhoff??!!
Balme über Intendanten: Problem der Machtfülle
Problem und Inkonsequenz in Balmes Ausführungen sind, dass der Übergang vom regieführenden zum allein Managing Intendanten das Problem bei weitem nicht löst. Machtüberfülle und - missbrauch und die vielen, damit verbundenen Leitungsfehler entstehen durch die Konzentration von Macht und Verantwortung auf nur eine Person - diese kann nur aufgelöst werden, wenn die Intendanz als Modell ersetzt wird durch vernünftige, zeitgemäße Leitungsmodelle, Direktorien, oder ähnliche. Die Leitung eines so großen, komplexen Betriebes sollte aus mehreren Direktoren bestehen, von denen einer ein künstlerischer Leiter ist. Da hilft es auch nicht, wenn ein Intendant von seinem Team spricht, er bleibt doch immer der Intendant, der sein letztes Wort nicht an andere abgibt.
Balme über Intendanten: inkonsequent ausgeführt
Liebe(r) A. Cotard - Die Inkonsequenz von Balmes Ausführung ist in der Tat, dass er Regieführende und Management-Intendanzen nicht ordentlich vergleicht. Und auch nicht historisch genau bis in die feudalen Wurzeln hinein erwähnt/erörtert, obwohl es diese Wurzeln gibt. Was er bitteschön als gut verdienender Leiter eines universitären Theaterinstitutes einer hochangesehen Universität hierzulande, wissen müsste.
Und das Problem ist, dass solches - theaterwissenschaftlich durchaus sinnvolles - Vergleichen auch gar nicht seine Motivation für den Artikel gewesen ist. Seine Motivation war offenbar - aus welchem Grund immer - explizit regieführende Intendanzen als das eigentliche Problem des zeitgenössischen Theaters hier darzustellen.
Und dies mit, wie ich versucht habe zu zeigen, überaus seltsamen Mitteln wie mangelhaftem philosophischen Rüstzeug.
Balme über Intendanten: Augen-Splitter
@23
Die Liste in #2 ist nicht vollständig, ich habe nur die Menschen aufgenommen, die mir ohne großes Nachdenken eingefallen sind.
Ich habe Shermin Langhoff nicht in die Liste aufgenommen, weil sie das Gorki gemeinsam mit Jens Hillje leitet. Das ist natürlich willkürlich, wahrscheinlich hätten auch beide in die Liste gehört.
Allerdings würde das wiederum die Besonderheit der Gorki-Leitung nicht ausreichend würdigen, in der eben die Position der/des Intendant*in auf zwei Menschen verteilt ist und damit eher einer Teamleitung entspricht, wie sie von mir ohnehin bevorzugt wird.
Ebenso habe ich Amelie Deuflhard und Annemie Vanackere nicht genannt, weil Kampnagel und HAU als Produktionshäuser anders funktionieren, als die traditionellen Theaterbetriebe.
Karin Bergmann habe ich weggelassen, weil ich das Burgtheater immer vergesse. Marie Rötzer habe ich weggelassen, weil sie erst in der nächsten Saison beginnt.
Natürlich habe ich auch die nicht unerhebliche Zahl von Direktor*innen nicht genannt, die in Mehrspartenhäusern einer Sparte vorstehen/vorstanden und nicht selber inszenieren - hier geht es halt um Intendant*innen.

@20
Lieber FPS, natürlich gibt es auch in anderen Kulturinstitutionen, in der Wirtschaft, in der Politik, in Familien, in Schulen und Universitäten, in Vereinen etc. etc. etc. – überall wo hierarchische Systeme bestehen oder entstehen Machtmissbrauch. Ja und? Die Theater sind doch mit die ersten, die mit dem Finger auf diese Phänomene zeigen. Ich finde es jedoch mittlerweile schwer erträglich, dass von den Bühnen Solidarität, Antikapitalismus, Gerechtigkeit und Demokratie gepredigt wird – während die Theaterleitungen selbst keinen Anlass sehen, ihre eigene Verfasstheit in Frage zu stellen. Vielleicht hilft das Neue Testament weiter: "Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge?" (Mat 7,3)
Balme über Intendanten: Teamplayer Dercon
Lieber Cotard,
man muss echt nicht seine letzte Menschenkenntnis zusammen kratzen, um festzustellen , dass Dercon kein Castorf oder Peymann ist, und das ist gut so, niemand der auf das Recht der ersten Nacht und das letzte Wort pocht. Eben echter Teamplayer. Ist doch schon mal ein Anfang.
Balme über Intendanten: Verantwortung konzentrieren
Ethos und Anstand sind nicht per Gesetz oder "Struktur" durchzusetzen. Der alleinverantwortliche Intendant immerhin könnte zur Verantwortung gezogen werden - bei den hier so rasend befürworteten "Leitungsstrukturen" ist dann immer keiner schuld... siehe den Fall Tanja Gräff in Trier, siehe das "Büroversehen" bei der Angabe, die Türkei sei zentralistische Plattform für den Islamismus... etc. etc.
Balme über Intendanten: Verfaßheit
Lieber Herr M. - warum sollten Theaterleitungen, deren "Verfaßtheit" nicht verhindern kann, daß "von den Bühnen Solidarität, Antikapitalismus, Gerechtigkeit und Demokratie gepredigt wird", dieselbe in Frage stellen? "In anderen Kulturinstitutionen, in der Wirtschaft, in der Politik, in Familien, in Schulen und Universitäten, in Vereinen etc. etc. etc. – überall wo hierarchische Systeme bestehen oder entstehen" sind diese Verfaßtheiten stark genug, solche "Predigten" zu unterdrücken!
Balme über Intendanten: checks and balances
@28
Trier ist ein schlimmes Negativ-Beispiel für die Fehleranfälligkeit des bestehenden Systems. Ein Intendant, der inszeniert, selber spielt, alleinverantwortlich für die Finanzen ist. Der gleichzeitig die Aufträge hat, die Arbeit des Theaters ästhetisch zu modernisieren, einen Rechtsformwechsel umzusetzen und die Sanierung des Theaters zu planen ...
Wenn die Hälfte von dem stimmt, was man über Sibelius' Arbeit lesen kann, dann hat er die Sparten-Leiter*innen nicht autonom agieren lassen, sondern hat versucht, alle Fäden selbst in der Hand zu halten.

Jedenfalls ist mit "Teamleitung" etwas ganz anderes gemeint, als in Trier verwirklicht ist: Gemeint ist ein System aus "checks and balances" (das deutsche Wort "Gewaltenteilung" gibt die Idee nur unvollständig wieder), das ermöglicht Macht über das Theater und Verantwortung für das Theater auf mehrere Schultern zu verteilen, so dass keine Einzelperson allein über alle Belange eines Hauses entscheiden kann. So dass Entscheidungswege transparent werden, gemeinsame Reflexion nicht nur möglich sondern verpflichtend wird und entfremdete Arbeit vermieden wird. Warum? Weil ich von Diktaturen nichts halte. Weil ich misstrauisch bin. Weil ich glaube, dass wir es uns zu leicht machen, wenn wir für Probleme der Theater, Verantwortliche nur außerhalb der Theater suchen. Und vor allem, weil ich davon überzeugt bin, dass es nahezu unmöglich ist eine Einzelperson zu finden, die allen Ansprüchen gerecht werden kann, die man an eine/einen Intendant*in stellen muss.
Natürlich gibt es Intendant*innen, die mit einem Team auf Augenhöhe arbeiten, die ihre eigne zum Teil Macht beschränken, die offen sind für Diskussionen und Anregungen (wahrscheinlich sogar die Mehrzahl) - und trotzdem, das bestehende System lädt zum Machtmissbrauch ein, perpetuiert Abhängigkeitsverhältnisse, honoriert Gefälligkeiten und sanktioniert Widerspruch.

@29
Lieber Herr Steckel, weil Solidarität zwischen den Gewerken selten verwirklicht ist, weil die Arbeitsverhältnisse von Künstlern prekär sind, weil grundlegende Arbeitnehmerrechte in Theatern oftmals ignoriert werden, weil Kontrollen fehlen, die Machtmissbrauch verhindern.
Balme über Intendanten: Predigten überall
Was ich meine, ist, daß die von Ihnen beklagten Mißstände ausnahmslos auch außerhalb der Theater zu finden sind - nur die dazu im Widerspruch stehenden Weltverbesserungspredigten fallen weg oder werden, setzt wer zu einer solchen Predigt an, unterbunden. Ihre Forderung läuft darauf hinaus, in einer undemokratischen Gesellschaft ein demokratisches Theater zu errichten. Ich habe selbst an einem oder zwei solcher Versuche teilgenommen und darf Ihnen sagen: der wechselseitige Durchdringungsgrad ist so hoch, daß solchen Versuchen keine Dauer beschieden ist (die Lebensdauer der mitbestimmten Schaubühne betrug immerhin zehn Jahre). Der Verzicht auf einen Bühnenkünstler in alleiniger Leitungsfunktion, seine Ersetzung durch einen "Kulturmanager" bannt keine der Gefahren von denen Sie sprechen, sie verleiht ihnen bestenfalls ein anderes Gesicht. Wenn es sich so verhält, wie Sie schreiben - "dass es nahezu unmöglich ist, eine Einzelperson zu finden, die allen Ansprüchen gerecht werden kann", ist die Zukunft des Ensembletheaters in Frage gestellt. Die Zukunft des Kanzleramts oder des Weißen Hauses aber auch, insofern das für diese Lokale ebenso unmöglich sein sollte. Wir hätten also, gesetzt, Sie hätten recht, die Strukturveränderungen innerhalb des Theaters mit solchen außerhalb des Theaters zusammenzudenken.
Prof. Balme über deutsche Intendanten, SZ: bundesweit festlegen
Ich finde es gut, was Klaus M. schreibt und ich stimme Herrn Steckel zu. Aber! Nein, kein aber. Und man sollte die Bedingungen für eine Theaterkunstproduktion endlich bundesweit verbindlich und unabhängig von den einzelnen Intendanzen festschreiben. Was steht welchem Künstler zu, unabhängig von seinem persönlichen Zugang zu Intendanz?!
Prof. Balme über deutsche Intendanten, SZ: geht doch
Na, da geht's doch schon los.

Eine neue Doppelspitze. Besetzt mit zwei Künstlern! Einer Choreografin, einem Choreografen. Na geht doch.

http://www.tagesspiegel.de/kultur/nachfolge-von-nacho-duato-sasha-waltz-wird-ko-intendantin-des-berliner-staatsballetts/14511604.html

Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir hier das Argument werden empirisch widerlegen können, dass Künstlerintendanzen per se problematisch sind.
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