Presseschau vom 2. September 2016 – Die Süddeutsche Zeitung interviewt Kamel Daoud und Johan Simons
"Sie brauchen die Wüste"
"Sie brauchen die Wüste"
2. September 2016. Anlässlich der anstehenden Premiere von "Die Fremden" bei der Ruhrtriennale interviewt Alex Rühle den Autor Kamel Daoud und den Regisseur Johan Simons, der Daouds seiner Inszenierung zugrunde liegenden Roman "Der Fall Meursault - Eine Gegendarstellung" als "hervorragenden Kommentar zur sogenannten Flüchtlingskrise" bezeichnet und sagt: "Diese Menschen müssen Teil unserer Gesellschaft werden. Das heißt, dass man sie wirklich annimmt und ihnen nicht nur Essenspakete zukommen lässt. Auf der anderen Seite aber auch, dass man sie kritisieren können muss."
Daoud dazu: "Es geht mir darum, sie wirklich zu akzeptieren. Dazu gehört, ihnen zu helfen, dass sie das Land akzeptieren, in das sie kommen. Der Flüchtling ist ein Opfer, das aber eine Eigenverantwortung trägt. Und die Leute kommen ja aus guten Gründen hierher und nicht nach Pakistan oder Saudi-Arabien. Sie kommen hierher, weil es hier Freiheiten gibt, aber die muss man dann auch akzeptieren."
Daoud: Kampf um die Kultur "zentrale Schlacht"
Außerdem beschreibt Daoud, wie ihn seine offen zur Schau getragene kritische Weltsicht überall auf der Welt, auch im freien Westen, in Probleme gestürzt hat: "Ich habe etwa über Palästina geschrieben, dass man das nicht als religiösen und schon gar nicht als rassischen Konflikt zwischen Muslimen und Juden sehen muss, sondern als Problem der Kolonisierung. Das sorgte in Algerien für Empörung. In den USA hatte ich großen Ärger, als ich schrieb, dass Saudi-Arabien die politisch erfolgreiche Version des IS ist." In Frankreich wurde er angegriffen, nachdem er die Unterdrückung der Frau als zentrales Problem der muslimischen Welt bezeichnet hatte und sagt nun dazu: "Wenn wir es nicht schaffen, die Rolle der Frau in der muslimischen Welt zu ändern, wird es dort auch keine andere Freiheit geben. Man kann keine freie Gesellschaft schaffen, wenn die Hälfte dieser Gesellschaft verschleiert ist, weggesperrt wird und kein Recht hat, seine Meinung frei zu äußern."
Im Kampf für die Freiheit sei der Kampf um die Kultur ist "kein Nebenscharmützel, er ist die zentrale Schlacht." Als Erstes zerstöre der IS ja die Kulturgüter, nicht die Kasernen. "Sie brauchen die Wüste, um ihr Regime aufziehen zu können. Wenn sie die Kultur zerstört haben, dann haben sie gewonnen, dann können sie machen, was sie wollen." Der Islamismus verbreite sich durch Texte, Videos und das Fernsehen, "in Algerien kann man mehr als tausend religiöse TV-Kanäle empfangen. Alles gratis", so Daoud. "Ich kann zuschauen, wie sich dadurch die Diskurse ändern. Meine Tanten auf dem Dorf haben vor zwanzig Jahren über Sex, Kleidung, Ehe diskutiert. Heute reden sie nur über Fatwas, die Hölle und ob das Essen halal ist."
(sd)
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