Der thermale Widerstand - Ferdinand Schmalz' Kurort-Stück geht in Barbara Falters Uraufführung am Schauspielhaus Zürich baden
Apokalypse im Kurort
von Elske Brault
Zürich, 17. September 2016. Was, wenn die Kur nicht bloß eine kurze Auszeit bedeutet, um gesund zu werden, sondern zum Dauerzustand wird? Wenn der angestrebten Einheit von Körper, Seele und Geist die spirituelle Zielsetzung fehlt, wenn warme Bäder, Gymnastikübungen und Vollwertkost nicht dem Wohlbefinden dienen, sondern Selbstzweck sind? Autor Ferdinand Schmalz glaubt, in einem Thermalbad die ideale Metapher gefunden zu haben für unsere weitgehend anstrengungslose, schmerzbefreite Wohlstandsgesellschaft.
Reist man jedoch, wie die Rezensentin, aus dem Rentnerkurort Baden-Baden, dem "Wartesaal Gottes", zur Uraufführung nach Zürich, wirkt das Bühnengeschehen nicht wie eine Zuspitzung, sondern wie ein schwacher Abklatsch der Realität.
Luft anhalten
Regisseurin Barbara Falter hat sich in der Kammer, dem kleinen Kellersaal des Zürcher Schauspielhaus, eine Wellnesslandschaft in blau-weiß-gelb einrichten lassen, die eher an eine heruntergekommene Turnhalle erinnert. Von den Eisengerüsten und Reckstangen blättert die Farbe. Die Kurgäste sehen mit ihren durchsichtigen Hartplastikroben über Pantherprint-Badehose und Blumenbikini und mit Strumpfmasken über dem Kopf aus wie an Land gezogene Hechte. Nur die aufdringlich lauten Darmgeräusche der Frau Brunner stören das tägliche Baderitual.
Bademeister Hannes (Jirka Zett) findet den Sinn seines Daseins in der selbst gewählten Übererfüllung seiner Aufsichtspflichten. Sein Kollege Walther hingegen (hinreißend skurril: Siggi Schwientek) fristet als Obdachloser auf der Bank seine geduldete Existenz. In der Liebe zu Kurverwalterin Roswitha (Lena Schwarz) läuft er zu Hochform auf, die Leidenschaft erweckt den greisen, schmächtigen Körper.
Die junge Finanzberaterin Marie (Dagna Litzenberger Vinet) ist im Gegensatz dazu mit der geschmeidigen Schönheit einer Balletttänzerin gesegnet, aber sie nutzt dies nicht für lustvolle Entfaltung, sondern sehnt sich nach Entgrenzung: Dreiminütige Tauchgänge im Thermalschwimmbecken führen sie an den Rand der Bewusstlosigkeit. Natürlich ist gegen Ende sie es, die bei der Klimakatastrophen-bedingten Flutung des Kurbades tatsächlich ins Jenseits gleitet.
"Phantomscheiße"
Gegenwärtigen Krisen und Konflikte klingen an in Ferdinand Schmalz’ Text: Die rücksichtslose Ausbeutung von Ressourcen, hier: der Thermalquellen zwecks rascher Profitsteigerung; die dem entgegen gesetzte Vision einer selbstgenügsamen Solidargemeinschaft à la Occupy-Bewegung. Bademeister Hannes fasst sie schlicht in das Credo "Die Bäder denen, die baden gehen!" – natürlich zugleich eine Parodie auf Brechts "Kaukasischen Kreidekreis".
Allerdings: Die Übertragung in die stets gut geheizte, geschützte Wellnesswelt bewirkt keine satirische Überhöhung, sondern eine lächerliche Verniedlichung der doch in Wahrheit drängenden Probleme. In der Aufzählung von Entspannungstechniken: "Algenpackung? Holunderrolfing? Lomi Lomi?" verkommt der musikalische Beat des Textes zu freundlichem Bargeklimper. Dabei gelingen dem engagierten Zürcher Schauspielensemble durchaus unterhaltsame Szenen. Beispielsweise, wenn vier unter Verstopfung Leidende zur gemeinsamen Darmentleerung schreiten und davon beseelt sind, mit hochrotem Kopf etwas wirklich Großes, etwas Bedeutsames hinauszupressen. Doch bei all den Anstrengungen kommt am Ende nichts hinten raus, und was Ferdinand Schmalz diesen vom Kloschüssel-Ergebnis enttäuschten Kurgästen in den Mund legt, gilt auch für sein eigenes Stück: Es ist "Phantomscheiße".
Der thermale Widerstand (Uraufführung)
von Ferdinand Schmalz
Regie: Barbara Falter; Bühne: Dominik Freynschlag; Kostüme: Noelle Brühwiler; Musik: Sandro Corbat Licht: Daniel Leuenberger.
Mit Jirka Zett, Fritz Fenne, Lena Schwarz, Dagna Litzenberger Vinet, Siggi Schwientek, Klaus Brömmelmeier.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause
www.schauspielhaus.ch
"Ferdinand Schmalz nutzt das Setting seines Stücks um einzutauchen in komische Kurklinikklischees", so Christoph Leibold vom Bayerischen Rundfunk (18.9.2016). "Wellness (...) interessiert ihn nicht allein als Zeitgeistphänomen", sondern sei hier Sinnbild für die Wohlstandsblase Europa, die unter dem Druck der Flüchtlingswelle und der Woge des Fremdenhasses, die dieser entgegenschwappe, mehr denn je vom Platzen bedroht sei. "Unter der glatten Oberfläche des Stücktextes zeichnen sich (...) Untiefen ab, die die Uraufführungsinszenierung von Barbara Falter jedoch nur sehr begrenzt auszuloten vermag." Ihre Inszenierung plansche vergnügt "im Seichten".
Martin Halter von der FAZ (22.9.2016) schreibt, Schmalz leiste "hinhaltenden Widerstand gegen sterile Saunaparadiese, Lomi-Lomi-Aufgüsse und die kalten Abstraktionen des zeitgenössischen Theaters". "Er gehört nicht zu den vertrockneten Postdramatikern, die 'Sehgewohnheiten aufbrechen' und das Publikum vergrämen wollen." Schmalz plantsche in den seichten Gewässern einer Wellness-Satire, könne das Tempo aber auch verschärfen, "und dann klingt es nicht mehr wie Loriots Herren in der Badewanne, sondern wie Wasserballett mit Jelinek, Achternbusch und Werner Schwab".
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